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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 29.01.2007
Aktenzeichen: 5 U 85/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1 S. 1
ZPO § 540 Abs. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 15.03.2006 - 25 O 550/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2003 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen sowie alle zukünftig ihr noch entstehenden immateriellen Schäden aus der Behandlung im März 2002 zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte 13/23, die Klägerin trägt 10/23.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 1, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zum Teil Erfolg. Der Klägerin stehen gegen den Beklagten wegen der durch diesen durchgeführten Behandlung Ansprüche auf Ersatz des ihr entstandenen immateriellen und auch (im Wege der Feststellung) des materiellen Schadens zu.

1.

Grundlage für diese Schadensersatzansprüche sind allerdings entgegen der Ansicht der Klägerin keine dem Beklagten anzulastenden Behandlungsfehler.

a)

Nach den Feststellungen des erstinstanzlich hinzugezogenen Sachverständigen Prof. Dr. L, sind Behandlungsfehler nämlich nicht bewiesen. Die Eingriffsindikation ist nicht zu beanstanden. Prof. Dr. L hat in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend begründet und nachvollziehbar ausgeführt, dass selbst bei Beschwerdefreiheit der Klägerin von Seiten des Adnextumors eine diagnostische Abklärung des Befundes medizinisch indiziert war; zwar sei nach den anamnestischen Daten und dem Sonographiebefund eine gutartige Endometriosezyste anzunehmen gewesen, gleichwohl sei die theoretische Möglichkeit eines zusätzlichen karzinomatösen Geschehens nicht sicher auszuschließen gewesen, woraus sich die vorbenannte medizinische Indikation zum operativen Eingriff ergeben habe.

Der Eingriff war auch seinem Umfang nach medizinisch indiziert, wenn auch insoweit nicht zwingend erforderlich. Auch das hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, wobei er freilich die erfolgte Radikalität des Eingriffs unter den Vorbehalt des Sicherheitsbedürfnisses der Klägerin gestellt hat. Letzteres ist aber keine Frage der Indikation, sondern der Einwilligung.

b)

Auch die intraoperativ verursachte Verletzung des Ureters ist dem Beklagten nicht als Behandlungsfehler vorzuwerfen. Die Gründe hierfür hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten eingehend erläutert. Nach dessen ausdrücklichem Hinweis birgt die Freilegung eines Ureters, der durch narbige Strukturen zieht, immer die Gefahr einer Läsion, dies auch bei sorgfältiger gründlicher Präparation, und zwar sowohl bei der Laparotomie als auch bei der Laparoskopie; wie der Operationsbericht sowie die dokumentierten Bilder zeigten, sei die Präparation des Ureters und seines Umfeldes schwierig gewesen und eine postoperative Ureterkomplikation habe nicht sicher ausgeschlossen werden können. Allein der Umstand, dass es zu einer Ureterwandnekrose gekommen sei, sei nicht beweisend für einen Behandlungsfehler; vielmehr könne dies auch ohne Verschulden des Operateurs erklärt werden. Gegen diese überzeugenden Feststellungen hat die Klägerin nichts Durchgreifendes eingewandt, so dass auch insoweit eine Haftung wegen eines Behandlungsfehlers auszuscheiden hat. Entgegen ihrer Ansicht findet insoweit auch keine Beweislastumkehr statt, weil der Beklagte das während der Operation gefertigte Video nicht aufbewahrt hat. Das Fehlen dieses Videos hat die Beantwortung der Frage nach einer schuldhaften und vorwerfbaren Uretherverletzung nicht etwa unmöglich gemacht, so dass letztlich dahinstehen kann, ob das Videoband überhaupt zur aufbewahrungspflichtigen Behandlungsdokumentation gehört. Wie sich aus den Feststellungen des Sachverständigen nämlich ergibt, lagen diesem immerhin vier Bilder aus dem Video als Videoprints der Operationsstelle vor, auf die der Sachverständige bei seinen vorstehend zitierten Feststellungen auch Bezug genommen hat. Auch die Klägerin selbst behauptet nicht etwa konkret, dass sich aus dem Video konkrete Anhaltspunkte für ein schuldhaftes behandlungsfehlerhaftes Vorgehen des Beklagten ergeben würden. Zur Beantwortung der Beweisfrage hat sich der Sachverständige nach seinen eindeutigen Feststellungen anhand der vorliegenden Videoprints und des Operationsberichtes uneingeschränkt in der Lage gesehen.

c)

Auch die Nachbehandlung der Klägerin nach Feststellung der Ureterverletzung lässt keine vorwerfbaren Behandlungsfehler erkennen, wie sich ebenfalls aus den erstinstanzlichen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L ergibt.

2.

Der Beklagte ist der Klägerin aber aus dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung zum Schadensersatz verpflichtet (§ 823 Abs. 1 BGB), denn der von ihm vorgenommene Eingriff war mangels gehöriger Eingriffsaufklärung nicht von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin getragen. Da die Aufklärungspflicht zugleich vertraglich geschuldet ist, beruht der Anspruch auch auf § 280 Abs. 1 BGB.

Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten schuldet der Arzt nicht nur eine Aufklärung über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken. Ist der Eingriff überhaupt oder seinem Umfange nach nur relativ indiziert, weil seine Erforderlichkeit (auch) vom Sicherheitsbedürfnis des Patienten abhängt, muss dies mit den Patienten besprochen werden, weil es jenem überlassen bleiben muss, ob er unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Sicherheit auch Risiken in Kauf nehmen will, die einzugehen nicht zwingend nötig erscheint (vgl. BGH NJW 1998, 1784; 1997, 1637). Dem ist der Beklagte im Streitfall nicht nachgekommen.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L war bei der Klägerin, nachdem ein großer Adnextumor - als Endometriosezyste verdächtig - befundet worden war, dessen diagnostische Abklärung zum Zwecke des Ausschlusses eines karzinomatösen Geschehens medizinisch indiziert, obwohl der Tumor symptomlos war. Das leuchtet ein und wird von den Parteien auch nicht bezweifelt. Die vom Beklagten tatsächlich vorgenommene vollständige Entfernung der Zyste einschließlich sämtlicher intraoperativ angetroffenen Endometrioseherde, also auch der in das Bauchwandperitoneum und die Ovarialrinde infiltrierten Teile, war dagegen nur indiziert, wenn die Klägerin absolute Sicherheit wünschte, weil bei Belassen von Endometrioseanteilen ein Restrisiko eines Ovarialkarzinoms von unter 1 % blieb, "ein normales Risiko, wie bei jedem Menschen" (so Prof. L). Als Alternative hierzu wäre noch die alleinige Ausschälung der Endometriosezyste in Betracht gekommen. Das alles ist mit der Klägerin nicht besprochen worden. Ohne Kenntnis dieser Umstände war sie aber nicht imstande abzuwägen, welche Risiken sie in Kauf zu nehmen bereit war. Denn je nach Umfang des Eingriffs verbreiterte sich das Risikospektrum erheblich. Gerade das Risiko einer Ureterverletzung, das sich im Streitfall verwirklicht hat, war nach den Ausführungen des Sachverständigen ganz wesentlich vom Operationsumfang abhängig ("man könne sagen, dass der Harnleiter unverletzt geblieben wäre, wenn lediglich ein Teil der Zyste zum Zwecke der Diagnostik entfernt worden wäre").

An der Aufklärungspflicht ändert auch der Einwand des Beklagten nichts, die chirurgische Entfernung sei die effektivste Therapie der ovariellen Endometriose, das bloße Eröffnung und Spülen des Zystenbalgs eines Endometrioms als alleinige chirurgische Maßnahme sei keine adäquate Therapie, da 80 % der so Behandelten innerhalb von sechs Monaten ein Rezidiv erleiden würden. Es mag sein, dass die vollständige Entfernung der ovariellen Endometriome aus medizinischer Sicht optimal ist. Das allein rechtfertigt es nicht, das Selbstbestimmungsrecht des betroffenen Patienten zu verkürzen. Gerade dem beschwerdefreien Patienten muss es überlassen bleiben, ob er zwecks Vermeidung eventuell später auftretenden Beschwerden und/oder aus Gründen größtmöglicher Sicherheit im Hinblick auf ein nicht gänzlich auszuschließendes karzinöses Restrisiko erhebliche zusätzliche Gefahren in Kauf nehmen will, die sich aus nicht zwingend nötigen komplikationsträchtigen Präparationen ergeben.

Der Eingriff war seinem Umfange nach auch nicht durch hypothetische Einwilligung gerechtfertigt. Der Beklagte behauptet nicht einmal, die Klägerin würde auch dann in die Operation, so wie sie tatsächlich erfolgt ist, eingewilligt haben, wenn er sie über die oben dargelegten Umstände aufgeklärt hätte. Im Übrigen liegt nach den Angaben der Klägerin ein plausibler Entscheidungskonflikt gleichsam auf der Hand. Zwar war sie trotz Beschwerdefreiheit bestrebt, einem plötzlichen Platzen der Zyste zur Unzeit vorzubeugen und deshalb bereit, die sich aus einer erforderlichen Ausschälung der Zyste ergebenden Risiken in Kauf zu nehmen; gleiches kann man aber nicht für den Umfang der Operation im Übrigen sagen, der gerade wegen der schwierigen und langwierigen Präparation von Beckenwand und Ovarialrinde weitere erhebliche Gefahren barg.

3.

Der nach allem jedenfalls dem Umfange nach eigenmächtige Eingriff hat auch zu dem Primärschaden (Ureterverletzung) geführt. Das steht außer Frage. Zwar wäre der Schaden möglicherweise auch eingetreten, wenn der Eingriff auf einer Ausschälung der Zyste, in die die Klägerin sicherlich eingewilligt hätte, beschränkt geblieben wäre. Die Zweifel gehen indessen zu Lasten des Beklagten, denn insoweit geht es um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens, der vom Schädiger zu beweisen ist (vgl. BGH NJW 2005, 1718).

4.

Bei der Bemessung des der Klägerin somit nach § 253 Abs. 2 BGB (= § 847 BGB a.F.) zustehenden Schmerzensgeldes hat der Senat zum Einen berücksichtigt, dass die Operation als solche ihrem Umfange nach und insbesondere die wegen der hierbei verursachten Ureterverletzung erforderliche Nachbehandlung für die Klägerin, sowohl was die Dauer als auch, was die damit verbundenen zusätzlichen Beschwerden anbetrifft, sehr belastend waren. Die erforderliche operative Neueinpflanzung des Harnleiters unter Vollnarkose verursachte einen zusätzlichen 16-tägigen Aufenthalt der Klägerin in klinischer Behandlung verursachte; auch hat die Klägerin noch nach dieser Behandlung unstreitig über längere Zeit Schmerzen im Unterleib erlitten sowie auch Schmerzen beim Wasserlassen. Zusätzlich war nach dem nicht substantiiert in Abrede gestellten Vortrag der Klägerin auch die Funktionsfähigkeit der Blase zunächst eingeschränkt mit der Folge teilweiser Inkontinenz und häufigen verstärkten Harndrangs. Die Richtigkeit dieser Einlassung der Klägerin ergibt sich auch aus dem ärztlichen Attest der Frau Dr. X (Fachärztin für Urologie) vom 26.08.02.

Nach allem erachtet der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend, um den operationsbedingten Folgebeschwerden zu Lasten der Klägerin in angemessener Weise Rechnung zu tragen.

5.

Da im Hinblick auf die Ureterwandverletzung und die operative Ureterneueinpflanzung künftig noch auftretende Folgeschäden nicht schlechterdings ausgeschlossen werden können, war auch dem Feststellungsantrag der Klägerin stattzugeben. Dass etwaige materielle Schäden zu ersetzen sind, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen ohne weiteres.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz des Beklagten vom 19. Januar 2007 gibt keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Die vom Beklagten vorgetragenen Leitlinien stehen der Senatsentscheidung nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern.

Ende der Entscheidung

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