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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 22.10.2003
Aktenzeichen: 21 U 2540/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 823
ZPO § 287
ZPO § 513
1. Beschränkte Nachprüfbarkeit einer Entscheidung der 1. Instanz zur Höhe einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach neuem Berufungsrecht.

2. Eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro für die Veröffentlichung eines Fotos des Betreuers eines Straftäters in Verwechslung mit dem Täter liegt im Rahmen des landgerichtlichen Ermessens i.S. von § 287 ZPO.

3. Wird das Verlangen auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung wegen Versäumung der Aktualitätsgrenze abgewiesen, dann besteht kein Anspruch des Betroffenen gegen das Presseunternehmen auf Ersatz der vergeblich aufgewendeten Anwaltskosten für die Geltendmachung der Gegendarstellung.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 21 U 2540/03

Verkündet am 22. Oktober 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Seitz und die Richter am Oberlandesgericht Schmidt und Dr. Lechner aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2003 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I, 21. Zivilkammer, vom 26.2.2003 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Der Kläger macht einen Anspruch daraus geltend, dass die von der Beklagten verlegte Zeitung einen Bericht über die Tat eines Geisteskranken ("Geisteskranker verprügelte Rentnerin auf dem Friedhof") mit einem Foto des Klägers, des Betreuers des Täters (§ 1896 BGB), versah. Nach Abdruck einer Berichtigung in dem selben Blatt verlangte der Kläger in erster Instanz Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Erstattung der Anwaltskosten für die versuchte Durchsetzung eines Gegendarstellungsanspruchs. Die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge ergeben sich aus dem Protokoll. Im übrigen wird von einer Darstellung des Tatbestandes gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Gründe:

Der Senat hält die Auffassung des Landgerichts für zutreffend und nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug. In der für ein Berufungsurteil gesetzlich vorgeschriebenen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. ZPO) und auch zulässigen (BVerfG NJW 1996, 2785; 1999, 1387/1388) Kürze - die sich auch daraus erklärt, dass die Sache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat umfassend diskutiert wurde (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 313,Rn. 27) - ist ergänzend folgendes auszuführen:

1. Zur Geldentschädigung:

Nach § 513 ZPO n.F. kann die Berufung nur noch darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung f§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Damit ist die Handhabung des Erstgerichts bei Ermessensentscheidungen, zu denen auch die Festlegung der Höhe einer Geldentschädigung für einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gehört, einer Nachprüfung durch das Berufungsgericht im allgemeinen entzogen. Wie im Revisionsrecht ist aber weiterhin zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorgelegen haben, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt worden ist, ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden und ob alle wesentlichen Umstände Beachtung gefunden haben (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl., § 287 Rn. 11 a.E.; Zöller/Gummer, ZPO 23. Auflage, § 510 Rn. 2 i.V. mit § 546 Rn. 14).

Daran gemessen begegnet das Urteil des Landgerichts keinen Bedenken. Insbesondere hat es alle wesentlichen Aspekte umfassend gewürdigt und ist auch mit der Höhe der Geldentschädigung im vorgegebenen Rahmen geblieben. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (NJW 1997, 1375 - Schweigen der Hirten) betraf auch aus Sicht des Senats einen deutlich schwerwiegenderen Fall. Dort ging es um die Veröffentlichung eines Fotos des Klägers in der Größe 10 x 23 cm in Verbindung mit der unwahren Behauptung, er habe sich als Priester Verfehlungen gegenüber Minderjährigen zuschulden kommen lassen; der Bericht stand in einer bundesweit vertriebenen Zeitschrift mit einer Auflage von über 1,5 Millionen Exemplaren. Der vom Landgericht im vorliegenden Fall zugesprochene Betrag liegt in dem Bereich der Rechtsprechung des Senats in etwa vergleichbaren Fällen (vgl. etwa Senat, U.v. 12.2.1999, Aktenzeichen 21 U 6286/98 - Ehefrau, nicht veröffentlicht; vgl. auch KG U.v. 26.2.1988, dargestellt bei Schulze/Stippler-Birk, Schmerzensgeldhöhe in Presse- und Medienprozessen, 1932, S. 65). Die Entscheidung des BGH vom 5.1.1962 (GRUR 1962, 324 = NJW 1962, 1004 - Doppelmörder) dürfte wohl eher nicht mehr als aktuell anzusehen sein. Dort wurde im Zusammenhang mit dem Bericht in einer "Kinoreportage" über einen Mord das Foto eines Seemanns in einer Weise (durch Aufnahme zerteilter Zeitungsausschnitte) gezeigt, die ihn als Täter oder Beteiligten darstellte, der aber mit der Tat nichts zu tun hatte. Dem Betroffenen wurde damals eine Geldentschädigung von nur 1.000 DM zugesprochen.

2. Zu den Anwaltskosten:

Das Landgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats der Anspruch auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung im Bereich des bayerischen Pressegesetzes so rechtzeitig geltend gemacht werden muss, dass er vom Erstgericht bei der gebotenen zügigen Terminierung noch innerhalb der Aktualitätsgrenze verhandelt und entschieden werden kann. Die Aktualitätsgrenze liegt bei Tageszeitungen etwa bei vier Wochen, bezogen auf Artikel von durchschnittlicher Bedeutung (Senat, AfP 1998, 86 = NJW-RR 1998, 26 - Matratzenschlacht; AfP 1999, 772 = OLGR 1998, 297 - Birgenair; AfP 2001, 216 = ZUM-RD 2000, 428 - Schweigen ist Silber; AfP 2001, 137 = NJW-RR 2001, 832 - Zwang zum freiwilligen Rücktritt; AfP 2003, 165 = NJW-RR 2002, 1271 - SterniPark; OLGR 2002, 403 - Patenschaftsabos). Diese Grenze ergibt sich daraus, dass die Gegendarstellung dem Leser noch zu einem Zeitpunkt präsentiert werden muss, zu dem ihm die Ausgangsmitteilung noch im Gedächtnis ist. Die Aktualitätsgrenze dient damit dem Leser, aber auch dem Betroffenen. Die Gegendarstellung kann) nur im Bereich der Aktualitätsgrenze ihre Wirkung entfalten. Eine spätere Verurteilung kann allenfalls dem Genugtuungsbedürfnis des Betroffenen dienen; das ist aber weder ihr Zweck noch ihr Ziel. Eine Gegendarstellung, die nur oder vornehmlich diesen Zweck verfolgt kann - das muss im Einzelfall entschieden werden - als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Daran gemessen war das Gegendarstellungsverlangen hier deutlich verspätet, denn es ist erst fast vier Wochen nach der Veröffentlichung des Bildes, auf die es für den Beginn der Frist allein ankommt, bei der Beklagten eingegangen. Eine gerichtliche Verhandlung und Entscheidung innerhalb der Aktualitätsgrenze war bei diesem Zeitverlauf von vorneherein ausgeschlossen. Der Anspruch auf Gegendarstellung war somit zur Zeit seiner Geltendmachung gegenüber der Beklagten bereits erloschen. Auf die Bedenken des Senats hinsichtlich der Überschrift des Gegendarstellungsverlangens kommt es daher nicht mehr an. Kostenerstattung für das Geltendmachen eines erloschenen Anspruchs kann unter dem Gesichtspunkt des Verzuges nicht verlangt werden. Die erste Aufforderung zum Abdruck einer Gegendarstellung wurde so spät abgesandt, das die Frist nach der Rechtsprechung des Senats nicht mehr einzuhalten war. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht deshalb nicht, weil wegen Überschreitung der Aktualitätsgrenze ein zu ersetzender Schaden nicht gegeben ist. Dieser könnte - so ist er auch geltend gemacht - nur in den Anwaltskosten für die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs bestehen. Mit diesen Kosten kann der Kläger nicht zum Nachteil der Beklagten belastet werden. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die Frist aus Verschulden des Anwalts oder aus eigenem Verschulden des Klägers versäumt wurde. Hat sie der Anwalt verschuldet, so steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung nicht zu. Liegt ein Verschulden des Klägers vor, so konnte er aus diesem Grund nicht einen Anwalt zu Lasten der Beklagten beauftragen. Darauf, dass dieser Anspruch, als Teil eines Anspruchs aus einem einheitlichen Mandat, wohl anders berechnet werden müsste, kommt es nach alledem nicht mehr an. Der Senat hat diese Frage zur Höhe eines Anspruchs aus den dargelegten Gründen, die zum Ausschluss eines Anspruchs führen, nicht mehr angesprochen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Ende der Entscheidung

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