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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 01.03.2001
Aktenzeichen: 21 W 3313/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 890
Referierender Bericht im Internet über eine Unterlassungsverfügung mit Zusätzen

1. Die bloß referierende Wiederholung eines Unterlassungstenors begründet keinen Verstoß gegen das Wiederholungsverbot, wenn der referierende Charakter deutlich zum Ausdruck kommt. In einem solchen Fall liegt keine Wiederholung der Behauptung, sondern die Mitteilung eines wahren Geschehens, nämlich des Verbots, vor.

2. § 890 ZPO schränkt als allgemeines Gesetz die Meinungsäußerungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich ein. Diese Einschränkung ist aber ihrerseits unter dem Gedanken der grundlegenden Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit einschränkend zu interpretieren.

3. Es bedeutet deshalb keinen Verstoß gegen den Unterlassungstenor, wenn der referierenden Wiederholung Einschränkungen hinzu gefügt werden, sofern hierin keine Wiederholung der Behauptung, sondern eine Stellungnahme zum Verbotstenor zu sehen ist.

4. Dies alles gilt auch, wenn die Äußerung und der referierende Bericht im Internet stehen.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 21 W 3313/00 9 O 19819/00 LG München I

In der Zwangsvollstreckungssache

wegen Ordnungsgeld

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 01.03.2001

folgenden

Beschluß:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners ohne Datum, bei Gericht eingegangen am 22.12.2000, wird der Beschluss des Landgerichts München I, 9. Zivilkammer, vom 5.12.2000, AZ. 9 O 19819/00, aufgehoben.

II. Der Antrag der Gläubiger auf Festsetzung von Ordnungsmitteln von wird zurückgewiesen.

III. Die Gläubiger tragen die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens.

IV. Der Beschwerdewert beträgt 30.000 DM.

Gründe:

I.

Der Schuldner wurde durch einstweilige Verfügung des Landgerichts zur Unterlassung verurteilt. Nach vorübergehender Sperre des Zugriffs auf die Internetseite ließ er den Verbotstenor auf seiner Internetseite veröffentlichen. Dabei ließ er den Zusatz aufnehmen, der Redaktion lägen Beweise vor, die es notwendig machen werden, gegen diese einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren vorzugehen. Diese Beweise werden dann entsprechend bei Gericht zur Entscheidung über den Bestand der einstweiligen Verfügung vorgelegt werden. Die Gläubiger stellten deshalb Antrag nach § 890 Abs. 1 ZPO auf Festsetzung von Ordnungsmitteln. Das Landgericht gab dem im angefochtenen Beschluss statt (15.000 DM Ordnungsgeld und entsprechende Ordnungshaft). Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Schuldners.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist zulässig. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der angefochtene Beschluss dem Schuldner durch Übergabe an ihn persönlich zugestellt, und zwar am 8. Dezember 2000. Die am 22. Dezember 2000 eingegangene sofortige Beschwerde war damit rechtzeitig eingelegt i.S. von § 577 Abs. 3 ZPO.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Eine Zuwiderhandlung des Schuldners gegen den Verbotstenor der einstweiligen Verfügung i. S. von § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt nicht vor.

a) Ob ein Schuldner gegen ein gerichtliches Äußerungsverbot verstoßen hat, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Verbotstenors. Maßgebend sind allein der Wortlaut der Entscheidungsformel und der sich aus ihr ergebende Wort- und Satzsinn (Senat, B. v. 9.3.1995, OLGR München 1995, 165; Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, 3. Aufl., Seite 166). Auch ohne ausdrücklichen Ausspruch kann sich der Schuldner nicht durch jede Änderung der Verbotshandlung oder Verbotsbehauptung dem Unterlassungstitel entziehen. Vom Schutzumfang des Unterlassungstitels werden auch alle Handlungen und Behauptungen erfasst, die im Verkehr als gleichwertig angesehen werden oder die mit der im Tenor beschriebenen Handlung oder Behauptung im Kern überstimmen, die Abweichungen also den Kern der verbotenen Handlung oder Behauptung unberührt lassen. Dabei ist für eine in einem Druckwerk enthaltene Äußerung das Verständnis des Durchschnittslesers als Erklärungsempfänger maßgebend. Nichts anderes kann für Veröffentlichungen im Internet gelten. Hier ist das Verständnis des durchschnittlichen Lesers der entsprechende Seite von entscheidender Bedeutung.

Dies kann im vorliegenden Fall sogar dahin gestellt bleiben. Denn hier ist dem Schuldner durch die einstweilige Verfügung verboten, die Sätze des Verbotstenors wörtlich und/oder sinngemäß zu behaupten, zu verbreiten und/oder gegenüber Dritten behaupten und/oder verbreiten zu lassen. Auch dies ist für die Entscheidung vorliegend eher von mittelbarer Bedeutung. Denn der Schuldner hat den Verbotstenor wörtlich wiedergegeben. Wird über eine Verbotsbehauptung nur berichtet und sie insbesondere zur Beschreibung eines Themas oder für eine Stellungnahme wiederholt, so kann die neuerliche Behauptung oder Verbreitung im Einzelfall der Wahrung berechtigter Interessen dienen. Entscheidend ist in diesem Fall, ob aus der Sicht des durchschnittlichen Empfängers der wiederholenden Äußerung - hier des Leser der Internetseite - das Darstellen eines Sachverhalts, das Stellung nehmen zu einem Vorgang oder aber das erneute Aufstellen oder Verbreiten der untersagten Behauptung im Vordergrund steht, sei es durch identische oder gleichwertige oder im Kern übereinstimmende Äußerung (Senat a.a.O.; vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rn. 12.132). Für bloß referierende Äußerungen wird die Auffassung vertreten, sie seien nicht schon von vorneherein unzulässig (LG Hamburg, ArchPR 1972, 172). Der lediglich referierende Charakter müsse aber zum Ausdruck kommen (Wenzel, a.a.O., Rn. 12.87). Dieser Auffassung ist auch das OLG Frankfurt a.M.; berichtet eine Presseorgan, dem die weitere Behauptung und Verbreitung einer ehrenkränkenden Tatsachenbehauptung untersagt ist, aus aktuellem Anlass im Zusammenhang mit dem früheren Vorgang (zutreffend) darüber, dass ihm gegenüber ein entsprechendes Unterlassungsgebot ergangen ist, stellt dies keine Wiederholung der untersagten Behauptung, sondern die Mitteilung einer wahren Tatsache dar (OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2001,187 = OLGR Frankfurt 1999, 303). Die entspricht auch der Auffassung des Senats im schon zitierten Beschluss vom 9.3.1995.

b) Von dieser Rechtslage ausgehend, liegt eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot durch die einstweilige Verfügung nicht vor. Die bloße Wiedergabe des gerichtlichen Verbotssatzes bedeutet schon deshalb keinen Verstoß, weil damit die Behauptung nicht erneut aufgestellt wird. Sie wird auch nicht verbreitet. Es wird im Gegenteil mitgeteilt, dass sie verboten worden ist. Unter anderes Aspekten wird die Frage diskutiert, ob ein Anspruch des Betroffenen gegen den Täter oder Störer auf Veröffentlichung eines Unterlassungstenors besteht (eingehend hierzu Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 31.7 und 31.15 unter Hinweis auf BGH AfP 1987, 412 = NJW 1987, 1400 - Oberfaschist). Ein solcher Anspruch besteht nur ausnahmsweise. Unter diesem Blickwinkel wäre es unverständlich, wenn die freiwillige Veröffentlichung des Verbotstenors mit einer Ordnungsstrafe nach § 890 ZPO belegt werden könnte. Diese Norm schränkt zwar als allgemeines Gesetz die Meinungsäußerungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich ein (vgl. BVerfG, EuGRZ 1997, 446). Die Einschränkung ist aber ihrerseits unter dem Gedanken der grundlegenden Bedeutung des Meinungsäußerungsfreiheit einschränkend zu interpretieren.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Schuldner Einschränkungen hinzu gefügt hat. Gerade die Einschränkungen ergeben, dass er Stellung nehmen wollte zu dem Verbotstenor, dass er ihn nicht bloß wiederholen wollte. Es lägen der Redaktion Beweise vor, die es notwendig machen werden, gegen diese einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren vorzugehen. Diese Beweise werden dann entsprechend bei Gericht zur Entscheidung über den Bestand der einstweiligen Verfügung vorgelegt werden. Damit stellt er zwar das Verbot in Frage. Dies aber nicht in so weit gehender Weise, dass von einem erneuten Behaupten oder Verbreiten auszugehen ist. Der Schwerpunkt der Äußerung - die allerdings schon am Rande des Zulässigen liegt - ist in der Kritik an der Entscheidung zu sehen und im Blick auf die Zukunft. Aus dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit heraus ist dies noch als zulässig anzusehen. Die Veröffentlichung gibt den Gläubigern zum Teil mehr, als die einstweilige Verfügung angeordnet hat. Deshalb durfte die Einschränkung hinzu gefügt werden, selbst wenn es sich dabei um leere Worte gehandelt haben sollte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die über den Wert der Beschwer aus § 3 ZPO. Entscheidend hierfür ist das Interesse der Gläubiger, den Verbotstenor durchzusetzen (Senat a.a.O.). Dieses Interesse schätzt der Senat auf 30.000 DM.

Ende der Entscheidung

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