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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 15.10.1999
Aktenzeichen: 23 U 3754/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 465 ff.
Leitsatz:

Nimmt ein Verkäufer die von ihm gelieferten Waren vom Käufer seines Käufers ohne Absprache mit seinem Käufer zurück, so muß er sich nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als ob er gewandelt hätte.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 23 U 3754/99 1 HKO 495/98 LG Deggendorf

Verkündet am 15. Oktober 1999

Die Urkundsbeamtin: Freundorfer Justizangestellte

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erläßt der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Kreitmair und die Richter am Oberlandesgericht Thielemann und Kotschy aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 1999 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 19. Mai 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten ihrer Berufung.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Wert der Beschwer beträgt DM 22.904,21.

Tatbestand:

Die Klägerin, die in P. Qualitätsglas herstellt, begehrt von der Beklagten, die einen Großhandel mit Glas in F. betreibt, Zahlung von DM 22.904,21 für die Lieferung von Isolierglas am 18.02.1997.

Die Beklagte hat dieses Glas an die J. Fassaden + Glassysteme GmbH in A. weiterverkauft und am 25.02.1997 ausgeliefert. Letztere baute das Glas bei der Bauherrin M.E. in R. als Dachverglasung ein. Die Bauherrin reklamierte bei der J. Fassaden + Glassysteme GmbH, diese wiederum bei der Beklagten und die Beklagte schließlich bei der Klägerin die Bildung von Streifen im Glas.

Das Glas wurde von der J. Fassaden + Glassysteme GmbH ausgebaut, an die Klägerin unmittelbar zurückgegeben und von dieser unmittelbar zurückgenommen. Einen konkreten Termin hierfür teilt die Klägerin nicht mit. Darüber hinaus kamen die Klägerin und die J. Fassaden + Glassysteme GmbH überein, daß die Klägerin ihr gleiches Glas zum Preis von allerdings nur DM 7.176,80 unmittelbar liefert. Auch dieses Glas ist von der J. Fassaden + Glassysteme GmbH wegen Streifenbildung beanstandet worden.

Die Klägerin bestreitet einen gewährleistungspflichtigen Mangel des an die Beklagte gelieferten Glases. Die Streifenbildung beruhe auf Anisotropien, für die nach § 2 Abs. 4 ihrer dem Auftrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Haftung ausgeschlossen sei. Eine Mangelhaftigkeit habe sie zu keinem Zeitpunkt zugestanden. Dies gelte insbesondere für die Rücknahme der ursprünglichen Lieferung. Bei der Lieferung des Glases unmittelbar an die J. Fassaden + Glassysteme GmbH handele es sich zudem nicht um eine Ersatzlieferung, sondern um ein eigenständiges Geschäft. Die Beklagte schulde daher nach wie vor den Kaufpreis.

Die Beklagte hält die Streifenbildung nicht vom Gewährleistungsausschluß umfaßt und sieht in der zweiten Lieferung an J. Fassaden + Glassysteme GmbH eine Ersatzlieferung, mit der die Mangelhaftigkeit der ersten Lieferung zugestanden worden sei.

Das Landgericht Deggendorf hat nach Einholung einer schriftlichen Aussage des J. als des damaligen Geschäftsführers der J. Fassaden + Glassysteme GmbH und nach Anhörung des Sachverständigen D. die Klage am 19.05.1999 abgewiesen. Es war der Auffassung, die Klägerin habe mit der Rücknahme der ursprünglichen Lieferung die Mangelhaftigkeit der Ware selbst eingeräumt und ihre Verpflichtung aus dem Vertrag mithin nicht erfüllt.

Mit ihrer Berufung strebt die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung an.

Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO wird von der weiteren Darstellung des Tatbestandes abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Erstgericht hat der Klägerin zu Recht nicht den geltend gemachten Kaufpreisanspruch nach § 651 Abs. 1 und § 433 Abs. 2 BGB zugesprochen.

1. Dieser Anspruch ist nicht durch Wandelung gemäß § 465, § 467 und § 346 S. 1 BGB entfallen.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag über die Lieferung von Isolierglas stellt einen Werklieferungsvertrag über vertretbare Sachen dar. Auf ihn ist gemäß § 651 Abs. 1 BGB Kaufrecht anzuwenden.

Der Vertrag ist nicht gewandelt worden. Die nach § 465 BGB hierfür notwendige Einigung zwischen den Parteien fehlt. Die Klägerin hat eine Wandelung nie gewollt. Schon bisher hat sie immer auf dem Kaufpreisanspruch gegen die Beklagte beharrt und dementsprechend zu keinem Zeitpunkt eine Mangelhaftigkeit des von ihr an die Beklagte gelieferten Glases explizit eingeräumt. Sie hat überdies die Beklagte in die Rücknahme der ursprünglichen Glaslieferung gerade nicht eingebunden, sondern insoweit außen vorgelassen. Es kann daher auch keine schlüssige Zustimmung der Klägerin zu einer Wandelung durch die Rücknahme des an die Beklagten gelieferten Glases gesehen werden. Deren ausdrückliche Verwahrung gegen den sich aufdrängenden Erklärungswert des eigenen Verhalten, hier der Rücknahme des an die Beklagte gelieferten Glases, im Sinne einer protestatio facto contraria ist hinzunehmen. Eine solche Verwahrung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 1991, 564 m. w. N.) nur bei Inanspruchnahme von Leistungen im Massenverkehr der täglichen Daseinsvorsorge als unbeachtlich angesehen worden. Nach der Verkehrsauffassung liegt in einer solchen Inanspruchnahme der festen Tarife wegen die Annahme eines entsprechenden Vertragsangebotes.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Zusammenwirken von Klägerin und J. Fassaden + Glassysteme GmbH bei der Rücknahme der ursprünglichen Lieferung unter Vereinbarung einer eigenständigen Direktlieferung positive Vertragsverletzungen im Sinne von Verletzungen der jeweiligen Leistungstreuepflicht aus den Lieferverträgen zwischen den Parteien einerseits und der Beklagten mit der J. Fassaden + Glassysteme GmbH andererseits darstellen und ein entsprechender Ersatzanspruch von der Beklagten dem geltend gemachten Kaufpreisanspruch entgegen gehalten werden kann. Dies könnte insbesondere dann zweifelhaft sein, wenn die ursprüngliche Lieferung tatsächlich als mangelhaft anzusehen wäre.

3. Dem klägerischen Anspruch steht jedoch der Einwand des Rechtsmißbrauches entgegen; die Klägerin muß sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als ob sie gewandelt hätte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 1997, 3377, 3379 f. m. w. N.) bedeutet nicht jedes widersprüchliche Verhalten im Rechtsverkehr einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und ist als unzulässige Rechtsausübung (venire contra factum proprium) anzusehen. So dürfen Parteien ihre Rechtsansichten im Rechtsstreit ändern. Jeder Partei steht es in der Regel auch frei, sich auf die Nichtigkeit der von ihr abgegebenen Erklärung zu berufen. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmißbräuchlich, wenn dadurch für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.

Letzteres ist hier der Fall. Wenn die Klägerin die ursprüngliche Lieferung von der Abnehmerin der Beklagten zurücknimmt und mit dieser unter Ausschluß der Beklagten unmittelbar ein gleich gelagertes Geschäft vereinbart, so steht das in Widerspruch zum jetzigen Klagebegehren. Darüber hinaus ist dieses ambivalente Verhalten in besonderer Weise treuwidrig gegenüber der Beklagten. Es liegt einmal auf der Hand, daß die Klägerin im Verhältnis zur Beklagten nicht gleichzeitig die Ware behalten und den Kaufpreis fordern kann. Mit ihrem Vorgehen liefert die Klägerin die Beklagte aber auch der Mängeleinrede von deren Abnehmerin aus. Letztere sieht nach Angaben des Zeugen J in der Rücknahme des Glases das Eingeständnis der Mangelhaftigkeit des ursprünglich gelieferten Glases und hat selbst nicht an die Beklagte geleistet. Die Beklagte ihrerseits könnte daher, wenn überhaupt, die Zahlung des Kaufpreises von ihrer Abnehmerin nur durch einen Rechtsstreit erlangen. Die Klägerin hat die Beklagte damit in die von dieser nicht zu vertretende mißliche Lage gebracht, sich einerseits dem klägerischen Zahlungsverlangen ausgesetzt zu sehen und andererseits Gefahr zu laufen, von ihrer Abnehmerin nichts zu erhalten. Es ist daher rechtsmißbräuchlich, wenn die Klägerin sich dem sich aufdrängenden Erklärungswert ihres Verhaltens widersetzt, nämlich den Verkauf des Glases in Richtung der Beklagten rückabzuwickeln und das Geschäft in Zukunft ausschließlich mit deren Abnehmerin unmittelbar zu machen. Sie hat sich daher so behandeln zu lassen, als ob sie gegenüber der Beklagten rückabgewickelt hat.

Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.

Wert der Beschwer: § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO i. V. m. §§ 3, 5 und 6 ZPO.

Ende der Entscheidung

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