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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.11.2008
Aktenzeichen: 5 U 84/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 13.03.2008 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 490/06 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin, mit der sie neben dem im Berufungsverfahren neu gestellten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht auch zukünftiger Schäden den erstinstanzlich geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch wegen angeblich fehlerhafter Behandlung und Mängel bei der Aufklärung im Zusammenhang mit einer am 09.09.2005 vom Beklagten durchgeführten Extraktion des Zahns 36 weiterverfolgt, hat keine Aussicht auf Erfolg.

Mit Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil nach den gemäß § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Feststellungen weder ein Behandlungsfehler zu Lasten der Klägerin erwiesen ist noch die Aufklärungsrüge durchgreift. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Die demgegenüber von der Klägerin im Berufungsverfahren erhobenen Einwände führen nicht zu einer anderen, ihr günstigeren Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

1. Zunächst hat das Landgericht zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, die auf den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. basieren, eine Aufklärungspflicht des Beklagten über das Risiko einer dauerhaften Schädigung des nervus lingualis verneint, weil dieses Risiko dem Eingriff nicht spezifisch anhaftete. Über - wie hier unstreitig - sehr seltene Risiken ist jedoch nur dann aufzuklären, wenn sie den Patienten in der Lebensführung schwer belasten und sie trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch und für den Laien überraschend sind. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat insoweit aber überzeugend unter Hinweis auf seine eigene Berufserfahrung, einschlägige wissenschaftliche Literatur sowie unter Erläuterung von Fällen provozierter Nervblockierungen erklärt, dass sich üblicherweise nach mehreren Monaten eine spontane Regeneration des Nervs zeige, dauerhafte Ausfälle wie hier hingegen nicht festzustellen seien. Es spricht daher auch nach der Einschätzung des Senats nichts dafür, dass die hier beklagte dauerhafte Nervschädigung dem Eingriff als Risiko spezifisch anhaftet. Die andere Wertung in der von der Klägerin angeführten Entscheidung des OLG Koblenz (VersR 2005, 118) gibt zu einer anderen Beurteilung keine Veranlassung, da schon nicht ersichtlich ist, worauf das OLG Koblenz seine Erkenntnisse gestützt hat, ob dem etwa wie richtigerweise hier eine überzeugende sachverständige Einschätzung zugrunde liegt. Mit der Frage der spezifischen Risikoanhaftung hat sich das OLG Koblenz in tatsächlicher Hinsicht nicht im Ansatz befasst.

2. Einer Aufklärung über die von der Klägerin als alternative Behandlungsmethode angeführte Möglichkeit einer Wurzelspitzenresektion bedurfte es ebenfalls nicht. Nach den auch den Senat überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. war die Extraktion des Zahnes 36 aufgrund der akuten und schmerzhaften Entzündung im Wurzelspitzenbereich notwendig indiziert. Die Extraktion stellte sich damit als Therapie der Wahl dar. Demgegenüber war die Wurzelspitzenresektion und erst recht die von der Klägerin im Berufungsverfahren neu angeführte Möglichkeit einer endodontischen Revision keine echte Behandlungsalternative, über die der Beklagte sie hätte aufklären müssen. Der Sachverständige hat dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausgeführt, dass die Wurzelspitzenresektion bei der vorausgegangenen unvollständigen Wurzelfüllung mit einer deutlich schlechteren Erfolgsprognose einhergegangen wäre. Hinzu kommt, dass der Beklagte den Zahn nach den röntgenologischen Befunden als nicht mehr erhaltungswürdig erachtet hatte, was von der Klägerin in erster Instanz auch nicht in Abrede gestellt worden ist. Er hatte daher keine Veranlassung, die Klägerin auf die Möglichkeit der Wurzelspitzenresektion bzw. einer endodontischen Revision des Zahnes hinzuweisen. Der mit der Berufung vorgebrachte Einwand der Klägerin, der Beklagte hätte sie auf die Möglichkeit der Wurzelspitzenresektion auch zur Erhaltung des Zahnes hinweisen müssen, ist mithin nicht nur verspätet gemäß § 531 Abs. 2 ZPO, sondern auch unsubstantiiert, weil nichts dafür spricht, dass der Zahn entgegen der Einschätzung des Beklagten erhaltungsfähig gewesen wäre.

3. Wie das Landgericht weiter zutreffend festgestellt hat, stellte auch die intraligamentäre Anästhesie (ILA) keine echte Behandlungsalternative für die Betäubung des Operationsbereiches dar, so dass der Beklagte die Klägerin auch über diese - theoretisch mögliche - Alternative zur Betäubung nicht aufzuklären brauchte. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 05.11.2007 ergibt sich bereits aus dem von der Klägerin in erster Instanz vorgelegten Aufsatz von Zugal (Bl. 151 ff. GA), dass dieses Anästhesieverfahren nie gleichberechtigte Methode neben der Terminal- und Leitungsanästhesie geworden ist. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass gerade bei einem vorbestehenden Entzündungsprozess (wie hier) keine ausreichende Anästhesietiefe zu erzielen sei, weil bei einem bestehenden akuten, floriden Entzündungsprozess die Wirksamkeit des Lokalanästhetikums aufgrund des lokalen Gewebe-PH-Wertes im saueren Bereich eingeschränkt sein könne. Ob abgesehen davon die intraligamentäre Anästhesie (ILA) eine gleichwertige Behandlungsmethode zur Betäubung darstellt oder ihr im Bereich der Unterkieferbehandlung etwa sogar Vorzug zu geben ist, wie die Klägerin gestützt auf die von ihr vorgelegten Veröffentlichungen meint, kann dahinstehen. Den Darstellungen ist nämlich nicht zu entnehmen, ob dies auch dann gilt, wenn - wie hier - ein akuter, florider Entzündungsprozess besteht. Dafür ist gegenüber der überzeugenden und nachvollziehbaren Begründung, wie sie der Sachverständige gegeben hat, auch sonst nichts ersichtlich. Im Übrigen hat die Klägerin selbst in erster Instanz vorgetragen, dass sie bei der Extraktion eine möglichst schmerzfreie und ungefährliche Betäubung wünschte (Schriftsatz vom 19.03.2007, Bl. 54 GA). Dass der Beklagte sich im Rahmen seiner Wahlfreiheit für die sicherer schmerzstillende Betäubungsmethode entschieden hatte, ohne die Klägerin über voraussichtlich weniger wirksame Methoden aufzuklären, ist daher ebenfalls nicht zu beanstanden. In Anbetracht des geringen Schädigungsrisikos, wenn sich dies auch im Einzelfall, wie hier leider bei der Klägerin, verwirklichen kann, stellte die Leitungsanästhesie bei objektiver Bewertung durchaus auch eine ungefährliche Behandlungsmethode dar.

4. Schließlich bestand für den Beklagten auch keine Veranlassung, der Klägerin im Anschluss an die Behandlung am 09.09.2005 ein Stereoid zu verordnen und sie darauf hinzuweisen, sich bei Problemen wieder vorzustellen. Für eine mögliche (dauerhafte) Nervschädigung bestanden keine Anhaltspunkte. Allein der Umstand, dass der Nervus lingualis beim Einstechen der Kanüle getroffen worden war, wofür - in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen - der von der Klägerin verspürte stromstoßartige Schmerz sprach, führt nach den weiteren Feststellungen des Sachverständigen üblicherweise nicht zu der von der Klägerin beklagten Dauerschädigung. Außer der sich aus der Behandlungsdokumentation ergebenden Verordnung des Medikaments Traumanase bereits am 09.09.2005 war bei der gebotenen ex ante-Betrachtung eine präventive Medikation also nicht erforderlich. Letztlich fehlt es zudem an jeglichen substantiierten Darlegungen der Klägerin dazu, dass durch eine Verordnung von Stereoiden oder den Hinweis auf eine Wiedervorstellung die beklagte Dauerschädigung vermieden worden wäre.

Bei dieser Sachlage gibt die Berufung zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt keine Veranlassung. Umstände, die dem Senat Anlass geben könnten, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen und daher eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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