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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 21 W 3174/00
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 1004
GG Art. 1
GG Art. 2
GG Art. 5
Verbot von Äußerungen in einem Rechtsstreit durch einstweilige Verfügung

§§ 823, 1004 BGB; Art. 1, 2, 5 GG

1. Grundsätzlich darf ein Verfahrensbeteiligter in einem Rechtsstreit "im Kampf um das Recht" auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen (hier: psychisch krank, geistesgestört u.a.), um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Die Art und Weise des Vortrags muss aber auf die Ehre des Betroffenen Rücksicht nehmen.

2. Ehrverletzende Äußerungen in einem Rechtsstreit, die lediglich der Stimmungsmache dienen, sind nicht von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt; dies gilt erst recht für Behauptungen über Dritte, die am Rechtsstreit nicht beteiligt sind.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 21 W 3174/00 23 O 20673/00 LG München I

In dem Rechtsstreit

wegen einstweiliger Verfügung

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 19. Dezember 2000 folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Landgerichts München I, 23. Zivilkammer, vom 6.11.2000 in Nrn. I, II des Entscheidungssatzes aufgehoben.

Der Antragsgegner hat es zu unterlassen, in dem laufenden gerichtlichen Verfahren - 5 O 5929/00 - LG München II Y M gegen Dr. B R wörtlich oder sinngemäß die Behauptungen aufzustellen:

Bei dem Antragsteller handele es sich um eine psychisch kranke Person, die zumindest partiell geschäftsunfähig und damit auch nicht postulationsfähig sei; er sei geistesgestört.

Der Antragsgegner sei in Besitz eines Beschlusses des 5. Zivilsenats des OLG München, wonach der Antragsgegner dann, wenn der Antragsteller gegen ihn als Anwalt auftrete, sofort dessen psychiatrische Untersuchung beantragen könne.

II. Dem Antragsgegner wird angedroht, daß für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer I. ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 50.000,- DM und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 1 Monat festgesetzt werden kann.

III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

IV. Der Beschwerdewert wird auf DM 50.000,- festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§ 567 Abs. 1 ZPO) ist begründet. Die Voraussetzungen des § 940 ZPO für den Erlaß der beantragten einstweiligen Verfügung liegen vor.

I.

Der Verfügungsanspruch ergibt sich als quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch aus der entsprechenden Anwendung der §§ 823, 1004 BGB.

Im Verfahren 5 O 5929/00 des Landgerichts München II hat der Antragsgegner in Schreiben vom 16.10. und 17.10.2000 u.a. die Behauptungen aufgestellt, die sich aus der Ziffer I des Tenors ergeben.

Sie sind geeignet, den Antragsteller verächtlich zu machen und stellen eine üble Nachrede i.S.v. § 186 StGB dar. Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Behauptungen gibt es nicht.

Die Äußerungen sind nicht deshalb vom Antragsteller hinzunehmen, weil sie im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt sind.

Ein wirkungsvoller gerichtlicher Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten setzt voraus, daß der Rechtsuchende ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen, jene Handlungen vornehmen kann, die nach seiner von gutem Glauben bestimmten Sicht geeignet sind, sich im Prozeß zu behaupten. Nach § 193 StGB kann dabei auch eine den Tatbestand des § 186 StGB erfüllende Behauptung gerechtfertigt sein (BVerfG NJW 1991, 29).

Der strafrechtliche Ehrenschutz darf nicht dazu führen, eine rechtserhebliche Tatsachenbehauptung aus Furcht vor Bestrafung nach § 186 StGB zu unterlassen, weil nicht vorauszusehen ist, ob die behauptete Tatsache bewiesen werden kann. Sie muß jedoch zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich erscheinen, sowie der Rechtsgüter- und Pflichtenlage angemessen sein (BVerfG aaO).

Dabei darf "im Kampf um das Recht" ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Die Art und Weise des Vortrags muß aber auf die Ehre des Betroffenen Rücksicht nehmen (BVerfG NJW 1991, 2074/2075).

Diese vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zum strafrechtlich relevanten Verhalten sind auch für den quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch heranzuziehen.

Danach sind die vom Antragsgegner in den Schreiben vom 16.10.2000 und 17.10.2000 im Verfahren 5 O 5929/00 des Landgerichts München II aufgestellten Behauptungen in Bezug auf den Antragsteller weder unter dem Gesichtspunkt der Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt, noch fallen sie unter den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

Der Antragsteller ist im Verfahren 5 O 5929/00 des Landgerichts München II weder als Partei noch als Prozeßbevollmächtigter beteiligt. Den aufgestellten Behauptungen fehlt ein unmittelbarer Bezug zum Streitgegenstand des im Stadium der Prozeßkostenhilfe befindlichen Rechtsstreits. Die Person des Antragstellers ist für die Frage der Gewährung von Prozeßkostenhilfe ohne Bedeutung. Gleiches gilt für das Bestehen bzw. den Umfang des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin im Verfahren 5 O 5929/00. Auch aus der Sicht des Antragsgegners sind die Äußerungen in Bezug auf den Antragsteller von keinerlei Prozeßerheblichkeit. Ehrverletzende Äußerungen, die lediglich der Stimmungsmache gegen andere Prozeßbeteiligte dienen, sind nicht von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt (BVerfG NJW 1991, 2074/2075). Dies gilt erst recht für Behauptungen über Dritte, die nicht am Rechtsstreit beteiligt sind.

Die für den quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist ebenfalls gegeben. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, daß der Antragsgegner auch in anderen Verfahren gleichlautende oder ähnliche Behauptungen aufgestellt hat. Es ist deshalb zu vermuten, daß die Behauptungen im Rechtsstreit 5 O 5929/00 vom Antragsgegner erneut vorgetragen werden, falls der Klägerin Prozeßkostenhilfe gewährt und das Verfahren fortgesetzt wird.

II.

Auch der für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung notwendige Verfügungsgrund liegt vor.

Der Antragsteller möchte mit der einstweiligen Verfügung nicht nur die Sicherung der späteren Verwirklichung eines anderen Hauptsacheanspruchs erreichen, sondern die Unterlassung ist der Hauptsacheanspruch selbst. Beantragt ist deshalb eine Regelungs- oder sogar eine Befriedigungsverfügung i.S.d. § 940 ZPO und nicht nur eine Sicherungsverfügung (Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 1995, § 940 Rn. 16).

Auch unter Beachtung der daher besonders hohen Anforderungen an den Verfügungsgrund ist der Antrag begründet.

Die Äußerungen des Antragsgegners sind zwar bereits in den Rechtsstreit 5 O 5929/00 eingeflossen, doch könnte bei den am Verfahren beteiligten Personen der Eindruck entstehen, die Behauptungen seien wahr, wenn sie vom Antragsgegner wiederholt und vom Antragsteller hingenommen werden. Der Schutz der Ehre und persönlichen Integrität des Antragstellers haben ein erheblich höheres Gewicht als die den sachlichen Rahmen weit überschreitende ungestörte Prozeßführung durch den Antragsgegner.

III.

Der Tenor ist vom Senat zur Vereinfachung umgestaltet worden (§ 938 ZPO). Eine Abweisung des Antrags liegt darin nicht.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Beschwerdewert ergibt sich aus § 20 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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