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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 11.03.2004
Aktenzeichen: 1 W 766/04
Rechtsgebiete: GVG, VwGO, BGB


Vorschriften:

GVG § 13
VwGO § 40
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004
1. Ob eine Streitigkeit dem bürgerlichen Recht zuzuordnen und damit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist (§ 13 GVG), hängt, wenn es an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung fehlt, von der Natur des Rechtsverhältnisses ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist.

2. Das Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe und öffentlich-rechtlich geregelte Zuständigkeiten sind immer ein Indiz für den öffentlich-rechtlichen Charakter auch der Streitigkeit.

Ein Klageanspruch erscheint als öffentlich-rechtlich, wenn der beklagten Behörde ein (auch schlicht-) hoheitliches Handeln abverlangt wird, selbst wenn die Anspruchsgrundlage für sich gesehen privatrechtlicher Natur ist.

3. Das Begehren, dass bestimmte Erschließungsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht werden sollen, die von einer öffentlichen Körperschaft im Rahmen der Daseinsvorsorge durch schlicht hoheitliches Handeln errichtet wurden und einem öffentlichen Zweck dienen, betrifft Fragen der Planung und Anordnung und fällt damit grundsätzlich in den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit.


Aktenzeichen 1 W 766/04

In dem Rechtsstreit

wegen Beseitigung

hier: Entscheidung über den Rechtsweg

erlässt der 1 Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter am 11.3.2004 folgenden

Beschluss:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 29.12.2003 gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 8.12.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unzulässig ist, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1), die Stadt G., richtet; hierfür verbleibt es bei der Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Verwaltungsgericht München.

Für die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nur zum Teil begründet.

1.

Soweit das Landgericht den ordentlichen Rechtsweg nicht für eröffnet ansieht und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen hat, tritt der Senat dieser Entscheidung bei, soweit sie sich auf die Klage gegen die Stadt G. bezieht.

Das Landgericht hat sich in seinem sehr ausführlich begründeten Beschluss eingehend mit den aufgeworfenen Rechtsfragen auseinandergesetzt und ist dabei zu einem überzeugenden, auch der Auffassung des Senats entsprechenden Ergebnis gelangt. Auf die Gründe des landgerichtlichen Beschlusses wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug genommen.

Der Vortrag der Klägerin zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde, der das Landgericht unter Vorlage der Akten an den Senat mit Beschluss vom 14.1.2004 nicht abgeholfen hat, ist insoweit nicht geeignet, zu einer abweichenden Entscheidung zu führen.

Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass für die Frage des Rechtswegs maßgeblich sei, ob die Handlungen der Beklagten hoheitlicher oder privater Natur sind.

Diese Frage kann aber nur im ersteren Sinn beantwortet werden.

Ob eine Streitigkeit dem bürgerlichen Recht zuzuordnen und damit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist (§ 13 GVG), hängt, wenn es an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung fehlt, von der Natur des Rechtsverhältnisses ab, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. BGHZ 114, 1 (5) m. w. N., BGH VersR 1993, 1127).

Dies ist hier nicht der Fall.

Die Klägerin begehrt die Beseitigung von Erschließungsanlagen (Teerdecke, Entwässerungsgraben und eingebrachte Kanalrohre), die von einer öffentlichen Körperschaft im Rahmen der Daseinsvorsorge durch schlicht hoheitliches Handeln errichtet wurden und einem öffentlichen Zweck dienen.

Wenn es auch für den öffentlich-rechtlichen Charakter einer Streitigkeit als Kriterium nicht ausreichend ist, dass eine Maßnahme usw. der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe oder einer öffentlichen Zielsetzung dient, sind das Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe und öffentlich-rechtlich geregelte Zuständigkeiten immer ein Indiz für den öffentlich-rechtlichen Charakter auch der Streitigkeit (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr.12 zu § 40 VwGO).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fällt die Straßenbautätigkeit (Planung, Anordnung und Durchführung) der öffentlich-rechtlichen Körperschaften als Teil der Daseinsvorsorge regelmäßig in den Bereich schlichthoheitlicher Tätigkeit (so bereits BGH VersR 62, 378; BGH VersR 1997, 109). Für die insoweit erforderlich werdenden Entwässerungsmaßnahmen gilt nichts anderes (BGH VersR 1997, 109). Daraus folgt zwar noch nicht, dass alle mit dem Straßenbau zusammenhängenden Maßnahmen, die irgendwie von Behörden veranlasst werden, hoheitlicher Natur seien. Das gilt insbesondere nicht, wenn Arbeiten von privaten Unternehmern selbständig - anders im Falle bindender behördlicher Weisungen - ausgeführt werden (BGHZ 48, 98 (103); 54, 165 (167) = VersR 1970, 953; BGH VersR 63, 1229; VersR 64, 1070 (1072); 67, 859 (861). Dann ist aber regelmäßig die Planung und Anordnung der Arbeiten hoheitliche Tätigkeit (BGH VersR 1973, 962).

Das Begehren der Klägerin, dass bestimmte Erschließungsmaßnahmen wieder rückgängig gemacht werden sollen, betrifft indessen jedoch gerade Fragen der Planung und Anordnung und fällt damit in den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit. Ein Klageanspruch erscheint als öffentlich-rechtlich, wenn der beklagten Behörde ein (auch schlicht-) hoheitliches Handeln abverlangt wird, selbst wenn die Anspruchsgrundlage für sich gesehen privatrechtlicher Natur ist (Eyermann/Fröhler- Rennert, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 32 zu § 40 VwGO).

Unerheblich ist dabei, auf welche Norm der Kläger selbst seinen Anspruch stützt und wie er ihn selbst qualifiziert (Eyermann/Fröhler, a.a.O., RdNr. 35 zu § 40 VwGO; BGH VersR 1993,879 = NJW 1993, 1656).

Öffentlich-rechtlich sind auch - da der Abwehranspruch die gleiche Rechtsqualität hat wie der Eingriff - Klagen auf Unterlassung bzw. Beseitigung von Störungen, Immissionen u.ä., sofern ein unmittelbarer Zusammenhang mit hoheitlichen oder schlicht hoheitlichen Aufgaben oder Tätigkeiten besteht und für die in Frage stehende Handlung zumindest konkludent eine entsprechende öffentlich-rechtliche Befugnis bzw. ein Recht dazu beansprucht wird, was bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, im Zweifel anzunehmen ist (Kopp/Schenke, a.aO., RdNr. 29 zu § 40 VwGO).

Das gilt beispielsweise für Klagen wegen Störungen, die von mit Mitteln des öffentlichen Rechts betriebenen Einrichtungen ausgehen, z.B. für Klagen auf Unterlassung, Unterbindung oder Reduzierung von Bauarbeiten, die von einem öffentlichen Rechtsträger oder einem von diesem beauftragten Unternehmer nicht lediglich aufgrund einer behaupteten privatrechtlichen Befugnis durchgeführt werden, z. B. Straßenbaumaßnahmen im Auftrag eines öffentlichen Rechtsträgers, ebenso Klagen auf Wiederherstellung des durch Maßnahmen eines Hoheitsträgers veränderten früheren Straßenzustandes (Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 29 zu § 40 VwGO, m.w.N.).

Wenn die Klägerin meint, die Beklagte zu 1) könne gar nicht im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Zweckbindung gehandelt haben, da sie selbst davon ausgehe, dass sie gar nicht gehandelt habe, verwechselt die Klägerin die Frage nach der Natur des Rechtsstreits mit der Frage, ob der richtige verklagt ist. Dies hat das zuständige Gericht der ersten Instanz zu klären.

Soweit die Klägerin auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.1.1994 Bezug nimmt (Gz 7 B 198/93 = NJW 1994, 956), in der ausgeführt wird, ausschlaggebend für die Rechtswegfrage sei, ob die öffentliche Sache im Rahmen ihrer öffentlichrechtlichen Zweckbindung genutzt werde oder ob es sich um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb des Widmungszwecks handelt, vermag auch diese Entscheidung die Rechtsmeinung der Klägerin nicht zu stützen. In der Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit einer Nachbarklage wegen des Zeitschlagens von Kirchenglocken auseinander gesetzt und sich dabei der auch von der Beklagten vertretenen Auffassung angeschlossen, dass das Zeitschlagen unter heutigen Lebensbedingungen nicht mehr dem Bereich kirchlicher Tätigkeit zugeordnet werden könne sondern als nichtsakrale Nebenaufgabe privatrechtlich zu beurteilen sei. Dieser Entscheidung ist ohne weiteres beizupflichten.

Der vorliegende Fall weist, wie aufgezeigt, jedoch eine ganz andere Prägung auf.

2.

Hinsichtlich der Klage gegen die nach dem Vortrag der Klägerin an den Baumaßnahmen beteiligten Baufirmen, die Beklagten zu 2) und 3), verbleibt es hingegen bei der Zuständigkeit des Landgerichts.

Insoweit kann nach den obigen Ausführungen keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen.

Die Entscheidung darüber, ob die von der Klägerin auf §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB gestützte Klage gegen zwei private Baufirmen zulässig und begründet ist, muss im ordentlichen Rechtsweg ergehen.

Der Senat weist jedoch darauf hin, dass aufgrund des bisherigen Vortrags der Klägerin und des übrigen Akteninhalts diese Klagen aussichtslos erscheinen dürften.

Die Verwaltung muss sich das Handeln eingeschalteter Privater immer dann wie eigenes zurechnen lassen, wenn sie die Verantwortung für die Aufgabenerledigung nicht aus der Hand geben darf. Das betrifft immer die Eingriffsverwaltung, kann sich aber auch aus anderen Vorschriften ergeben, z.B. aus der Straßenbaulast als öffentlich-rechtlich wahrzunehmender Aufgabe. Das Handeln wird den Privaten daher nicht persönlich, sondern grundsätzlich dem Rechtsträger zugerechnet, in dessen Auftrag sie tätig sind (Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 14a zu § 40 VwGO, m.w.N.)

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.



Ende der Entscheidung

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