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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.03.2004
Aktenzeichen: Ss 78/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2
StGB § 25 Abs. 2
StGB § 77
StGB § 242
StGB § 248 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Ss 78/04

In der Strafsache

pp.

wegen Diebstahls

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen (92 Ns 8/03) vom 13. Oktober 2003 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO am 9. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

In dem gegen die beiden Angeklagten O G und T M gerichteten Strafverfahren ist der Angeklagte T M durch Urteil des Amtsgerichts Eschweiler vom 2. April 2003 wegen "gemeinschaftlichen Diebstahls" zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Aachen am 3. April 2003 Berufung eingelegt (auch der Angeklagte hatte ursprünglich Rechtsmittel eingelegt, dieses dann aber in der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen). Mit der Berufungsbegründung vom 23. Mai 2003 hat die Staatsanwaltschaft die Berufung auf das Strafmaß und insoweit auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt.

Das Landgericht hat das Urteil des Amtsgerichts auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt. Es ist in den Gründen von einer wirksamen Beschränkung der Berufung dahingehend ausgegangen, dass der Schuldspruch und auch die von dem Amtsgericht erkannte Freiheitsstrafe von sechs Monaten in Rechtskraft erwachsen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der unter Ausführungen zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Das angefochtene Urteil - das in doppelter Hinsicht eine wirksame Beschränkung der Berufung in Bezug auf den Schuldspruch als auch auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen hat und sich nur zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung verhält - muss gemäß § 353 StPO mit der Folge einer Zurückverweisung nach § 354 Abs. 2 StPO aufgehoben werden.

1.

Allerdings ist der Schuldspruch des Amtsgerichts, das eine Strafbarkeit des Angeklagten M wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen nach §§ 242, 248 a, 25 Abs. 2 StGB angenommen hat, in Rechtskraft erwachsen. Insoweit ergibt die auch noch von dem Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung zu § 318 StPO, dass das Landgericht zutreffend von einer wirksamen Beschränkung der Berufung im ersten Schritt auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt ausgegangen ist. Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts bilden eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 46. Aufl., § 318 Rdnr. 16 m.w.N.).

Die trotz der Teilrechtskraft gebotene Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen bzw. des Fehlens von Verfahrenshindernissen (BGHSt 15, 203 (207) = NJW 1961, 328; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 306 = VRS 97, 170) führt nicht zu der Feststellung, das es hier etwa wegen fehlenden Strafantrags in Bezug auf § 248 a StGB an einer Prozessvoraussetzung mangelt (vgl. hierzu Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., vor § 77 Rdnr. 2). Allerdings ist ein Diebstahl geringwertiger Sachen - hier: Inhalt der Geldbörse im Wert von 20,00 € - selbst dann gegeben, wenn der Täter sogar eine hochwertige Geldbörse stehlen wollte, es dann aber objektiv doch nur zum Diebstahl einer geringwertigen Sache kommt (vgl. BGH NJW 75, 1286; Tröndle/Fischer, a.a.O. § 248 a Rdnr. 5; Hoyer, in: Systematischer Kommentar StGB, § 248 a Rdnr. 12). Auch hat vorliegend die Geschädigte N am 24. September 2002 Strafantrag nur gegen den als Mittäter zuerst ermittelten Mitangeklagten G gestellt. Gleichwohl erstreckt sich dieser Strafantrag ungeachtet der weiteren Frage, ob die bei Anklageerhebung den § 242 StGB annehmende Staatsanwaltschaft auch ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung für geboten hielte, auch auf den mitangeklagten und mitabgeurteilten Revisionsführer. Grundsätzlich ist die Angabe der Person, die verfolgt werden soll, beim Strafantrag nach § 77 StGB gar nicht erforderlich (Tröndle/Fischer, a.a.O. § 77 Rdnr. 25). Wenn nicht ausdrücklich - was eine Auslegung ergeben müsste, vorliegend aber nicht ergibt - eine Beschränkung auf einen von mehreren Tätern gewollt war, bezieht sich der Strafantrag im Allgemeinen auch auf namentlich nicht genannte sonstige Täter (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O.; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 77 Rdnr. 40).

2.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch das Landgericht innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auch von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ausgegangen. Da das Landgericht deshalb keine eigenen Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch im Übrigen getroffen und nicht selbst zum Strafmaß entschieden hat, sind die Gründe des Berufungsurteils insoweit materiell-rechtlich unvollständig.

Zwar ist auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs eine Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich möglich (BGHSt 47, 32 (35) = NJW 2001, 3134 = NZV 2001, 434 = DAR 2001, 463 (464) = VRS 101, 107 (109) = VM 2002, 18 (Nr. 16); BayObLG NStZ-RR 2003, 117 (118); OLG Düsseldorf VRS 99, 117 = NStZ-RR 2000, 307; OLG Hamm DAR 2002, 227 (228) = VRS 102, 206 (208) = NZV 2002, 383 (384)). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Entscheidung über die Strafhöhe wie auch über die Strafaussetzung weitgehend an denselben Kriterien gemessen wird, die indessen unterschiedlicher Wertung zugänglich sind, abhängig davon, ob die Entscheidung über das Strafmaß oder die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung betroffen ist (vgl. SenE vom 10.12.1999 - Ss 523/99 m.w.N.; Senat VRS 96, 35, 36 vgl. aber a. OLG Düsseldorf JMinBl NW 2003, 82 = NJW 2003, 1470 (1471)).

Die Beschränkung ist jedoch u.a. dann unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und die Erwägungen der Vorinstanz zum Strafausspruch keine hinreichende Grundlage für die Strafaussetzungsentscheidung bilden BayObLG NStZ-RR 2003, 117 (118); OLG Düsseldorf VRS 99, 117 = NStZ-RR 2000, 307; OLG Köln 3. StS v. 08.04.1981 - 3 Ss 104/81 - = VRS 61, 365 (367)); SenE 14.10.1988 - Ss 581/88 - = NStZ 1989, 90 = MDR 1989, 284.

So liegt es hier bei den Strafzumessungsgründen in dem Urteil des Amtsgerichts vom 2. April 2003.

Das Amtsgericht hat zunächst festgestellt, dass der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten sechs Eintragungen enthält, und diese zu a) bis e) entsprechend dem Registerauszug ohne Wiedergabe des Tatgeschehens, das Gegenstand der Aburteilungen gewesen war, benannt. Bei der Strafzumessung hat es im Anschluss an eine Reihe von strafmildernden Umständen (dabei auch unter Verweisung auf die zuvor bei dem Angeklagten G "unter Ziffer 1. bei Tat 3 aufgeführten Strafzumessungsgesichtspunkte") ausgeführt, zu seinen Lasten müsse sich allerdings auswirken, "dass er strafrechtlich bereits erheblich und einschlägig in Erscheinung getreten und mehrfacher Bewährungsversager ist".

Diese Feststellungen sind unzureichend. Eine ordnungsgemäße Strafzumessung erfordert auch die Erörterung und Berücksichtigung der Vorbelastungen, die vom Tatrichter so mitzuteilen sind, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglicht wird, ob und inwieweit Vorstrafen überhaupt noch verwertet werden dürfen und - falls verwertbar - , ob sie im Hinblick auf ihre Bedeutung und Schwere für die Strafzumessung zutreffend gewichtet worden sind. Insoweit hat der Tatrichter Zeitpunkt, Art und Höhe der Vorverurteilungen sowie zudem in knapper, jedoch aussagekräftiger Form auch den ihnen zugrundeliegenden Sachverhalt wiederzugeben (KG NStZ-RR 2000, 68 (K/R); OLG Frankfurt StV 1995, 27 u. StV 1989, 155; OLG Koblenz StV 1994, 291; st. Senatsrechtsprechung: SenE v. 09.01.2001 - Ss 477/00 - = VRS 100, 123 (129); SenE v. 10.01.2003 - Ss 554/02 -; SenE v. 04.02.2003 - Ss 17/03 -; SenE v. 18.03.2003 - Ss 105/03 -; SenE v. 04.04.2003 - Ss 94-95/03-; SenE v. 11.04.2003 - Ss 269/02 -; SenE vom 05.06.2003, Ss 217/03).

Vorliegend hat das Amtsgericht zu allen dem Bundeszentralregisterauszug zu entnehmenden Eintragungen den der jeweiligen Aburteilung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht wiedergegeben. Dies gilt insbesondere für die Eintragungen zu c), d) und e), die mit dem Ausdruck "mehrfacher Bewährungsversager" gemeint sein müssen. Insoweit kommt noch hinzu, dass wegen fehlender Angaben zum Eintritt der Rechtskraft auch nicht feststellbar ist, ob die ursprünglich je zwei Jahre betragenden Bewährungszeiten bei der vorliegend abzuurteilenden Tat vom 24. September 2002 schon abgelaufen gewesen wären. Erkennbar ist lediglich, dass die Verurteilungen zu c) und d) in die Verurteilung zu e) miteinbezogen worden sind und insoweit ab dem 4. Mai 2001 (Eintritt der Rechtskraft) eine neue einheitliche Bewährungszeit zu laufen begann, innerhalb derer die Tat vom 24. September 2002 begangen wurde.

Zwar kann eine Beschränkung auf die Bewährungsfrage innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs trotz mangelnder Feststellungen des Amtsgerichts zu den Vorstrafen dann doch wirksam sein, wenn das Berufungsgericht (was aus der Sicht des Revisionsgerichts zu beurteilen ist) ausschließen durfte, dass sich ein sachlicher Mangel der amtsgerichtlichen Entscheidung zum Nachteil des Angeklagten auf die Strafzumessung ausgewirkt hat. Weil die Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung durch das Rechtsmittel- (hier: Berufungs-) Gericht nach h. M. endgültig erst aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung über die zu treffende Entscheidung zu beurteilen ist (vgl. BGHSt 27, 70, 72; BGHSt 47, 32 (38) = NJW 2001, 3134 (3135)= NZV 2001, 434 (435) = DAR 2001, 463 (464) = VRS 101, 107 (110) = VM 2002, 18 (Nr. 16) m.w. Nachw.; OLG Köln 3. StrS NStZ 1984, 379 = VRS 66, 457; SenE v. 20.09.1988 - Ss 474/88 = VRS 76, 125 = NStZ 1989, 24 (25); SenE v. 14.05.2002 - Ss 108/02 -; Meyer/Goßner, a.a.O. § 318 Rdnr. 8), kann es sein, dass sich der Mangel der Strafzumessungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils dann nicht auswirkt, wenn das Berufungsgericht zu den Vorstrafen im Rahmen der Prüfung der Bewährungsaussetzung neue, eigene und nicht lediglich im geringen Umfang ergänzende Feststellungen getroffen hat, die, obwohl auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bezogen, erkennen lassen, dass sich die Unvollständigkeit der amtsgerichtlichen Urteilsgründe bei der Strafzumessung nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat.

Dem ist aber vorliegend nicht so. Das Landgericht, das nicht nur die amtsgerichtlichen Strafzumessungsgründe zu den "einschlägigen" Vorstrafen und zu dem "mehrfachen" Bewährungsversagen zitiert, sondern diesen Gesichtspunkt auch bei seiner eigenen Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wiederholt, hat zu der Vorverurteilung zu c) die Tatgeschehen und die Tatzeiten sowie den Eintritt der Rechtskraft der Bewährungsentscheidung nicht mitgeteilt. Zu den Vorstrafen zu d) und e) sind zwar die Sachverhaltsschilderungen nachgeholt worden. Auch hier fehlt aber zu d) die Angabe, ob die (ursprüngliche) Bewährungszeit von zwei Jahren bei der Tatbegehung am 24. September 2002 schon abgelaufen gewesen wäre. Die ungenügenden Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts haben somit auch in dem Berufungsurteil keine so tragfähige Grundlage gefunden, dass es aufgrund wirksamer Beschränkung der Berufung lediglich auf die Bewährungsfrage bei dem Strafausspruch im übrigen bleiben könnte.

Ende der Entscheidung

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