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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 31.07.2002
Aktenzeichen: 5 U 46/02
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 159
BGB § 781
BGB § 305 a. F.
BGB § 311 Abs. 1 n. F.
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln Im Namen des Volkes Urteil

5 U 46/02

Verkündet am: 31.07.2002

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. Oktober 2001 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 10 O 199/99 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.758,34 € (= 15.174,- DM) nebst 4% Zinsen seit dem 22. Mai 1999 zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 40% und der Beklagte zu 60% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Der Beklagte ist dem Kläger zur Leistung von Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB in Höhe von 7.758,34 € (= 15.174,- DM) verpflichtet, weil er das im Eigentum des Klägers stehende Pferd "A. f. d. S." grob fehlerhaft falsch behandelt hat und nicht auszuschließen ist, dass dadurch der Tod des Tieres verursacht worden ist.

Dem Beklagten ist es als Behandlungsfehler anzulasten, dass sich nach dem eingetretenen Schock zu früh von dem Pferd entfernt hat, ohne abzuwarten, bis das Tier wieder aufgestanden war. Was im einzelnen der Beklagte nach der Schockbehandlung noch unternommen hat, um sich von dem Zustand des Pferdes ein Bild zu machen, ist zwischen den Parteien streitig. Selbst das vom Beklagten zugestandene Verhalten, wonach er sich 15-20 Minuten nach der Schockbehandlung entfernt haben will, nachdem er das Tier klinisch untersucht und sich sein Zustand stabilisiert gehabt habe, ist nach den insoweit klaren und eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. als behandlungsfehlerhaft zu werten, weil der Beklagte - wie er eingeräumt hat - nicht vor Ort geblieben ist, bis das Pferd entweder selbst aufgestanden war oder bis vom Beklagten ein Aufstellversuch veranlasst worden war. Dagegen führt der Beklagte in seiner Berufung lediglich seine abweichende Auffassung, es sei sachgerecht gewesen, das Pferd in Brustlage bei selbständig gehaltenem Kopf ruhen zu lassen, an. Ob dieses Verhalten des Beklagten nicht bereits für sich genommen die Annahme eines groben Behandlungsfehlers rechtfertigt, erscheint dem Senat durchaus noch offen. Der Sachverständige hat dies zwar bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht verneint, ist insoweit aber eine plausible Begründung schuldig geblieben. Seine schriftlichen Ausführungen, wonach das vom Beklagten selbst geschilderte Verhalten nach der Schockbehandlung eindeutig als Verstoß gegen die tierärztlichen Sorgfaltspflichten zu werten ist, deuten ganz im Gegenteil darauf hin, dass der Sachverständige die Behandlung als aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich einstufen wollte. Das bedarf indes keiner weiteren Sachaufklärung.

Der Senat ist nämlich entgegen der Auffassung des Landgerichts davon überzeugt, dass der Beklagte nicht, wie er es behauptet hat, noch 15-20 Minuten bei dem Pferd geblieben ist und es untersucht und beobachtet hat, sondern dass er sich sogleich nach der Schockbehandlung von dem Tier entfernt hat. Diese Überzeugung gewinnt der Senat aus der Aussage der Zeugin S.. Die Zeugin S. hat bekundet, dass der Beklagte, nachdem er dem Pferd ein Mittel zur Stabilisierung des Kreislaufs gegeben habe, sogleich gegangen sei und lediglich noch gesagt habe, sie solle bei dem Pferd bleiben und sehen, dass es ruhig bleibe. Sie hat ferner klipp und klar bekundet, dass der Beklagte an dem Pferd nach der Injektion keine Untersuchungen mehr vorgenommen hat; jedenfalls habe der Beklagte - so hat die Zeugin bekräftigt - weder den Puls noch die Temperatur gemessen. Der Senat hat keinen vernünftigen Anlass, der Zeugin S. keinen Glauben zu schenken. Sie hat den gesamten Geschehensablauf sehr detailliert und widerspruchsfrei geschildert, so dass der Senat ausschließt, dass sie gerade in dem hier entscheidenden Punkt, was der Beklagte nach der Schockbehandlung noch unternommen hat, eine Erinnerungslücke hat. Die Zeugin S. konnte noch sehr genau wiedergeben, wie der Beklagte das Pferd nach seinem Eintreffen behandelt hat. Sie wusste etwa noch - zutreffend - zu berichten, dass der Beklagte einen grippalen Infekt diagnostiziert hatte und dem Tier zwei Spritzen - eine intravenös und eine intramuskulär - verabreicht hat. Sie konnte schildern, dass der Beklagte sich danach an dem Einfangen eines aus dem Stall entlaufenen Pferdes beteiligt hat. Schließlich hat sie detailreich die Situation geschildert, die sich ihr bot, als sie dann in den Stall zurückkam: Das Pferd habe sich aufgebäumt, die Augen aufgerissen und sei dann völlig zusammengebrochen. Sie hat weiter schildern können, dass der Beklagte, nachdem sie ihn zurückgerufen habe, dem Pferd eine Spritze intravenös gesetzt habe. Die gesamte Schilderung zeugt von einer sehr lebhaften Erinnerung der Zeugin S. an das sicher auch für sie dramatische Ereignis. Soweit das Landgericht im Anschluss an eine gleichlautende Bemerkung des Sachverständigen Dr. S. mutmaßt, die Zeugin sei wohl sehr aufgeregt gewesen und habe deswegen möglicherweise die klinische Untersuchung des Beklagten nicht wahrgenommen, fehlt es für diese Annahme an einem nachvollziehbaren Anknüpfungspunkt. Ein solcher ist insbesondere nicht der bloße Vortrag des Beklagten, er habe eine Untersuchung der Schleimhäute durchgeführt und die genaue Pulsfrequenz festgestellt. Dies ist nirgendwo dokumentiert. Ob dies zwingend erforderlich war, mag dahingestellt bleiben. Die mangelnde Dokumentation entwertet jedenfalls die Angaben des Beklagten zu seinem Verhalten nach der Schockbehandlung, weil diese jeder objektiven Nachprüfbarkeit entbehren. Der Sachverständige und mit ihm das Landgericht mögen mit der Vermutung, die Zeugin S. habe möglicherweise die Untersuchung des Pferdes durch den Beklagten nicht mitbekommen, eine Erklärung für das dann in der Tat unverständliche Verhalten des Beklagten gesucht haben - gleichwohl besteht für einen solchen Erklärungsversuch keine Grundlage. Die Aussage der Zeugin ist insgesamt in sich schlüssig und ohne weiteres glaubhaft. Irgendeine Tendenz, den Beklagten zu Unrecht zu belasten, ist ihr nicht zu entnehmen. Sie hat das Geschehen augenscheinlich sehr gut beobachtet. Gerade der Umstand, dass sie in Sorge um das Pferd war, legt es nahe, dass sie das Vorgehen des Beklagten genau verfolgt hat und es deshalb auch vollständig und wahrheitsgemäß wiedergeben konnte. Der Senat hält nach allem die Aussage der Zeugin S. uneingeschränkt für glaubhaft. Zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht kein Anlass. Dies wäre aus Rechtsgründen nur dann angezeigt, wenn der Senat einzelne Teile der Aussage anders auslegen oder verstehen wollte als das Landgericht. Das ist indes nicht der Fall. Der Senat vermag sich lediglich nicht der Mutmaßung des Landgerichts, die Zeugin habe das Geschehen möglicherweise nicht vollständig wahrgenommen, anzuschließen.

Ausgehend davon, dass der Beklagte - entsprechend der Schilderung der Zeugin S. - das Pferd ohne weitergehende Untersuchung oder Beobachtung unmittelbar nach der Schockbehandlung verlassen hat, hat dieser grob fehlerhaft gehandelt. Ein grob fehlerhaftes Verhalten ist dann anzunehmen, wenn dem Arzt ein Fehler unterläuft, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdn. 522 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch im Tierarzthaftungsprozess (vgl. OLG München, NJW-RR 1989, 988, 989; Schulze, Die Haftung des Tierarztes, S. 144 f.). Dass das Verlassen des Pferdes sogleich nach der Schockbehandlung in dem vorgenannten Sinne grob fehlerhaft ist, hat der Sachverständige Dr. S. eindeutig zu erkennen gegeben und der Beklagte ist - wie seinen Ausführungen in der Berufungserwiderung entnommen werden kann - selbst der Auffassung, dass es ein grob fehlerhaftes Vorgehen darstellt, wenn ein Tierarzt ein Tier nach einer Schockbehandlung in nicht stabilisiertem Zustand verlässt. Der somit anzunehmende grobe Behandlungsfehler des Beklagten führt zu einer Beweislastumkehr. Es ist Sache des Beklagten, zu beweisen, dass der Tod des Pferdes nicht darauf zurückzuführen ist, dass er das Pferd zu früh verlassen hat und daher nicht weiterbehandeln konnte. Hierzu sind, wie der Sachverständige Dr. S. ausgeführt hat, sichere Feststellungen nicht mehr zu treffen. Auch wenn der Sachverständige Dr. S. - worauf der Beklagte hinweist - ausgeführt hat, es sei eher wahrscheinlich, dass es sich um ein nicht mehr reparables Geschehen gehandelt habe, geht das zu Lasten des Beklagten. Eine Beweislastumkehr wäre erst dann nicht mehr angezeigt, wenn es völlig unwahrscheinlich wäre, dass dem Pferd noch durch weitere tierärztliche Maßnahmen hätte geholfen werden können (vgl. etwa BGHZ 85, 212, 216 ff.; Steffen/Dressler, aaO, Rdn. 520). Das indes hat der Sachverständige nicht festgestellt.

Der Beklagte hat dem Kläger mithin den Wert des Pferdes zu ersetzen. Diesen bemisst der Senat im Anschluss an die Feststellungen des von der Haftpflichtversicherung des Beklagten beauftragten Sachverständigen H. mit 15.000,- DM. Der Kläger hat einen höheren Schaden auch nicht ansatzweise schlüssig dargelegt; der von ihm angegebene Betrag von 25.000,- DM ist nicht durch einen nachvollziehbaren Sachvortrag untermauert. Von daher bestehen keine Bedenken gegen die Verwertung des außergerichtlich eingeholten Gutachtens als qualifizierten Sachvortrag des Beklagten (vgl. dazu BGH, NJW 1993, 2382 ff; Senatsurt. v. 7. Juni 2000 - 5 U 255/90 [die dagegen eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26. September 2001 nicht angenommen - IV ZR 182/00); Senatsurt. v. 27. Mai 2002 - 5 U 272/01). Die gutachterlichen Feststellungen sind nachvollziehbar und überzeugend. Substantiierte Einwendungen dagegen hat der Kläger nicht erhoben.

Der Beklagte schuldet ferner den Ersatz der Kosten für die Sektion des Pferdes in Höhe von 174,- DM, weil diese zur Beweissicherung erforderlich war (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB. 61. Aufl., § 249, Rdn. 22).

Zinsen kann der Kläger auf den nach allem zuzusprechenden Betrag von 15.174,- DM in Höhe von 4% seit Rechtshängigkeit (22. Mai 1999) nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. verlangen. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. ist nicht anzuwenden, weil die Forderung vor dem 1. Mai 2000 fällig geworden ist (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 12.871,26 €

Wert der Beschwer für beide Parteien: unter 20.000,- €

Ende der Entscheidung

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