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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 19.10.2006
Aktenzeichen: 1 U 2149/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 295
ZPO § 375 Abs. 1a
ZPO § 402
ZPO § 404 Abs. 1
ZPO § 407 a
ZPO § 407 a Abs. 2
ZPO § 412 Abs. 1
ZPO § 534
ZPO § 538 Abs. 2 Ziff. 1
1. Bei einem 34 Jahre alten Mann, der unter bewegungsabhängigen Thoraxschmerzen, Durchfall und Erbrechen leidet, ist die Diagnose Interkostalneuralgie und Magen/Darminfekt vertretbar. Eine Klinikeinweisung zum Ausschluss eines Herzinfarkts mittels EKG/Enzymuntersuchung war 1996 nicht geboten.

2. Zur (problematischen) Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und therapeutischer Aufklärung.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2149/06

Verkündet am 19.10.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts M. durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Vavra und die Richter am Oberlandesgericht Nagorsen und Ramm aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2006 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts M. I vom 18.01.2006 wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadenersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.

Am Morgen des 06.03.1996 klagte der zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alte Kläger gegenüber seiner damaligen Ehefrau, der Zeugin Gabriele S.-K., über Schwindel und Übelkeit. Er litt ferner an Durchfall und Erbrechen. Frau S.-K. verständigte daraufhin den ärztlichen Notdienst. Der Beklagte traf gegen 08.00 Uhr in der Wohnung des Klägers ein.

Dem Beklagten wurde über Schmerzen im Brustbereich des Klägers berichtet. Frau S. wies ihn darauf hin, dass in der Familie des Klägers eine Herzinfarktgefährdung bestehe. Eine Blutdruckmessung ergab bei bekanntem Hypertonus 200/130, der Puls war bei 70 Schlägen pro Minute rhythmisch.

Zur Senkung des hohen Blutdrucks verabreichte der Beklagte dem Kläger eine Tablette Gelonida sowie 5 mg Nifedipin (Markenbezeichnung Adalat). Nachdem diese Medikation jedoch nach 15 Minuten wieder erbrochen wurde, verabreichte der Beklagte intramuskulär eine Ampulle Dolantin. Während der Anwesenheit des Beklagten suchte der Kläger zweimal wegen Durchfalls und Erbrechens die Toilette auf.

Der Beklagte diagnostizierte einen Infekt. Auf dem Notfallprotokoll vermerkte er: "Gripp. Infekt, Interkostalneuralgie, Diarrhoe". Die Frage des Beklagten, ob er ins Krankenhaus gehen wolle, verneinte der Klager.

Spätestens kurz vor 12.00 Uhr des 06.03.1996 kam es zu einer deutlichen Zustandsverschlechterung beim Kläger. Seine Ehefrau fand ihn leblos am Boden liegend vor. Der Notarzt stellte einen Atem- und Kreislaufstillstand fest. Die Wiederbelebung verlief zwar erfolgreich, es kam jedoch zu einem generalisierten hypoxischen Hirnschaden, der bleibende Beeinträchtigungen verursacht hat. Im Krankenhaus Dritter Orden, in das der Kläger eingeliefert wurde, stellte man einen akuten Hinterwandinfarkt fest.

In einem gegen den Beklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren 125 Js 10494/98 der Staatsanwaltschaft M. I erstattete der Gerichtsmediziner Prof. Dr. E. ein Gutachten vom 14.12.1998 sowie ein Ergänzungsgutachten vom 21.02.2000. Ferner wurde die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen.

Die Berufshaftpflichtversicherung des Beklagten zahlte an den Kläger ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und unter Vorbehalt der Rückforderung insgesamt 60.000,-- DM.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei bei der Untersuchung auch darauf hingewiesen worden, dass er rauche. Aufgrund seines Zustandes bei der Untersuchung und den Angaben seiner Frau hätte der Beklagte die Möglichkeit eines Herzinfarkts in Betracht ziehen und eine sofortige weitere diagnostische Abklärung veranlassen müssen. Hierdurch hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit der Hinterwandinfarkt vermieden werden können. Jedenfalls aber wäre es lediglich zu einem deutlich kürzeren Herzstillstand gekommen. Der hypoxische Hirnschaden wäre entweder nicht eingetreten oder hätte erheblich weniger gravierende Folgen gehabt.

Die geleistete Zahlung lasse er sich auf seinen Schmerzensgeldanspruch anrechnen.

Der Kläger hat vor dem Landgericht zuletzt beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld von mindestens DM 240.000,00 nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000, sowie 8,42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.08.2000, sowie 9,26 % hieraus seit 01.09.2000 zu bezahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst für die Jahre 1996/1997 in Höhe von DM 118.957,29 nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000, sowie 8, 42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.08.2000, sowie 9,26 % hieraus seit 01.09.2000 zu bezahlen.

3. Für die Monate Januar bis inklusive Mai 1998 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst in Höhe von DM 54.166,65 nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000, sowie 8,42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.08.2000 sowie 9,26 % hieraus seit 01.09.2000 zu bezahlen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst vom Juni 1998 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von monatlich DM 10.833,00 brutto zu ersetzen und monatlich zum Monatsletzten zu bezahlen.

5. Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat, der auf Grund der fehlerhaften Arztbehandlung vom 06.03.1996 dem Kläger entstanden ist und entstehen wird, soweit der Schaden nicht bereits in den vorstehenden Anträgen beziffert wurde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgebracht, ihm hätte sich das typische Bild einer Gastroenteritis mit Interkostalneuralgie geboten. Die Möglichkeit eines Herzinfarkts habe er aufgrund des Alters des Klägers, einer deutlich bewegungsabhängigen Schmerzsymptomatik der Brust und des heftigen Durchfalls des Klägers ausschließen dürfen. Eine weitere Diagnostik sei nicht geboten gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung habe der Kläger noch keinen Herzinfarkt gehabt. Dass es sich bei den Beschwerden um die Vorstufe eines Herzinfarkts gehandelt habe, müsse bezweifelt werden. Im Übrigen wäre es auch bei einer sofortigen stationären Einweisung des Klägers zu einem Herzkreislaufstillstand und einer hypoxischen Hirnschädigung gekommen.

Mit Urteil vom 18.01.2006 hat das Landgericht M. I die Klage nach Erholung von internistischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. D. von der Medizinischen Poliklinik Innenstadt des Klinikums der Universität M. einerseits und von Prof. Dr. E., Prof. Dr. B. und Dr. K. von der Medizinischen Klinik III der Universität zu K. andererseits abgewiesen. Dabei hat es auch ein im Auftrag des Beklagten erstelltes Privatgutachten des PD Dr. N. von der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des Klinikums der Universität M. verwertet. Auf die Entscheidungsgründe nimmt der Senat Bezug.

Der Kläger verfolgt sein Begehren im Wege der Berufung weiter.

Der Kläger bringt vor, eine unverzügliche stationäre diagnostische Abklärung eines Herzinfarkts sei zwingend geboten gewesen.

Das dreizeilige Notfallprotokoll des Beklagten vom 06.03.1996 stelle keine ordnungsgemäße Dokumentation dar. Die Stellungnahme vom 03.12.1996 sei wegen ihrer nicht zeitnahen Fertigung nicht als Dokumentation anzusehen.

Die in der Verhandlung vom 12.12.2005 übergebene handschriftliche Aufzeichnung sei nachträglich erstellt worden.

Das Landgericht habe das rechtsmedizinische Gutachten des Prof. Dr. E. vom 14.12.1998 unberücksichtigt gelassen. Aufgrund der Tatsache, dass Prof. Dr. E. sein Gutachten für die Staatsanwaltschaft erstattet habe, komme ihm ein besonders hoher Beweiswert zu.

Prof. Dr. E. hätte wie beantragt zur Erläuterung seines Gutachtens geladen werden müssen.

Das Privatgutachten des PD Dr. N. sei als bloßer Parteivortrag zu behandeln.

Damit stünden die zwei Gutachten von Prof. Dr. E. und Prof. Dr. D. einem Gutachten von Prof. Dr. E./Prof. Dr. B. gegenüber.

Die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. hätten sich nicht wissenschaftlich mit dem Gutachten des Prof. Dr. E. auseinandergesetzt.

Ein schwerer Verfahrensfehler des Landgerichts liege darin, dass es eine Verletzung von § 404 Abs. 1 ZPO zugelassen habe. Statt des vom Landgericht bestellten Prof. Dr. E. habe Prof. Dr. B. die Begutachtung durchgeführt. Prof. Dr. B. hätte das Gutachten nicht in der mündlichen Verhandlung erläutern dürfen. Das Landgericht hätte sein Urteil daher nicht auf die Ausführungen von Prof. Dr. B. stützen dürfen.

Am 12.12.2005 sei die Kammer des Landgerichts nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Vor der Verhandlung habe der Vorsitzende erklärt, der Rest der Kammer sei erkrankt. Um 16.00 Uhr sei dann doch die Kammer zusammen gekommen. Ob die Besetzung die richtige gewesen sei, stelle er zur Überprüfung des Senats.

Zur Schadenshöhe verweise er auf den Vortrag in der ersten Instanz.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts M. I vom 18.01.2006, Az.: 9 O 1101/99 wird aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird nach § 538 II Ziff. 1 ZPO an eine andere Kammer des Landgerichts M. I zurückverwiesen, hilfsweise

3. a) der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld von mindestens 122.710,05 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000, sowie 5 % über dem Basissatz hieraus ab 01.05.2000 zu bezahlen.

b) Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst für die Jahre 1996 und 1997 in Höhe von 60.821,90 € (= 118.957,29 DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000 und 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2000 zu bezahlen.

c) Für die Monate Januar bis inklusive Mai 1998 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst in Höhe von 27.694,97 € (= 54.166,65 DM), nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.04.2000, sowie 5 % über dem Basiszinssatz hieraus ab 01.05.2000 zu bezahlen.

d) Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst von Juni 1998 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von monatlich 5.538,88 € (= 10.833,00 DM) brutto zu bezahlen und monatlich zum Monatsletzten anzuweisen.

e) Es wird festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat, der aufgrund der fehlerhaften Arztbehandlung durch den Beklagten vom 06.03.1996 dem Kläger entstanden ist und entstehen wird, soweit der Schaden nicht bereits in den vorstehenden Anträgen beziffert wurde.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Gerichtsmediziner Prof. Dr. E. könne als Pathologe das Verhalten des Beklagten nicht sachgerecht bewerten. Zudem hätten sich die Sachverständigen Prof. Dr. E., Prof. Dr. B. und Dr. K. im Ergänzungsgutachten vom 08.07.2004 mit den Ausführungen von Prof. Dr. E. auseinander gesetzt.

Prof: Dr. D. als spezialisierter Endokrinologe verfüge über keine aktuellen Erfahrungen im ärztlichen Notfalldienst. Außerdem bestehe zwischen Prof. Dr. D. und dem Beklagten seit dem praktischen Jahr des letzteren eine persönliche Antipathie, die immer wieder zu Streit geführt habe.

PD Dr. N. verfüge aufgrund seiner Tätigkeit in der medizinischen Klinik und Poliklinik I in Großhadern über umfassende Erfahrung mit Patienten mit der gleichen Erkrankung wie der Kläger und Erfahrung mit den speziellen Anforderungen an die Entscheidungsprozesse im Notarztdienst.

Es komme nicht auf die Zahl der Gutachten, sondern die Qualität an.

Ein Verstoß gegen § 407 a ZPO sei nicht gegeben (Einzelheiten Bl. 423 d. A.).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze des Klägers vom 23.03.2006 (Bl. 384/401 d. A.) und 12.09.2006 (Bl. 427/429 d. A.) sowie des Beklagten vom 17.07.2006 (Bl. 419/424 d. A.).

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin Gabriele S.-K. im Termin vom 14.09.2006 (Bl. 433/436 d. A.). Außerdem hat er den Beklagten persönlich informatorisch angehört (Bl. 432/433 d. A.). Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger stehen weder unter dem Gesichtspunkt eines Diagnose- noch eines Befunderhebungsfehlers vertragliche oder deliktische Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten zu. Eine Wiederholung der Begutachtung oder die Bestellung eines weiteren Sachverständigen ist nicht erforderlich.

1) Die prozessualen Einwendungen des Klägers sind nicht stichhaltig.

a) Eine Zurückverweisung des Verfahrens oder Wiederholung der Beweisaufnahme wegen unrichtiger Besetzung der Zivilkammer des Landgerichts kommt nicht in Betracht.

Die Besetzungsrüge des Klägers ist unsubstantiiert. Es fehlt die Darstellung, welche Richter statt des an der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2005 beteiligten Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. S., der Richterin am Landgericht Dr. Sch. und des Richters am Landgericht D. geschäftsplanmäßig zuständig gewesen sein sollen. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer falsch besetzt gewesen ist. Die Zulässigkeit der Sachverständigenanhörung durch den Vorsitzenden als beauftragten Richter misst sich an den §§ 402, 375 Abs. 1a ZPO. Bei der Erörterung wissenschaftlicher Fragen, die durch schriftliche Gutachten vorstrukturiert sind, mit einem Sachverständigen kommt es nicht auf die persönliche Glaubwürdigkeit einer Aussage an, was das Vorgehen des Landgerichts vertretbar erscheinen lässt. Ein etwaiger Verstoß gegen § 375 Abs. 1a ZPO ist zudem nach § 295 ZPO geheilt (Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl., § 375 Rn 7 unter Hinweis auf BGH NJW 1996, 2734). Eine Rüge in der Berufungsinstanz scheidet nach § 534 ZPO aus.

b) Ein Verstoß gegen die §§ 404 Abs. 1, 407 a Abs. 2 ZPO ist nicht gegeben.

aa) Die schriftlichen Gutachten vom 28.02.2003 und 08.07.2004 stammen vom gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E..

Für die Wahrung der persönlichen Verantwortung für das Gutachten genügt die Erklärung des Sachverständigen, dass er die Arbeit eines qualifizierten Mitarbeiters selbst nachvollzogen hat und sich zu Eigen macht oder dass das Gutachten unter seiner Oberaufsicht zustande gekommen ist und von ihm vertreten wird (Thomas/Reichold, ZPO 27. Aufl., § 407 a Rn 4 m. w. N.). Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies bei den von Prof. Dr. E. unterzeichneten schriftlichen Gutachten vom 28.02.2003 und 08.07.2004 nicht der Fall gewesen ist. Bestätigt hat er dies zudem schriftlich in seinem Fax vom 17.01.2005. Die Erklärung von Prof. Dr. B. in der Anhörung vom 12.12.2005 widerspricht dem nicht.

bb) Die Ausführungen von Prof. Dr. B. sind verwertbar. Das Landgericht hat ihn zwar nicht ausdrücklich in einem Beweisbeschluss, aber schlüssig neben Prof. Dr. E. zum Sachverständigen bestellt. Dass die Bestimmung eines Sachverständigen einen ausdrücklichen Beweisbeschluss erfordert, ist nach der Kommentierung bei Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl., § 404 Rn 6 zwar anzunehmen. Dieser liegt nicht vor.

Den Parteien wurde aber mit Verfügung vom 17.01.2005 mitgeteilt, dass zur Anhörung statt Prof. Dr. E. der Sachverständige Prof. Dr. B. geladen werde (vgl. § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Das Fax von Prof. Dr. E. vom selben Tage, in dem er wegen Überlastung um die Ladung seines Oberarztes Prof. Dr. B., des Mitverfassers des Gutachtens, bat, erhielten die Parteien in Ablichtung. Einwendungen hat der Kläger nicht erhoben. Der Kläger hat das Vorgehen des Landgerichts weder vor noch nach der Anhörung vom 12.12.2005 gerügt oder auf der Ladung von Prof. Dr. E. bestanden.

Damit liegt ein wirksamer Rügeverzicht nach § 295 ZPO vor (Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl., § 295 Rn 3).

2) Ein vorwerfbarer Diagnosefehler des Beklagten ist zu verneinen.

a) Der Senat geht allerdings davon aus, dass die Diagnose des Beklagten objektiv falsch war.

Nach der Meinung aller Sachverständigen hatte sich der Herzinfarkt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Beklagten bereits ereignet. Sie schließen dies insbesondere aus den im Krankenhaus Dritter Orden erhobenen Enzymwerten (Prof. Dr. E. Gutachten vom 14.12.1998 S. 17; PD Dr. N. Gutachten vom 04.02.2002 S. 15; Prof. Dr. D.: Gutachten vom 09.02.2001 S. 5 ff; Prof. Dr. E./Prof. Dr. B./ Dr. K. Gutachten vom 28.02.2003 S. 20). Zumindest lag bereits der Zustand einer instabilen Angina Pectoris als Vorstufe eines Herzinfarkts vor.

b) Dieser Irrtum begründet jedoch noch keinen Pflichtverstoß.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist bei der Einordnung von Diagnoseirrtümern als Behandlungsfehler zurückhaltend.

Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind. Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Dieser Gesichtspunkt greift allerdings nicht, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich zudem stellen, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, dass der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (BGH NJW 2003, 2827).

c) Alle Sachverständigen haben (aus der maßgeblichen Sicht ex ante) die Diagnose des Beklagten, eine Darmgrippe verbunden mit einer Interkostalneuralgie, als vertretbar angesehen.

Prof. Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 09.02.2001 S. 18/19 ausgeführt, es sei nicht unberechtigt gewesen, die Diagnose Wirbelsäulenschaden sowie grippalen Infekt an die erste Stelle der differenzialdiagnostischen Überlegungen zu stellen.

Laut Prof. Dr. E. (Gutachten vom 14.12.1998 S. 18) war die Diagnose Grippe/Interkostalneuralgie vertretbar.

Die Schwerpunkte der beiden Gutachten liegen bei anderen Fragen, nämlich, ob in jedem Fall eine Krankenhauseinweisung zur Ausschlussdiagnostik hätte erfolgen müssen, der Schmerzbehandlung durch den Beklagten, dem Zeitpunkt des Herzinfarkts und der Vermeidbarkeit des Hirnschadens durch eine frühere Intervention.

PD Dr. N. setzte sich in seinem Privatgutachten vom 04.02.2002 eingehend mit der Diagnoseproblematik auseinander. Er legte dar, der Beklagte habe ein ausführliches Gespräch mit dem Kläger geführt und eine gründliche klinische Untersuchung vorgenommen (S. 7). Leitsymptom des Herzinfarkts sei ein mehr als 15 - 20 Minuten anhaltender thorakaler drückender Schmerz, der als retrosternal (= hinter dem Brustbein) und dumpf drückend bis brennend beschrieben wird, oft mit Ausstrahlung in Hals und linken Arm unabhängig von Atmung oder Lage und Bewegung von Armen oder Körper. Das Vorliegen solcher Abhängigkeiten der Beschwerden werde allgemein als Hinweis auf eine nicht-kardiale Ursache gewertet (S. 8). Der vom Beklagten festgestellte stechende Schmerz und dessen Bewegungsabhängigkeit hätten für einen nichtkardialen Ursprung der Beschwerden gesprochen (S. 9). Erbrechen komme zwar beim Myokardinfarkt vor, sei aber auch Leitsymptom einer gastrointestinalen Erkrankung, für die als zweites Leitsymptom der Durchfall gesprochen habe (S. 9). Eine akute Diarrhoe leite klar von der Diagnose Herzinfarkt weg.

Das Alter des Klägers habe einen Infarkt sehr unwahrscheinlich gemacht. Im Alter von 34 liege die jährliche Inzidenz bei nur 0,05 %. Eine Vorgeschichte, z. B. Angina pectoris, habe es nicht gegeben. (S. 11). Das Fehlen von Fieber habe nicht gegen einen viralen Infekt gesprochen (S. 13).

Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. führten in ihrem Gutachten vom 28.02.2003 S. 238 aus, die Verdachtsdiagnose Wirbelsäulenschaden und grippaler Infekt sei berechtigt und kunstgerecht gewesen. Dafür und gegen einen Herzinfarkt habe Erbrechen und Durchfall, das Fehlen von Vernichtungsschmerz, die Bewegungsabhängigkeit des Schmerzes, und zudem, dass der Kläger über 30 Minuten aufnahmefähig gewesen sei und sich bewegen habe können, gesprochen.

Im Ergänzungsgutachten vom 08.07.2004 wiesen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. darauf hin, dass Frau S. sich in der Lage gesehen habe, ihren Mann alleine zu Hause zu lassen, um die Kinder zur Schule zu bringen, also sei eine Besserung der Beschwerdesymptomatik des Klägers durch Blutdruck- und Schmerztherapie zu vermuten. Auch der Hausarzt habe keine Notwendigkeit gesehen, sofort zu kommen.

In seiner Anhörung vom 12.12.2005 (Bl. 351 ff d. A.) nahm Prof. Dr. B. nochmals vertieft zur Diagnosefrage Stellung. Er erklärte, ein lageabhängiger Schmerz habe gegen einen Infarkt und für eine wirbelsäulenbedingte Schmerzsituation gesprochen. Die fehlende Zunahme beziehungsweise Veränderung des Schmerzes nach dem Gang zur Toilette habe ebenfalls gegen einen Infarkt gesprochen, da zu erwarten sei, dass verbunden mit der körperlichen Anstrengung beim Stuhlgang bei einer Herzerkrankung die Schmerzen zunähmen. Eine thorakale Symptomatik könne allein durch Erbrechen entstehen. Bei Durchfall fehle jeder Zusammenhang mit einem Herzinfarkt. Das Lebensalter sei wichtigster Risikofaktor für einen Infarkt. Der etwaige Nikotinmissbrauch könne angesichts des Alters des Klägers noch nicht sehr lange gedauert haben. Fieber sei kein Kriterium für das Vorliegen eines gastrointestinalen Infekts und auch nicht die Gesichtsfarbe.

Die Arbeitshypothese des Beklagten sei selbst bei bewegungsunabhängigem Thoraxschmerz vertretbar.

d) Der hausärztliche Notdienst ist vor besondere Schwierigkeiten gestellt, da der Arzt den Patienten nicht kennt und daher keine Vergleichsmöglichkeit mit dessen "normalem" Auftreten hat.

e) Die Vernehmung der Zeugin S.-K. über den Ablauf der Untersuchung und die Anhörung des Beklagten durch den Senat hat keine Hinweise darauf ergeben, dass die Sachverständigen bei ihrer Begutachtung von falschen Annahmen ausgegangen sind. Gewisse Widersprüche und Erinnerungslücken lassen sich durch den Zeitablauf erklären. Gegenüber der polizeilichen Vernehmung vom 16.06.1998 im gegen den Beklagten gerichteten Ermittlungsverfahren sind die Angaben der Zeugin vor dem Landgericht und dem Senat naturgemäß detailärmer geworden. In Einzelheiten weichen sie auch davon ab, zum Beispiel hinsichtlich der Frage, wann nach dem Rat des Beklagten erneut ein Arzt (an)gerufen werden sollte, wenn sich die Schmerzen nicht besserten. Dass dies, wie sie bei ihrer Vernehmung am 14.09.2006 vorbrachte, erst am Abend geschehen sollte, hat sie 1998 gegenüber der Polizei gerade nicht ausgesagt. Der Vorhalt der damaligen Angaben führte nicht zu einer Klärung. Der Senat sieht die Erklärung des Beklagten, er habe um einen Anruf gebeten, wenn es dem Kläger nicht binnen einer halben bis einen Stunde besser gehen sollte, vor diesem Hintergrund nicht als widerlegt an.

Der Beklagte und sein Rechtsanwalt konnten plausibel machen, dass sie davon ausgegangen sind, dass sich die am 12.12.2005 dem Landgericht übergebenen handschriftlichen Notizen bereits in der Akte befanden.

Ansatzpunkte für eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Inhalts der vom Beklagten erhobenen Befunde bestehen nicht. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Thoraxschmerzen des Klägers bewegungs- beziehungsweise lageabhängig gewesen sind, was die Zeugin S.-K. bei ihrer polizeilichen Aussage bestätigt hat, woran sie sich vor dem Senat nicht mehr erinnern konnte.

3) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Sicherheitsaufklärung beziehungsweise ein Befunderhebungsfehler liegt nicht vor. Der Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger unter Hinweis auf die Gefahr eines Herzinfarkts dringend aufzufordern, den Notarzt zu rufen und sich zur Durchführung einer Ausschlussdiagnostik ins Krankenhaus zu begeben.

Dass bei dem Verdacht eines Herzinfarkts eine Krankenhauseinweisung und weitergehende Untersuchungen hätten erfolgen müssen, ist selbstverständlich, kann aber keinen vorwerfbaren Fehler des Beklagten begründen, da er diesen Verdacht gerade nicht hatte (OLG Köln NJW 2006, 69). Sonst müsste ein Arzt im Ergebnis für fast jeden verständlichen Diagnoseirrtum einstehen, da sich an eine andere (Verdachts-)diagnose in der Regel eine andere Befunderhebung anschließt.

Vielmehr stellt sich die Frage, ob der Beklagte, obwohl er den Verdacht eines Herzinfarkts aufgrund der klinischen Untersuchung des Klägers nicht hatte, aus Sicherheitsgründen auf die Durchführung weiterer Untersuchungen hätte dringen müssen. Hierin liegt das Kernproblem des Falles, zu dem die Sachverständigen sich unterschiedlich geäußert haben.

a) Schon die Einordnung der behaupteten Unterlassung des Beklagten in die von der Rechtsprechung entwickelte Terminologie des Arzthaftungsrechts (Typen von Behandlungsfehlern) bereitet Schwierigkeiten.

Weder die Erstellung eines EKG noch die Feststellung der Enzymwerte konnte der Beklagte selbst vornehmen, da er - wie im kassenärztlichen Notfalldienst üblich -nicht über die erforderliche Ausrüstung verfügte. Sogenannte "Bed-side-Tests" gab es im Jahr 1996, wie die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. dargelegt haben, noch nicht. Dem Beklagten kann demnach nicht vorgeworfen werden, dass er diese Befunde nicht selbst erhoben hat. Eine Haftung des Beklagten kann sich nur ergeben, wenn er zum Ausschluss einer Herzbeteiligung wegen deren Gefährlichkeit auch bei der Diagnose Darminfekt/Interkostalneuralgie auf eine Einweisung ins Krankenhaus zur Erstellung eines EKG und zur Erhebung der Enzymwerte hätte drängen müssen.

Falls man von einer Verpflichtung zur Durchführung einer Ausschlussdiagnostik ungeachtet der vom Kläger getroffenen vertretbaren Fehldiagnose ausgeht, stellt sich die Frage, ob es sich insoweit um eine Verletzung der therapeutischen Aufklärungspflicht (dringende Empfehlung einer Abklärung im Krankenhaus) oder einen Befunderhebungsfehler handelt. Davon hängt, wenn man von einem einfachen Behandlungsfehler ausgeht, aufgrund des fehlenden Kausalitätsnachweises (siehe dazu unten) und der Besonderheiten der Rechtsprechung zum Befunderhebungsfehler die Haftung ab, denn nach der Meinung aller Sachverständigen wäre der Herzinfarkt im Krankenhaus durch EKG und Enzymanalyse mit großer Wahrscheinlichkeit festgestellt worden.

b) Die Abgrenzung kann jedoch offenbleiben, da ein Fehler des Beklagten nicht festzustellen ist.

Die Meinungen der Sachverständigen zu diesem Punkt gehen auseinander. Wie dem Landgericht erscheint dem Senat die Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. sowie des Privatgutachters PD Dr. N. einerseits überzeugend begründet und andererseits eher an den Anforderungen der allgemeinärztlichen Praxis orientiert als die diejenige von Prof. Dr. D. und Prof. Dr. E.. Die Erholung eines zusätzlichen Gutachtens ist nicht weiterführend.

aa) Prof. Dr. E. und Prof. Dr. D. sind der Auffassung, dass der Beklagte fehlerhaft gehandelt hat. Sie stellen dabei auf die akute Bedrohlichkeit eines Herzinfarktes ab.

Prof. Dr. E. führte in seinem Gutachten vom 14.12.1998 S. 16 ff aus, falls ein Herzinfarkt diagnostisch in Betracht gezogen werde, müsse, auch wenn er unwahrscheinlich sei, durch zweimalige EKG-Ableitung im Abstand von 24 Stunden und Blutuntersuchung auf Enzyme eine Abklärung erfolgen. Der Herzinfarkt sei im vorliegenden Fall die limitierende und damit entscheidende Differenzialdiagnose gewesen, die aufgrund der vitalen Gefährdung zwingend einer unverzüglichen diagnostischen Abklärung bedurft habe. Eine sofortige stationäre Abklärung sei ohne vernünftigen Zweifel indiziert gewesen.

Laut Prof. Dr. E. hätte der Kläger auf eine möglicherweise bestehende Lebensgefahr und denkbare Folgen einer unterlassenen Behandlung hingewiesen werden müssen.

Nach der Auffassung von Prof. Dr. D. wäre ein EKG, die Bestimmung der Herzenzyme und die Beobachtung des weiteren Blutdruckverlaufs erforderlich gewesen (GA vom 09.02.2001 Bl. 149 ff d. A.). Zum Risikoprofil für das Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit hätte die Frage nach Zigarettenkonsum gehört. Das jugendliche Alter des Klägers werde durch das männliche Geschlecht und die Familienanamnese aufgewogen. Hinzu komme der dauernde hohe Blutdruck als Risikofaktor. Aufgrund dieser Gesichtspunkte habe ein Herzinfarkt nicht allein aufgrund der klinischen Untersuchung, des Alters und des für einen Herzinfarkt untypischen Durchfalls als völlig unwahrscheinlich angesehen werden dürfen. Den Widerstand des Klägers gegen eine Einweisung ins Krankenhaus hätte der Beklagte auch auf die Gefahr einer zusätzlichen Aufregung des Klägers überwinden müssen.

Dass das jugendliche Alter des Klägers durch sein Geschlecht und die Familienanamnese aufgewogen werde, wie Prof. Dr. D. ausführt, vermag dem Senat allerdings nicht einzuleuchten. Die Infarkthäufigkeit bei jungen Frauen liegt zwar noch niedriger, doch ist der Myokardininfarkt nach den von den Sachverständigen vorgelegten Statistiken auch für Männer im Alter von 34 Jahren sehr selten. Aus der Familienanamnese ergab sich ein Infarkt der naturgemäß deutlich älteren Mutter des Klägers vor wenigen Jahren, also kein vergleichbares Ereignis.

bb) Die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. sowie der Privatgutachter PD Dr. N. sind der Auffassung, dass der Beklagte nicht auf die Einweisung ins Krankenhaus drängen musste. Sie stellen darauf ab, dass ein Herzinfarkt aufgrund der oben unter 2) bereits angeführten Gesichtspunkte, vor allem dem Alter des Klägers, der Bewegungsabhängigkeit des Schmerzes und des Auftretens von Durchfall, sehr unwahrscheinlich war.

PD Dr. N. führte in seinem Gutachten vom 04.02.2002 S. 12 aus, die klinischen Befunde ließen in der Situation des Notdienstes einen Myokardinfarkt unwahrscheinlich erscheinen. Die Aufgabe des ärztlichen Notdienstes könne nicht sein, die bei anhaltenden Thoraxbeschwerden fast immer mögliche Diagnose Herzinfarkt über alle anderen Diagnosen zu stellen und eine Klinikeinweisung unter Arztbegleitung zu erwirken, sondern sorgfältig und verantwortlich Entscheidungen nach Wahrscheinlichkeit und Gefährdungspotenzial durch die jeweiligen Erkrankungen zu treffen (Gutachten S. 7).

Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. legten in ihrem Gutachten vom 28.02.2003 S. 238 dar, eine Notwendigkeit der stationären Abklärung eines Herzinfarktverdachts habe angesichts des jungen, sportlichen Patienten und der auf eine Magen/Darminfektion hinweisenden Befunde nicht bestanden. In seiner Anhörung durch das Landgericht am 12.12.2005 erklärte Prof. Dr. B. ausdrücklich, man könne nicht jeden Patienten mit diesem Symptombild ins Krankenhaus einweisen.

cc) Angesichts des Streits der Parteien über die angeblich fehlende Kompetenz beziehungsweise angebliche Parteilichkeit verschiedener Sachverständigen weist der Senat daraufhin, dass sich Anhaltspunkte dafür aus den Gutachten, die sich durchgehend gründlich und seriös mit der Problematik befassen, nicht ergeben. Richtig ist allerdings, dass ein Gerichtsmediziner einen derartigen Fall als Behandler praktisch nur während seiner ärztlichen Grundausbildung erlebt haben kann. Dies mag seiner Begutachtung einen mehr theoretischen, auf die Literatur gestützten Einschlag geben als beim hausärztlichen oder internistisch-kardiologischen Praktiker. Gerade bei der Frage, ob eine Diagnose (noch) vertretbar oder ein Fehler als grob anzusehen ist, hält es der Senat für wünschenswert und bei häufigeren Krankheitsbildern stets für zu gewährleisten, dass der gerichtliche Sachverständige mit ihnen aus der täglichen Praxis vertraut ist. Das Landgericht hat Prof. Dr. E. daher zu Recht nicht als Sachverständigen bestellt und war auch nicht verpflichtet, ihn im Rahmen des Verfahrens anzuhören.

Die Gutachten von Prof. Dr. E. sind jedoch ebenso wie das Privatgutachten des Kardiologen PD Dr. N. bei der Beurteilung des Sachverhalts einzubeziehen.

dd) Das Landgericht hat angesichts dieser Beweislage den Nachweis eines Behandlungsfehlers zu Recht verneint. Was die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. sowie der Privatgutachter PD Dr. N. ausgeführt haben, ist überzeugend, wenn man berücksichtigt, dass die Frage, ob die Behandlung eines Arztes kunstgerecht war, ohne Berücksichtigung erst später gewonnener Erkenntnisse zu beurteilen ist.

Das bedeutet nicht, dass der Senat die strengeren Anforderungen von Prof. Dr. D. und Prof. Dr. E. als unvertretbar ansieht. Für sie spricht, dass der Herzinfarkt einerseits ein besonders bedrohliches Ereignis darstellt, das andererseits unverzügliches Handeln innerhalb von Minuten erfordert.

Zutreffend ist jedoch die von Prof. Dr. B. und PD Dr. N. hervorgehobene Einordnung des hausärztlichen Notdienstes (wie die Tätigkeit des Allgemeinmediziners überhaupt) als Filter für eine Krankenhauseinweisung. Wenn jedermann mit Brust- oder Bauchschmerzen, hinter denen sich ebenfalls unterschiedliche bedrohliche akute Erkrankungen (aus der jüngeren Praxis des Senats: Blinddarmentzündung, Eileiterschwangerschaft, akute Divertikulitis) verbergen können, mit dem Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert werden müsste, um dort eine umfassende Ausschlussdiagnostik durchzuführen, wäre das bestehende Gesundheitssystem darauf nicht eingerichtet.

ee) Ein weiteres Gutachten eines anderen Sachverständigen würde nach der Einschätzung des Senats in dieser Frage keine endgültige Klärung, sondern nur eine zusätzliche Meinung bringen. Es gibt zwar keine formelle Beweisregel, nach der ein Behandlungsfehler ausscheidet, wenn ein gerichtlicher Sachverständiger eine Verhaltensweise als vertretbar ansieht. Die Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO liegen aber nicht vor. Überlegene Forschungsmittel eines anderen Sachverständigen kommen nicht in Betracht, da es nicht um die Erarbeitung komplexer Tatsachengrundlagen oder die Beurteilung seltener Krankheiten, sondern um die Bewertung des Verhaltens eines Allgemeinmediziners aufgrund eines im Wesentlichen unstreitigen Sachverhalts geht. Grobe Mängel und Unvollständigkeiten der bisherigen Gutachten sind ebenso wenig ersichtlich wie fehlende Sachkunde eines der Sachverständigen. Die bisher vorliegenden gerichtlichen Gutachten bewerten allerdings eine zentrale Frage unterschiedlich. Daran würde indes eine zusätzliche Stellungnahme nichts ändern, gleich wie sie ausfällt.

4) Die Bluthochdruck- und Schmerzmedikation des Beklagten war nicht fehlerhaft.

Da es insoweit eindeutig an einem Kausalitätsnachweis fehlt (siehe unten 5c), ist die Diskussion hierüber nur unter dem Gesichtspunkt interessant, ob Versäumnisse in diesem Bereich Schlüsse auf eine allgemeine Unzuverlässigkeit des Beklagten und damit möglicherweise Beweiserleichterungen eröffnen.

Prof. Dr. E. führte in seinem Gutachten vom 14.12.1998 S. 17 ff aus, die Verabreichung von Dolantin sei wegen Verschleierung der Schmerzen unzweckmäßig. Die intramuskuläre Gabe habe eine Lysetherapie unmöglich gemacht und widerspreche bei Verdacht eines Herzinfarkts ärztlicher Sorgfalt. Dies gelte auch für Adalat/Nifedipin zur Blutdrucksenkung.

Prof. Dr. D. schrieb in seinem Gutachten vom 09.02.2001 S. 19, die intramuskuläre Injektion von Dolantin sei fehlerhaft, da sie die Lysetherapie des Herzinfarkts mit Strepto- oder Urokinase verhindere. Adalat/Nifedipin werde in vergleichbaren Situationen sehr häufig angewandt, davon sei aber abzuraten. Ob seine Verabreichung den ärztlichen Standard verletze, sei schwierig zu entscheiden.

PD Dr. N. führte in seinem Gutachten vom 04.02.2002 S. 14 ff aus, Nifedipin/Adalat sei bei Verdacht auf eine Hochdruckkrise nicht zu beanstanden. Dolantin i. m. sollte bei Möglichkeit eines Infarkts nicht gegeben werden. Im vorliegenden Fall sei dies aber folgenlos geblieben, da im Krankenhaus Dritter Orden keine Thrombolyse erfolgte, da die Klinik über die Möglichkeit einer Herzkatheterintervention verfügte.

Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. legten in ihrem Gutachten vom 28.02.2003 S. 16 ff dar, der Beklagte habe eine intramuskuläre Injektion erst vorgenommen, als ein Infarkt nach seiner Untersuchung eher unwahrscheinlich erschien und das oral verabreichte Schmerzmittel Gelonida ausgebrochen wurde. Es handele sich um sorgfältiges Vorgehen, keinen Kunstfehler, da die Thoraxschmerzen durch eine ausgedehnte körperliche Untersuchung in Richtung muskulo-neuralgischer Beschwerden interpretiert worden seien.

Die vom Beklagten verabreichte niedrige Dosis von Adalat/Nifedipin zur Behandlung der Bluthochdruck-Krise sei kunstgerecht gewesen. Prof. Dr. D. argumentiere hinsichtlich Adalat/Nifedipin nach der Datenlage des Jahres 2001.

Die Bewertungen der Sachverständigen stehen ersichtlich in Zusammenhang mit ihrer Einschätzung des verbliebenen Herzinfarktrisikos. Ein eindeutiger Behandlungsfehlernachweis ist damit nicht erbracht.

5) Es lässt sich nicht nachweisen, dass durch den dringenden Rat des Beklagten an den Kläger, sich ins Krankenhaus zu begeben und dort untersuchen zu lassen oder durch Änderungen der Medikation des Beklagten der Hirnschaden hätte verhindert werden können.

a) Der Senat geht allerdings davon aus, dass der Kläger sich einer dringenden Empfehlung unter Hinweis auf die Gefahr einer Herzinfarkts, die nach dem Eindruck der Vernehmung von Frau S.-K. mit Sicherheit von seiner Ehefrau unterstützt worden wäre, trotz seiner von der Zeugin bei ihrer Vernehmung in der ersten Instanz beschriebenen Abneigung gegen Ärzte nicht verschlossen hätte.

b) Es steht aber nicht mit der für das praktische Leben erforderlichen Sicherheit fest, dass es auch bei einer Krankenhauseinweisung zu einem längeren Atemstillstand und darauf beruhendem Hirnschaden gekommen wäre. Dies entspricht der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen (PD Dr. N. hat diese Frage nicht behandelt), aber auch der praktischen Erfahrung des ständig mit Arzthaftungssachen befassten Senats.

Prof. Dr. E. führte in seinem Ergänzungsgutachten vom 21.02.2000 aus, dass bei unverzüglicher Klinikeinweisung, entsprechender Diagnostik und Therapie die Chance der Vermeidung einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns deutlich höher gewesen wäre. Der Schadenseintritt wäre jedoch auch bei adäquater Therapie im Krankenhaus nicht mit der strafrechtlich erforderlichen Sicherheit vermeidbar gewesen (Gutachten vom 14.12.1998 S. 19).

Prof. Dr. D. erklärte, es hätte bei einer Krankenhauseinweisung eine deutlich größere Chance bestanden, den Schaden zu vermeiden (Gutachten vom 09.02.2001 S. 16/17, 21). Der Herzstillstand hätte wahrscheinlich verhindert werden können. Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. erklärten, es sei nicht mit letzter Sicherheit davon auszugehen, dass der Sauerstoffmangelschaden bei unverzüglicher Klinikeinweisung hätte vermieden oder verringert werden können (Ergänzungsgutachten vom 08.07.2004 S. 4).

Damit bleibt die realistische, nicht nur theoretische Möglichkeit, dass der Hirnschaden in vollem Umfang auch bei sachgerechter Behandlung im Krankenhaus entstanden wäre.

c) Keines der vom Beklagten gegebenen Schmerzmittel und blutdrucksenkenden Präparate hatte einen erkennbaren Einfluss auf die Entwicklung des Atemstillstandes und Hirnschadens.

Die Injektion mit Dolantin hat sich nicht auf die Behandlung des Klägers im Krankenhaus Dritter Orden ausgewirkt und hätte sich auch bei einer früheren Einweisung nicht auswirken können, da dort der Gefäßverschluss nicht mit einer Lysetherapie sondern mittels Ballondilatation und Einsetzen zweier Stents behandelt wurde. Insoweit stimmt Prof. Dr. D. (Ergänzungsgutachten vom 23.07.2001 S. 10/11) mit der bereits zitierten Stellungnahme von PD Dr. N. überein.

An die Gabe von Adalat/Nifedipin knüpft keiner der Sachverständigen irgendwelche quantifizierbaren Auswirkungen auf die Entwicklung des Atemstillstandes und Hirnschadens.

d) Zu Beweiserleichterungen hinsichtlich der Kausalität besteht kein Anlass. Prof. Dr. D. hat zwar das Verhalten des Beklagten als grob fehlerhaft gewertet, doch folgt dem der Senat wie schon das Landgericht nicht. Auf die Ausführungen unter 3) und 4) wird verwiesen. Hinzu kommt ein anderer Gesichtspunkt: Prof. Dr. D. schreibt in seinem Gutachten vom 09.02.2001 S. 24, in der Summe seien dem Beklagten so viele Fehlentscheidungen und Unterlassungen unterlaufen, dass sein Verhalten insgesamt nicht mehr nachvollziehbar sei. Zu den Fehlern zählt Prof. Dr. D. vorrangig auch die Injektion mit Dolantin, die aufgrund der im Krankenhaus D. O. möglichen Herzkatheterbehandlung folgenlos geblieben ist. Prof. Dr. D. diskutiert in seinem Ergänzungsgutachten vom 23.07.2001 S. 11 Alternativen, in denen man auf eine Lysetherapie angewiesen gewesen wäre. Ein Fehler, der sich mit Sicherheit nicht ausgewirkt hat, kann jedoch nicht zur Begründung einer Beweislastumkehr herangezogen werden.

Prof. Dr. E. ist der aus strafrechtlicher Sicht nur für das Strafmaß bedeutsamen Frage der Schwere des Fehlers nicht nachgegangen. Die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. haben ebenso wie der Privatgutachter PD Dr. N. einen Fehler überhaupt verneint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Beurteilung ergibt sich aus der sachverständigen Bewertung eines komplexen Einzelfalles, der sich auf andere Fälle, auch andere nicht erkannte Herzinfarkte, nicht übertragen lässt.

Ende der Entscheidung

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