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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 30.06.2006
Aktenzeichen: 81 Ss 62/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 154
StPO § 244 Abs. 2
StPO § 244 Abs. 3
StPO § 244 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Bonn vom 1. August 2005 ist gegen die Angeklagte wegen Betruges in zwei Fällen, in einem Fall als Versuch, eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 20,00 € verhängt worden.

Die 8. kleine Strafkammer des Landgerichts Bonn als Jugendkammer hat wegen des ersten Tatkomplexes (POZ-System in der Gaststätte "A. Q." in L.-P.; Tatzeit ab dem 2. September 2000) das Verfahren nach § 154 StPO vorläufig eingestellt und die Angeklagte mit Urteil vom 20. Dezember 2005 im zweiten Komplex (POZ-Terminal im "Schlemmerimbiss" in C., S.-straße; Tatzeit ab dem 19. Dezember 2000) wegen gemeinschaftlichen Betruges zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 18,00 € verurteilt.

Der Verurteilung liegen folgende tatsächliche Feststellungen zu Grunde:

"Im Herbst des Jahres 2000 übernahm der Zeuge H. den "Schlemmerinbiss" in der S.-straße 214 in C.. Für diesen Betrieb ließ er über die Firma P. S. GmbH ein neues POZ-Terminal aufschalten, das ebenfalls über die DVB abgewickelt wurde.

Über dieses Terminal traf der Zeuge H. im Einvernehmen mit dem Zeugen S. und der Angeklagten am 19.12.2000 zwischen 19:35 Uhr und 19:59 Uhr insgesamt 29 Verfügungen über je 1000 DM, wobei er in 15 Fällen die bereits genannte Bankkarte der Angeklagten und in 14 Fällen zwei verschiedene Bankkarten des Zeugen S. verwendete. Allen dreien war klar, dass die bezogenen Konten keine Deckung aufwiesen bzw. nicht mehr existierten.

In der Folgezeit beobachteten alle drei abwechselnd im Wege des Online- Bankings, ob auf dem Geschäftskonto der Zeugin B. eine Gutschrift erfolgte.

Am 21.12.2000 gegen Mittag waren die Zeugen H. und S. gemeinsam mit dem Auto unterwegs, um Einkäufe zu tätigen. Als die Angeklagte feststellte, dass auf dem Konto der Zeugin B. insgesamt 29.000 DM gutgeschrieben wurden, informierte sie die Zeugen telefonisch darüber. Diese begaben sich sofort zur Bank, die allerdings wegen der Mittagspause geschlossen war. Der Zeuge H. zog am Geldautomaten zweimal je 1.000 DM; nach Wiedereröffnung hob er die restlichen 27.000 DM in bar ab. Das Geld wurde in der Weise aufgeteilt, dass der Zeuge S., der sich ein Auto anschaffen wollte, etwas mehr als die Hälfte der Summe von 29.000 DM erhielt. Von seinem Anteil gab der Zeuge mindestens 2.000 DM der Angeklagten.

Als der Sachbearbeiterin der DVB am 22.12.2000 auffiel, dass für alle 29 Buchungen keine Deckung vorhanden war, ergab eine Nachfrage bei der Sparkasse I., dass über die gutgeschriebenen 29.000 DM bereits bar verfügt worden war.

Der DVB entstand somit ein Schaden in Höhe von 29.000 DM."

Zur Beweiswürdigung des Landgerichts heißt es u.a.:

"Soweit letztendlich die Angeklagte zum Schluss der Beweisaufnahme hat vortragen lassen, im Dezember 2000 habe sie in ihrer Wohnung keinen Telefonanschluss gehabt, steht dies den getroffenen Feststellungen nicht entgegen. Aus der vorgelegten Abrechnung der Deutschen Telekom AG vom 24.05.2000 folgt lediglich, dass im Mai 2000 der bei dieser Gesellschaft bestehende Festnetzanschluss wegen offener Rechnungen gesperrt worden ist. Dies schließt nicht aus, dass die Angeklagte am 21.12.2000 aus ihrer Wohnung über einen neuen Festnetzanschluss, ein eigenes Handy oder sogar ein ihr lediglich überlassenes Handy die beiden Zeugen über die Gutschrift informieren konnte."

Gegen das vorgenannte Urteil richtet sich die Revision vom 23. Dezember 2005, die unter dem 27. Februar 2006 begründet worden ist. Neben der Sachrüge wird mit Verfahrensrügen eine Verletzung des § 244 Abs. 2 und des § 244 Abs. 3, 6 StPO geltend gemacht, weil einem Beweisantrag zum Nachweis der Tatsache, dass der Telefonanschluss in der von der Angeklagten von Januar 2000 bis Juni 2001 bewohnten Wohnung in I.-V. "am 22.12.2000 bereits weggefallen (d.h. nach vorangegangener Sperre gekündigt worden) war", zwar hinsichtlich des zu 1. benannten Beweismittels - Verlesung einer Rechnung der Deutschen Telekom vom 24.05.2000 - entsprochen, aber hinsichtlich des weiterhin (zu 2.) benannten Beweismittels - Vernehmung eines instruierten Vertreters der Deutschen Telekom AG als Zeuge - nicht beschieden worden sei.

II.

Die zulässige Revision hat entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit der Rüge, ein Beweisantrag sei unter Verletzung des § 244 Abs. 6 StPO nicht beschieden worden, (zumindest vorläufig) Erfolg. Auf die Sachrüge muss daher nicht eingegangen werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu der Verfahrensrüge in ihrer Antragsschrift vom 18. Mai 2006 ausgeführt:

"Bei dem in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am 20.12.2005 gestellten Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung eines instruierten Vertreters der Deutschen Telekom AG zum Beweis der Tatsache, dass der Telefonanschluss in der von der Angeklagten von Januar 2000 bis Juni 2001 bewohnten Wohnung in I.V. "am 22.12.2000 bereits weggefallen (d. h. nach vorangegangener Sperrung gekündigt worden) war", handelt es sich um einen Beweisantrag.

Insbesondere ist das Beweismittel ausreichend individualisiert.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Antrag auf Vernehmung des zuständigen Sachbearbeiters einer bestimmten Behörde eine ausreichende Bezeichnung des Beweismittels darstellt, weil jener jederzeit durch Anfrage festgestellt werden könne (vgl. BGHSt 40, 3, 7; BayObLG, DAR 1980, 269). Nichts anderes kann für die Benennung eines Sachbearbeiters eines Unternehmens gelten.

Der Beweisantrag hätte nur aus den Gründen des § 244 Abs. 3 StPO durch Beschluss nach § 244 Abs. 6 StPO abgelehnt werden dürfen, was wie sich aus dem Schweigen des Protokolls ergibt (§§ 274, 273 StPO) nicht geschehen ist.

Das Fehlen des Ablehnungsbeschlusses nach § 244 Abs. 6 StPO wäre nur dann unschädlich, wenn das Gericht aus dem Verhalten der Angeklagten und ihres Verteidigers sicher hätte entnehmen können, dass diese den Beweisantrag nicht aufrechterhalten wollten (vgl. SenE vom 16.12.1999 Ss 579/99299 m. w. N.).

Anhaltspunkte für eine derartige konkludente Erklärung sind hier aber nicht ersichtlich. Zwar haben die Angeklagte und ihr Verteidiger bei Abschluss der Beweisaufnahme die fehlende Bescheidung des Antrags nicht mehr in Erinnerung gebracht. Dies reicht jedoch nicht aus, um die Rücknahme des zuvor gestellten Beweisantrags anzunehmen (vgl. SenE a. a. O.; OLG Düsseldorf, StV 2001, 104 f. m. w. N.). Besondere Umstände des Einzelfalls, die gleichwohl einen konkludenten Verzicht nahe legen könnten (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O., m. w. N.) sind nicht ersichtlich.

Auch wenn darin, dass dem Beweisantrag durch Verlesung der Rechnung der Deutschen Telekom AG vom 24.05.2000 teilweise entsprochen worden ist, eine (konkludente) Ablehnung des Antrags auf Zeugenvernehmung gesehen werden könnte, wäre § 244 Abs. 6 StPO verletzt, weil sich aus der Entscheidung des Landgerichts nicht ergäbe, warum der weitergehende Antrag abgelehnt worden ist (vgl. BGH, StV 1987, 236 f.).

Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensverstoß.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte durch die unterbliebene Bescheidung des Beweisantrags in ihrer Prozessführung behindert worden ist, insbesondere bei erfolgter Ablehnung in Kenntnis ihrer Gründe andere Anträge gestellt worden wären (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O., m. w. N.)."

Dem ist beizutreten.

Ein ablehnender Beschluss nach § 244 Abs. 6 StPO war nicht etwa deswegen entbehrlich, weil die Strafkammer im Anschluss an die Verlesung der Abrechnung der Telekom vom 24.05.2000, dem ersten der beiden von der Verteidigung benannten Beweismittel, das Nichtbestehen eines Telefonanschlusses im Dezember 2000 bereits für bewiesen hielt.

Zum einen fehlt es bereits an einer der Beweisbehauptung entsprechenden Tatsachenfeststellung im Urteil. Dort wird lediglich festgestellt, dass im Mai 2000 der bestehende Festnetzanschluss gesperrt wurde, und weiter unterstellt, dass in der Folge eine Kündigung erfolgte. Nach der Begründung des Beweisantrags sollte indessen im Hinblick auf die Frage, ob es der Angeklagten möglich war, im Wege des Online-Banking den Stand des Kontos der Zeugin B. abzufragen, der Nachweis geführt werden, dass im Dezember 2000 - zur Tatzeit - kein Festnetzanschluss in der Wohnung der Angeklagten benutzt werden konnte, der dies ermöglicht hätte. Abweichend davon unterstellt die Strafkammer, dass zur Tatzeit ein neuer Festnetzanschluss eingerichtet gewesen sein könnte und die Angeklagte auch unter Benutzung eines Handys mit den Zeugen habe telefonieren können.

Zum anderen räumt der Umstand, dass eine Beweistatsache als bereits erwiesen angesehen wird, die Notwendigkeit einer ablehnenden Bescheidung des Beweisantrags nach § 244 Abs. 6 StPO nicht aus. Vielmehr findet sich gerade darin einer der zulässigen Ablehnungsgründe nach § 244 Abs. 3 StPO (vgl. etwa Herdegen, in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 244 Rdnr. 76). Demgemäß greift auch hier die Rüge, ein Beweisantrag sei nicht beschieden worden, durch. Ausführungen erst in den Urteilsgründen sind nämlich nicht geeignet, den Verstoß zu heilen, der darin liegt, dass das Gericht versäumt hat, den ablehnenden Beschluss und die Ablehnungsgründe vor Schluss der Beweisaufnahme bekannt zu geben (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 244 Rdnr. 150). Auch für jedes von mehreren für die gleiche Tatsache benannte Beweismittel hat das Gericht darzulegen, weshalb es die Beweiserhebung ablehnt (Gollwitzer a.a.O. Rdnr. 148).

Das Urteil beruht auf dem Verstoß (vgl. zur notwendigen Prüfung der Beruhensfrage: Gollwitzer a.a.O. § 244 Rdnr. 370). Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Angeklagte anders - namentlich mit weiteren Beweisanträgen - verteidigt hätte, wenn sie durch die Bekanntgabe eines Ablehnungsbeschlusses nach § 244 Abs. 6 StPO bereits in der Hauptverhandlung - und nicht erst durch die Urteilsgründe - erfahren hätte, dass das Landgericht die Beweisbehauptung anders als von ihr gewollt verstand ("Kündigung des Festnetzanschlusses vor der Tatzeit" statt "Fehlen eines Festnetzanschlusses zur Tatzeit") und die Beweisrichtung ebenfalls abweichend einschätzen würde ("Unmöglichkeit des telefonischen Kontakts mit den Mittätern" statt "Unmöglichkeit einer Abfrage über Online-Banking wegen fehlenden Internetzugangs über Festnetzanschluss").

Ende der Entscheidung

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