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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 11.11.2002
Aktenzeichen: 21 W 1991/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 890
1. Zur Frage, ob eine untersagte Äußerung im Online-Archiv des Unterlassungsschuldners verbleiben darf.

2. Die bloße einmalige Anweisung an den Systemadministrator, eine Äußerung zu löschen, genügt zum Ausschluss der Verantwortung aus § 890 ZPO nicht; damit hat der Schuldner nicht die ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen, seiner Verpflichtung nachzukommen. Der Schuldner hat sich zu vergewissern, ob seiner Anweisung Folge geleistet wurde.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 21 W 1991/02

In dem Rechtsstreit

wegen Unterlassung hier: Ordnungsmitteln

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den unterzeichnenden Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung am 11. November 2002

folgenden

Beschluß

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluß des Landgerichts München I 30. Zivilkammer vom 31.05.2002 (Aktenzeichen: 30 0 21972/00) dahin abgeändert, daß gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro, ersatzweise Ordnungshaft von 5 Tagen, zu vollziehen in Person ihres Geschäftsführers C. B., festgesetzt wird.

II. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens.

III. Der Beschwerdewert wird auf 15.000,-- Euro festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Schuldnerin wurde durch Urteil des Landgerichts München I vom 08.06.2001 verurteilt zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß Werbefirmen aufzufordern oder auffordern zu lassen, keine Werbemittel mit Werbung für das Gedankengut von Scientology auf Werbeträgern zu veröffentlichen, wenn diese Aufforderung mit der Ankündigung verbunden ist, die Namen der Werbefirmen zu veröffentlichen, welche dieser Aufforderung der Beklagten keine Folge leisten. Dem Verbot lag die Pressemitteilung der Schuldnerin vom 22.08.2000 mit der Überschrift "Scientology wirbt wieder öffentlich in München - Junge Union veröffentlicht ab sofort immer die Namen der Werbefirmen und ruft zum Boykott auf", die auch auf der Homepage der Schuldnerin unter "Pressemeldungen" veröffentlicht wurde.

Ab Juli 2001 enthielt die Aufstellung "Pressemeldungen der Jungen Union München" auf der Internetseite der Schuldnerin nicht mehr die beanstandete Pressemitteilung selbst, jedoch gegen Ende der Aufstellung u. a. "Pressemeldungen von 2000 - Archiv 02.01.2001", wo die beanstandete Pressemitteilung unverändert weiterhin veröffentlicht wurde.

Den deshalb gestellten Antrag der Gläubigerin, gegen die Schuldnerin ein Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO zu verhängen, wies das Landgericht zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Gläubigerin.

Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf den angefochtenen Beschluß vom 31.05.2002 Bezug genommen.

II.

Die statthafte und zulässige (§§ 793, 567, 569 ZPO) sofortige Beschwerde ist begründet.

Es liegt eine Zuwiderhandlung der Schuldnerin gegen den Verbotstenor im Sinne von § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor. Die erforderliche Androhung des Ordnungsmittels (§ 890 Abs. 2 ZPO) ist in dem Urteil vom 08.06.2001 enthalten.

a) Ob ein Schuldner gegen ein gerichtliches Äußerungsverbot verstoßen hat, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Verbotstenors. Maßgebend sind allein der Wortlaut der Entscheidungsformel und der sich aus ihr ergebene Wort- und Satzsinn (Senat, Beschluß vom 09.03.1995, OLGR München 1995, 165; Pastor, die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 3. Aufl., Seite 166). Auch ohne ausdrücklichen Ausspruch kann sich der Schuldner nicht durch jede Änderung der Verbotshandlung oder Verbotsbehauptung dem Unterlassungstitel entziehen. Vom Schutzumfang des Unterlassungstitels werden auch alle Handlungen und Behauptungen erfasst, die im Verkehr als gleichwertig angesehen werden oder die mit der im Tenor beschriebenen Handlung oder Behauptung im Kern übereinstimmen, die Abweichungen also den Kern der verbotenen Handlung oder Behauptung unberührt lassen.

Dabei ist für eine in einem Druckwerk enthaltene Äußerung das Verständnis des Druchschnittslesers als Erklärungsempfänger maßgebend. Nichts anderes kann für Veröffentlichungen im Internet gelten. Hier ist das Verständnis des durchschnittlichen Lesers der entsprechenden Seite von entscheidender Bedeutung (Senat, Beschluß vom 01.03.2001, AfP 2001, 322).

Das Urteil vom 08.06.2001 untersagte der Schuldnerin, "wörtlich oder sinngemäß" Werbefirmen aufzufordern "oder auffordern zu lassen", keine Werbemittel mit Werbung für das Gedankengut von Scientology auf Werbeträgern zu veröffentlichen, wenn die Aufforderung mit der dort genannten Ankündigung verbunden ist. Daß dieser Aufforderungs-Tatbestand durch die Veröffentlichung der beanstandeten Pressemitteilung - auch im Internet - erfüllt wird, folgt bereits aus den Urteilen des Landgerichts vom 08.06.2001 und des Senats vom 30.11.2001. Hierauf wird Bezug genommen. Dies war im übrigen auch der Schuldnerin klar, wie sich aus ihrem Vortrag vom 24.06.2002 (Bl. 201 d. A.) und ihrer Löschungsanweisung ergibt.

Die Pressemitteilung war weiterhin den Internetnutzern zugänglich. Dies stellt einen objektiven Verstoß gegen das Unterlassungsurteil dar. Das Verbot, eine Behauptung zu unterlassen, umfasst auch das aktive Handeln, um eine Veränderung zu bewirken. Aus der Sicht des durchschnittlichen Empfängers der unter "Pressemeldungen von 2000 - Archiv 02.01.2001" enthaltenen Äußerung - des Lesers der Internetseite - handelt es sich um ein gleichwertiges Aufstellen und Verbreiten der untersagten Behauptung. Die Aufnahme der verbotenen Pressemeldung in die "Pressemeldungen von 2000 - Archiv 02.01.2001" erklärt sich für den Durchschnittsleser zwanglos mit bloßer zeitlicher Zuordnung. Dafür aber, daß diese auch von ihrem Inhalt her keineswegs überholte Pressemitteilung nicht mehr gültig sein soll und von der Schuldnerin nicht mehr aufrechterhalten wird, findet sich auf der Internetseite der Schuldnerin keinerlei Hinweis. Es handelt sich nicht um eine bloße Archivierung ausschließlich referierenden Charakters (vgl. Senat AfP 2001, 322), etwa aus rein historischen Zwecken ohne Aktualitätsbezug.

Hinzu kommt, ohne daß es dessen noch bedürfte, die weitere Pressemitteilung der Schuldnerin vom 29.11.2001, die sich unstreitig (mindestens) noch am 31.12.2001, trotz Erlasses des das Ersturteil bestätigenden Senatsurteils vom 30.11.2001, auf der Homepage der Schuldnerin befunden hat. Die Beschwerde kann auf neue Angriffsmittel gestützt werden (§ 571 Abs. 2 ZPO). Die Pressemeldung vom 29.11.2001 erweckt bei dem Durchschnittsleser den falschen Eindruck, als sei die Gläubigerin im ersten Rechtszug unterlegen ("... wollte mit einer Klage ... verhindern"). Die Schuldnerin beharrt darin trotz des landgerichtlichen Unterlassungsurteils vom 08.06.2001 dem Sinne nach auf dem verbotenen Boykottaufruf ("Das Recht wird dem Unrecht nicht weichen"). Die neuerliche Pressemitteilung stellt zusätzlich eine Aktualisierung der "archivierten" verbotenen Pressemeldung vom 22.08.2000 dar und macht auf diese zusätzlich aufmerksam. Bei dem Leser wird dadurch der Eindruck verstärkt, der - verbotene - Boykottaufruf vom 22.08.2000 gelte nach wie vor und sei rechtmäßig.

b) Auch wenn zu Gunsten der Schuldnerin unterstellt wird, daß ihr damaliger Vorsitzender den Systemadministrator im Juli 2001 angewiesen hat, die Pressemitteilungen im Zusammenhang mit Scientology von der Homepage zu löschen und dieser versehentlich die Löschung aus dem Archiv vergessen hat (Schriftsatz der Schuldnerin vom 25.04.2002), trifft die Schuldnerin an der Zuwiderhandlung ein Verschulden. Mit der bloßen, einmaligen Anweisung an den Systemadministrator hat die Schuldnerin nicht die ihr möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

Der Verstoß gegen das Unterlassungsgebot fällt in den Verantwortungsbereich des im Unterlassungsurteil bezeichneten Geschäftsführers der Schuldnerin.

Der Vertreter der Schuldnerin hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außerachtgelassen, indem er sich nicht ausreichend darüber vergewissert hat, daß die beanstandete Pressemitteilung auf der Internetseite der Schuldnerin gelöscht ist. Er hätte selbst die "Pressemeldungen von 2000 - Archiv 02.01.2001" darauf überprüfen müssen, ob darin die beanstandete Pressemitteilung vom 22.08.2000 noch enthalten ist. Dies wäre ihm - auch ohne besondere Kenntnisse über das Internet und ohne "Nachforschungen des Systemadministrators" - ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen. In der - aktuellen - Auflistung "Pressemeldungen der Jungen Union München" wird auf der Internetseite ebenso deutlich auf jene Pressemeldungen "von 2000" hingewiesen. Diese sodann aufzuschlagen und auf das Vorhandensein der beanstandeten Pressemeldung vom 22.08.2000 zu überprüfen, drängte sich geradezu auf und ist im vorliegenden Fall auch ohne weitere Vorkenntnisse leicht durchführbar. Der verantwortliche Vertreter der Schuldnerin hat sich Gewissheit über die Veröffentlichungen seiner Organisation im Internet zu verschaffen und für das Unterlassen der weiteren Verbreitung der untersagten Äußerung ausreichend zu sorgen (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rn. 12.134). Gegen diese Verpflichtung wurde fahrlässig verstoßen.

c) Die Höhe des Ordnungsgeldes wird in Anwendung von § 287 ZPO - der hier entsprechend gilt, weil § 890 ZPO nur einen Rahmen vorgibt - auf 1.000,-- Euro bestimmt.

Die Schuldnerin hat fahrlässig gehandelt. Allerdings wird dieser mildernde Gesichtspunkt eingeschränkt durch die neuerliche Pressemitteilung der Schuldnerin vom 29.11.2001. Ferner ist berücksichtigt, daß es sich um einen ersten Verstoß handelt, allerdings einen solchen mit Dauerwirkung über einen nicht unerheblichen Zeitraum. Jedoch ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 890 Rn. 39). Es geht hier in erster Linie darum, daß die Schuldnerin nicht alles getan hat, um das Unterlassungsurteil intern effektiv umzusetzen. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Schuldnerin nur über verhältnismäßig geringe Einnahmen verfügt. Anderseits muß ein Ordnungsgeld der Höhe nach so festgesetzt werden, daß es geeignet ist, den Titel durchzusetzen. Bei dem Boykottaufruf handelt es sich um einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Gläubigerin. Je schwerer der Eingriff ist, um so mehr muß getan werden, um einem Unterlassungstitel Folge zu leisten.

d) Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO. Diejenige über den Wert der Beschwer beruht auf § 3 ZPO. Entscheidend hierfür ist das Interesse der Gläubigerin, den Verbotstenor durchzusetzen, nicht die Höhe des Ordnungsgeldes (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 890 Rn. 26). Jenes Interesse wird auf 15.000,-- Euro geschätzt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die weder der Rechtsfortbildung noch der Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung dienen kann.

Ende der Entscheidung

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