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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 04.04.2006
Aktenzeichen: 9 U 7/05
Rechtsgebiete: ARB 2000, VVG, ARB 75, BGB, ZPO


Vorschriften:

ARB 2000 § 4 Abs. 1 c
ARB 2000 § 4 Abs. 3 b
ARB 2000 § 5 Abs. 1 a
ARB 2000 § 17 Abs. 3
ARB 2000 § 18
ARB 2000 § 28 Abs. 2 c
ARB 2000 § 28 Abs. 3
VVG § 1
VVG § 49
VVG § 158n
VVG § 158n Satz 3
ARB 75 § 16 Abs. 3
BGB § 288 Abs. 1 Satz 2
BGB § 291
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1. Dezember 2004 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 20 O 323/04 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.885,49 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2004 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist laut Nachtrag (GA 145) zum ursprünglichen Versicherungsschein (AH 1 ff) Versicherungsnehmerin der Beklagten. Die Rechtsschutzversicherung erstreckte sich u. a. auf Mietrechtsschutz und endete zum 1. April 2004. Mit Anwaltsschreiben vom 5. April 2004 (AH 41) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten erstmals einen Anspruch wegen einer anwaltlichen Tätigkeit geltend, die schon am 4. April 2003 zum Abschluß einer Vereinbarung (GA 39) mit der Vermieterin der Klägerin geführt hatte. Die Klägerin forderte von der Beklagten den Ausgleich einer Honorarrechnung ihrer Anwälte vom 8. April 2004 (AH 42) über netto 6.885,89 €. Die Klägerin machte geltend, sie habe erst nach Vertragsende bemerkt, daß der Versicherungsschutz sich auch auf eine außergerichtliche Wahrnehmung von Interessen erstreckt habe. Die Beklagte bat zunächst (Schreiben vom 26.4.2004, AH 43) um weitere Informationen. Die Klägerin antwortete am 30.4.2004 (AH 45), am 15.6.2004 erfolgte die Deckungsablehnung (AH 46).

Die Klägerin hat (GA 29) zunächst behauptet, sie habe die Honorarrechnung am 17.3.2003 bezahlt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Obliegenheit gem. § 17 Abs. 3 ARB 2000 sei verletzt worden.

Die Klägerin behauptet nunmehr, die Bezahlung der Rechnung sei am 12.7.2004 erfolgt (GA 196).

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.885,49 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (15.7.2004) zu zahlen,

hilfsweise: die Beklagte zur Freistellung von der Verbindlichkeit zur Zahlung der Gebühren an ihre Prozeßbevollmächtigten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil und den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Senat hat gemäß dem Beweisbeschluß vom 25. Oktober 2005 zur Frage der erfolgten Bezahlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Rechtsanwalt I.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der Kosten, die ihr durch die anwaltliche Tätigkeit des Zeugen I entstanden sind, §§ 1, 49 VVG in Verb. mit §§ 28 Abs. 3, 2 c, 4 Abs. 1 c, 5 Abs. 1 a ARB 2000 in der von der Beklagten verwendeten Fassung (GA 172 ff.).

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines Versicherungsfalls gemäß § 4 Abs. 1 c ARB 2000 in Anspruch. Danach ist ein Versicherungsfall ab dem Zeitpunkt gegeben, "in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll." Der Beginn des hier in Rede stehenden Rechtsschutzfalls ist mit Dezember 2002 anzunehmen. Die Klägerin, die früher anders firmierte (GA 199), hatte gemäß einem Vertrag vom 21. Juni 2000 ab dem 1. Oktober 2000 ein Kaufhaus gemietet. Sie zahlte von Dezember 2002 bis April 2003 keine Miete. Die Vermieterin mahnte am 10.3.2003 (GA 143) für vier Monate die Zahlung von 202.187,04 € an. In dem Vergleich vom 4. April 2003 (AH 39), für den hier die entstandenen Anwaltskosten geltend gemacht werden, traf man für die Monate Dezember 2002 bis einschließlich Mai 2003 eine Regelung, wonach für diese Zeit insgesamt 295.000 € gezahlt werden sollten. Bei Zahlung von 175.000 € bis Ende Mai 2003 sollte der Rest erlassen werden. Es kann dahinstehen, ob ein Vertragsverstoß des Vermieters als Ursache der Minderung vorlag oder ob in dem Zahlungsverhalten der Klägerin ein solcher Verstoß zu sehen ist. Auch ein Verstoß des Mieters löst einen Versicherungsfall aus.

Die Beklagte hat für die durch den Versicherungsfall entstandenen Kosten einzustehen. Sie kann sich nicht darauf berufen, die Klägerin habe sich gegen die Mietansprüche nicht mit Aussicht auf Erfolg wehren können. Ebensowenig ist Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin eingetreten.

Die Beklagte kann gegenüber dem Anspruch der Klägerin nicht mehr einwenden, das Vorgehen der Klägerin gegen die Mietzinsforderung habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Dieser Einwand ist gemäß § 158 n Satz 3 VVG ausgeschlossen, weil die Beklagte die Klägerin mit ihrer Deckungsablehnung vom 15. Juni 2004 (AH 46) nicht darauf hingewiesen hat, daß sie von fehlender Erfolgsaussicht ausgehe und daß die Klägerin diesem Einwand durch Einholung eines Stichentscheids begegnen könne. Bei dieser Sachlage gilt das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin als anerkannt.

Die Beklagte hat in der Deckungsablehnung sogar die Ansicht vertreten, eine Prüfung der Erfolgsaussicht erübrige sich und ein Stichentscheid gemäß § 18 ARB sei sinnlos, weil die anwaltliche Tätigkeit bereits abgeschlossen sei. Sie hat im Rechtsstreit an dieser Ansicht festgehalten. Ihr kann nicht gefolgt werden. Eine Beurteilung der Frage, ob die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen Aussicht auf Erfolg bot, erübrigte sich bei Deckungsablehnung nicht schon deshalb, weil die Angelegenheit abgeschlossen war, als sie der Beklagten angezeigt wurde. Vielmehr ist in allen Fällen, in denen der Rechtsschutzversicherer sich auf fehlende Erfolgsaussicht berufen will, gemäß § 158 n VVG in Verbindung mit § 18 ARB 2000 ein Hinweis auf das dem Versicherungsnehmer in einem solchen Fall vertragsgemäß zur Verfügung stehende Verfahren erforderlich. Das Gesetz sieht eine Einschränkung der Prüfungs- und Hinweispflicht mit dem von der Beklagten angenommenen Inhalt nicht vor. Die "Aussicht auf Erfolg" läßt sich auch nachträglich prüfen, wobei die Prüfung sich bei einer schon abgeschlossenen anwaltlichen Tätigkeit zwangsläufig auf einen Zeitpunkt vor diesem Abschluß beziehen muß. Auch aus dem Sinn der gesetzlich postulierten Prüfung der Erfolgsaussicht und aus der Hinweispflicht bei negativem Ergebnis dieser Prüfung ergibt sich nicht, daß die Prüfung der Erfolgsaussicht nach Abschluß einer Rechtsberatung überflüssig ist. Die in § 158 n VVG vorgesehene Verfahrensweise dient dazu, vor einer Inanspruchnahme der Gerichte - abschließend und bindend - die Frage der Erfolgsaussicht eines rechtlichen Vorgehens feststellen lassen zu können. Auch in den Fällen, in denen das rechtliche Vorgehen bereits abgeschlossen ist, ist es sinnvoll, dem Versicherungsnehmer diese Prüfungsmöglichkeit zu eröffnen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht kann so in ein Verfahren verlagert werden, das vor Anrufung des Gerichts stattzufinden hat. Es überläßt die Prüfung der Erfolgsaussicht anderen Beteiligten (vgl. hierzu für die Zeit vor Einführung des § 158n VVG das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.10.1985, IVa ZR 49/84, VersR 1986, 132). Auf die Frage, ob auch im Fall eines gegen den Versicherungsnehmer durchgeführten Rechtsstreits (für Aktivprozesse gilt ohnehin § 17 Abs. 5 c aa ARB 2000) noch nach § 158 n VVG vorzugehen ist, muß hier nicht eingegangen werden, denn ein solcher Fall liegt nicht vor. Auch eine Auseinandersetzung mit den beiden Entscheidungen, auf die die Beklagte sich beruft, ist entbehrlich (Urteil des OLG Hamm vom 7.11.1979, VersR 1980, 671 und Urteil des LG Hamburg vom 9.10.1987, ZfS 1988, 249), denn beide Urteile stammen aus der Zeit vor Geltung des § 158n VVG und sind schon aus diesem Grund hier nicht einschlägig und nicht aussagekräftig.

Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist eine Leistungsfreiheit der Beklagten auch nicht wegen einer verspäteten Anzeige des Versicherungsfalls eingetreten. Die vereinbarten ARB 2000 sehen keine Anzeigepflichten vor. In § 4 Abs. 3 b ARB 2000 heißt es lediglich, daß kein Rechtsschutz mehr bestehe, wenn der Anspruch erstmals später als drei Jahre nach Beendigung des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung geltend gemacht werde. Diese Frist war hier nicht abgelaufen.

Die von der Beklagten verwendeten Vertragsbedingungen (ARB 2000) sehen - anders als § 16 Abs. 3 ARB 75 - auch nach Beauftragung eines Anwalts keine Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Rechtsschutzversicherers vor. § 17 Abs. 3 ARB 2000 begründet keine Anzeigepflicht. Die Vorschrift begründet (nur) Obliegenheiten für das Verhalten nach erfolgter Anzeige, also nach der Geltendmachung des Rechtsschutzanspruchs. Diese Differenzierung ist im angefochtenen Urteil unterblieben. Die Obliegenheit zur Unterrichtung der Beklagten nach erfolgter Anzeige hat die Klägerin erfüllt. Sie hat der Beklagten auf entsprechende Anfrage die geforderten Auskünfte erteilt.

Die gesetzliche Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls (§§ 33 Abs. 1, 153 VVG) gilt in der Rechtsschutzversicherung so nicht (vgl. z. B. Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Aufl., § 15 ARB 75 Rn. 6 mit ausführlicher Begründung). Nur dann, wenn der Versicherungsnehmer Rechtsschutz begehrt, hat er einen Versicherungsfall anzuzeigen. Im übrigen sehen die von der Beklagten verwendeten ARB 2000 jedenfalls keine Leistungsfreiheit für den Fall der Verletzung einer Anzeigepflichtverletzung vor (vgl. dazu §§ 6, 33 Abs. 2 VVG).

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die sie als Honorar ihrer Anwälte aufgewendet hat. Der vor dem Senat vernommene Zeuge I hat bekundet, die an die Beklagte gerichtete Honorarrechnung vom 8. April 2004 sei gleichzeitig - ebenfalls als "Kostenrechnung Nr. 585" - an die Klägerin gerichtet worden. Der Zeuge hat erläutert, daß und wie die Honorarforderung später mit Beträgen verrechnet wurde, die in seiner Kanzlei im Zusammenhang mit anderen Mandaten für die Klägerin eingingen. Der Zeuge hat hierzu entsprechende Kostenblätter vorgelegt und eingeräumt, daß die sich danach ergebenden komplizierten Vorgänge im Rechtsstreit nicht zutreffend dargestellt wurden. Dies sei auch der Grund gewesen, der ihn veranlaßt habe, keine schriftliche Zeugenaussage zu machen, sondern die Vorgänge mündlich zu erläutern. Der Zeuge bekundete hierbei überzeugend und glaubhaft, daß er sich vor Erlaß des Beweisbeschlusses mit den fraglichen Vorgängen nicht genauer beschäftigt habe. Auch dies erkläre Abweichungen zwischen seiner Aussage und den Schriftsätzen, die er im übrigen weit überwiegend nicht diktiert, sondern nur unterschrieben habe. Der Senat sieht keinen Anlaß, diesen Angaben des Zeugen I, der zugleich Prozeßbevollmächtigter der Klägerin ist, nicht zu folgen. Sähe man eine Erfüllung der Honorarforderung nicht als bewiesen an, so hätte dies im übrigen nicht die Abweisung der Klage zur Folge. Vielmehr wäre die Beklagte entsprechend dem gestellten Hilfsantrag zu verurteilen, die Klägerin von der Honorarforderung freizustellen.

Gegen die Berechtigung der Honorarforderung im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihren Anwälten und gegen die Höhe dieser Forderung bestehen keine Bedenken. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Es besteht kein Anlaß, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Die Rechtslage ist in § 158n VVG eindeutig geregelt, so daß eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits nicht ersichtlich ist. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Für Entscheidungen zu § 158 n VVG, die von dem hier dargelegten Verständnis abweichen, ist nichts ersichtlich.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 6.885,49 €

Ende der Entscheidung

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