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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.10.2009
Aktenzeichen: 81 Ss 72/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StGB § 49
StPO § 333
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das angefochtene Urteil im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Aachen hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. Oktober 2008 unter Freisprechung im Übrigen wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aachen mit Urteil vom 28. April 2009 verworfen.

Zum Schuldspruch hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte, der in den Stunden zuvor Alkohol konsumiert hatte, befand sich am 15.06.2008 gegen 5.25 Uhr auf der L-straße in B in der Nähe der Diskothek "D-H". Aus Verärgerung über andere Personen beschädigte er zunächst den PKW der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen xx-xx 397, indem er auf die Heckscheibe des Fahrzeugs schlug, die dabei zu Bruch ging. Es entstand ein Sachschaden von 370.21 Euro zuzüglich Abschleppkosten von 79,11 Euro.

Anschließend setzte der Angeklagte seinen Weg in Richtung der Eingangstür der Diskothek "D-H" fort und schlug gegen zwei links und rechts neben der Tür angebrachte Schaukästen, wobei beide Glasscheiben zerbrachen. Der entstandene Sachschaden beträgt 404,60 Euro.

Bei der Begehung der Taten war der Angeklagte infolge des genossenen Alkohols enthemmt. Jedoch war die Fähigkeit des Angeklagten das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, weder aufgehoben noch erheblich vermindert im Sinne der §§ 20, 21 StGB.

Den verursachten Schaden hat der Angeklagte bislang nicht reguliert und sich auch nicht um eine Regulierung bemüht."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der unter Erhebung der Sachrüge dessen Aufhebung und die Zurückverweisung der Sache beantragt wird.

II.

Das gemäß § 333 StPO statthafte Rechtsmittel begegnet hinsichtlich der Erfüllung seiner Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. In der Sache hat es nur teilweise (vorläufigen) Erfolg.

1.

Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch wendet, ist sie - dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend - gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung in dieser Hinsicht keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

2.

Im Rechtsfolgenausspruch ist die Entscheidung des Berufungsgerichts hingegen gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben, weil nicht auszuschließen ist, dass sie insoweit auf Rechtsfehlern beruht (§ 337 StPO).

Die Urteilsgründe sind materiell-rechtlich unvollständig, soweit die Strafkammer eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB ausgeschlossen hat. Sie ermöglichen dem Revisionsgericht nicht die Feststellung, dass die Entscheidung auch in dieser Hinsicht rechtsfehlerfrei ergangen ist, sondern lassen besorgen, dass rechtlich erhebliche Gesichtspunkte übergangen oder unzureichend gewürdigt worden sind.

a)

Sind tatsächliche Umstände erkennbar, die auf die Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten hindeuten, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung in den Urteilsgründen (SenE v. 15.10.2002 - Ss 399/02 -; SenE v. 20.09.1991 - Ss 422/91 -). Das gilt insbesondere, wenn - wie hier - von einem nicht unerheblichen Alkoholkonsum des Angeklagten vor der Tat ausgegangen wird. Dabei liegt bei einer Blutalkoholkonzentration ab etwa 2 Promille die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nahe. Ab einem entsprechenden Alkoholisierungsgrad ist daher eine Prüfung des § 21 StGB vorzunehmen (SenE v. 27.11.2001 - Ss 465/01 -; SenE v. 28.11.2000 - Ss 435/00 -; OLG Karlsruhe NZV 1999, 301; OLG Hamm DAR 2002, 227 [228] = VRS 102, 206 [208] = NZV 2002, 383 [384]: bei mehr als 2,2 Promille; OLG Hamm NZV 2002, 335 [336] = VRS 103, 201 [204]). Unterbleibt eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 21 StGB oder sind die Ausführungen dazu nicht nachvollziehbar, so leidet das Urteil unter einem sachlich-rechtlichen Mangel (vgl. SenE v. 21.01.2003 - Ss 390/02 -).

b)

Die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung ermöglichen dem Senat nicht die Überprüfung, ob die Strafkammer bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB die Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu Recht verneint und ihm die Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB rechtsfehlerfrei versagt hat.

Für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, kommt es sowohl auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die Bewertung psychodiagnostischer Kriterien an (BGHSt 43, 66 = NJW 1997, 2460). Beide Aspekte stehen in wechselseitiger Abhängigkeit (SenE v. 18.04.2000 - Ss 54/00 -). Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit ist der Tatrichter daher grundsätzlich auch dann - unter Umständen aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes - verpflichtet, die maximale Blutalkoholkonzentration zu berechnen, wenn die Einlassung des Angeklagten und ggfs. die Bekundungen von Zeugen eine sichere Berechnungsgrundlage nicht ergeben. Hiervon kann nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn sich die Angaben zum Alkoholkonsum sowohl zeitlich als auch mengenmäßig jedem Versuch einer Eingrenzung entziehen (BGH NZV 2000, 46 = DAR 2000, 38 = NStZ 2000, 24 = VRS 98, 118; BayObLG NJW 2003, 2397 = zfs 2003, 369 = NZV 2003, 434 = VRS 105, 212; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE v. 21.12.2007 - 82 Ss 161-162/07 -; SenE v. 08.07.2008 - 83 Ss 41/08 -). In einem solchen Fall hat das Tatgericht bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten dann aber psychodiagnostische Kriterien zugrunde zu legen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 297; SenE a.a.O.).

Im vorliegenden Fall hat das Tatgericht keine Feststellungen zur Höhe der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten getroffen. Es wird lediglich - in den Feststellungen zur Person des Angeklagten - ausgeführt, dass er "in größerem Maße - insbesondere an Wochenenden - alkoholische Getränke" zu sich nehme. Weiter wird mitgeteilt, dass er auch vor den abgeurteilten Taten vom 15. Juni 2008 - in der Nacht von Samstag auf Sonntag - Alkohol konsumiert hat und enthemmt war.

Unter diesen Umständen hätte es näherer Ausführungen zu Art und Menge des genossenen Alkohols sowie zur Trinkzeit bedurft, um eine Berechnung des maximalen Blutalkoholgehalts bezogen auf die Tatzeit zu ermöglichen. Dass dazu - aus den Angaben des Angeklagten und dem übrigen Ergebnis der Hauptverhandlung - keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen werden konnten, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Die Kammer teilt schon nicht mit, welche Angaben der bezüglich der Taten geständige Angeklagte zu seinem Alkoholkonsum gemacht hat. Sie gibt aber auch sonst keinen Aufschluss über die Befindlichkeit des Angeklagten, namentlich etwaige Ausfallerscheinungen, die es ermöglichen würden, den Ausschluss der Voraussetzungen des § 21 StGB anhand psychodiagnostischer Kriterien nachzuvollziehen.

Ende der Entscheidung

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