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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 28.11.2005
Aktenzeichen: 1 U 3275/05
Rechtsgebiete: StrEG, BGB


Vorschriften:

StrEG § 10 Abs.1 Satz 1
StrEG § 13
BGB § 254 Abs.2 Satz 1
1. Nach Ablauf der Frist gemäß § 10 Abs.1 Satz 1 StrEG ist ein Nachschieben von selbständigen Ansprüchen nicht mehr möglich. § 13 StrEG eröffnet nur für solche Ansprüche den Zivilrechtsweg, die zuvor bei der Justizverwaltungsbehörde geltend gemacht und von dieser zurückgewiesen wurden. Es kommt nicht darauf an, ob wegen anderer geltend gemachter und abgelehnter Ansprüche zulässigerweise ohnehin Klage erhoben wird.

2. Ein grob fahrlässiger Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kann gemäß § 254 Abs.2 Satz 1 BGB zum Wegfall des Entschädigungsanspruches für die Strafverfolgungsmaßnahme führen.


Aktenzeichen: 1 U 3275/05

In dem Rechtsstreit

wegen Entschädigung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht V. und die Richter am Oberlandesgericht S. und R. ohne mündliche Verhandlung am 28.11.2005 folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 4.5.2005 wird durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 188.589,50 Euro festgesetzt.

Gründe:

A

Am 28.9.1998 erließ das Amtsgericht Landau gegen den Kläger einen Strafbefehl wegen versuchter Nötigung und verhängte neben einer Geldstrafe ein zweimonatiges Fahrverbot. Den Einspruch gegen den Strafbefehl nahm der Kläger am 27.11.1998 zurück. Durch Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 14.8.2000 wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet. Mit Urteil vom 21.9.2000 wurde der Kläger freigesprochen. Mit Beschluss vom 13.3.2001 hat das Landgericht Landshut festgestellt, dass dem Kläger für die Dauer des Fahrverbots vom 27.11.1998 bis zum 26.1.1999 eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zusteht.

B.

1. Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Aufwendungen des Klägers für einen Ersatzfahrer zwar grundsätzlich entschädigungsfähig wären, der Anspruch des Klägers insoweit jedoch an der Verfristung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 StrEG scheitert.

Der eine Entschädigung zusprechende Beschluss des Landgerichts Landshut vom 13.03.2001 wurde am selben Tag rechtskräftig (§ 8 Abs. 3 StrEG i. V. m. § 310 StPO). Innerhalb der daran anschließenden 6-Monatsfrist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 und 4 StrEG) wurden vom Kläger keine Entschädigungsansprüche wegen Aufwendungen für einen Ersatzfahrer bei der Staatsanwaltschaft erhoben. Mit Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom 23.05. und 19.06.2001 wurden lediglich Schadenersatzansprüche wegen entgangenem Gewinn und Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Entschädigung für die Aufwendungen für einen Ersatzfahrer wurde auch nicht ansatzweise (innerhalb der vorgenannten Frist) verlangt. Der Senat hat sich davon durch Beiziehung der Strafakten 21 Js 25432/98 und des Sonderheftes Strafrechtsentschädigung 6 StEs 4/01 der Staatsanwaltschaft Landshut nochmals selbst überzeugt. Soweit sich der Kläger im Schreiben vom 23.05.2001 die Geltendmachung eines weiteren Schadens, was zur Fristwahrung ohnehin nicht ausreichen würde, vorbehalten hatte, bezog sich dies - Bezugnahme auf Bilanzdaten - nur auf einen etwaigen weiteren entgangenen Gewinn.

Die Fristversäumung erfolgte auch schuldhaft im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 2 StrEG. Die Staatsanwaltschaft Landshut hatte den damaligen Bevollmächtigten des Klägers und den Kläger persönlich mit Schreiben vom 11.04.2001 über die Frist und die Folgen von deren Versäumung belehrt. Die Belehrung wurde dem Bevollmächtigten am 17.04.2001 und dem Kläger persönlich am 14.04.2001 zugestellt. Die Frist lief folglich spätestens am 18.10.2001 ab.

Nach Fristablauf ist nur noch eine Ergänzung in Einzelheiten zulässig, ein Nachschieben von (selbstständigen) Ansprüchen ist dagegen nicht mehr möglich (vgl. auch Schätzler/Kunz, StrEG, 3. Auflage, RN 8a und 14 zu § 10 StrEG). Eine Belehrung des Klägers über diesen Gesichtspunkt war nicht erforderlich. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 StrEG muss die Staatsanwaltschaft den Antragsberechtigten nicht über alle Einzelheiten des Entschädigungsverfahrens, sondern lediglich über das Antragsrecht, die Frist und die Stelle, bei der der Antrag anzubringen ist, belehren. Ein (etwaiges) Verschulden seines Bevollmächtigten muss sich der Kläger zurechnen lassen (Schätzler/Kunz, a.a.O., RN 12 zu § 10 StrEG).

Dem Entschädigungsanspruch des Klägers stünde im Übrigen auch die Ausschlussfrist - insoweit kommt es weder auf Verschulden noch die Erteilung einer Belehrung an (Schätzler/Kunz, a.a.O., RN 2 zu § 12 StrEG) - des § 12 StrEG entgegen. Auch innerhalb dieser Jahresfrist, gerechnet ab dem 13.03.2001, ging bei der Staatsanwaltschaft kein Entschädigungsantrag bezüglich der Kosten für einen Ersatzfahrer ein.

Entgegen dem Berufungsvorbringen ist es unbehelflich, dass der Kläger mit Klage vom 11.10.2001, eingegangen beim Landgericht München I am 15.10.2001, auch Entschädigung für die Aufwendungen für einen Ersatzfahrer verlangt. § 13 StrEG eröffnet den Klageweg zu den Zivilgerichten nur für den Fall, dass der (Teil-) Anspruch zuvor bei den Justizverwaltungsbehörden geltend gemacht und von diesen zurückgewiesen wurde. Ein bei der Justizverwaltungsbehörde nicht geltend gemachter (Teil-) Anspruch kann nicht erstmals vor dem Zivilgericht erhoben werden. Eine unter Auslassung des Vorverfahrens vor der Justizverwaltungsbehörde erhobene Klage ist (insoweit) unzulässig (Schätzler/Kunz, a.a.O., RN 1 zu § 13 StrEG).

Entgegen der Einschätzung der Berufung ergibt sich die Vorgreiflichkeit des Verwaltungsverfahrens unmittelbar aus § 13 StrEG, da der Zivilrechtsweg nur "gegen die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch" eröffnet ist.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen entgegen dem Berufungsvorbringen nicht. Im Verwaltungsrecht gilt allgemein der Grundsatz, dass gerichtlicher Schutz - abgesehen von dem Fall, dass die Verwaltung pflichtwidrig untätig bleibt - nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn zuvor eine abschlägige Entscheidung der Verwaltung ergangen ist. Das ist vernünftig und verfahrensökonomisch.

Es kommt auch nicht darauf an, dass hier wegen anderer angemeldeter und abgelehnter (Teil-) Entschädigungsansprüche eine Klage vor dem Zivilgericht ohnehin nahe liegend und wahrscheinlich war. Die Durchführung des Vorverfahrens auch wegen der Aufwendungen für die Beschäftigung eines Ersatzfahrers wurde dadurch nicht überflüssig. Das Vorverfahren war nämlich potentiell geeignet, das Gerichtsverfahren durch vorprozessuale Erledigung von (Teil-) Ansprüchen zu entlasten, die von der Justizverwaltung unstreitig reguliert werden. Im Übrigen müsste der Staat für den Fall, dass in der vorgenannten Konstellation ein Vorverfahren vor der Justizverwaltungsbehörde für (Teil-) Ansprüche für entbehrlich angesehen würde, zur Meidung von Kostennachteilen den (Teil-) Anspruch ohne die Möglichkeit einer eingehenden Prüfung sofort gemäß § 93 ZPO innerhalb knapp bemessener zivilprozessualer Fristen anerkennen (vgl. Thomas/Putzo, 27. Auflage, RN 9 zu § 93 ZPO). Dass dies nicht mit den legitimen Interessen des Staates und des Steuerzahlers vereinbar wäre, liegt auf der Hand

2. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger von dem Beklagten keinen Ersatz des geltend gemachten entgangenen Gewinns verlangen kann. Im Rahmen der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB wäre der Kläger verpflichtet gewesen, diesen (behaupteten) Schaden dadurch abzuwenden, dass er im notwendigen Umfang weitere Fahrer anstellt. Die Kosten wären, wie erwähnt, (grundsätzlich) im Rahmen der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ersatzfähig gewesen. Gegebenenfalls wäre der Kläger in Anbetracht des hohen drohenden Schadens verpflichtet gewesen, mehrschichtig rund um die Uhr Ersatzfahrer einzustellen. Der Senat ist davon überzeugt, dass auf dem Arbeits- bzw. Dienstleistungsmarkt entsprechende Kräfte zur Verfügung standen.

Soweit der Kläger behauptet, dass er, da er häufig während der Fahrt telefonisch Geschäftsgeheimnisse betreffende Sachverhalte besprechen müsse, nur ihm vertraute Personen als Ersatzfahrer einstellen konnte, die nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung gestanden hätten, überzeugt dies den Senat nicht. Die gesamte Führungselite der Bundesrepublik Deutschland bespricht im Kraftfahrzeug Dienst- und Geschäftsgeheimnisse und vermutlich auch Staatsgeheimnisse. Es ist nicht ersichtlich, warum dies gerade dem Kläger nicht möglich sein soll. Gegebenenfalls hätte der Kläger in besonders brisanten Fällen auch das Fahrzeug anhalten lassen und den Fahrer aussteigen lassen können. Auch der kurzfristig zu bewerkstelligende Einbau einer Trennscheibe wäre in Betracht gekommen.

Eine Schadensquotelung zwischen dem Kläger und dem Beklagten kommt nicht in Betracht. Für den Kläger war von vornherein ersichtlich - seinem eigenen Vorbringen zufolge hatte er bereits die Strafgerichte auf den drohenden Schaden hingewiesen - dass ein hoher Schaden zu erwarten ist, wenn er seine Kundenkontakte nicht im erforderlichen Umfang wahrnehmen kann. Dennoch hat der Kläger davon abgesehen, im erforderlichen Umfang Ersatzfahrer einzustellen oder Termine mit dem Taxi wahrzunehmen. Der Kläger hat den (behaupteten) ausgefallenen Gewinn schuldhaft durch die Verletzung der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht verursacht. Demgegenüber tritt der Verursachungsbeitrag des Beklagten schadensersatzrechtlich in den Hintergrund. Den Justizorganen fällt insoweit jedoch weder ein Fehlverhalten noch ein Verschulden zur Last. Der Freispruch des Klägers im zweiten Wiederaufnahmeverfahren beruht darauf, dass der Kläger eine weder für die Staatsanwaltschaft noch für das Strafgericht erkenn- und ermittelbare Entlastungszeugin beibringen konnte. Der Verursachungsbeitrag der Justizbehörden des Beklagten im Sinne (lediglich) einer (behaupteten) conditio sine qua non tritt schadenersatzrechtlich gegenüber dem vorgenannten grob fahrlässigen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht, der dem Kläger zur Last fällt, zurück.

Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob und in wie weit es in Anbe-tracht volatiler Märkte um Geschäftschancen überhaupt plausibel und schlüssig ist, dass der Kläger den Gewinnrückgang, obwohl er einen Ersatzfahrer beschäftigt hat, auf das Fahrverbot zurückführt.

C.

Es steht nicht im Belieben des Senats, ob der Senat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO entscheidet oder ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt wird. Wenn die Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind, muss der Senat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO verfahren.

D.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren ergibt sich aus dem mit Schriftsatz des Klägers vom 29.09.2005 avisierten Antrag.

Ende der Entscheidung

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