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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: 29 U 2109/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 276 Abs. 1 Satz 2
Unterläßt der Inhaber eines Geschmacksmusters eine Berechtigungsanfrage, so kann die objektiv zu Unrecht erfolgte Schutzrechtsverwarnung nicht allein deshalb als schuldhaft erfolgt angesehen werden.
OLG München

Urt. v. 10.05.2001

29 U 2109/01

(rechtskräftig)

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 4.1.2001 - Az.: 7 O 13293/00 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert der Beschwer der Klägerin übersteigt DM 60.000,- nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

[Nachfolgend sind die Figuren des Geschmacksmusters der Beklagten und die angegriffenen Uhrenmodelle in Kopie wiedergegeben] hinterlegtes Geschmacksmuster:

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage, da die Klägerin nicht nachgewiesen hat, daß der Beklagten bei Ausspruch der Verwarnung gegenüber der Filiale "F", der Zedentin der streitgegenständlichen Forderung (Anwaltskosten), die (behauptete) Vorverbreitung der angegriffenen Uhren durch die Firma T. Company Ltd., Hongkong hätte bekannt sein müssen. Die Beklagte hat auch nicht unter Außerachtlassung der verkehrsüblichen Sorgfalt die Verletzungsfrage (Schutzbereich des Geschmacksmusters) unzutreffend beurteilt.

1. Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit der Auffassung der Parteien zutreffend davon ausgegangen, daß der Klägerin aus abgetretenem Recht (§ 398 BGB) nur dann ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der mit der Beantwortung der Verwarnung beauftragten Anwälte zustehen kann, wenn die Beklagte die Verwarnung objektiv zu Unrecht ausgesprochen hat und ihr ein Verschulden zur Last fällt.

a. Der BGH hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß sich die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung als Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verwarnten darstellen kann (§ 823 Abs. 1 BGB), fortgeführt (BGHZ 38, 200, 204 ff = GRUR 1963, 255 - Kindernähmaschinen) und hieran in der Folgezeit ungeachtet kritischer Beurteilung in der Literatur (vgl. die eingehende Darstellung bei Deutsch, WRP 1999, 25, 26 f) festgehalten (BGHZ 62, 29, 31 ff = GRUR 1974, 290 - maschenfester Strumpf: BGHZ 71, 86 - Fahrradgepäckträger 11; GRUR 1976, 715, 717 - Spritzgußmaschine; GRUR 1979, 323, 333 f - Brombeerleuchte; GRUR 1995, 424, 425 - Abnehmerverwarnung; GRUR 1996, 812, 813 Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; WRP 1997, 957, 958 f = GRUR 1997, 7-11 - Chinaherde; eingehend Benkard-Bruchhausen, PatG, 9. Aufl., Vor §§ 9-14 Rdn. 16 ff. Danach bemißt sich die Rechtmäßigkeit einer Schutzrechtsverwarnung ausschließlich nach der materiellen Rechtslage. Auf ein sitttenwidriges Handeln im Sinne von § 1 UWG oder auf eine vorsätzliche Schadenszufügung gemäß § 826 BGB ist nicht abzustellen. Vielmehr ist der Verwarnende zur Leistung von Schadensersatz bereits dann verpflichtet, wenn er fahrlässig die Schutzrechtslage oder die Verletzungsfrage unzutreffend beurteilt hat. Anknüpfend an die Rechtsprechung des Reichsgerichts wird ein Verschulden dann verneint, wenn der Verwarnende sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet hat oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH a.a.O. S. 292 - maschenfester Strumpf; eingehend Großkomm/Köhler, Vor § 13 UWG, B, Rdn. 283 m.w.N.). Danach genügt für die Annahme eines Verschuldens nicht die - fast nie auszuschließende - bloße Möglichkeit, daß das Schutzrecht keinen Bestand haben könnte. Die möglichen Zweifel an der Rechtslage müssen vielmehr einen konkreten Beziehungspunkt haben, der vom Verwarner hätte beachtet werden können (a.a.O. - maschenfester Strumpf; a.a.O. - S. 336 - Brombeerleuchte). Bei Verwarnungen aus umgeprüften Schutzrechten (Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster sowie Urheberrechten) muß von dem Verwarner ein höheres Maß an Nachprüfung verlangt werden als bei einem Vorgehen aus geprüften Schutzrechten (a.a.O. S. 292 f -maschenfester Strumpf; a.a.O. S. 336-Brombeerleuchte, zu Abnehmerverwarnungen; a.a.O. S. 958 f-Chinaherde).

b. Dieser (strenge) Sorgfaltsmaßstab ist auch für die Frage der Annahme eines Übernahmeverschuldens im Sinne von § 678 BGB zugrundezulegen, sofern man in einer rechtswidrigen Verwarnung in Anknüpfung an die ständige Rechtsprechung insbesondere zum Wettbewerbsrecht eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag sehen will (ablehnend Deutsch a.a.O. S. 28 m.w.N. in Fußn. 44).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen läßt sich ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten bei Ausspruch der Verwarnung vom 8.12.1999 nicht feststellen.

a. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, die angegriffenen, im angefochtenen Urteil auf Seite 4 oben wiedergegebenen Uhren würden vom Schutzbereich des Geschmacksmusters nicht erfaßt, was die Beklagte hätte erkennen können, vermag dem der Senat nicht zu folgen.

Das für die Beklagte mit einer Priorität vom 29.3.1999 angemeldete internationale Geschmacksmuster DM/048 336 steht gemäß Art. 7 Abs. 1 des Haager Abkommens über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle (HMA; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 1.8.1984, BGBl. II 798) einem deutschem Geschmacksmuster hinsichtlich der Schutzvoraussetzungen (Art. 7 Abs. 1 lit. a HMA) als auch des daraus herzuleitenden Schutzumfangs (Art. 7 Abs. 1 lit. b HMA) gleich (vgl. Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., Allgemeines Rdn. 69).

Die hinterlegten acht grafischen Darstellungen zeigen ein Zifferblatt für Uhren mit folgenden Merkmalen:

a) das Zifferblatt hat eine runde Grundform;

b) die Stunden und Minuten werden analog mit Zeigern angezeigt;

c) die Sekunden werden digital durch die Zahlen 01 bis 60 angezeigt;

d) die Sekunden-Zahlen nehmen nahezu den gesamten Raum des Zifferblatts ein, wobei sich die Zahlen der runden Grundform des Zifferblattes anpassen.

Wird die Frage der Vorverbreitung der angegriffenen Uhren (siehe hierzu nachfolgend) ausgeklammert, kann sowohl an der gemäß § 13 GeschmMG zu vermutenden Neuheit als auch an der nach § 1 Abs. 2 GeschmMG erforderlichen Gestaltungshöhe kein Zweifel bestehen, da die insoweit darlegungspflichtige Klägerin (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2001 - I ZR 333/98 - Sitz-Liegemöbel) auf keinerlei vorbekannten Formenschatz verweisen kann, der eine entsprechende Gestaltung hätte nahelegen können. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß Schutzgegenstand des Geschmacksmusters die konkrete Verkörperung eines schöpferischen Gedankens auf ästhetischem Gebiet ist (Eichmann a.a.O. § 5 Rdn. 8 m.w.N.) und sich der Nachbildungsschutz des § 5 GeschmMG gegen die Übernahme der schutzfähigen ästhetischen Gestaltung richtet (BGH GRUR 1996; 57, 59 - Spielzeugautos), sodaß maßgeblich auf die Übereinstimmung im ästhetischen Gesamteindruck abzustellen ist. Der Schutzbereich des Geschmacksmusters der Beklagten ist jedoch nicht auf die Proportionen der digitalen Zahlenanzeige im Verhältnis zur runden Form des Zifferblattes beschränkt. Entgegen der Beurteilung durch das Landgericht ist bei den angegriffenen Uhren nicht lediglich die Verwendung desselben Stilmittels festzustellen.

Je größer die dem Geschmacksmuster zugrundeliegende Leistung ist, desto weiter ist sein Schutzumfang zu ziehen (BGH GRUR 1978, 168, 169 - Haushaltsschneidemaschine 1) mit der Folge, daß Zurückhaltung bei der Annahme einer freien Benutzung geboten ist. Wie vorstehend ausgeführt wurde, gibt es keine vorbekannten Gestaltungen, die es rechtfertigen könnten, den Schutzbereich auf fast identische oder gar nur auf identische Gestaltungen zu beschränken. Als aussagekräftiges Indiz für die deutlich über den Mindestanforderungen für die schutzbegründende Eigentümlichkeit des Geschmacksmusters der Beklagten liegende Gestaltungshöhe kann auch herangezogen werden, daß die entsprechenden Uhren der Beklagten nach dem unbestrittenen Vorbringen einen anhaltenden großen Markterfolg erzielen und Gegenstand vielfacher Nachahmungen wurden (siehe hierzu nachfolgend).

Eine Begrenzung des Schutzbereichs ergibt sich auch nicht daraus, daß das Geschmacksmuster mit der Verwendung von digitalen Sekundenzeigern auf dem Zifferblatt einen dahingehenden Gedanken umsetzt, denn damit wird nicht dem Gedanken als solchen Schutz gewährt. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß bereits die Kombination von analoger Stunden- und Minutenanzeige mit einer digitalen Sekundenanzeige eine gewisse gestalterischere Leistung darstellt. Entscheidend ist darüber hinaus aber, daß der entsprechende Gedanke in vielfältiger Weise hätte umgesetzt werden können. Der Mustergestalter hat sich für eine bestimmte Umsetzung dieser Kombination entschieden. So wurde die digitale Sekundenanzeige im Verhältnis zu dem Stunden- und Minutenzeiger derart überdimensional in den Vordergrund gerückt, daß die digitale Anzeige fast das ganze Zifferblatt ausfüllt. Hierdurch enthält die Zifferblattgestaltung für den Betrachter ein besonders ansprechendes und auffälliges Gepräge. Auch wenn zu diesem ästhetischen Gesamteindruck die sich an die runde Form des Zifferblatts "anschmiegende" Gestaltung der einzelnen Ziffern beiträgt, kann darin nicht das entscheidende Gestaltungsmerkmal gesehen werden, das bei den beanstandeten Uhren keine Entsprechung findet mit der Folge, daß eine (objektive) Nachbildung verneint werden könnte. Denn auch wenn die Ziffern bei den beanstandeten Uhren einen "eckigen" und nicht einen in gleicher Weise harmonischen Eindruck entstehen lassen, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wird der gestalterische Kern des Geschmacksmusters, die Hervorhebung der digitalen Sekundenanzeige im Inneren des Zifferblattes durch ihre Überdimensionierung, im Sinne einer verschlechterten Ausführungsform übernommen.

b. Entgegen der in der Berufungsinstanz weiterverfolgten Auffassung der Klägerin ergeben sich aus ihrem Sachvertrag auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, daß die (behauptete) Vorverbreitung der Uhren der Beklagten in vorwerfbarer Weise verborgen geblieben ist.

Die Klägerin trägt vor, die von der Beklagten beanstandeten Uhren seien ihrem Zentraleinkäufer im September 1998 von der T., in einem Verkaufsraum dieses Unternehmens in Hongkong, vorgelegt worden; ein weiteres Mal seien ihr diese Uhren von der Firma M., die an der T. beteiligt sei, im Januar 1999 angeboten worden (Schriftsatz vom 8.9.2000, S. 1 = Bl. 42). Daraus läßt sich jedoch nicht ersehen, daß die Beklagte bei der gebotenen Marktbeobachtung von der Existenz entsprechender Uhrengestaltungen vor dem Anmeldetag ihres Geschmacksmusters hätte Kenntnis erlangen können bzw. müssen. Die Beklagte hat zu ihren bzw. den entsprechenden Aktitvitäten der amerikanischen Muttergesellschaft sowie der Schwestergesellschaft in Hongkong in der Klageerwiderung in Bezug auf die Marktbeobachtung unwidersprochen eingehend vorgetragen (Klageerwiderung S. 4 = Bl. 31 f). Die Klägerin hat zwar weiter behauptet, die Uhren seien nicht nur der Klägerin, sondern auch einer großen Anzahl von potentiellen Abnehmern angeboten worden. Diese pauschale Behauptung ist aber nicht ausreichend, da hierzu keinerlei weitere Einzelheiten genannt werden, wem gegenüber und wann entsprechende Angebote erfolgt sein sollen.

In dem als Anlage K 5 vorgelegten Antwortschreiben der anwaltlichen Vertreter der Zedentin war allerdings u.a. auch behauptet worden, die fraglichen Uhren seien von der Firma C.Ltd. bereits auf der Baseler Schmuck- und Uhrenmesse vom 29.4. bis 6.5.1999 präsentiert worden, was dafür spreche, daß die Uhren bereits vor dem maßgeblichen Prioritätstag zum vorbekannten Formenschatz gehört hätten. Eine solche Ausstellung auf einer wohl nicht unbedeutenden Fachmesse könnte allerdings geeignet sein, eine nicht hinreichende Marktbeobachtung zu belegen. Eine solche Verbreitung auf der Messe wird aber von der Klägerin nicht behauptet, diese geht lediglich davon aus, die Beklagte hätte in Hongkong nach diesen Uhren recherchieren müssen.

Darüberhinaus hat die Beklagte unwidersprochen darauf hingewiesen, daß die Fa. T. durch ihre Anwälte nach entsprechender Abmahnung erklärt habe, daß sie diese Uhr nie produziert habe, noch die Absicht habe, diese anzubieten oder sonstwie mit ihr zu handeln. Weiter unbestritten hat die Beklagte vorgetragen, daß die von der Klägerin behauptete Vorverbreitung auch bei den weiter ausgesprochenen Verwarnungen nicht eingewandt worden war (siehe hierzu auch nachfolgend).

3. Ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten kann auch nicht deshalb bejaht werden, weil sie sogleich eine Verwarnung ausgesprochen und sich nicht auf eine sogenannte Berechtigungsanfrage (vgl. hierzu OLG Düsseldorf GRUB 1999, 548 (LS); OLG München Mitt. 1998, 117) beschränkt hat.

Soweit für den Senat ersichtlich, ist in der Rechtsprechung und Literatur allein der Umstand, daß sogleich eine Verwarnung ausgesprochen wurde, nicht zur Begründung eines schuldhaften Verhaltens des Verwarnenden herangezogen worden. Eine solche Berechtigungsanfrage könnte bei unklarer Rechts- insbesondere Schutzrechtslage gegebenenfalls dann angezeigt sein, wenn der Verwarnende Anlaß für die Annahme haben kann, daß Ansprüchen aus dem Schutzrecht beachtliche Einwendungen entgegen stehen könnten, auch wenn für den Empfänger einer unberechtigten Abmahnung nach der Rechtsprechung keine Antwortpflicht besteht (BGH NJW 1995, 715 - Kosten bei unbegründeter Abmahnung). Unabhängig davon, daß eine dahingehende generelle Verpflichtung nach Auffassung des Senats nicht zu begründen ist, hatte die durch einen in geschmacksmusterrechtlichen Angelegenheiten erfahrenen und sachkundigen Rechtsanwalt vertretene Beklagte auch keine Veranlassung, mit Einwendungen von Seiten der Zedentin wie der behaupteten Vorverbreitung zu rechnen, nachdem unbestritten vorher eine Vielzahl von Verwarnungen gegenüber Vertreibern entsprechender Uhren zur Abgabe von Unterlassungserklärungen geführt hatten und zu erwarten gewesen wäre, daß die behauptete Vorverbreitung in Hongkong bereits hierbei vorgebracht worden wäre.

Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die mit der Klage geltend gemachten Anwaltskosten auf Seiten der Zedentin bei einer Berechtigungsanfrage nicht ebenfalls in gleicher Höhe angefallen wären, zumal nichts dafür ersichtlich oder dargetan ist, daß für diesen Fall auf die Hinzuziehung anwaltlicher und patentanwaltlicher Hilfe verzichtet worden wäre.

Ende der Entscheidung

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