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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 13.02.2006
Aktenzeichen: 5 W 181/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 2 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers zu 1) wird der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 7.11.2005 - 11 O 319/05 - in Bezug auf den Tenor zu 1. teilweise abgeändert. Dem Antragsteller zu 1) wird Prozesskostenhilfe bewilligt für den Antrag, die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens aber 200.000.- Euro.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu 2) wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

1.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers zu 1) hat in der Sache Erfolg. Das vom Landgericht für den Antragsteller zu 1) für angemessen erachtete Schmerzensgeld von 100.000,00 € erscheint nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht als ausreichend. Vielmehr verspricht die beabsichtigte Klage in Höhe von (mindestens) 200.000.- € Aussicht auf Erfolg.

Bei der Bemessung des in Betracht zu ziehenden Schmerzensgeldes sind Art, Ausmaß und Dauer der Beeinträchtigungen, Leiden und Beschwerden maßgeblich (grundlegend BGHZ 18,149; zuletzt BGH NJW 2004, 1243). Hinsichtlich Art und Ausmaß der Leiden ist insbesondere auf die Zwechfelllähmung und den Ausfall einer Lungenhälfte abzustellen, die eine maschinelle Beatmung und eine künstliche Ernährung des Antragstellers erfordern. Dies hat nach der unter Beweis gestellten Behauptung des Antragstellers bereits (unter anderem) zu Verwachsungen im Kehlkopfbereich geführt, zu Hospitalisierungserscheinungen mit Selbstverletzungscharakter und zu einer Vergrößerung des Herzmuskels. Der Antragsteller ist rund um die Uhr pflege- und betreuungsbedürftig. Er kann seine Magensäure nicht auf natürliche Art regulieren, erbricht alle zwei bis drei Stunden und muss permanent abgesaugt werden. Der Antragsteller ist damit schwerst pflegebedürftig und zu einem normalen Leben selbst im Hinblick auf elementarste Bedürfnisse (essen, soziale Kontakte) nicht in der Lage. Ein solches Krankheits- und Beschwerdebild, wenn es nicht nur als vorübergehender Zustand anzusehen ist, rechtfertigt auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 200.000.- € und mehr.

Es ist für die Bemessung des Schmerzensgeldes davon auszugehen, dass dieser Zustand ein dauerhafter ist. Der Antragsteller hat es behauptet und unter Beweis (Sachverständigengutachten) gestellt. Dies ist auch aufgrund der behaupteten und durch medizinische Unterlagen belegten (im Kern wohl auch unstreitigen) Ursache der Zwerchfelllähmung, nämlich einer Verletzung des nervus phrenicus, überaus plausibel. Sollte tatsächlich ein Abriss dieses Nervs vorliegen, dürfte ohne weiteres von der medizinischen Unmöglichkeit auszugehen sein, dies wieder zu reparieren. Eine solche Annahme erscheint dem Senat aufgrund der in zahlreichen Geburtsschadenprozessen gewonnenen Erkenntnisse als realistisch. Gleiches dürfte für die Annahme gelten, dass die funktionslose Lunge nicht wieder zu reanimieren und dass die Lähmung des Zwerchfells nicht zu beseitigen sei. Dass entsprechend dem vom Antragsteller selbst vorgelegten Zeitungsartikel oder im Hinblick auf die entsprechenden Behauptungen der Beklagten eine sichere Prognose über die weitere Entwicklung noch nicht gewagt werden kann, steht der Annahme eines Dauerschadens nicht entgegen. Ob ein Schaden als dauerhaft anzusehen ist oder nicht, bemisst sich nach den medizinischen Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Fortschritte der Medizin oder glückliche Fügungen des Schicksals nach menschlichen Erkenntnissen gänzlich auszuschließen sind. Es ist auch nicht von Bedeutung, dass neue medizinische Entwicklungen im betreffenden Gebiet mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Laufe der kommenden Jahre und Jahrzehnte zu erwarten sind. Auf derart vage Hoffnungen muss sich ein Geschädigter nicht verweisen lassen. Zugrunde zu legen ist vielmehr ein aus objektiver medizinischer Sicht normaler Verlauf der Krankheit aufgrund des heutigen Erkenntnisstandes. Ist danach von einer Wiederherstellung üblicherweise auszugehen, liegt kein Dauerschaden vor, ansonsten schon. Danach ist auch hier von einem Dauerschaden auszugehen.

Dem Antragsteller zu 1) wäre es auch nicht möglich, zumindest aber nicht zuzumuten, seine Schmerzensgeldforderung zunächst auf die Annahme zu stützen, dass eine Wiederherstellung möglich sei, um im Falle einer für ihn ungünstigen Entwicklung dann weitergehendes Schmerzensgeld zu fordern. Es gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes (BGH aaO). Eine Aufteilung nach Zeitabschnitten ist nicht möglich. Alle absehbaren Schäden müssen (auch für die Zukunft) geltend gemacht werden und werden durch das Schmerzensgeld abgegolten. Die Möglichkeit eines immateriellen Vorbehalts im Wege eines Feststellungsantrages ist grundsätzlich nur eröffnet für solche Schäden, deren Eintritt nicht vorhersehbar war (BGH NJW 2001, 3414). Um solche Entwicklungen geht es im vorliegenden Fall indes nicht. Das wäre nur der Fall, wenn nach normalem Verlauf eine Heilung vorauszusetzen wäre und nur aufgrund besonders unglücklicher Umstände ("unabsehbar") es doch nicht zur Heilung käme. Hier aber ist eine Besserung, gar eine Heilung, ungewiss. Von einem unabsehbaren Verlauf, wenn es bei dem Dauerschaden bliebe, könnte nicht gesprochen werden. Angesichts dieser Grundsätze, die in der Rechtsprechung seit vielen Jahrzehnten etabliert sind, auf den immateriellen Vorbehalt zu vertrauen, wie ihn die Kammer dem Antragsteller zu 1) nahe legt, würde ein erhebliches Risiko bergen.

2.

Soweit es um die Beschwerde der Antragstellerin zu 2) geht, kann in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen der Kammer Bezug genommen werden. Die Klägerin begründet ihre Schmerzensgeldforderung (in Höhe von 50.000.- €) vor allem damit, dass die Antragstellerin für den Antragsteller zu 1) eine kaum tragbare Arbeit leiste, mit den seelischen Qualen als Mutter des schwer beeinträchtigten Antragstellers, und mit dem damit verbundenen Verlust an Lebensfreude. Für diese - auch seitens des Senats ohne weiteres nachvollziehbaren - Beeinträchtigungen ist allerdings nach deutschem Recht die Zuerkennung von Schmerzensgeld nicht vorgesehen. Hier bleibt die Antragstellerin darauf beschränkt, ihre materiellen Schäden, insbesondere die geleisteten Mehraufwendungen und ggf. die erlittenen Erwerbseinbußen geltend zu machen, wie es durch den Antrag zu 3) geschehen ist.

Eigene körperliche Schäden, die einen eigenen Schmerzengeldanspruch rechtfertigen würden, hat die Klägerin nicht konkret geltend gemacht. Dem Vorbringen, seelisch, nervlich und körperlich durch die Betreuung des Kindes erschöpft zu sein, was ohne weiteres nachvollziehbar ist, kann ein echter Krankheitswert nicht entnommen werden. In ärztlicher Behandlung befindet sich die Antragstellerin offensichtlich nicht. Soweit die Befürchtung geäußert wird, der derzeitige Zustand könne auf Dauer zu manifesten psychischen oder körperlichen Schäden führen, bleibt die Antragstellerin wiederum auf den immateriellen Vorbehalt verwiesen, für dessen Geltendmachung ihr Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.

Es bleibt damit bei der Begründung der Kammer, wonach die Antragstellerin allenfalls die nach ihrer Behauptung nicht indizierte Operation (Schnittentbindung) über sich ergehen lassen musste und eine Narbe davon getragen hat. Dies rechtfertigt ein höheres Schmerzensgeld als 4.000.- € nicht.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs.2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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