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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 09.07.2009
Aktenzeichen: 29 U 1852/09
Rechtsgebiete: UWG 2008, UWG 2004


Vorschriften:

UWG 2008 § 2 Nr. 1
UWG 2008 § 4 Nr. 1
UWG 2004 § 2 Nr. 1
UWG 2004 § 4 Nr. 1
1. Für nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der UGP-Richtlinie am 12. Dezember 2007 vorgenommene Handlungen ist der Begriff der Wettbewerbshandlung in § 2 Nr. 1 und § 4 Nr. 1 UWG 2004 dahin auszulegen, dass er auch Maßnahmen zur Durchsetzung vertraglicher Ansprüche erfasst.

2. Die Ankündigung des Besuchs eines auf Inkasso spezialisierten Mitarbeiter-Teams kann gemäß § 4 Nr. 1 UWG unlauter sein.

3. Bei mehrdeutigen Aussagen genügt es zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs, wenn nur eine von mehreren nicht fern liegenden Deutungsvarianten die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DESVOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 29 U 1852/09

Verkündet am 9. Juli 2009

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke und Cassardt auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München II vom 14. Januar 2009 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

1. Der Beklagten wird bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu einer Höhe von 250.000,- €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft von sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu vollstrecken am Geschäftsführer, untersagt, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs an Verbraucher Mahnschreiben zu versenden, in denen der unabgesprochene Besuch von Inkassomitarbeitern zu Inkassozwecken angekündigt wird, wenn dies wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Schreiben vom 13. Februar 2008 geschieht:

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 160,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2008 zu zahlen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug haben die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/8 und die Beklagte 7/8 zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer I. 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragen.

Die Beklagte bietet pornografische Filme im Internet an. Sie machte mit folgendem Schreiben vom 13. Februar 2008 Ansprüche aus dem Bezug solcher Filme geltend:

Die Klägerin sah darin eine unterschwellige Gewaltandrohung, die geeignet sei, den Schuldner unangemessen unter Druck zu setzen. Sie mahnte die Beklagte deswegen ab und verlangte die Erstattung der Kosten der Abmahnung. Mit Schreiben vom 14. April 2008 verweigerte die Beklagte die Abgabe der von der Klägerin geforderten Unterlassungserklärung.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Abmahnkosten beliefen sich auf 160,50 €, und beantragt,

1. der Beklagten bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs an Verbraucher Mahnschreiben zu versenden, in denen der unabgesprochene Besuch von Inkassomitarbeitern zu Inkassozwecken angekündigt werde, insbesondere, wenn dies wie in dem Schreiben vom 13. Februar 2008 geschehe;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 160,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten. das angegriffene Schreiben stelle schon keine Wettbewerbshandlung dar. Im Übrigen sei sein Inhalt wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden.

Mit Urteil vom 14. Januar 2009, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage mangels Wettbewerbshandlung abgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt zuletzt, die Beklagte unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils mit der Maßgabe nach dem Antrag im ersten Rechtszug zu verurteilen, dass in dessen Ziffer 1. das Wort insbesondere entfalle.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2009 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist in dem Umfang, in dem sie mit dem in der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 2009 vor dem Senat gestellten Antrag noch verfolgt wird, begründet.

1. Die Klägerin hat zunächst ein Verbot jeder Versendung von Mahnschreiben verfolgt, in denen der unabgesprochene Besuch von Inkassomitarbeitern zu Inkassozwecken angekündigt wird, und lediglich im Insbesondere-Teil des Antrags auf die konkrete Verletzungsform Bezug genommen. Durch die Stellung des so angekündigten Antrags mit der Maßgabe, dass das Wort inbesondere entfalle, in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2008 hat die Klägerin die Verfolgung des über die konkrete Verletzungsform hinausgehenden Anspruchs aufgegeben; darin liegt eine teilweise Klagerücknahme, der die Beklagte durch ihre Erklärung, sich auf den geänderten Antrag einzulassen, konkludent zugestimmt hat.

2. Die Klägerin hat ihr Unterlassungsbegehren auf Wiederholungsgefahr nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG gestützt und dazu eine von der Beklagten im Februar 2008, also nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 2949; im Folgenden: UWG 2004) am 8. Juli 2004 begangene Zuwiderhandlung vorgetragen. Das UWG 2004 ist seitdem durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2949), in Kraft getreten am 30. Dezember 2008 (im Folgenden: UWG 2008), geändert worden ist. Auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassungsbegehren des Klägers sind die Bestimmungen des UWG 2008 anzuwenden. Der Unterlassungsanspruch besteht aber nur, wenn das beanstandete Verhalten auch zur Zeit der Begehung im Februar 2008 wettbewerbswidrig war (vgl. BGH Urt. v. 14. Mai 2009 - I ZR 179/07 - Die clevere Alternative Tz. 13, juris).

Demgegenüber ist für den Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten allein die rechtliche Beurteilung zum Zeitpunkt der Abmahnung maßgeblich (vgl. BGH GRUR 2007, 981 - 150 % Zinsbonus Tz. 15 m. w. N.).

3. Der nunmehr noch verfolgte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin zu.

a) Diese ist als in die Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragene Einrichtung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG 2008 aktivlegitimiert.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist insoweit ohne Belang, dass lediglich der Versand eines einzigen Schreibens angegriffen wird. Anders als in den an der von dieser angeführten Kommentarstelle (Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 8 UWG Rz. 3.5) erörterten Fällen, in denen ein Wettbewerbsverstoß ausschließlich Interessen eines bestimmten Mitbewerbers berührt, betrifft ein Verstoß gemäß § 4 Nr. 1 UWG auch Interessen anderer Marktteilnehmer, insbesondere der Verbraucher, an einem unverfälschten Wettbewerb und kann deshalb von allen gemäß § 8 Abs. 3 UWG 2008 Berechtigten geltend gemacht werden, ohne dass Verstöße gegenüber verschiedenen Personen erforderlich wären.

b) Die angegriffene Handlung der Beklagten ist sowohl eine geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2008 als auch - entgegen der Auffassung des Landgerichts - eine Wettbewerbshandlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2004.

aa) Gemäß § 2 Nr. 1 UWG 2008 ist geschäftliche Handlung unter anderem jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen Unternehmens nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Die Geltendmachung von vertraglichen Erfüllungsansprüchen, insbesondere von Zahlungsansprüchen, durch den Unternehmer steht stets in einem objektiven Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung und ist daher auch stets geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2008 (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 2 Rz. 84).

Da das im Streitfall angegriffene Schreiben der Durchsetzung des darin behaupteten vertraglichen Zahlungsanspruchs diente, stellt es eine geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2008 dar.

bb) Die in dem angegriffenen Schreiben liegende Handlung war bereits im Zeitpunkt ihrer Vornahme am 13. Februar 2008 als Wettbewerbshandlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2004 anzusehen.

Die für die Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (ABl. Nr. L 149 S. 22) gesetzte Frist ist nach Art. 19 Satz 1 der Richtlinie am 12. Juni 2007 abgelaufen; nach Art. 19 Satz 3 der Richtlinie wären die Vorschriften, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlich sind, spätestens ab dem 12. Dezember 2007 anzuwenden. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist das innerstaatliche Recht richtlinienkonform auszulegen (vgl. BGH GRUR 2008, 807 - Millionen-Chance Tz. 8 f.). Für danach vorgenommene verbraucherbezogene Maßnahmen wird daher auch nachvertragliches Verhalten ohne Wettbewerbsförderungsabsicht vom Begriff der Wettbewerbshandlung erfasst (vgl. Keller in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 2, Rz. 8).

Da das angegriffene Schreiben vom 13. Februar 2008 und damit einem Zeitpunkt nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 12. Dezember 2007 stammt, stellt es mithin auch eine Wettbewerbshandlung i. S. d. § 2 Nr. 1 UWG 2004 dar (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl. 2008, § 2 UWG Rz. 55; anders noch für den Zeitraum vor Ablauf der Umsetzungsfrist derselbe in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 25. Aufl. 2007, § 2 UWG Rz. 55).

c) Der von der Klägerin noch verfolgte, an der konkreten Verletzungsform orientierte Unterlassungsantrag ist gemäß § 4 Nr. 1 UWG 2004, § 4 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG 2008 begründet.

aa) Im Streitfall ist von einer unangemessenen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners der Beklagten i. S. d. § 4 Nr. 1 UWG 2004, § 4 Nr. 1 UWG 2008 auszugehen.

Die in dem angegriffenen Scheiben enthaltene Ankündigung, dass den Schuldner im Zeitraum eines Monats ein auf Inkasso spezialisiertes Mitarbeiter-Team in den Abendstunden persönlich konsultieren werde, ist zumindest mehrdeutig.

Die allgemein gehaltene Erwähnung der Spezialisierung der angekündigten Besucher auf Inkasso kann vom Empfänger als Hinweis darauf verstanden werden, dass diese ausgebildet und bereit seien, die Forderung mit Gewalt durchzusetzen; ein solches Verständnis des Empfängers wird verstärkt durch die Ankündigung, dass nicht nur ein einzelner Mitarbeiter, sondern mehrere Personen (in einem "Mitarbeiter-Team") beim Empfänger erscheinen würden. In diesem Sinn stellt die Ankündigung des Besuchs eine unangemessene Beeinträchtigung dar (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 4 UWG Rz. 1.215, derselbe GRUR 2008, 841 [843 f.]).

Dass dem Spezialisierungshinweis auch die - unverfängliche - Bedeutung beigemessen werden kann, die Mitarbeiter seien auf die Erörterung der - eingangs im Schreiben angesprochenen -Meinung, Abonnements im Internet müssten nicht bezahlt werden, und die Vereinbarung von Ratenzahlungen spezialisiert, ist für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ohne Belang. Denn bei mehrdeutigen Aussagen, genügt es zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs, wenn nur eine von mehreren nicht fern liegenden Deutungsvarianten die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (vgl. BVerfG NJW 2006, 207 - IM Sekretär Tz. 34 f.; BVerfG-Kammer NJW 2006, 3769 [3773] - Babycaust; BGH NJW 2008, 2110 - Gen-Milch Tz. 27).

bb) Der in dem Schreiben vom 13. Februar 2008 liegende Wettbewerbsverstoß begründet eine tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr, die sich nicht nur auf die identische Verletzungsform, sondern auch auf alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen erstreckt (vgl. BGH GRUR 2008, 702 - Internet-Versteigerung III Tz. 55; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1.33; jeweils m. w. N.). Entgegen der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht steht der Klägerin deshalb auch ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Versendung an andere Adressaten zu.

3. Der Zahlungsantrag ist ebenfalls begründet. Die Klägerin kann gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG 2004 die Erstattung ihrer Abmahnkosten verlangen.

Angesichts der nicht zu beanstandenden Kostenpauschale der Wettbewerbszentrale von 195,- € (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 12 Rz. 1.98) erachtet der Senat den von der Klägerin geltend gemachten Betrag von 160,50 € gemäß § 287 Abs. 2 ZPO als angemessen.

III. Zu den Nebenentscheidungen:

1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 269 Abs. 3 ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor (vgl. dazu BGH NJW 2003, 65 ff.).

Ende der Entscheidung

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