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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 30.11.1999
Aktenzeichen: 25 U 3487/99
Rechtsgebiete: AVB, VVG, ZPO


Vorschriften:

AVB § 2 Abs. 4 Teil II
VVG § 178 f
VVG § 178 o
VVG § 178 e
ZPO § 92
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 25 U 3487/99

Verkündet am 30. November 1999

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung

erläßt der 25. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. November 1999 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 23.4.1 999 abgeändert.

II. 1.) Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, für die Zeit ab 1.10.1985 Risikozuschläge zu den Tarifen CAB 30, CSB 30, CWB 30 und CEB des bestehenden Krankenversicherungsvertrages zwischen den Parteien zu erheben.

2.) Es wird festgestellt, daß die Tarife CAB 120, CZB 320, CSB 120 und CWB 120 des zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherungsvertrages für die Zeit ab 1.10.1996 mit einem Eintrittsalter des Klägers gerechnet nach einem Versicherungsbeginn 1.1.1965 zu berechnen sind.

III. Im übrigen bleibt die Klage ab- und wird die Berufung zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/8 und die Beklagte 7/8 zu tragen.

V. Der Wert der Beschwer übersteigt für keine Partei DM 60.000,--.

Die Revision wird zum Bundesgerichtshof zugelassen.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 600,-- abzuwenden, der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.200,-- DM abzuwenden, sofern nicht die Gegenpartei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte bei Änderungen des Beihilfeanspruchs des Klägers in den Jahren 1985 und 1996 berechtigt war, auf ihre Tarife ab 1.10.1985 einen Risikozuschlag zu erheben bzw. für die erforderlich werdenden Zusatztarife im Jahre 1996 das Eintrittsalter zum Stichtag 1.10.1996 Zugrundelegen.

Wegen des Sachvortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge und der Prozeßgeschichte wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist der Auffassung, der Kläger habe mit Unterzeichnung der Erklärung vom 16.1.1986 die Risikozuschläge anerkannt. § 2 Abs. 4 Teil II der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sei nicht einschlägig, weil sich hieraus nur ergebe, daß bei Anpassung der privaten Krankenversicherung keine erneute Risikoprüfung durchzuführen sei. Diese Vorschrift besage auch nichts über die Bemessung des Eintrittsalters im Falle der Erweiterung des Versicherungsschutzes im Jahre 1996. Die Beklagte habe für diese Zusatztarife noch keine Altersrückstellung gebildet. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, warum die Beklagte dieses finanzielle Risiko auffangen sollte.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Er ist der Auffassung, daß auf die Erklärung vom 16.1.1 986 die Vorschriften des AGB-Gesetzes Anwendung finden. Auch habe das Landgericht die bindende Bestimmung des § 178 f VVG nicht berücksichtigt.

Der Kläger stellt daher folgende Anträge:

1. Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 23.4.1999, AZ.: 72 O 229/99 - wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, für Zeiten ab 1.10.1985 Risikozuschläge zu den einzelnen Tarifen des bestehenden Krankenversicherungsvertrages zwischen den Parteien zu erheben.

3. Es wird festgestellt, daß die einzelnen Tarifarten des bestehenden Krankenversicherungsvertrages für die Zeiten ab 1.10.1996 nach einem Eintrittsalter des Klägers, gerechnet nach einem Versicherungsbeginn 1.1.1965 zu berechnen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, daß sich durch die Umstellung auf individuelle Risikozuschläge keine Nachteile für den Kläger ergeben hätten. Hätte der Kläger sich damit nicht einverstanden erklärt, so wäre der Vertrag mit entsprechenden pauschalen Beitragszuschlägen, die den individuellen Risikozuschlägen entsprochen hätten, weiter zu führen gewesen. Möglicherweise seien die Ansprüche des Klägers nach so langer Zeit verwirkt. Auf den im Jahre 1996 zusätzlich versicherten Leistungsbereich sei § 178 f VVG nicht anwendbar.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist weitgehend begründet.

I.

1. Die Beklagte war nicht berechtigt, ab 1.10.1985 einen Risikozuschlag auf die bereits vor diesem Zeitpunkt bestehenden Tarife CAB 30, CSB 30, CWB 30 und auf den Tarif CEB, der zur Abdeckung aus der Beihilfe herausgenommener Leistungen neu abgeschlossen wurde, zu verlangen.

Dies folgt aus § 2 Abs. 4 Teil II der Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Fassung von August 1983 (Anlage zur Klage), wonach der Versicherungsschutz im Rahmen der bestehenden Krankheitskostentarife erhöht wird, wenn sich der Beihilfeanspruch vermindert oder wenn er entfällt. Zwar ist im vorliegenden Fall bei einem Wechsel aus einem Tarif mit einer Pauschalprämie, in die das durch Vorerkrankungen der Versicherten bedingte Gesamtrisiko einkalkuliert war, in einen solchen mit Risikozuschlägen der Versicherer grundsätzlich nicht gehindert, im neuen Tarif Risikozuschläge zu erheben, sofern der neue Tarif dies für die Risikoklasse vorsieht, in die der Versicherer den Versicherten bei Abschluß der Versicherung eingestuft hatte. Diese Einstufung darf aber auch bei solchen Fallgestaltungen nicht nachteilig geändert werden (vgl. BVerwG NVersZ 1999, 376).

Hier ist, worauf der Senat im Termin vom 30.11.1999 hingewiesen hat, nach den Ausführungen der Beklagten in ihrem Schreiben vom 21.2.1997 an das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (Anlage zu Bl. 48 d.A.) davon auszugehen, daß die Angaben des Klägers im Jahre 1964 zu seinen Gesundheitsverhältnissen nicht risikoerhebllch waren und der Versicherungsvertrag ohne Risikozuschläge zum 1.1.1965 zustande gekommen ist. Damit konnte die Beklagte für die vorstehend aufgeführten Tarife im Jahre 1985 keine Risikozuschläge erheben.

2. Auf die zum Nachteil des Klägers abweichende Vereinbarung, die von ihm am 16.1.1986 unterzeichnet wurde, kann sich die Beklagte nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht berufen. Dieser allgemeine Rechtsgedanke hat nunmehr in § 178 o VVG seinen Niederschlag gefunden (vgl. Berliner Kommentar zum VVG/Hohlfeld, § 178 o Rn. 2). Nachdem der Tarifwechsel auf Initiative der Beklagten vorgenommen wurde, muß sie sich so behandeln lassen, als wäre dieser ordnungsgemäß durchgeführt worden. Sie kann sich daher auch nicht darauf berufen, daß sich hieraus keine Nachteile für den Kläger ergeben hätten.

3. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verwirkt. Nachdem die Beklagte im Jahre 1985 bei dem Tarifwechsel den Kläger nicht richtig aufgeklärt und unberechtigt Risikozuschläge erhoben hat, stell sich die verspätete Geltendmachung des Rechts nicht als eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte dar (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Auflage, § 242 Rn. 95).

4. Die Tarife KH 20 DM (Krankenhaustagegeld) und CSD 100 (stationär 100 % für das Einzelzimmer) wurden neu abgeschlossen und sind daher nicht von § 2 Abs. 4 Teil II der AVB umfaßt. Die Beklagte konnte somit einen Risikozuschlag verlangen.

II.

Die Beklagte war nicht berechtigt, bei den im Jahre 1996 wegen der Verminderung des gesetzlichen Beihilfeanspruchs erforderlich werdenden Zusatztarifen das Eintrittsalter zum Stichtag 1.10.1996 zugrundezulegen. Zwar ist in § 178 e VVG und § 2 Nr. 4 Teil II der AVB nicht ausdrücklich aufgeführt, daß im Falle der Vertragsanpassung das Eintrittsalter nicht abgeändert werden darf. Sinn und Zweck dieser Vorschriften ist aber, daß der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Anpassung des Versicherungsschutzes bei Herabsetzung seines Beihilfeanspruches hat (vgl. Berliner Kommentar a.a.O., § 178 e Rn. 1), mithin eine Aufstockungsmöglichkeit ohne Nachteile, von der auch das Eintrittsalter umfaßt wird.

Das von der Beklagten angesetzte Eintrittsalter zum 1.10.1996 im Verhältnis zu dem Eintrittsalter 1.1.1965 stellt sich zudem als ein pauschaler Risikozuschlag dar, der im Rahmen der Anpassung grundsätzlich nicht zulässig ist.

Auch der Umstand, daß für diese Tariferhöhung noch keine Altersrückstellung gebildet worden war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Beihilfeanspruch im öffentlichen Dienst kann sich nicht nur vermindern, sondern auch erhöhen, z.B. bei zwei berücksichtigungsfähigen Kindern oder im Falle der Pensionierung ab 65 Jahre auf derzeit 70 %. Es ist daher Sache der Beklagten, diese ihr bekannten Umstände bei ihrer Altersrückstellung entsprechend zu kalkulieren.

Eine Neuversicherung liegt nicht vor. Es wurde, wie der Aufstellung des Versicherungsschutzes des Klägers im Schreiben der Beklagten vom 21.2.1997 zu entnehmen ist, hier jeweils lediglich eine Aufstockung des Versicherungsschutzes unter einer anderen Tarifbezeichnung vorgenommen.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht gemäß § 92 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Ende der Entscheidung

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