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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 22.08.2008
Aktenzeichen: 6 Ausl. A 2/08
Rechtsgebiete: IRG, StGB


Vorschriften:

IRG § 3 Abs. 1
IRG § 5
IRG § 6 Abs. 1 S. 1
IRG § 10 Abs. 1
IRG § 10 Abs. 2
IRG § 73
StGB § 129a Abs. 1
StGB § 129a Abs. 2
Die Auslieferung einer Verfolgten nach Peru, die vom Vorwurf der Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Leuchtender Pfad" durch die peruanischen Gerichte freigesprochen worden ist, ist wegen des Verbots der Doppelverfolgung ("ne bis in idem") unzulässig, wenn das freisprechende Urteil in einem rechtsstaatlichen Mindeststandarts nicht genügenden Verfahren durch ein sog. "gesichtsloses Gericht" später (hier: im Jahre 1993) aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet wird.
Tenor:

Die Auslieferung der Verfolgten nach Peru zum Zwecke der Strafverfolgung wird für unzulässig erklärt.

Gründe:

I.

Die Verfolgte ist am 28.12.2007 aufgrund eines über Interpol übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchens der peruanischen Behörden vorläufig festgenommen worden.

Das dem Ersuchen zugrunde liegende amtliche Schreiben des Richters des zuständigen Gerichts für Strafsachen vom 05.11.2007 legt der Verfolgten folgendes zur Last : Sie sei Mitglied der Terrorbewegung "Kommunistische Partei Perus - Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad)" gewesen, wobei sie für die Abfassung, Herausgabe und Koordinierung zusammen mit ausländischen Journalisten der im Untergrund erscheinenden periodischen Druckschrift "El Diario" zuständig gewesen sei. Diese Handlung sei strafbar als "Apologie" eines Delikts gem. Art. 316 und als Terrorismus (in der Form der Vereinigung mit einer terroristischen Gruppierung) gem. Art. 322 des peruanischen StGB.

Die Verfolgte, der 1997 in Großbritannien der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist und die inzwischen die britische Staatsangehörigkeit besitzt, hat bei ihrer richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht erklärt, dass sie einer vereinfachten Auslieferung nicht zustimme und auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichte. Der Senat hat am 04.01.2008 gegen die Verfolgte einen Auslieferungshaftbefehl erlassen und diese mit Beschluss vom 09.01.2008 gegen Auflagen - u.a. die Gestellung einer Kaution - vom weiteren Vollzug der Auslieferungshaft verschont.

Das förmliche Auslieferungsersuchen des peruanischen Außenministeriums vom 23.01.2008 ist rechtzeitig am 21.02.2008 eingegangen.

Der Senat hat die Verfolgte am 30.04.2008 mündlich angehört. Gegen die Zulässigkeit ihrer Auslieferung bringt sie u.a. folgendes vor:

* Sie sei von dem gegen sie erhobenen Vorwurf durch Urteil vom 18.06.1993 freigesprochen worden. Das freisprechende Urteil habe trotz des dieses kassierenden Urteils vom 27.12.1993 Bestand.

* Die gegen sie gerichteten Beweismittel seien illegal - nämlich anlässlich von zwei jedenfalls ohne richterliche Anordnung durchgeführten Hausdurchsuchungen am 13. und 21.04.1992 - erlangt worden; diese Beweismittel seien daher unverwertbar.

* Sie sei nach ihrer Verhaftung am 13.04.1992 während ihrer bis Juni 1993 andauernden Inhaftierung einer massiven menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt gewesen. Sie sei gefoltert, mit Folter bedroht und sexuell misshandelt worden. Darüber hinaus habe sie ein vier Tage andauerndes Militärmassaker im Castro-Castro-Gefängnis er- und überlebt.

Der Senat hat den peruanischen Behörden mit Beschluss vom 27.05.2008 Gelegenheit gegeben, zu den Einwendungen der Verfolgten Stellung zu nehmen. Hiervon hat die nationale Strafkammer Lima unter dem 11.08.2008 Gebrauch gemacht.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr, die Auslieferung für zulässig zu erklären.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft kann nicht entsprochen werden; der Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung steht vielmehr ein Auslieferungshindernis entgegen.

A.

Da mit der Republik Peru kein vertraglicher Auslieferungsverkehr besteht, richtet sich die Zulässigkeit der Auslieferung ausschließlich nach den Vorschriften des IRG. Die hiernach erforderlichen formellen Voraussetzungen der Auslieferung liegen zunächst vor.

1.

Mit Schreiben vom 23.01.2008 ersucht das peruanische Außenministerium unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der zweiten transitorischen Strafkammer des Obersten Gerichtshofs vom 21.01. 2008 um die Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Es besteht ein als Haftbefehl anzusehendes Fahndungs- und Festnahmeersuchen vom 05.11.2007, dem nationale Haftbefehle vom 21.09.2004, 29.09.2005 und 24.01.2006 zugrunde liegen, § 10 Abs. 1 IRG.

2.

Die beiderseitige Strafbarkeit, § 3 Abs. 1 IRG, ist im Hinblick auf das Verbrechen des Terrorismus (Art. 322 iVm Art. 319 des peruanischen StGB) gegeben. Die Mitgliedschaft im "Sendero Luminoso" ist nach deutschem Recht als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a Abs. 1 und 2 StGB strafbar, da die Zwecke und Tätigkeiten dieser Vereinigung u.a. auf Mord und Totschlag gerichtet waren. Die Texte der einschlägigen peruanischen Strafbestimmungen liegen dem Senat vor.

Soweit der Verfolgten allerdings die Apologie terroristischer Handlungen gem. Art. 316 des peruanischen Strafgesetzbuchs vorgeworfen wird, ist Verfolgungsverjährung gem. Art. 80 Abs. 1 des peruanischen StGB eingetreten. Danach ist die Verjährungsfrist mit der Höchststrafe für das jeweilige Delikt (hier: sechs Jahre) identisch; diese Frist ist verstrichen. Vom Eintritt der Verfolgungsverjährung insoweit gehen auch die peruanischen Behörden nunmehr selbst aus. Insoweit ist die Tat daher nach peruanischem Recht nicht verfolgbar.

3.

Die Gegenseitigkeit, § 5 IRG, ist garantiert durch die - undatierte, mit Schreiben der peruanischen Botschaft vom 22.01.2008 überreichte - Erklärung der nationalen Strafkammer. Darin wird die Bereitschaft zur Auslieferung "wegen ähnlicher oder gleicher Vergehen" dokumentiert.

4.

Der Grundsatz der Spezialität (§ 11 IRG) schließlich wird gewahrt durch die - undatierte, mit Schreiben der peruanischen Botschaft vom 22.01.2008 überreichte - Erklärung der nationalen Strafkammer. Darin wird u.a. versichert, dass die Verfolgte nicht wegen anderer Delikte als derjenigen, derentwegen sie ausgeliefert wurde, verurteilt werden wird.

B.

Die Auslieferung ist indessen jedenfalls deswegen unzulässig, weil die Leistung von Rechtshilfe im konkreten Fall wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde, § 73 IRG.

1.

Der Senat hat zunächst erwogen, ob die Auslieferung der Verfolgten wegen einer politischen Tat iSd § 6 Abs. 1 S. 1 IRG erfolgen soll und bereits aus diesem Grunde unzulässig ist.

Als politische Taten sind dabei solche strafbaren Angriffe anzusehen, die sich unmittelbar gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates sowie dessen wesentliche Funktionen und Institutionen richten (BGH, NJW 1982, 531; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1984, 347; v. Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, 1989, S. 63). Ob die Tat, welche die Auslieferung veranlassen soll, eine politische ist, ist grundsätzlich zunächst nach deutschem Recht zu beurteilen (BGH, aaO); Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage 2006, § 6 IRG Rz. 22a).

Zu sehen ist zwar, dass die Handlungen und Tätigkeiten des "Sendero Luminoso" im Zusammenhang mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Peru spätestens ab dem Jahre 1990 stehen und auf völligen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg ausgerichtet war. Vor diesem Hintergrund können die mit der Tätigkeit des Sendero Luminoso in Zusammenhang stehenden Handlungen durchaus als "politisch" qualifiziert werden.

Bedenken gegen den politischen Charakter der der Verfolgten vorgeworfenen Tathandlung ergeben sich indessen daraus, dass nach der sog. Übergewichtstheorie die Auslieferung zulässig bleibt, wenn der kriminelle Charakter der Tat überwiegt. Gründe, die danach den politischen Charakter einer an sich gewöhnlichen Straftat als nicht relevant entfallen lassen, liegen u.a. dann vor, wenn die Tat wegen ihrer Schwere in keinem angemessenen Verhältnis zum politischen Ziel steht (v. Bubnoff, aaO, S. 63 f.). Das kann für die Mitgliedschaft im "Sendero Luminoso" anzunehmen sein. Der "Leuchtende Pfad" war eine Organisation, die auf Mord und Totschlag ausgerichtet war. Er zielte auf einen völligen Umsturz des politischen Systems durch einen Volkskrieg, bei dem zahlreiche Menschen gefoltert, ermordet oder verschleppt und ganze Dörfer ausgerottet wurden. Der Sendero verübte Bombenanschläge und Mordanschläge auf Aktivisten anderer linker Organisationen. Im Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission Perus, die von 2000 bis 2003 tätig war, wurde daher im Zusammenhang mit der Bewertung des Terrors von Seiten des "Leuchtenden Pfades" gar von "Genozid" gesprochen. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass die Verfolgte (ungeachtet der aufgefundenen Schusswaffen) unmittelbar an solchen Taten beteiligt war und ihr vielmehr zu Last liegt, an verantwortlicher Stelle des "El Diario" - des Publikationsorgans des Sendero - tätig gewesen zu sein, bestehen aus den genannten Gründen doch Bedenken, die ihr vorgeworfenen Handlungen als "politische" zu werten. Einer abschließenden Entscheidung bedarf das indessen nicht.

2.

Der Senat kann auch offen lassen, ob die Auslieferung der Verfolgten bereits deswegen unzulässig ist, weil die Beweismittel, auf welchen die Anklage vom 29.09.2005 beruht, auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt sind und aus diesem Grunde einem Verwertungsverbot unterfallen, weshalb mit einer Verurteilung der Verfolgten nicht zu rechnen ist, § 10 Abs. 2 IRG. Die Durchsuchungen vom 13. und 24.04.1992 sind nämlich - wie auch die peruanischen Behörden einräumen - jedenfalls ohne richterliche Anordnung durchgeführt worden. Anhaltspunkte für das Bestehen eines Verwertungsverbots für die so erlangten Beweismittel in einem solchen Fall lassen sich dem "Bericht Nr. 1/95" der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte vom 07.02.1995 im Fall Garcia entnehmen: Auch in diesem Falle waren Beweismittel anlässlich einer (u.a.) ohne richterliche Anordnung durchgeführten Durchsuchung aufgefunden worden. Diese wird am Grundrecht der Unverletzlichkeit des Heims gemessen, gegen das verstoßen worden sei. Zur Verwertbarkeit der erlangten Beweismittel heißt es in dem Urteil: Die Unverletzlichkeit des Heims "ist (...) eine Verfahrensgarantie insoweit, als sie gesetzliche Grenzen setzt für die Erhebung belastender Beweise gegen eine beschuldigte Person. Für den Fall, dass die Durchsuchung eines Heims durchgeführt wird, ohne die angemessenen verfassungsmäßigen Verfahrensweise einzuhalten, verhindert diese Garantie, dass der erhaltene Beweis bei einer späteren juristischen Entscheidung gewertet wird. Auf diese Weise gilt sie in der Praxis als eine Regel des Ausschlusses des illegal erhaltenen Beweises".

Der Senat hat indessen Bedenken hinsichtlich der juristischen Verbindlichkeit dieses Berichts, der unter der Überschrift "Schlussfolgerungen" lediglich Empfehlungen an den peruanischen Staat ausspricht. Diese Bedenken können jedoch auf sich beruhen, da sich die Auslieferung der Verfolgten - wie zu zeigen sein wird - aus anderen Gründen als unzulässig darstellt.

3.

Keiner abschließenden Entscheidung bedarf schließlich, ob sich ein Auslieferungshindernis aus dem Rechtsgedanken des Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 herleiten lässt. Nach dieser Vorschrift unterfällt eine Person dann nicht mehr der Genfer Flüchtlingskonvention, verliert also den Flüchtlingsstatus, wenn sich die Umstände, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling ursprünglich erfolgt ist, nachträglich so verändern, dass nunmehr der Flüchtlingsstatus nicht mehr zuerkannt werden könnte. Hiervon könnte im Falle Perus wegen der Ablösung des Regimes Fujimori, dessen strafrechtlicher Verfolgung nach seiner Auslieferung aus Chile und der auf Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien ausgerichteten Tätigkeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission ausgegangen werden. Eine Ausnahme vom Verlust des Flüchtlingsstatus gilt indessen, wenn der Flüchtling zwingende, gerade aus der vorangegangenen Verfolgung resultierende Gründe hat, trotz zwischenzeitlich veränderter Umstände nicht in den Verfolgerstaat zurückzukehren. Anlass, die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Falle der Verfolgten zu erörtern, bestehen trotz des zwischenzeitlich durch Einbürgerung in Großbritannien erfolgten Verlustes des Flüchtlingsstatus, weil diese ihrer - von den peruanischen Behörden unwidersprochen gelassenen - Darstellung zufolge im Anschluss an ihre Verhaftung am 13.04.1992 massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt war. Für einen solchen Fall könnte ein "Fortwirken" des Flüchtlingsstatus auch nach erfolgter Einbürgerung erwogen werden, weil es für einen Verfolgten nach dem Zweck der Vorschrift unabhängig davon, ob er den formalen Flüchtlingsstatus noch besitzt oder nicht, wegen erlittener Misshandlungen unzumutbar sein kann, in seinen Heimatstaat zurückzukehren (vgl. zum Zweck und zum geschichtlichen Hintergrund der Vorschrift Grahl-Madsen: The status of refugees in international law, Leyden 1966, S. 410 f.). Auch insoweit bedarf es aber einer abschließenden Entscheidung des Senats aus den nachstehend dargestellten Gründen nicht.

4.

Die Unzulässigkeit der Auslieferung folgt für den vorliegenden Fall nämlich jedenfalls daraus, dass diese gegen das Verbot der Doppelverfolgung (ne bis in idem) verstieße. Der Senat geht davon aus, dass das die Verfolgte freisprechende Urteil vom 18.06.1993 rechtskräftig geworden ist. Vor diesem Hintergrund widerspricht die Rechtshilfe wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, § 73 IRG.

a)

Ausgangspunkt der diesbezüglichen Überlegungen ist der Umstand, dass sowohl das freisprechende Urteil vom 18.06.1993 als auch das dieses kassierende Urteil vom 27.12.1993 durch sog. "gesichtslose Gerichte" (besetzt mit Richtern mit geheimgehaltener Identität) gefällt worden sind.

Das insoweit einschlägige peruanische "Legislativdekret Nr. 926" vom 20.02.2003 bestimmt, dass die Strafverfahren wegen Vergehens des Terrorismus vor dem ordentlichen Strafgericht mit Richtern oder Staatsanwälten unter geheimer Identität von Amts wegen für nichtig erklärt werden müssen. Die Annullierung bezieht sich dabei auf verurteilte Personen und die Tatbestände, die Gegenstand der Strafe sind sowie auf die nicht anwesenden und flüchtigen Angeklagten und die Tatbestände die Gegenstand der Anklage sind, hinsichtlich der verurteilten Personen, soweit nicht erfolgte Strafverbüßung, Begnadigung, Umwandlung der Strafe oder Verzicht auf die Annullierung in Rede stehen.

Legt man eine formale Sichtweise dieser Bestimmung zugrunde, unterfällt die Verfolgte dem Legislativdekret Nr. 926 nur hinsichtlich der gegen sie erhobenen Anklage: (Naturgemäß) betrifft die Annullierung nur verurteilende Erkenntnisse. Freisprechende - wie hier - können/müssen daher nicht "von Amts wegen für nichtig erklärt werden". Das kassierende Urteil seinerseits ist kein verurteilendes Erkenntnis, es ebnet lediglich (ggf.) den Weg für ein solches. Hierzu fügt sich, dass die peruanischen Behörden in ihrer Stellungnahme vom 11.08.2008 betonen, gegen die Verfolgte sei nicht eine neue Anklage erhoben worden, vielmehr werde das ursprünglich gegen sie gerichtete Verfahren lediglich fortgesetzt. Sieht man die Dinge so, wird im Falle der Verfolgten durch Legislativdekret Nr. 962 lediglich der status quo ante wiederhergestellt.

b)

Diese formale Sichtweise wird indessen nach Auffassung des Senats den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht gerecht:

aa)

Wie die peruanischen Behörden in ihrer Stellungnahme vom 11.08.2008 mitteilen und wie sich bereits aus der Zuschrift der nationalen Kammer für Terrorismus vom 20.05.2003 ergibt, geht Legislativdekret Nr. 962 auf eine Entscheidung des Peruanischen Verfassungsgerichts vom 03.01.2003 zurück, das Aspekte der Antiterror-Gesetze des Fujimori-Regimes (1990 - 2000) außer Kraft setzt. Darin wird die Vorschrift, mit der "gesichtslosen Gerichte" eingeführt wurde, für wegen der Beschneidung von Verteidigungsrechten - insbesondere des Rechts zur Richterablehnung - verfassungswidrig erklärt. Die Vorschrift stelle "eine unverhältnismäßige und unvernünftige Beschränkung des Rechts auf einen ordentlichen Richter dar". Weiter heißt es, "dass die Urteile, welche eine Verfassungswidrigkeit erklären, es nicht erlauben, beendete Prozesse wieder aufleben zu lassen, bei denen die für verfassungswidrig erklärten Regeln angewendet wurden".

Der Senat verkennt nicht, dass der Prozess gegen die Verfolgte formal nicht (etwa durch Urteil) beendet worden ist. Es hieße aber, den Sinn der zitierten Verfassungsgerichtsentscheidung in sein Gegenteil verkehren, wollte man die Fortsetzung des Verfahrens gegen die Verfolgte für zulässig halten: Mit der Verfassungsgerichtsentscheidung wurde ersichtlich eine Regelung zugunsten der wegen terroristischer Taten durch das Fujimori-Regime Verfolgten angestrebt, deren Verteidigungsrechte beschnitten worden waren. Wollte man die Fortsetzung des Verfahrens gegen die Verfolgte für zulässig erachten, bedeutete dies, dass ein in einem - nach peruanischem Verfassungsrecht - rechtsstaatswidrigen Verfahren immerhin Freigesprochener eine in einem noch weniger rechtsstaatlichen Verfahren zustande gekommene (s.u.) Kassation dieses freisprechenden Urteils hinnehmen müsste. Wäre die Verfolgte seinerzeit verurteilt worden, stünde sie sich danach besser als im Falle ihres Freispruchs: Sie könnte sich nämlich auf den Wortlaut des Legislativdekrets Nr. 962 berufen, eine Verfolgung wäre dann nicht mehr möglich. Dieser eklatante Wertungswiderspruch erscheint dem Senat nicht hinnehmbar.

bb)

Hinzu tritt folgende weitere Überlegung: Abgesehen davon, dass das aufhebende Urteil vom 27.12.1993 in seiner Begründung ausgesprochen kursorisch ist und nicht auf den konkreten Fall abhebt (es sei "keine ordnungsgemäße Einschätzung der Tatbestände" erfolgt und auch die "aktenkundigen Beweise" seien " nicht ordnungsgemäß beglaubigt" worden), ist für den Senat nicht ersichtlich, dass die Verfolgte irgendeine Möglichkeit gehabt hätte, auf das Verfahren, das zu diesem Urteil führte, Einfluss zu nehmen. Sie selbst hatte Peru zum Zeitpunkt des Urteilserlasses bereits verlassen. Dass am Verfahren ein Verteidiger beteiligt war, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen und wird auch von den peruanischen Behörden nicht vorgebracht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben deutsche Gerichte in Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vergleichbar sind (BVerfG, B. v. 24.06.2003 - 2 BvR 685/03, Rz. 29 mwN; B. v. 09.11.2000 - 2 BvR 1560/00 Rz. 22). Hierzu zählt insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der unerträglich harte, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessene - nicht aber nur lediglich "in hohem Maße" harte - Strafen sowie allgemein eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verbietet (BVerfG, aaO Rz. 30, 31; BVerfG, B. v. 31.03.1987 - 2 BvM 2/86 [BVerfGE 75, 1 ff.], Rz. 38; OLG Hamm, B. v. 16.06.1998 - (23) 4 Ausl 563/96 (75/97) - NStZ-RR 1998, 351; OLG Karlsruhe, B. v. 21.05.1996 - 1 AK 8/96). Hierzu zählt aber auch das zwingende Gebot, dass der Beschuldigte im Rahmen der angemessenen Verfahrensregeln die tatsächliche Möglichkeit haben muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen und deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und ggf. Berücksichtigung zu erreichen (BVerfG B. v. 22.11.2005 - 2 BvR 1090/05 Rz. 33). Nach dem zuvor Dargestellten hatte die Verfolgte diese Möglichkeit in dem zum Urteil vom 27.12.1993 führenden Verfahren nicht. Auch dies nötigt dazu, diesem Urteil die Anerkennung zu versagen. Anders kann nämlich dem aufgezeigten Wertungswiderspruch und dem Umstand, dass das kassierende Urteil rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht genügt, nicht Rechnung getragen werden.

c)

Der danach aus Sicht des Senats bestandskräftige Freispruch vom 18.06.1993 hindert die Auslieferung unter dem Gesichtspunkt des § 73 IRG.

Der Senat folgt dabei der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass eine Auslieferung jedenfalls dann wegen fehlender Verfolgbarkeit unzulässig ist, wenn der Verfolgte im ersuchenden Staat freigesprochen worden ist (so La-godny in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage 2006, § 73 IRG Rz. 95; Vogel in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 73 IRG Rz. 93, jeweils unter Bezugnahme auf OLG Frankfurt/Main, B. v. 23.11.1978 - 2 Ausl. 43/78). Die Verfolgbarkeit im ersuchenden Staat ist nämlich ungeschriebene Voraussetzung der Rechtshilfeleistung. Daraus folgt, dass das Ersuchen nicht im offenbaren Widerspruch zu dem im Recht des ersuchenden Staates geltenden Verbot doppelter Strafverfolgung stehen darf.

Nichts anderes folgt letztlich aus der Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 24.02.1988 (1 AK 3/88 - NJW 1988, 1476). Danach muss es zwar dem ersuchenden Staat vorbehalten bleiben, nach seiner Rechtsordnung den Begriff derselben Straftat abzugrenzen und für seinen Zuständigkeitsbereich zu entscheiden, in welchem Umfang und mit welchen Wirkungen einer Verurteilung wegen derselben Tat Rechnung zu tragen ist. Vorliegend kann aber der Senat dem Urteil des Interamerikanischen Gerichts für Menschenrechte vom 17.09.1997 im Fall Loayzo Tamayo entnehmen, dass Peru die Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22.11.1969 ratifiziert hat, deren Art. 8 Abs. 4 lautet: "Der durch ein rechtskräftiges Urteil freigesprochene Beschuldigte kann nicht für die gleiche Handlung einem neuen Rechtsverfahren unterworfen worden". Damit hat Peru den Grundsatz ne bis in idem für seine Rechtsordnung anerkannt. Im vorliegenden Falle geht es auch nicht - wie in demjenigen des OLG Karlsruhe - um die Frage, ob Teilakte eines einheitlichen Geschehens von der Verurteilung erfasst werden oder nicht. Vielmehr berührt die hier vorliegende Fallgestaltung des

Freispruchs wegen derselben Handlung, derentwegen die Verfolgte nunmehr wiederum verfolgt werden soll, den Kernbereich der Gewährleistung des Verbots doppelter Strafverfolgung.

Schließlich steht der Rechtsauffassung des Senats auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31.03.1987 (2 BvM 2/86 - BverfGE 75, 1 ff.) entgegen. Dort war zu entscheiden, ob die rechtskräftige Aburteilung in einem Drittstaat erneuter Strafverfolgung entgegensteht. Für diese Konstellation hat das Bundesverfassungsgericht das Bestehen einer allgemeinen völkerrechtlichen Regel des "ne bis in idem" verneint (aaO Rz. 40). Um eine solche Fallgestaltung geht es hier aber gerade nicht.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass das freisprechende Urteil vom 18.06.1993 Bestandskraft erlangt hat und dieser Umstand einer Auslieferung der Verfolgten nach Peru zum Zwecke der Strafverfolgung entgegensteht.

Ende der Entscheidung

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