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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 27.07.2000
Aktenzeichen: 29 U 3360/00
Rechtsgebiete: MarkG, ZPO


Vorschriften:

MarkG § 14 Abs. 5
MarkG § 14 Abs. 2 Nr. 1
MarkG § 24 Abs. 1
ZPO § 91
Parallelimport von Arzneimitteln

Bringt der Markeninhaber ein Arzneimittel im Ausfuhrstaat und im Einfuhrstaat, ohne daß dies in Marktabschottungsabsicht geschähe, unter verschiedenen Marken in den Verkehr, so kann der Importeur das Arzneimittel im Einfuhrstaat unter der dort vom Markeninhaber benutzten Marke nur dann in den Verkehr bringen, wenn er zur Benutzung dieser Marke durch objektive Umstände gezwungen ist.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 29 U 3360/00 9 HKO 2818/00 LG München I

Verkündet am 27. Juli 2000

Die Urkundsbeamtin: Barbagiannis Justizangestellte

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht M und die Richter am Oberlandesgericht H und J aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18.04.2000 - 9 HKO 2818/00 - geändert.

Der Antragsgegnerin wird unter Androhung von Ordnungsmitteln - Ordnungsgeld von bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten - für jeden Fall der Zuwiderhandlung verboten, einen aus Frankreich importierten gentechnologisch hergestellten Hepatitis B-Impfstoff mit der Bezeichnung "HB-Vax DNA 10" in der Bundesrepublik Deutschland unter der Marke Gen h-B-Vax in den Verkehr zu bringen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung um einen markenrechtlichen Unterlassungsanspruch der Antragstellerin.

Die zum Konzern der P M M S gehörende Antragsstellerin vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland einen Impfstoff unter der Marke Gen-H-B-Vax. Gen-H-B-Vax ist als Marke für M und Co., Inc., in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, nicht dagegen in Frankreich geschützt. P M M S und ihren Tochtergesellschaften sind Lizenzen an dieser Marke erteilt. In der Schweiz und in Österreich wird der Impfstoff von ebenfalls zum P M-Konzern gehörenden Gesellschaften ebenfalls unter der Bezeichnung Gen-H-B-Vax vertrieben. P M M S vertreibt den gleichen Impfstoff in Frankreich unter der Marke HB-Vax DNA 10.

Mit Schreiben vom 20.12.1999 (Anlage EV 4 a) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, sie werde "in Anwendung der EUGH-Grundsätze zum Umpacken von Parallelimporten Gen-H-B-Vax in etikettierter und gebündelter Form in Deutschland unter eben dieser Bezeichnung in den Verkehr bringen". Nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.12.1999 (Anlage EV 4 b) die Vorlage von Mustern verlangt hatte, übersandte die Antragsgegnerin diese Muster (Anlage EV 6) mit Schreiben vom 03.01.2000 an die Anwälte der Antragstellerin (Anlage EV 4 c). Aus den vorgelegten Mustern ging hervor, dass die Antragsgegnerin beabsichtigte, in Frankreich unter der Bezeichnung HB-Vax DNA 10 vertriebenen Impfstoff in der Bundesrepublik Deutschland unetikettiert unter der Marke Gen-H-B-Vax zu vertreiben. Hiervon verständigten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin diese am 10.01.2000; am 11.01.2000 ließ die Antragstellerin die Antragsgegnerin abmahnen. Am 15.01.2000 stellte die Antragstellerin fest, dass die Antragsgegnerin den Impfstoff wie angekündigt in der Bundesrepublik Deutschland anbot. Mit Schreiben vom 18.01.2000 (Anlage EV 9) wies die Antragsgegnerin den Unterlassungsanspruch der Antragstellerin zurück.

Die Antragstellerin erbat daraufhin von M und Co., Inc., eine Bestätigung Ihrer Ermächtigung, die Rechte aus der Marke im eigenen Namen gegen die Antragsgegnerin geltend zu machen. M und Co., Inc., erteilte diese Ermächtigung in notariell beglaubigter Form am 08.02.2000 (Anlage EV 3); die Erklärung ging am 14.02.2000 unmittelbar bei den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ein, die am gleichen Tag den dem vorliegenen Verfahren zugrunde liegenden Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung einreichten.

Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die Antragsgegnerin verletze durch den Vertrieb aus Frankreich importierten Impfstoffes unter der von ihr, der Antragsgegnerin, angebrachten Marke Gen-H-B-Vax die Markenrechte der Antragsstellerin. Sie hat beantragt,

der Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung unter Androhung näher bezeichneter Ordnungmittel zu verbieten, einen aus Frankreich importierten gentechnologisch hergestellten Hepatitis B-Impfstoff mit der Bezeichnung "HB-Vax DNA 10" in der Bundesrepublik Deutschland unter der Marke Gen-H-B-Vax in den Verkehr zu bringen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, P M M S hätte den Impfstoff in Frankreich ebenfalls unter der Bezeichnung Gen-H-B-Vax in den Verkehr bringen können; die abweichende Kennzeichnung diene der Marktabschottung. Die Antragstellerin sei durch Art. 28, 30 EG daran gehindert, ihre Markenrechte geltend zu machen. Denn die tatsächlichen Marktverhältnisse, insbesondere das Verschreibungsverhalten der Ärzte mache den Vertrieb des aus Frankreich importierten Impfstoffes unter der Bezeichnung Gen-H-B-Vax erforderlich. Die von ihr vorgenommene Umkennzeichnung diene der Beseitigung einer Diskriminierung und der Erleichterung des Markzutrittes. Im übrigen fehle es an der zum Erlaß einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit, da die Vertreter der Antragstellerin spätestens am 04.01.2000 über den Sachverhalt vollständig informiert gewesen seien, der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung aber erst am 14.02.2000 eingegangen sei.

Das Landgericht hat dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zunächst durch Beschluß vom 16.02.2000 entsprochen, die einstweilige Verfügung jedoch durch Urteil vom 18.04.2000 aufgehoben und den Antrag auf ihren Erlaß zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es fehle an der für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragstellerin, die zu deren Begründung ihren Sach- und Rechtsvortrag aus dem ersten Rechtszug wiederholt und vertieft. Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und eine ihrem im ersten Rechtszug gestellten Antrag entsprechende einstweilige Verfügung zu erlassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie wiederholt und vertieft ihren Sach- und Rechtsvortrag aus dem ersten Rechtszug.

Im übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze und die von ihnen vorgelegten Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Antragstellerin erweist sich als begründet.

I. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist gemäß § 14 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 1 MarkG begründet. Denn die Antragsgegnerin benutzt ein von ihr auf der Ware angebrachtes, mit der Marke der M und Co., Inc., identisches Zeichen für Waren, die mit denjenigen Waren identisch sind, für die die Marke Schutz genießt und die unter der Marke auch vertrieben werden. Näherer Erörterung bedarf dies nicht, da die Antragsgegnerin dies nicht verkennt.

Auf § 24 Abs. 1 MarkG kann die Antragsgegnerin sich nicht berufen, da die von ihr in die Bundesrepublik Deutschland importierte Ware von der Inhaberin der Marke Gen-H-B-Vax nicht in einem der übrigen Mitgliedstaaten der europäischen Union unter dieser Marke, sondern unter der Marke HB-Vax DNA 10 in den Verkehr gebracht worden ist.

Die Antragsgegnerin ist auch nicht nach den vom europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 12.10.1999 (C-370/97 "Pharmacia & Upjohn"; WRP 1999, 1264) entwickelten Grundsätzen berechtigt, den aus Frankreich importierten Impfstoff mit Gen-H-B-Vax zu kennzeichnen und in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen. Denn gemäß Art. 28, 30 EG und nach den erwähnten Grundsätzen besteht dieses Recht nur dann, wenn der Importeur zur Ersetzung der Marke gezwungen ist, um die Ware im Einfuhrmitgliedsstaat vertreiben zu können. Dazu muß die Ersetzung der Marke objektiv notwendig, der Importeur muß zu ihrer Ersetzung objetiv gezwungen sein. "Dieses Tatbestandsmerkmal der Zwangslage ist gegeben, wenn im Einzelfall der tatsächliche Zugang des Parallelimporteurs zu den Märkten des Einfuhrmitgliedsstaates behindert wäre, falls ihm die Ersetzung der Marke verboten wäre. Das ist dann der Fall, wenn Regelungen oder Praktiken im Einfuhrmitgliedsstaat den Vertrieb der betreffenden Ware auf dem Markt dieses Staates unter der Marke, die sie im Ausfuhrmitgliedsstaat trägt, verhindern, wenn also etwa eine Verbraucherschutzvorschrift die Benutzung der im Ausfuhrmitgliedsstaat angebrachten Marke im Einfuhrmitgliedsstaat verbietet, weil sie zur Irreführung der Verbraucher geeignet ist. Das Tatbestandsmerkmal der Zwangslage ist dagegen nicht erfüllt, wenn die Ersetzung der Marke ihren Grund ausschließlich darin hat, dass der Parallelimporteur einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte" (EUGH, a. a. O., Rdnr. 43, 44, 40).

Von einer objektiven Zwangslage im Sinne dieser Ausführungen kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Denn die Antragsgegnerin wäre nicht daran gehindert, den Impfstoff auch in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung HB-Vax DNA 10 in den Verkehr zu bringen. Sie möchte ihn unter der Bezeichnung Gen-H-B-Vax vertreiben, da dieser Vertrieb unter Berücksichtigung des Verschreibungsverhaltens der Ärzte einen besseren wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Darauf kann Sie sich jedoch nach den erwähnten Grundsätzen nicht berufen.

Ob neben den in der erwähnten Entscheidung entwickelten Grundsätze auch noch in der Rdnr. 22 des Urteils des EUGH vom 10.10.1978 (3/78 "Centrafarm/American Home Products") entwickelte Grundsatz zur Anwendung kommen kann, "dass es eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten im Sinne des Art. 36 Satz 2 EG-Vertrag darstellt, wenn der Markeninhaber sich gegen eine nicht genehmigte Benutzung der Marke durch einen Dritten zur Wehr setzt, soweit erwiesen ist, dass der Markeninhaber mit der Benutzung verschiedener Marken für die gleiche Ware das Ziel verfolgt, die Märkte abzuschotten", bedarf hier keiner Entscheidung. Denn von einer solchen Situation kann hier nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass Gen-H-B-Vax in Frankreich nicht für M und Co., Inc., geschützt ist und dass diese Marke für den Impfstoff in Frankreich nicht eingesetzt werden kann, weil dort ein ähnlicher Impfstoff unter der ähnlichen Marke Gen HEVAC B in Vertrieb ist. Unter diesen Umständen kann von einer Marktabschottungsabsicht nicht ausgegangen werden.

II. Dem Antrag der Antragstellerin kann auch mit der Begründung, es fehle an der erforderlichen Dringlichkeit, der Erfolg nicht versagt werden. Das Landgericht ist insoweit von rechtlich zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Es darf aber zunächst nicht übersehen werden, dass nicht die Antragstellerin, sondern M und Co., Inc., die Inhaberin der verletzten Marke ist (Anlagen EV 2a, b) und dass sie Kenntnis von der Verletzung erst nach dem 15.01.2000 erhielt. In der Person der Markeninhaberin ist somit die Dringlichkeitsvermutung zweifellos nicht widerlegt. Auch in der Person der Antragstellerin kann jedoch von einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung nicht ausgegangen werden:

Das Schreiben der Antragsgegner vom 20.12.1999 (Anlage EV 4a ) lies eine Verletzung der Markenrechte der Markeninhaberin zwar als möglich erscheinen, zwang jedoch nicht zu dem Schluß auf eine solche Verletzung, da unklar blieb, aus welchem Land der Impfstoff importiert werden sollte und unter welcher Marke er in der Verkehr gelangt war. Kenntnis von der tatsächlich definitiv drohenden Verletzung erlangten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erst am 04.01.2000. Eine Rechtsvorschrift, nach der diese Kenntnis der Antragstellerin zuzurechnen wäre, ist nicht ersichtlich; daraus, dass die Verfahrensbevollmächtigten zur Entgegennahme des angeforderten Musters berechtigt waren, folgt nur, dass Sie mit der Prüfung des Vorgangs beauftragt waren, jedoch nicht, dass Ihnen Entscheidungsbefugnisse übertragen waren. Auch daraus, dass die Verfahrenbevollmächtigten die Antragstellerin erst am 10.01. 2000 informierten, kann nicht auf Nachlässigkeit bei den Vertretern der Antragstellerin geschlossen werden, da zwischen Dienstag, dem 04.01.2000 und Montag, dem 10.01.2000 nur zwei Arbeitstage (Mittwoch und Freitag) lagen. Die Antragsgegnerin wurde sodann unverzüglich abgemahnt. Dass die notwendige Bestätigung über die Klagebefugnis der Antragstellerin sodann erst nach dem Auftauchen der Importware der Antragsgegnerin angefordert wurde, lässt nicht auf ein Desinteresse der Antragstellerin an der Durchsetzung ihrer Interessen zeigende Nachlässigkeit schließen. Gleiches gilt schließlich für die Tatsache, dass die Beschaffung der notwendigen Bestätigung über die Klagebefugnis der Antragstellerin (Anlage EV 3) sich bis zum 14.02.2000 hinauszögerte. Tatsächlich war die Antragstellerin erst am 14.02.2000 im Besitz aller Unterlagen, die Sie zur erfolgreichen Verteidigung ihrer Rechte benötigte. Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch am selben Tag gestellt wurde, kann im Ergebnis unter keinem Gesichtspunkt von einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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