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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 20.09.2001
Aktenzeichen: 1 U 4502/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
1. Die Dokumentation zielt nicht auf Beweissicherung im Haftungsprozeß, sondern dient ausschließlich der medizinischen Seite der Behandlung. Wenn die Dokumentation der Bewahrung von Behandlungsdaten zur Weiterbehandlung durch den dokumentierenden Arzt dient, darf sich dieser einer individuellen Darstellungsform bedienen. Allerdings muss er gegebenenfalls in der Lage sein, Nachbehandlern den Inhalt der Dokumentation zugänglich zu machen. Außerdem ist im Streitfall gegenüber dem Gericht eine plausible Erläuterung der individuellen Darstellung erforderlich.

2. Nicht der behandelnde Gynäkologe sondern der Radiologe als zuständiger Facharzt muss entscheiden, ob die Beurteilbarkeit der Mammographie ausreicht oder durch zusätzliche Maßnahmen verbessert werden muss.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 4502/00

Verkündet am 20.09.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeld

erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.Juli 2001 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 13.07.2000 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Beschwer des Klägers betragt 100.000 DM.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt als Erbe seiner am 28.11.1996 verstorbenen Ehefrau vom Beklagten, der frauenärztlich behandelt hatte, ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 DM aus Arzthaftung.

Am 20.07.1992 stellte der Beklagte in der linken Brust von Knoten fest. Aufgrund dessen erfolgte auf Veranlassung des Beklagten am 23.07.1992 bei dem Radiologe in Trostberg eine Mammographie, die lediglich eine Mastopathie ohne Malignitätsverdacht ergab. Weitere Veranlassungen wurden vom Beklagten nicht getroffen. ... empfahl eine Kontrollmammographie nach Ablauf von circa einem dreiviertel Jahr. Bei einer erneuten Untersuchung am 11.02.1993 stellte der Beklagte einen derben, verschieblichen Knoten in der linken Brust von fest. Am 29.03.1993 erhob der Beklagte einen für ihn verdächtigen Befund in der linken Brust. Die daraufhin veranlaßte Mammographie vom 30.03.1993 war ebenfalls verdächtig. Die Patientin begab sich daraufhin am 31.03.1993 in das Kreiskrankenhaus Traunstein. In der Folgezeit wurde sie in das Universitätsklinikum München-Großhadern überwiesen und dort am 05.04.1993 wegen eines Mammakarzinoms links operiert. Es wurde festgestellt, daß auch fünf von vierzehn mitentfernten Lymphdrüsen bereits kanzerös waren. Trotz anschließender Chemotherapie konnte der Tod der Patientin am 18.11.1996 nicht mehr verhindert werden.

Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, daß der Beklagte bereits aufgrund des Ergebnisses der Mammographie vom 23.07.1992 gehalten gewesen wäre, weitere Untersuchungen, z.B. die Entnahme einer Gewebsprobe oder eine Kernspintomographie, zu veranlassen oder die Patientin zumindest insoweit aufzuklären. Zusätzliche Untersuchungen hätten schon im Sommer 1992 zu der Feststellung geführt, daß an Brustkrebs leide. Dies wiederum hätte die sofortige Einleitung einer adäquaten Therapie mit der Folge nach sich gezogen, daß ohne Brustamputation vollständig geheilt worden wäre. Die Leiden, die ab dem Jahr 1993 bis zu ihrem Tod am 28.11.1996 aufgrund der Behandlungsfehler des Beklagten habe erdulden müssen, rechtfertigten ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 DM.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte hat im ersten Rechtszug

Klageabweisung

beantragt.

Er hat die Ansicht vertreten, daß ihm kein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Die von dem Radiologen am 23.07.1992 durchgeführte Mammographie habe keinen Anhalt für einen bösartigen Tumor ergeben. Auch ansonsten hätten keine Anzeichen für Malignität vorgelegen. Ihm könne weder ein Diagnoseirrtum noch das Unterlassen einer weitergehenden diagnostischen Abklärung zur Last gelegt werden.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. vom 14.12.1998, 03.02.2000 (irrtümlich datiert auf 03.02.1999) und 05.04.2000 sowie durch Anhörung des Sachverständigen am 25.05.2000.

Mit Urteil vom 18.03.1999 hatte das Landgericht Traunstein die Klage erstmals abgewiesen. Mit Urteil vom 18.11.1999 hob der Senat auf die Berufung des Klägers hin das vorgenannte Urteil des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Mit dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 19.07.2000 zugestelltem Urteil vom 13.07.2000, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug gekommen wird, hat das Landgericht Traunstein die Klage erneut abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 18.08.2000 eingegangene und nach Fristverlängerungen am 30.10.2000 begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger macht geltend, es sei unzutreffend, daß der Beklagte wegen der negativen Mammographie vom 23.07.1992 habe davon ausgehen dürfen, daß der von ihm getastete Knoten nicht bösartig sei. Der Sachverständige sei zu Unrecht und aus nicht nachvollziehbaren Gründen von seiner ursprünglichen Ansicht, dass ungeachtet der unverdächtigen Mammographie vom 23.07.1992 eine weitere Abklärung erforderlich gewesen wäre, abgegangen. Eine Kontrolluntersuchung durch den Beklagten nach sieben Monaten sei verspätet und damit behandlungsfehlerhaft gewesen. Ein Zuwarten sei im übrigen auch schon deshalb unzulässig gewesen, da der Beklagte die Größe des getasteten Tumors nicht dokumentiert habe und folglich bei einer Kontrolluntersuchung keinen Größenvergleich habe vornehmen können. Der Beklagte sei im Juli 1992 verpflichtet gewesen, die Ehefrau des Klägers über weitere Diagnosemöglichkeiten und darüber, daß die bisherigen Untersuchungen keine 100 %-ige Sicherheit böten, aufzuklären. Insbesondere habe der Beklagte die Ehefrau des Klägers auch über die Möglichkeit einer Gewebsentnahme und darüber, daß in einem Tumorzentrum eine weitere Abklärung mittels Sonographie bzw. Kernspintomographie möglich sei, unterrichten müssen. Weitere Untersuchungen hätten zur Folge gehabt, daß das Karzinom bereits im Spätsommer bzw. Herbst 1992 diagnostiziert worden wäre. Völlig unhaltbar sei die Auffassung des Landgerichts, daß nicht einmal das Verhalten des Beklagten nach dem Tastbefund vom 11.02.1993 fehlerhaft gewesen ist. Das Landgericht habe auch zu Unrecht die Kausalität verneint. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Primärtumor erstmals zwischen dem 12.02.1993 und dem 05.04.1993 metastasiert habe. Zugunsten des Klägers greife eine Beweislastumkehr ein, da dem Beklagten grobe Behandlungsfehler unterlaufen seien. Auch wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, im Interesse einer besseren mammographischen Beurteilbarkeit die hormonelle Substitutionstherapie auszusetzen, insgesamt hätte eine kunstgerechte Reaktion auf den Tastbefund vom 20.07. und die Mammographie vom 23.07.1992 zu einer früheren Operation mit der Folge, daß eine Metastasierungsgefahr nicht bestanden hätte, geführt. Im übrigen sei wegen der Widersprüche und Meinungswechsel des Sachverständigen und dessen fehlender onkologischer Sachkunde ein weiteres Gutachten zu erholen.

Der Kläger beantragt:

1. Das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 13.07.2000 wird abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, daß er nicht fehlerhaft gehandelt habe, insbesondere ihm keine Befunderhebungs- oder Diagnosefehler unterlaufen seien. Bei erstmaligem Tasten eines Knotens und unauffälliger Mammographie sei es ausreichend gewesen, den Knoten zu beobachten. Eine erneute Untersuchung im Februar 1993 sei in Anbetracht der Vorgeschichte und da es keine verbindlichen Grundregeln über den Zeitraum zwischen zwei Untersuchungen gebe, ordnungsgemäß gewesen. Es stehe auch keinesfalls fest, insoweit könnten nur Spekulationen angestellt werden, ob der im Juli 1992 festgestellte Knoten mit dem später diagnostizierten Primärtumor identisch gewesen sei. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß dies nicht der Fall gewesen sei und folglich zum damaligen Zeitpunkt die Ehefrau des Klägers noch nicht krebskrank gewesen sei. Ein Dokumentationsmangel liege nicht vor. Beweiserleichterungen zu Gunsten des Klägers kämen nicht in Betracht.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Erholung zweier weiterer schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. vom 05.03, und 27.05.2001. Am 12.07.2001 hat der Senat den Sachverständigen angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Im übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze des Klägers vom 30.10.2000 sowie 10.05., 05.07. und 30.07.2001 und auf den Schriftsatz des Beklagten) vom 15.12.2000 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 13.07.2000 war als unbegründet zurückzuweisen, da der verstorbenen Ehefrau des Klägers und damit auch dem Kläger als deren Erben kein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Beklagten zusteht. Der Senat verkennt dabei nicht die Last, die mit der verfahrensgegenständlichen Krankheit für den Kläger und dessen verstorbene Ehefrau verbünden war und ist. Der Senat kann auch nachvollziehen, daß der Kläger Verlauf und Ergebnis der Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau mit Skepsis und Vorbehalten gegenübersteht. Ein Schmerzensgeld konnte der Senat dem Kläger dennoch nicht zusprechen, da der beweispflichtige Kläger einen ursächlichen Behandlungsfehler des Beklagten nicht beweisen kann.

1. a. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Patientin zu einem früheren Termin, etwa nach zwei bis drei Monaten, zu einer Kontrolluntersuchung einzubestellen. Der Sachverständige Dr. Dr. hat überzeugend ausgeführt, daß die Regeln der Heilkunde für die verfahrensgegenständliche Konstellation keine verbindlichen Fristen bis zur nächsten Kontrolluntersuchung vorsehen. Da der Radiologe Dr. eine weitere Mammographie in etwa neun Monaten vorgeschlagen hatte, mußte spätestens zu diesem Zeitpunkt auch eine klinische Nachuntersuchung stattfinden. Darüber hinaus existieren keine harten Kriterien zur Bestimmung des klinischen Kontrolluntersuchungstermins. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Je unsicherer der Arzt über die Diagnose ist, desto früher muß er einen Untersuchungstermin anberaumen. Der Beklagte durfte jedoch aufgrund der erhobenen Befunde - negative Mammographie und keine sonstigen Anzeichen für Malignitat - davon ausgehen, daß der Knoten nicht bösartig ist. Der Knoten war im Gewebe fixiert und könnte schlüssig als mastopathisch interpretiert werden. Folglich ist eine weitere Untersuchung nach etwa einem halben Jahr am 11.02.1993 nicht zu beanstanden.

Der Senat macht sich diese zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen insbesondere aus der Anhörung vom 12.07.2001 zu eigen. Soweit der Sachverständige in früheren Gutachten vorübergehend scheinbar einen anderen Standpunkt vertreten hatte, hat der Sachverständige bereits auf Seite 2 des Gutachtens vom 05.03.2001 (Bl. 277) klargestellt, daß sich seine früheren Ausführungen zur weiteren Diagnostik auf den hier nicht vorliegenden Sachverhalt eines unklaren Tatbefunds bezogen haben. Dies ist im übrigen auch schon aus Seiten 1 bis 5 (Bl. 174 ff.) des Gutachtens vom 03.02.2000 (03.02.1999) ersicchtlich. Augenscheinlich wurde die Prämisse des Sachverständigen, daß sich seine Ausführungen nur auf den hier nicht vorliegenden Fall eines unklaren Tastbefundes beziehen, vom Sachverständigen nicht deutlich genug herausgestellt oder von den Prozeßbeteiligten nicht hinreichend differenziert zur Kenntnis genommen. Jedenfalls hat der Sachverständige dies in der Folgezeit und insbesondere auch bei der Anhörung durch den Senat am 12.07.2001 klargestellt. Der Senat mißt im Zweifel den Ergebnissen der mündlichen Anhörung die entscheidende Bedeutung bei, da bei gleichzeitiger Anwesenheit des Sachverständigen und aller Prozeßbeteiligter durch Wahrnehmung des Fragerechts auf der Basis der bisherigen schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen die beste Gewähr dafür besteht, daß Mißverständnisse und Unklarheiten ausgeräumt werden und der Sachverständige die relevanten Fragestellungen ausschöpft. Letztlich dient die mündliche Anhörung des Sachverständigen gerade auch dazu, Mißverständnisse, die bei schriftlicher Kommunikation zwischen Juristen und Medizinern unterlaufen können, auszuräumen. Anlaß für die Erholung eines weiteren Gutachtens besteht nicht.

b. Selbst wenn der Senat davon ausginge, daß der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, zu einem früheren Zeitpunkt eine Kontrolluntersuchung anzusetzen, könnte der Kläger jedenfalls nicht beweisen, daß sich dies positiv auf den weiteren Krankheitsverlauf ausgewirkt hätte. Der Sachverständige hat mehrfach festgestellt (z.B. Bl. 66, 67/68, 280, 282, 319), daß sich die Frage; ob eine frühere Diagnose des Brustkrebses einen günstigeren Verlauf zur Folge gehabt hätte, nicht beantworten läßt, da der Krankheitsverlauf beim Mammakarzinom oftmals gänzlich unterschiedlich und folglich nicht prognostizierbar ist. Aus diesem Grund kann nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden, ob eine früher durchgeführte Operation den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflußt hätte. Diese Einschätzung scheint auch der Privatgutachter Prof. auf Seite 3 seines Kurzgutachtens vom 04.07.2001 zu teilen.

Mithin würde die Klage insoweit jedenfalls daran scheitern, daß der Kläger nicht beweisen kann, daß sich eine frühere Diagnose der Krebserkrankung im Zuge einer engmaschigeren Nachuntersuchung günstig auf den Krankheitsverlauf ausgewirkt hätte. Da der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen aus den unter a. genannten Gründen schon einen "einfachen" Behandlungsfehler verneint hat, kommt ein die Beweislast umkehrender grober Behandlungsfehler erst recht nicht in Betracht.

c. Die vorgenannten klageabweisenden Gesichtspunkte greifen auch durch soweit die Klage darauf gestützt wird, daß es der Beklagte kunstfehlerhaft unterlassen habe, nach zwei bis drei Monaten weitere Tastbefunde zu erheben.

Aus den unter a. genannten Gründen war es nämlich zum einen nicht fehlerhaft, eine Kontrolluntersuchung erst nach etwa sechs Monaten durchzuführen. Zum anderen würde, selbst wenn der Senat insoweit einen Behandlungsfehler unterstellt, die Haftung des Beklagten wegen unterlassener Befunderhebung daran scheitern, daß ein einschlägiger signifikanter Tastbefund nach etwa zwei bis drei Monaten nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Der Sachverständige hat dargelegt, daß keine zuverlässigen Angaben über die individuelle Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors möglich sind (z.B. Bl. 279, 340). Folglich ist es auch nicht hinreichend wahrscheinlich, daß bei einer Kontrolluntersuchung nach zwei bis drei Monaten eine signifikante Vergrößerung des Tumors feststellbar gewesen wäre. Vielmehr ist und bleibt diese Frage völlig offen. Eher spricht der Umstand, daß der Beklagte zwischen dem 20.07.1992 und dem 11.02.1993 für die Knoten links oben außen keine Größenveränderung dokumentiert hat, dagegen, daß zwei bis drei Monate nach dem 20.07.1992 ein signifikantes Größenwachstum feststellbar gewesen wäre.

Ein grober Befunderhebungsfehler kommt auch hier nicht in Betracht.

2. a. Auch daran, daß nach den Untersuchungen vom 20.07.1992/23.07.1992 vom Beklagten keine weiteren diagnostischen Maßnahmen veranlaßt wurden, knüpft sich keine Haftung. Der Sachverständige hat überzeugend (Bl. 277, 341) ausgeführt, daß zum vorgenannten Zeitpunkt bei negativer Mammographie, unverdächtigem Tastbefund und Fehlen sonstiger Anzeichen für Malignität keine weitere Diagnostik erforderlich war. Kernspintomographie und hochauflösender Ultraschall waren nach den Ausführungen des Sachverständigen 1992 weder technisch so entwickelt wie heute noch standen diese Untersuchungsmethoden in breiter Ebene zur Verfügung (Bl. 341/342, 346). Sie waren folglich seinerzeit auch nicht Facharztstandard (Bl. 346). Der Privatgutachter Prof. teilt diese Einschätzung auf Seite 3 seines Kurzgutachtens vom 25.07.2001 ausdrücklich. Folglich wären im Sommer 1992 zur weiteren Diagnostik nur noch invasive Maßnahmen - Punktation oder Biopsie - in Frage gekommen (Bl. 346), die in Anbetracht der Vorgeschichte, zumal bei einer mastopathischen Brust (Bl. 341), nicht anzuordnen waren.

b. Im übrigen könnte der Kläger auch insoweit aus den unter 1. b. genannten Gründen nicht beweisen, daß weitere Diagnostik im Anschluß an die Untersuchungen vom Juli 1992 den Krankheitsverlauf positiv beeinflußt hätte.

3. a. Ein Dokumentationsmangel kommt nicht in Betracht. Der Beklagte hat auf die diesbezügliche Frage des Senats im Termin vom 12.07.2001, die dem Beklagten vom Senat nicht avisiert worden war, glaubwürdig und schlüssig angegeben, daß er einen "kleinen" Knoten dokumentiert, wenn dessen Durchmesser unter 1 cm liegt. Ein Knoten mit einem Durchmesser über 2 cm wird als "großer" Knoten dokumentiert. Die Dokumentation eines Knotens ohne den Zusatz groß oder klein bedeutet, daß der Durchmesser 1 bis 2 cm beträgt. Der Sachverständige, der im Vorfeld die fehlende Dokumentation der Größe der Knoten durch den Beklagten beanstandet hatte, hat bei der Anhörung vom 12.07.2001 die Dokumentation des Beklagten unter der Prämisse der im Termin vom Beklagten gegebenen vorgenannten Erläuterung als akzeptabel, wenn auch nicht optimal eingestuft (Bl. 345). Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an. Die Dokumentation zielt nicht auf Beweissicherung im Haftungsprozeß, sondern dient ausschließlich der medizinischen Seite der Behandlung, da sie den Informationsfluß zwischen mehreren behandelnden Ärzten bzw. die Aufbewahrung von Behandlungsdaten für die weitere Behandlung durch denselben Arzt sichern soll (Frahm/Nixdorf Arzthaftungsrecht, 1996, Rn. 125; Steffen, Arzthaftungsrecht, Rn. 458 f. jeweils m.w.N.). Folglich muß die Dokumentation auch nicht allgemein verständlich sein. Es reicht vielmehr aus, wenn sie ein Fachmann versteht. Sofern, wie hier, die Dokumentation in allererster Linie der Bewahrung von Behandlungsdaten zur Weiterbehandlung durch denselben Arzt dient, bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß sich dieser einer individuellen Darstellungsform bedient, da die Dokumentation zunächst nur seiner Information dient und es folglich ausreichend ist, wenn er sie versteht. Allerdings muß der Arzt auf Nachfrage in der Lage sein, den Inhalt der Dokumentation Nachbehandlern zugänglich zu machen, sofern diese wider Erwarten auch Belang für andere Ärzte erhält. Außerdem ist im Streitfall die schlüssige Darlegung des Inhalts der Dokumentation gegenüber dem Gericht erforderlich, um etwaige Schutzbehauptungen einer individuellen Verschlüsselung auszuräumen. Der Beklagte hat, wie ausgeführt, dem Senat die Dokumentation der Knotengröße glaubwürdig und schlüssig erläutert.

b. Im übrigen würde die Nichtdokumentation der Knotengröße rechtlich ohnehin nur zu der Vermutung führen, daß der Beklagte die Größe des getasteten Knotens nicht festgestellt hat. Es ist aus den vorgenannten Gründen jedoch nicht ersichtlich, daß dies beweisbar ursächlich für den Krankheitsverlauf gewesen sein könnte.

4. Der Senat schließt sich auch der Einschätzung des Sachverständigen (Bl. 347) an, daß eine Absetzung der Hormonsubsitution zur Verbesserung der mammographischen Beurteilbarkeit vom Beklagten nur zu veranlassen gewesen wäre, wenn der Radiologe, wie hier nicht, dies angeregt oder verlangt hätte. Nicht der Gynäkologe sondern nur der Radiologe als zuständiger Facharzt kann und muß entscheiden, ob die Beurteilbarkeit der Mammographie ausreicht oder durch zusätzliche Maßnahmen verbessert werden muß.

5. a. Nach Einschätzung des Sachverständigen (Bl. 342), der sich der Senat anschließt, war eine Aufklärung der Patientin über weitere diagnostische Maßnahmen nur erforderlich, wenn der Beklagte in seiner Diagnose unsicher war oder nach den Regeln der ärztlichen Kunst hätte unsicher sein müssen. Angesichts einer negativen Mammographie, eines unverdächtigen Tastbefundes und des Fehlens sonstiger Malignitätszeichen durfte der Beklagte bei einer mastopathischen Brust auf seine Diagnose vertrauen. Folglich war er auch nicht gehalten, die Patientin über das Restrisiko und weitere Diagnosemöglichkeiten aufzuklären.

b. Die Klage wäre auch abzuweisen, wenn der Senat davon ausginge, daß der Beklagte im Juli 1992 verpflichtet war, die Ehefrau des Klägers darüber aufzuklären, daß ein bösartiger Tumor mittels der unter a. genannten Kriterien nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könne, folglich ein Restrisiko verbleibe und sich die Patientin für weitere Untersuchungen, etwa im Tumorzentrum einer Universitätsklinik, entschieden hätte.

Der vorgenannte unterstellte Aufklärungsfehler wäre, da es nicht darum geht, dem Arzt die rechtfertigende Einwilligung zu einem Eingriff zu verschaffen, nicht als Aufklärungsfehler im engeren Sinne sondern als Behandlungsfehler, Verletzung einer Beratungspflicht aus dem Behandlungsvertrag, einzustufen. Das Klagebegehren würde letztlich jedenfalls, wie bereits mehrfach ausgeführt, daran scheitern, daß der Kläger nicht beweisen kann, daß sich eine im Zuge einer weiteren Diagnostik erfolgende frühere Feststellung des Krebsleidens positiv auf den weiteren Krankheitsverlauf ausgewirkt hätte. Ein grober Behandlungsfehler kommt nicht in Betracht.

c. Darüber hinaus ist nicht einmal beweisbar, daß weitere Diagnostik überhaupt zur früheren Feststellung des Krebsleidens geführt hätte. Ultraschall und Kernspintomographie hätten nicht zwangsläufig zu einer eindeutigen Krebsdiagnose geführt. Eine Punktation ist nur aussagekräftig, wenn tatsächlich Krebsgewebe getroffen wird (Bl. 313). Ob sich die Patientin sogleich zu einer operativen Entfernung des gesamten Knotens entschlossen hätte, scheint dem Senat in Anbetracht der weitgehend unverdächtigen Vorzeichen zumindest zweifelhaft zu sein. Auch der Kläger scheint dies auf Seite 3 oben seines Schriftsatzes vom 30.07.2001 nicht behaupten zu wollen. Auch der Privatgutachter Prof. befürwortet in seinem Kurzgutachten vom 25.07.2001 eine Entfernung des Knotens lediglich im Zeitraum von drei bis sechs Monaten.

6. Bezüglich etwaiger Versäumnisse des Beklagten im Februar 1993 hat der Sachverständige festgestellt, daß eine operative Behandlung im Februar 1993 statt Anfang April 1993 nichts an der Prognose der Patientin ändert (Bl. 206). Diese Einschätzung teilt der Privatgutachter Prof. auf Seite 2 seines Kurzgutachtens vom 04.07.2001.

Folglich kann das Klagebegehren, abgesehen davon, daß der Sachverständige insoweit einen Behandlungsfehler verneint hat (Bl. 344), nicht darauf gestützt werden, daß der Beklagte, nachdem er am 11.02.1993 einen derben, verschiebbaren Knoten festgestellt hatte, keine weiteren Veranlassungen getroffen hat.

7. Der Senat schließt sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Dr. die dieser nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde unter Zugrundelegung zutreffender Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar, widerspruchsfrei und alle vorgetragenen Argumente gewissenhaft abwägend, in jeder Hinsicht überzeugend begründet hat, an. Der Sachverständige hat klargestellt (Bl. 340/341), daß er, soweit er im Gutachten vom 14.12.1998 eine weitere Abklärung mittels Ultraschall oder Kernspintomographie postuliert hatte, irrtümlich den Facharztstandard von 1998 und nicht, wie es richtig gewesen wäre, denjenigen von 1992 zugrundegelegt hatte. 1992 gehörten Kernspintomographie und Hochfrequenzsonographie, wie bereits ausgeführt, was auch der Privatgutachter Prof. auf Seite 3 seines Kurzgutachtens vom 25.07.2001 ausdrücklich bestätigt, nicht zum Facharztstandard. Auch insoweit ist folglich das Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. nicht widersprüchlich.

Gegen die Sachkunde des Sachverständigen Dr. Dr. bestehen, auch soweit des Fach Onkologie betroffen ist, keine Bedenken. Der Sachverständige hat bekundet, daß er mehrere Jahre leitender Oberarzt der Frauenklinik der Technischen Universität München war und zudem als Oberarzt auf der Privatstation des Chefarztes, der sich schwerpunktmäßig mit Brustkrebs beschäftigt hat, tätig war. Der Sachverständige war als Oberarzt zuständig für die Indikation und Durchführung von Operationen, für diagnostische Maßnahmen und die Entscheidung über systemische Behandlungsmaßnahmen nach der Operation (Bl. 340). Der Sachverständige, der als onkologisch versierter Frauenarzt von der kassenärztlichen Vereinigung anerkannt ist (Bl. 340), verfügt mithin über eine langjährige ärztliche Erfahrung in leitender Position an einer Universitätsklinik auf dem Gebiet der gynäkologischen Onkologie. Seine Sachkunde steht folglich außer Zweifel.

Für die Erholung eines weiteren Gutachtens besteht insgesamt kein Anlaß.

8. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO. Gemäß § 546 Abs. 2 ZPO war der Wert der Beschwer festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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