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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 15 U 3958/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, AktG


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 448
ZPO § 511
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
BGB § 31
BGB § 288 I
BGB § 291
BGB § 823 Abs. 2
AktG § 400
AktG § 400 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 15 U 3958/05

Verkündet am 24.05.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erläßt der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2006 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.06.2005 dahin abgeändert, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger 10.219,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.05.2001 zu bezahlen.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 47 %, die Beklagten tragen gesamtverbindlich 53 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Wert der Beschwer übersteigt 20.000,-- Euro nicht.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1) als Rechtsnachfolgerin und von den Beklagten zu 2) und 3) als ehemalige Vorstände der ... Schadensersatz wegen der von ihm am 28.08.2000 und am 03.11.2000 erworbenen Aktien des Unternehmens aufgrund unrichtiger ...-Mitteilungen der Gesellschaft.

Er hatte am 28.08.2000 200 Aktien zum Kurs von 54,29 Euro - mit Spesen insgesamt 10.993,73 Euro - und am 03.11.2000 300 Aktien zum Kurs von 34,-- Euro - mit Gebühren insgesamt 10.327,50 Euro - erworben. Nach Verkauf der Aktien am 26.07.2001 macht er für den Aktienkauf vom 28.08.2000 einen Schaden von 10.219,53 Euro (10.993,73 Euro - 774,20 Euro) und für den Aktienkauf vom 03.11.2000 einen Schaden von 9.166,20 Euro (10.327,50 Euro - 1.161,30 Euro) geltend.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Nach erstinstanzlicher Klageabweisung hat der Kläger in der Berufungsinstanz beantragt,

unter Aufhebung des Ersturteils die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Euro 19.385,72 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten und der Nebenintervenient beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluß vom 03.05.2006 den Zeugen ... und gemäß Beweisbeschluß vom 22.02.2006, ergänzt durch Beschluß vom 03.05.2006, den Kläger als Partei vernommen.

Der Vertreter der Beklagten zu 1) hat im Schriftsatz vom 17.05.2006 für den Fall einer Verurteilung beantragt, den Rechtsstreit bis zu einer Entscheidung über die gestellten Musterfeststellungsanträge in Parallelverfahren nach § 148 ZPO auszusetzen. Er regt für den Fall, daß eine Aussetzung im Hinblick auf die nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz durchzuführenden Parallelverfahren nicht erfolgt, Zulassung der Revision an.

II.

Die gemäß §§ 511, 517, 519, 520 ZPO statthafte und zulässige Berufung ist zum Teil begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1) nach §§ 31, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG sowie gegen die Beklagten zu 2) und 3) gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 I Nr. 1 AktG als Gesamtschuldner (§ 840 I BGB) ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 10.219,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach §§ 291, 288 I BGB zu.

Wie das Erstgericht geht der Senat davon aus, daß die ...-Mitteilung vom 24.08.2000 (Anlage K 5) den Anforderungen an das Vorliegen einer Darstellung im Sinne des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG genügt und unrichtig ist.

§ 400 AktG soll nicht nur im Allgemeininteresse die Wahrheit und Klarheit der abgegebenen Erklärungen des Unternehmens sicherstellen, sondern auch die Individualinteressen des von ihm geschützten Personenkreises gewährleisten. Die Regelung stellt deshalb ein Schutzgesetz im Sinn von § 823 II BGB dar, wenn einer seiner Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt wird (BGH, NJW 2005, 1270; BGHZ 160, 149; Schaal in MünchKomm, AktG 2006, § 400 Rn. 3). Nach § 400 I Nr. 1 AktG ist mit Strafe bedroht, wer als Mitglied des Vorstands die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen über den Vermögensstand unrichtig wiedergibt oder verschleiert. Eine Darstellung über den Vermögensstand sind Berichte jeder Art, in denen der Vermögensstand der Gesellschaft so umfassend wiedergegeben ist, daß sie ein Gesamtbild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ermöglichen und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken (Schaal in MünchKomm, AktG, §400 Rn. 21). § 400 AktG soll allen an der Gesellschaft interessierten Personen die Möglichkeit geben, die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft anhand der Informationen zu kontrollieren. Der Schutzbereich dieser Vorschrift erstreckt sich deshalb nicht nur auf einen bestimmten Vermögensstand, sondern auch auf die Ertragslage der Gesellschaft sowie auf weitere Beurteilungsfaktoren für deren künftige wirtschaftliche Entwicklung (Fuhrmann in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG 1994, § 400 Rn. 16). Die ...-Mitteilung vom 24.08.2000, die von den Beklagten zu 2) und 3) unstreitig herausgegeben wurde, betrifft die Konzern-Halbjahreszahlen, weist insbesondere aus die Steigerung des Konzernumsatzes zum 30.06.2000 um ca. 195% unter Einschluß der erworbenen Beteiligungen sowie einen Anstieg des Nettoergebnisses der Gruppe um 132,8 %, was im einzelnen näher dargelegt ist. Im Kern wurden hier die Ergebnisse der Gewinn- und Verlustrechnung zum Stand 30.06.2000 wiedergegeben. Auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2004 (1 StR 420/03) wird hierzu Bezug genommen, ebenso auf die in diesem Urteil enthaltenen Feststellungen zur Unrichtigkeit der Zahlen (BGHSt 49, 381). So waren die Zahlen schon deshalb unrichtig, weil der Umsatz aus dem Lizenzvertrag in Höhe von 60 Mio. DM zu Unrecht in die Halbjahreszahlung eingestellt wurde, da dieser Vertrag erst nach dem 30.06.2000 geschlossen wurde und damit das erste Halbjahr 2000 nicht betraf. Auch hinsichtlich des Einbezugs der Zahlen der ... war die Mitteilung unrichtig, sie erweckte den Eindruck, als sei der gesamte Umsatz der ... im ersten Halbjahr zu 50 % dem ... zuzuschlagen, wobei verschwiegen wurde, daß die 50 %ige Beteiligung an der ... erst zum 12.05.2000 erfolgte. Die Richtigkeit dieser Feststellungen wird von den Beklagten auch gar nicht bestritten.

Daß die Darstellung in Form einer ...-Mitteilung erfolgte, ist unerheblich, da es auf die Form nicht ankommt. Entscheidend ist, daß in der Darstellung die wesentlichen Änderungen zum letzten Jahresabschluß enthalten sind.

Der Senat hat den Zeugen ... zur Kausalität der ...-Mitteilung vom 24.08.2000 für den Aktienkauf vom 28.08.2000 vernommen. Aufgrund der Angaben des Zeugen ergab sich eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit hierfür, so daß nach § 448 ZPO der Senat die Vernehmung des Klägers als Partei anordnete. Nach dem Beweisergebnis ist der Senat bei Berücksichtigung des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der ...-Mitteilung und dem Aktienkauf überzeugt, daß der Kläger durch diese zum Kauf veranlaßt wurde.

Der Zeuge ... hat ausgesagt, er habe im August 2000 kurz vor dem dann tatsächlich stattgefundenen Aktienkauf den Kläger angerufen und ihm unter Hinweis auf die ...-Mitteilung vom 24.08.2000 den Kauf der Aktie empfohlen. Er selbst habe im August 2000 eine Kaufempfehlung von Analysten der ... bekommen und dann die ...-Mitteilung zu den Halbjahreszahlen über ... erhalten. Diese habe eine sehr positive Umsatzsteigerung und ein verbessertes Ergebnis ausgewiesen mit den enthaltenen Zahlen zu den erworbenen Unternehmen ....

Er habe dem Kläger die ...-Mitteilung nicht wörtlich vorgelesen, sondern die wesentlichen Punkte erläutert. Der Kläger habe sodann erklärt, er werde selbst recherchieren. Kurz danach habe er ihn zurückgerufen und Kaufauftrag erteilt. Der Zeuge ... hat glaubhaft und sachlich bekundet, daß er die ...-Mitteilung vom 24.08.2000 selbst eingesehen und wesentliche Punkte dem Kläger übermittelt hatte. Er bestätigt auch, daß der Kläger die ...-Mitteilung noch selbst recherchieren wollte und ihn dann zurückrief und Kaufauftrag erteilte. Sowohl vom Inhalt der Zahlen als auch vom zeitlichen Zusammenhang besteht auch kein Zweifel, daß es sich bei der ...-Mitteilung um die vom 24.08.2000 handelte, von der bei der Kaufempfehlung die Rede war. Der Zeuge hat zu der ihm vorgelegten Ablichtung (Anläge K 5) erklärt, daß es sich um diese ...-Mitteilung handeln dürfte. Hierzu übereinstimmend erklärte der Kläger, der wahrend der Vernehmung des Zeugen den Sitzungssaal verlassen hatte, bei seiner Vernehmung als Partei, daß der Zeuge ... ihm die ...-Mitteilung auszugsweise vorgelesen hatte. Er habe sodann im Internet recherchiert und die Mitteilung im Volltext gelesen. Sodann habe er etwa eine halbe Stunde später am gleichen Tag, es müßte der 27. oder 28.08.2000 gewesen sein, den Zeugen zurückgerufen und erklärt: "Okay, wir kaufen". Zum Kauf sei er aufgrund der gesamten Mitteilung, insbesondere des Umsatz- und Gewinnwachstums, das prozentual zu den Vorjahreszahlen angegeben gewesen sei, bewegt worden. Einen sehr hohen Umsatzanteil habe die ... Beteiligung gehabt. Besonders positiv habe er den großen Gewinn im Verhältnis zum Umsatz bewertet. Diese Angaben sind sachlich und in sich stimmig. Der Senat hat keinerlei Zweifel daran, daß der Kläger die ...-Mitteilung selbst gelesen und beurteilt hat. Seine Aussage wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß er am 03.11.2000 einen zweiten Aktienkauf tätigte, nachdem die Meldung korrigiert und der Kurs gefallen war. Der Kläger erklärt dies nachvollziehbar damit, daß ihm der Zeuge ... diesen Kauf mit der Begründung empfohlen habe, daß die Korrekturmitteilung vom 09.10.2000 aus Sicht der Analysten der ... keine wesentlichen Änderungen gebracht habe und die Researchanalyse Kurssteigerungen in Aussicht gestellt habe. Der Kurs sei nach der Korrekturmeldung nach unten gegangen, dann aber in den Dreißigerzahlen wieder leicht gestiegen. Er habe deshalb gemeint, daß sich der Kurs konsolidiert hätte.

Im übrigen bleibt es bei der Klageabweisung. Der zweite Aktienkauf vom 03.11.2000 erfolgte nach Kursverlust und der Korrekturmitteilung vom 09.10.2000, so daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß die ...-Mitteilung vom 24.08.2000 noch mitursächlich für die Kaufentscheidung war, nicht mehr bestand. Die Vernehmung des Klägers als Partei zu diesem Kauf kam somit nicht in Betracht. Die Kausalität ist nicht nachgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da es um die Wertung einer konkreten Mitteilung als Darstellung im Sinne des § 400 I Nr. 1 AktG geht. Daß ein Musterentscheid nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz angestrebt wird, kann nicht, wie der Vertreter der Beklagten zu 1) hilfsweise beantragt, zur Aussetzung dieses Verfahrens führen. Die Sache ist in zweiter Instanz nach Beweisaufnahme entscheidungsreif. Nach § 300 I ZPO hat deshalb Endurteil zu ergehen. Die Aussetzung eines entscheidungsreifen Verfahrens ist unzulässig (Zöller, 25. Aufl., § 148 ZPO Rn. 4).

Ende der Entscheidung

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