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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 7 U 79/03
Rechtsgebiete: OBG NW, BGB


Vorschriften:

OBG NW § 19
OBG NW § 39 Abs. 1
OBG NW § 39 Abs. 1 Buchst. a)
OBG NW § 39 Abs. 1 Buchst. b)
OBG NW § 40 Abs. 4
BGB § 276
BGB § 278
BGB § 288 Abs. 1 (a.F.)
BGB § 839 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 79/03

Anlage zum Protokoll vom 30.10.2003

Verkündet am 30.10.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prior, den Richter am Oberlandesgericht Ring und die Richterin am Oberlandesgericht Wagner

auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 11.04.2003 - 1 O 170/01 - wird das angefochtene Urteil abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.868,75 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 16.01.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger, ein Taxiunternehmer, Schadensersatz für eine am 07.10.2000 entstandene Beschädigung seines Kraftfahrzeuges, erfolgt durch einen versenkbaren, automatisch gesteuerten hydraulischen Poller, der die Fußgängerzone der beklagten Stadt im Bereich der H.straße absperrt. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), die erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme und die zwischen den Parteien gewechselten erst- und zweitinstanzlichen Schriftsätze nebst den dazu überreichten Anlagen sowie die Beiakten (1 O 171/00, 1 O 308/01 und 1 O 67/03, jeweils Landgericht Bonn), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen. Mit seiner Berufung rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage rechtfertigt sich schon aufgrund des verschuldensunabhängigen Ersatzanspruchs gemäß § 39 Abs. 1 OBG NW. Der Senat qualifiziert in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sog. "feindlichen Grün" (BGH VersR 1987, 666) das Hochfahren des streitgegenständlichen Pollers als "ordnungsbehördliche Maßnahme" i.S.v. § 39 Abs. 1 Buchst. b) OBG NW, die im vorliegenden Fall auch rechtswidrig war und daher die Beklagte zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet.

Der Begriff der "Maßnahme" ist vom Ordnungsbehördengesetz bewusst weit gefasst worden; auch durch Automaten gegebene Gebots- oder Verbotszeichen sind Maßnahmen, soweit sie dem Handeln der Behörde ihre Existenz verdanken und ihr deshalb zuzurechnen sind (BGH a.a.O.). Mit der Einrichtung der Polleranlage macht die Verkehrsbehörde hier ähnlich wie bei einer Lichtzeichenanlage von ihrer Befugnis Gebrauch, den Verkehr zu regeln (§§ 44, 45 StVO). Sie bezweckt damit eine Kostenersparnis und Vereinfachung bei der Verkehrsregelung, indem sie die eigentlich zur Durchsetzung der Verkehrsregelung erforderlichen menschlichen Maßnahmen und Weisungen durch eine automatische Anlage ersetzt. Die Verkehrsregelung durch solche Anlagen hat somit die gleiche Funktion wie die Regelung durch Polizeibeamte oder Ordnungskräfte (BGH a.a.O.). Dementsprechend liegt der Anlage ein auf die Regelung des Verkehrs gerichtetes Handeln der Verkehrsbehörde zugrunde, so dass die einzelnen Funktionen ihr jeweils auch als Maßnahmen zuzurechnen sind. Entsprechend hat auch schon das Oberlandesgericht Düsseldorf (VersR 1997, 1234) das Hochfahren und das Absenken solcher automatisch gesteuerter hydraulischer Poller als ordnungsbehördliche Maßnahmen nach § 39 Abs. 1 Buchst. b) OBG NW angesehen.

Im hier vorliegenden Fall war das streitgegenständliche Hochfahren des Pollers und die darauf beruhende Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges auch rechtswidrig. Ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ist allein nach den Maßstäben des Gesetzes zu entscheiden. Die Begriffe "Rechtmäßigkeit" und "Rechtswidrigkeit" dürfen bei der Beurteilung einer behördlichen Maßnahme nicht unmittelbar auf ein menschliches Verhalten bezogen werden. Es kommt nicht darauf an, ob die Personen, die für die Behörde gehandelt haben, sich rechtmäßig oder rechtswidrig verhalten haben. Entscheidend ist vielmehr, ob die getroffene Regelung sachlich richtig war und mit der objektiven Rechtslage übereinstimmte oder ob sie sachlich falsch war und gegen die Rechtslage verstieß. Der Verwaltungsakt ist selbständig, so wie er sich im Ergebnis präsentiert, zu beurteilen. Danach können auch maschinell hergestellte Verwaltungsakte rechtswidrig sein. Ohne Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang, worauf der Mangel des Verwaltungsakts, der seine Rechtswidrigkeit begründet, beruht. Es ist unerheblich, ob menschliches Verschulden oder technisches Versagen vorliegt (BGH a.a.O.).

Der hier in Rede stehende Poller sperrt grundsätzlich die Fußgängerzone der Beklagten ab und soll ein Befahren durch Unbefugte verhindern. Zugleich - und daher seine versenkbare Funktion - dient er als Ausfahrtmöglichkeit aus der Fußgängerzone für solche Fahrzeuge, die wie das klägerische Fahrzeug mit einer ausdrücklichen Gestattung in die Fußgängerzone (an anderer Stelle) eingefahren sind und diese wieder verlassen wollen. Es kann keinen ernstlichen Zweifeln unterliegen, dass die Beklagte als Ordnungsbehörde unter keinem Gesichtspunkt berechtigt sein kann, solche aus der Fußgängerzone ausfahrenden Fahrzeuge zu beschädigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Fahrer eines ausfahrenden Fahrzeuges entsprechend der Funktionsweise des versenkbaren Pollers zutreffend, verkehrsrichtig und die Funktionsweise beachtend verhalten hat oder ihm ein Fehlverhalten anzulasten ist. Ein die Funktionsweise missachtendes Fahrverhalten ist vielmehr erst gemäß § 40 Abs. 4 OBG NW als anspruchsminderndes oder -ausschließendes Mitverschulden zu berücksichtigen, nicht aber schon bei der Frage der Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Denn die schädigende Maßnahme des hochfahrenden Pollers wird nicht dadurch rechtmäßig, dass sich der Ausfahrende selbst nicht ordnungsgemäß verhält; dies berechtigt die Beklagte nicht, ein Fahrzeug zu beschädigen. Sachlich richtig und der Rechtslage entsprechend mag im Fall eines Fehlverhaltens eine Vielzahl von Maßnahmen sein, eine Beschädigung des fehlerhaft geführten Fahrzeuges gehört aber sicher nicht dazu. Dies ergibt sich etwa bei einem Vergleich mit dem Zustand, der gegeben wäre, wenn statt der automatischen Anlage an der fraglichen Stelle eine ordnungsbehördliche Kraft oder ein Polizist die Ausfahrtsregelung vorgenommen hätte. Würde ein aus der Fußgängerzone ausfahrender Fahrzeugführer die Anweisungen der verkehrsregelnden Person missachten, wäre diese Person sicherlich unter keinem Gesichtspunkt berechtigt, vergleichbar dem hochfahrenden Poller gegen das Fahrzeug zu treten oder es sonst zu beschädigen. Nichts anderes kann aber dann gelten, wenn die Ordnungsbehörde aus Kostengründen eine solche Anlage betreibt, weil sie keine dauernd den Verkehr überwachende Person abstellen will und sie einfache Verbotsschilder nicht für ausreichend hält. Die Maßnahme und die daraus resultierende Beschädigung war damit rechtswidrig, wobei dies unabhängig davon ist, ob der Poller eine (hier konkret nicht feststellbare) Fehlfunktion aufwies oder nicht.

Allerdings wäre wie dargelegt ein Ersatzanspruch gemäß § 40 Abs. 4 OBG NW ausgeschlossen oder jedenfalls gemindert, wenn der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges die Schädigung durch ein Fehlverhalten bei der Ausfahrt selbst verursacht hätte. Dafür aber hat die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte ergeben, im Gegenteil: Die dazu vernommenen Zeugen, der Zeuge G. als Fahrer des klägerischen Taxi und der Zeuge L. als sein Fahrgast, haben bei ihrer Vernehmung ausgesagt, dass sich der Zeuge G. ordnungsgemäß, entsprechend dem vorgesehenen Funktionsablauf der Anlage verhalten hat und nach Erlöschen des Rotlichtes der installierten Ampelanlage, die dem Nutzer den Weg nach automatischer, kontaktgesteuerter Absenkung des Pollers den Weg freigibt, losgefahren ist.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass unabhängig davon, ob man wie hier das Hochfahren und das Absenken des Pollers selbst als ordnungsbehördliche Maßnahmen ansieht, auch schon das erlöschende und damit den Verkehr freigebende Rotlicht im vorliegenden Fall eine rechtswidrige Maßnahme i.S.v. § 39 Abs. 1 Buchst. b) OBG NW darstellte. Denn dieses den Verkehr freigebende erlöschende Lichtzeichen war wie im vergleichbaren Fall des sog. "feindlichen Grüns" (BGH a.a.O.) angesichts des sich zeitlich unmittelbar anschließenden Hochfahrens des Pollers falsch und damit rechtswidrig im Sinne der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Wegen der nach § 39 Abs. 1 Buchst. b) OBG NW gegebenen verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten kann dahinstehen, ob darüber hinaus nicht auch eine Ersatzpflicht gemäß § 39 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. § 19 OBG NW wegen der Inanspruchnahme eines Nichtstörers in Betracht käme. Ebenso kann wie in dem vom Oberlandesgericht Düsseldorf (a.a.0.) entschiedenen Fall offen bleiben, ob Bedienstete der Beklagten als Amtsträger bei Einrichtung und Unterhaltung der Polleranlage darüber hinaus - mit der Folge einer Haftung nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Artikel 34 Satz 1 GG sowie wegen Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung analog den §§ 276, 278 BGB - schuldhaft gehandelt haben, etwa weil die Anlage wegen Fehlens entsprechender Schutzeinrichtungen kein Hochfahren der Poller immer dann verhindert, wenn sich darüber ein Fahrzeug befindet.

Soweit die Beklagte erstinstanzlich die Höhe des eingetretenen Schadens bestritten hat, wird dies zum einen in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht, zum anderen ist die Schadenshöhe aber auch durch das vom Kläger vorgelegte Sachverständigengutachten vom 09.10.2000 belegt. Der zuerkannte Zinsanspruch rechtfertigt sich gemäß § 288 Abs. 1 (a.F.) BGB. Für eine Berücksichtigung der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges ist kein Raum, denn nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist nicht ersichtlich, wie ein "Idealfahrer" den Unfall hätte verhindern können; für den Zeugen G. stellte sich das Geschehen als unabwendbares Ereignis dar.

Die prozessualen Nebenfolgen bestimmen sich nach § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Beklagte: 1.868,75 Euro

Ende der Entscheidung

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