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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: 1 U 3807/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 411
ZPO § 539
Von einer Partei im Arzthaftungsprozeß, die den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen gestellt hat, kann nicht verlangt werden, daß sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im voraus im einzelnen formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in weicher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen versucht.

Auch wenn ein diesen Anforderungen genügender Schriftsatz erst ganz erheblich nach Ablauf der der Partei dafür gesetzten Frist bei Gericht eingeht, muß jedenfalls dann versucht werden, den Sachverständigen zu laden, wenn sich aus dem Schriftsatz ein Aufklärungsbedarf ergibt, der dem Gericht hierzu bereits nach § 411 Abs. 3 ZPO von Amts wegen Veranlassung geben könnte.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN URTEIL

Aktenzeichen 1 U 3807/00

Verkündet am 21.12.2000

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2000 folgendes

Endurteil:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16.5.2000 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Ingolstadt zurückverwiesen.

II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren wird abgesehen.

III. Der Wert der Beschwer beträgt für beide Parteien jeweils 35.000,-- DM.

Tatbestand:

1. Der Kläger begehrt Schmerzensgeld sowie Schadensersatz aufgrund behaupteter zahnärztlicher Fehlbehandlung.

Der 1966 geborene Kläger war im Jahr 1996 beim Beklagten in zahnärztlicher Behandlung, im Rahmen derer ihm nach Extraktion eines Zahnes im Oberkiefer in der Zeit zwischen 19.1.1996 und 12.11.1996 zwei Brücken eingesetzt wurden. Nach Befundung, Herstellung und Eingliederung von Provisorien setzte der Beklagte dem Kläger am 27.6.1996 endgültig die Brücke bei den Zähnen 11/22, am 12.11.1996 endgültig die Brücke bei den Zähnen 45/47 ein.

Am 10.11.1997 begab sich der Kläger zu einem anderen Zahnarzt, Herrn Dr. K. Am 24.11.1997 ließ er durch den Sachverständigen Dr. M ein zahnärztliches Gutachten fertigen.

2. Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, die Brücken seien fehlerhaft gefertigt worden; die Ränder seien undicht; auch seien deutliche Stufen an den Rändern zu tasten. Durch das Zwischenglied der unteren Brücke hätten sich Druckstellen gebildet. Eine festgestellte Gingiva-Rezession habe nur darauf beruht, dass die Brücke mit erheblichem Druck auf dem Zahnfleisch gelastet habe. Am Zahn 2.2 hätte sich eine schmerzhafte Entzündung des Zahnfleisches ausgebildet. Die Statik des Oberkiefers sei gestört. In der Folge hätten sich starke Schmerzen, insbesondere beim Trinken, und Mundgeruch eingestellt. Der Zahn 1.1 habe am 7.5.1998 geöffnet werden müssen, da dort eine schmerzhafte Entzündung der Wurzel vorgelegen habe. Über Schmerzen habe der Kläger dem Beklagten gegenüber bereits nach dem Einbringen des ersten Provisoriums und danach laufend geklagt. Der Kläger habe sich einer schmerzhaften Folgebehandlung unterziehen müssen, bei welcher ihm neue Brücken gefertigt und eingesetzt worden seien, was unumgänglich gewesen sei. Zu einem anderen Zahnarzt sei der Kläger deswegen gegangen, weil der Beklagte die vom Kläger wiederholt geäußerten Schmerzen und Beschwerden ignoriert hätte.

Der Kläger hat in erster Instanz den Ersatz seines Eigenanteiles in Höhe von 1.986,99 DM an den Kosten der Behandlung durch den Beklagten und seines Eigenanteils von 3.907,01 DM hinsichtlich der Kosten der neuen Behandlung durch den Zahnarzt Dr. K verlangt und sich darüber hinaus ein Schmerzensgeld in der Höhe von mindestens 20.000,-- DM vorgestellt. Desweiteren hat der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Schäden begehrt. Diese Schäden würden drohen/da durch die vollkommen fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten die ganze Statik des Oberkiefers beeinträchtigt sei. Zukünftige Zahnbehandlungen würden viel früher nötig. Desweiteren sei vermehrt mit Komplikationen zu rechnen.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch einen Betrag von 20.000,-- DM nebst 12,5 % Zinsen hieraus seit Zustellung dieses Schreibens (Klageschriftsatz) zu bezahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.986,99 DM nebst 12,5 % Zinsen hieraus seit dem 20.1.1998 zu zählen, sowie einen Betrag in Höhe von 3.907,01 DM nebst 12,5 % Zinsen hieraus seit Zustellung des Klageschriftsatzes zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

3. Der Beklagte hat in erster Instanz Klageabweisung beantragt.

Er hat einen Behandlungsfehler wie auch die vom Kläger behaupteten Folgen (Schmerzen und Mundgeruch) bestritten.

Hierzu hat er vorgetragen, der Kläger habe, wie auch das Behandlungsblatt zeige, während der gesamten Behandlung nie Schmerzen an den Zähnen, die an den Brücken beteiligt seien, geäußert. Die Schmerzen seien frei erfunden. Hätte der Kläger tatsächlich während oder nach der Behandlung der oberen Brücke starke Schmerzen verspürt, hätte er sich kaum über 5 Monate später beim Beklagten noch eine untere Brücke und erst im Mai 1998 neue Brücken eingliedern lassen. Der utopische Schmerzensgeldanspruch sei nur dazu gedacht, den Streitwert in die Höhe zu treiben.

Bei dem Befund, den Dr. K an einem der Brückenzähne erhoben habe, habe es sich um eine ganz normale Komplikation gehandelt, die immer auftreten könne und die auch vom Beklagten behoben werden hätte können. Im übrigen hat der Beklagte Randundichtigkeiten bestritten und behauptet, es handle sich um einen üblichen und akzeptablen Randspalt. Auch seien die Okklusion und Artikulation störungsfrei, eine Eignung der Brücken, Druckstellen hervorzurufen, hat er bestritten.

Eine Neuanfertigung von Brücken hat der Beklagte nicht für erforderlich gehalten und vorgetragen, die ursprünglichen Brücken hätten neu eingestellt werden können.

Die Statik des Oberkiefers sei nicht beeinträchtigt, künftige Schmerzen und Komplikationen seien nicht zu befürchten. Ein Feststellungsinteresse bestehe daher nicht.

Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Eigenanteils für die Neuanfertigung der Brücken durch Dr. K, zu dem der Kläger lediglich wegen seines Umzuges gewechselt sei, bestehe in keinem Fall.

Den Kassenanteil habe der Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nur deshalb zurückerstattet, um Schwierigkeiten zu vermeiden.

4. Das Landgericht hat mit Beweisbeschluß vom 8.12.1998 (Bl. 39/41 d. A.) Beweis erhoben durch Erholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. R. Dieser hat sein Gutachten vom 15.11.1999 am 26.11.1999 vorgelegt. Das Gutachten wurde dem Klägervertreter am 30.11.1999 zugestellt, verbunden mit der Aufforderung, binnen zwei Wochen zu erklären, ob die Anhörung des Sachverständigen beantragt wird, gegebenenfalls binnen weiterer zwei Wochen die zu stellenden Fragen schriftsätzlich zu formulieren und einen Auslagenvorschuß in Höhe von 1.500,-- DM einzubezahlen. Bereits mit Schriftsatz vom 30.11.1999 hat der Klägervertreter Antrag auf Anhörung des Sachverständigen gestellt, einen Fragenkatalog angekündigt (Bl. 73 d.A.) und den geforderten Vorschuß am 23.12.1999 einbezahlt.

Die vom Landgericht gesetzte Frist zur Formulierung von Fragen an den Sachverständigen wurde antragsgemäß bis 17.1.2000 verlängert. Die nochmals bis 24.1.2000 beantragte Fristverlängerung hat das Landgericht nicht bewilligt. Es hat sodann auf den 18.4.2000 terminiert und diesen Termin sodann auf Antrag des Beklagtenvertreters auf den 2.5.2000 verlegt. Am 26.4.2000 gingen die Fragen des Klägervertreters an den Sachverständigen bei Gericht ein, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 83/88 d. A. Bezug genommen wird.

Das Landgericht hat den Sachverständigen nicht geladen und im Termin vom 2.5.2000 ein Endurteil verkündet, mit dem es die Klage als unbegründet abwies.

Hierzu hat das Landgericht ausgeführt, dem Beklagten sei kein Fehler unterlaufen, der die vom Kläger behaupteten Folgen nach sich gezogen haben könnte. Zwar seien nach dem Gutachten des Sachverständigen Richter die Brücken nicht frei von Mängeln. Die Behandlung habe jedoch dem zahnmedizinischen Standard entsprochen. Ein an Zahn 47 nachweisbarer Randspalt sei aus fachlicher Sicht nicht mehr akzeptabel, löse aber keine Schadensersatzpflicht aus, da bei der Anfertigung von Prothesen das Gewährleistungsrecht des Werkvertrages gelte, wonach Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Beseitigung eines Mangels erst dann verlangt werden könne, wenn der Unternehmer (hier der Beklagte) mit der Beseitigung des Mangels im Verzuge ist. Dies sei hier nicht vorgetragen worden; der Kläger habe dem Beklagten nie zur Mängelbeseitigung aufgefordert Dieser Zahn könne auch nicht die Ursache von Schmerzen sein, wie sie vom, Kläger geschildert wurden. Es stehe eindeutig fest, dass die Schmerzen, die der Kläger behauptet, in Wirklichkeit nicht vorhanden waren, was der Kläger schließlich dem Gericht gegenüber auch eingeräumt habe. Der vom Kläger der Behandlung durch den Beklagten zugeschriebene Mundgeruch sei, wie der Sachverständige festgestellt habe, wahrscheinlich Folge mangelnder Mundhygiene.

Im übrigen habe der Sachverständige aus den vorhandenen Unterlagen und Röntgenbildern keine Mängel und Fehler feststellen können.

5. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch in vollem Umfang weiter.

Zur Begründung wiederholt er im wesentlichen die in seinem Schriftsatz vom 26.4.2000 zur beantragten Anhörung des Sachverständigen enthaltenen Ausführungen.

Im wesentlichen rügt er, dass sich das Landgericht darauf beschränkt habe, formelhaft die Feststellungen des in sich widersprüchlichen und unvollständigen Sachverständigengutachtens zu wiederholen. So hätte der Sachverständige eine Reihe von Behandlungsterminen des Klägers beim Beklagten nicht gewürdigt, eine erforderliche Untersuchung des Klägers unterlassen, in fehlerhafter Weise Röntgenaufnahmen nicht ausgewertet bzw. eine mangelhafte Dokumentation des Beklagten unberücksichtigt gelassen. Soweit sich der Sachverständige zu bestimmten Aussagen aufgrund von ihm vermissten Angaben z. B. über das Ausmaß der Gingiva-Rezession außerstande gesehen habe, habe das Landgericht es versäumt, die vom Kläger zum Beweis angebotenen Einvernahmen der sachverständigen Zeugen Dr. K und Dr. M nachzukommen. Diese Personen hatten auch die vom Sachverständigen auf den Röntgenbildern nicht erkannten, von den Zeugen jedoch sehr wohl getasteten Stufen an den Brücken bestätigt. Die notwendigen Anknüpfungstatsachen hätten dem Gutachter gefehlt.

Eine Nachbesserung durch den Beklagten sei im übrigen für den Kläger unzumutbar gewesen.

6. Der Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen und bezieht sich, hierzu im wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R sowie die Gründe des landgerichtlichen Urteils.

Der Kläger sei auch nie zu einer Nachbehandlung wegen Schmerzen an den eingesetzten Brücken zum Beklagten gegangen und habe nie von einem Nachbesserungsrecht Gebrauch gemacht.

7. Der Senat hat nach Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin vom 23.11.2000 einen Vergleich bei 3.000,-- DM vorgeschlagen, den zu schließen sowohl der Beklagtenvertreter als auch der Kläger persönlich bereit waren.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht, da das Verfahren vor dem Landgericht an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 539 ZPO).

Es ist unter Verstoß gegen die §§ 397, 402, 411 ZPO ergangen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat jede Partei das Recht, die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung zu verlangen. Der Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs erfordert es, der Partei die Möglichkeit einzuräumen, einem Sachverständigen nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens Fragen zu stellen, Bedenken vorzutragen oder ihn um nähere Erläuterung von Zweifelsfragen zu bitten (vgl. BGH NJW 94, 1286 ff. (1287) m.w.N.).

Das Gericht darf einen Antrag auf mündliche Anhörung nur ablehnen, wenn er verspätet gestellt wird oder rechtsmissbräuchlich ist (BGH a.a.O.).

Beides liegt hier nicht vor.

1. Der Kläger hat den Antrag innerhalb der ihm gesetzten Äußerungsfrist gestellt. Er hat weiter fristgemäß den Auslagenvorschuß für die Anhörung des Sachverständigen einbezahlt.

2. Der Antrag kann auch nicht als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden; Rechtsmissbräuchlich ist ein Antrag grundsätzlich nur dann, wenn die Notwendigkeit einer mündlichen Erörterung entweder überhaupt nicht oder völlig unsubstantiiert begründet wird (BGH a.a.O.). Dies ist weiter dahingehend zu konkretisieren, dass ein Antrag als missbräuchlich nur zurückgewiesen werden darf/wenn das schriftliche Gutachten vollständig und überzeugungsfähig ist, der Antrag aber gleichwohl nicht begründet wird (vgl. Zöller, ZPO, 22. Aufl., RdNr. 5 a zu § 411 ZPO). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

Zwar ist der Kläger der an ihn gerichteten, mit Fristsetzung verbundenen Aufforderung, einen Fragenkatalog an den Sachverständigen vorzulegen, erst mit mehrmonatiger Verspätung nachgekommen. Inwieweit dies auf Nachlässigkeit, Unvermögen oder sonstigen Gründen beruht, kann dahinstehen, da das Gericht im vorliegenden Fall die Ladung des Sachverständigen nicht von der vorherigen Einreichung eines Fragenkataloges durch die Klageseite abhängig machen durfte.

Zum einen kann von der Partei, die einen Anhörungsantrag gestellt hat, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im voraus im einzelnen formuliert. Es genügt, wenn die Partei allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9 ff. (15)). Dem dergestalt berechtigten Ansinnen hätte die Klageseite möglicherweise auch in einer dem Landgericht genügenden Weise fristgerecht nachkommen können.

Darüber hinaus durfte das Landgericht der Klageseite durch Ablehnung des zweiten Fristverlängerungsgesuchs auch nicht den Eindruck vermitteln, dass ein danach verspätet gestellter Fragenkatalog abgewiesen würde, zumal das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung erst auf einen Monate nach dem von ihm gesetzten Fristablauf liegenden Tag bestimmte.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass der Kläger, wenn auch verspätet, jedoch gleichwohl zu einem Zeitpunkt vor der mündlichen Verhandlung, zu dem noch versucht werden hätte können, den Sachverständigen zu laden, Fragen an den Sachverständigen formuliert bzw. weiter aufklärungsbedürftige Umstände dargelegt hat.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass gemäß § 411 Abs. 3 ZPO das Gericht auch von sich aus das Erscheinen des Sachverständigen anordnen kann. Diese Vorschrift räumt dem Gericht ein Ermessen ein, den Sachverständigen auch ohne Antrag einer Partei zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden, wenn Zweifel oder Unklarheiten bestehen. Dieses Ermessen ist nicht frei sondern pflichtgebunden durch Erfordernisse der Beweiserhebung- und Würdigung (Zöller, a.a.O. RdNr. 5 zu § 411 ZPO). D. h., dass das Gericht auch auf einen verspäteten - hier: verspätet begründeten - Antrag hin jedenfalls prüfen muß, ob der Sachverständige von Amts wegen zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden ist. Hätte das Landgericht im vorliegenden Fall nicht ohnedies bereits Aufklärungsbedarf gesehen, hätte sich dieser durch den Schriftsatz der Klageseite vom 26.4.2000 jedenfalls aufdrängen müssen. Im Rahmen seiner gerade in Arzt- und Zahnarzthaftungsprozessen bestehenden Aufklärungspflicht hätte sich dem Landgericht erschließen müssen, dass einige relevante Punkte durch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R noch nicht ausreichend geklärt waren. Hierzu hätte es den Sachverständigen entweder laden oder zunächst eine schriftliche Erläuterung des Sachverständigen einholen müssen, an die sich gegebenenfalls eine weitere Beweisaufnahme anschließen konnte.

Dies umso mehr, als der für die Betriebskrankenkasse des Klägers tätig gewordene Sachverständige Dr. M in seinem Kurzgutachten vom 24.11.1997 festgestellt hat, dass die ausgeführten prothetischen Leistungen des Beklagten nicht frei von Mängeln seien und dies mit dem in der Röntgenaufnahme des Nachbehandlers (OPG vom 10.11.1997) deutlich erkennbaren Randspalt mesial am Zahn 47 und den klinisch deutlich zu tastenden zervikalen Stufen an den Zähnen 11, 22, 45 und 47 begründet sowie eine Neuanfertigung der Brücken aufgrund der genannten Mängel für erforderlich gehalten hat.

Bevor das Landgericht lediglich den Spalt an Zahn 47 als Mangel ansehen und im übrigen die Leistungen des Beklagten als mangelfrei beurteilen hätte dürfen, hätte sich insbesondere zu folgenden Punkten eine Klärung durch den Sachverständigen aufgedrängt:

- Könnte sich am Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. R etwas ändern, wenn Röntgenbilder des Beklagten zur Verfügung gestanden hätten?

- Bedeutet die Aussage in dem Gutachten, wonach eine Stufe an den Kronenrändern weder am Zahn 45 noch am Zahn 47 röntgenologisch sicher nachgewiesen werden könne und der Kronenrand an den Zähnen 11 und 22 röntgenologisch keinen Randspalt und keine Stufe aufweist, dass die Spalten und Stufen tatsächlich nicht vorhanden waren oder dass sie sich nur dem Sachverständigen aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen nicht erschlossen haben?

- Können sich die vorgenannten Stufen gegebenenfalls auch im nachhinein ergeben, ohne dass dies auf Behandlungsfehler durch den Beklagten zurückzuführen ist?

- Hätte dem Sachverständigen eine Vernehmung des Zeugen K, dessen dem Gutachter in Kopie zur Verfügung stehende Behandlungsunterlagen dieser als kaum leserlich, unübersichtlich und nur unter Vorbehalt in die Begutachtung einbeziehbar bezeichnet hat, wie auch eine Vernehmung des Zeugen Dr. M weitere und wichtige Anknüpfungstatsachen für sein Gutachten geliefert?

- Waren, soweit die von: Zeugen festgestellten Spalten und Stufen vorhanden waren, die eingegliederten Brücken überhaupt nachbesserungsfähig gewesen oder hätte, wie es der Zeuge Dr. M in seinem Kurzgutachten feststellt, eine Neuanfertigung der Brücken erfolgen müssen? Hätte insoweit eine wertlose Leistung vorgelegen?

- Der Sachverständige Prof. R hat geäußert, die von ihm festgestellten Mängel seien keineswegs für derartig drastische Schmerzen verantwortlich, wie sie vom Klägervertreter in dessen Schriftsatz vom 9.9.1998 geschildert werden; in welchem Ausmaß konnten die Mängel überhaupt Schmerzen verursachen?

- Hinsichtlich einer Gingiva-Rezession an Zahn 2.2 hat der Sachverständige Angaben über das Ausmaß dieser Rezession vermisst und ausgeführt, es sei nicht festzustellen, ob die Entzündung des Zahnfleisches bzw. die Gingiva-Rezession auf die Brückenversorgung an Zahn 2.2 zurückzuführen ist oder ob diese Befunde durch mangelnde Mundhygiene verursacht bzw. begünstigt wurden. Hätten nähere Angaben durch Dr. M oder Dr. K hier zusätzliche Anknüpfungstatsachen geliefert?

All dieser Aufklärungsmöglichkeiten hat sich das Landgericht zu Unrecht verschlössen.

Das Ersturteil beruht auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel.

Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass eine Anhörung bzw. ergänzende schriftliche Befragung des Sachverständigen zu dem Kläger günstigeren, Feststellungen führt.

Zur Durchführung der gebotenen Beweisaufnahme war die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

II.

Für das weitere Verfahren vor dem Landgericht sind zur Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche des Klägers noch folgende, in den Grundzügen bereits im Termin vor dem Senat geäußerten Bemerkungen veranlaßt:

1. Wie bereits der Sachverständige Prof. Dr. R dargelegt hat - insoweit angesichts der vom Landgericht durch eine Befragung des Klägers gewonnenen und dokumentierten Erkenntnisse auch schlüssig und nachvollziehbar -, wurde die Schmerzproblematik des Klägers durch den Klägervertreter und den weiterbehandelnden Zahnarzt erheblich dramatisiert.

Selbst wenn man jedoch die von der Klageseite schriftsätzlich vorgetragenen Beschwerden und Schmerzen des Klägers als wahr unterstellen würde, ist vor dem Hintergrund der hinlänglich bekannten Rechtsprechung auch des Senats das hierfür eingeforderte Schmerzensgeld als exorbitant überzogen anzusehen. Die Klageforderung erscheint unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts als aus einem anderen Rechtskreis stammend.

Mit einem Schmerzensgeldbetrag von - wenn überhaupt - maximal 1.000,-- DM dürfte der Kläger unabhängig vom Ergebnis einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme bestens bedient sein.

2. Hinsichtlich des Umfangs der geltend gemachten materiellen Schadensersatzforderungen des Klägers kann der Senat auch hierzu seine Verwunderung nicht verhehlen.

Der immerhin anwaltlich beratene Kläger scheint auf dem Standpunkt zu stehen, dass ein behaupteter Fehler des beklagten Zahnarztes ihn nicht nur von der Zahlung des entsprechenden Honorars bzw. des auf ihn entfallenden Eigenanteils befreit, sondern dass er darüber hinaus auch seinen Eigenanteil für die nachfolgende Behandlung bei einem anderen Zahnarzt vom Beklagten erstattet bekommt, ihm der behauptete Behandlungsfehler des Beklagten somit eine gänzlich kostenlose Zahnversorgung beschert.

Es sei dahingestellt, ob dieses den Gesetzen der Logik widersprechende Verlangen auf rechtlicher Unkenntnis oder sonstigen Gründen beruht.

Nach dem bisherigen Vortrag der Klageseite kann allenfalls Anspruch auf Erstattung von 1.986,99 DM bestehen.

In rechtlicher Hinsicht ist noch darauf hinzuweisen, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts in seinem Urteil sich die vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien vorliegend ausschließlich nach Dienstvertragsrecht beurteilen. Das Gewährleistungsrecht des Werkvertrages ist lediglich dann anwendbar, soweit eine spezifisch zahnärztliche Heilbehandlung nicht vorliegt, sondern es sich nur um die technische Anfertigung der Prothese handelt (BGH, VersR 75, 347). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

3. Der Feststellungsantrag des Klägers dürfte, sofern der Sachverständige auch nach der ergänzenden Befragung bei seinen bisherigen Ausführungen bleibt, wohl zurückzuweisen sein.

Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. R nämlich zum Ausdruck gebracht, dass, nachdem durch Dr. K die streitgegenständlichen Brücken ausgetauscht wurden, der Kläger jetzt schmerzfrei sei. Der Kläger müsse auch nicht mit künftigen Beschwerden oder Komplikationen rechnen, die der Behandlung durch den Beklagten zuzuordnen wären. Auch wurde, so der Sachverständige R, nicht "die ganze Statik des Oberkiefers durch die vollkommen fehlerhafte Behandlung des Beklagten beeinträchtigt".

4. Das Landgericht wird in seine Prüfung einzubeziehen haben, ob es, wenn sich die Beklagtenseite zu einem Anerkenntnis der Klageforderung in Höhe von ca. 3.000,-- DM entschließen sollte, einer Beweisaufnahme überhaupt noch bedarf.

Die vom Senat im Vergleichsweg angestrebte, in jeder Hinsicht als sachgerecht erscheinende, vom insoweit einsichtigen Kläger persönlich zunächst auch favorisierte und erst nach Intervention durch den Klägervertreter nicht zustande gekommene Lösung könnte auf diese Weise unter Umständen auch ohne weitere Gebühren auslösende (vgl. § 15 BRAGO) Beweisaufnahme erzielt werden.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens waren niederzuschlagen (vgl. Zöller, a.a.O. RdNr. 27 zu § 539 ZPO).

Im übrigen ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.

Das Erstgericht wird in seiner Entscheidung auch über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben (Zöller, a.a.O.).

Gemäß § 546 Abs. 2 ZPO war der Wert der Beschwer festzusetzen. Dieser entspricht bei aufhebenden und zurückverweisenden Urteilen für beide Parteien dem vollen Hauptsachewert (Zöller, a.a.O., RdNr. 12 b zu § 546 ZPO).

Ende der Entscheidung

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