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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 16.08.2001
Aktenzeichen: 29 U 3630/00
Rechtsgebiete: UWG, AMG, LMBG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 13 Abs. 2 Nr. 2
UWG § 1
AMG § 21 Abs. 1
LMBG § 2 Abs. 1
LMBG § 2
LMBG § 11 Abs. 1 Nr. 2
LMBG § 1 Abs. 1
LMBG § 11 Abs. 1 Nr. 1 a
LMBG § 2 Abs. 1 1. Halbsatz
LMBG § 2 Abs. 1 2. Halbsatz
LMBG § 11
ZPO § 712
ZPO § 712 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 29 U 3630/00

Verkündet am 16. August 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle und die Richter Retzer und Jackson aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.12.2000

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München II vom 29.3.2000 - 1 HKO 2356/98 - aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Androhung von Ordnungsmitteln - Ordnungsgeld von bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten Ordnungshaft in jedem Fall zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, - verurteilt, es zu unterlassen im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das von ihr unter der Bezeichnung "Basis 7 Gräsler" vertriebene Produkt als Nahrungsergänzungsmittel (Lebensmittel) zu vertreiben und/oder zu bewerben.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,-- DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VI. Der Wert der Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000,-- DM.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des Vertriebs eines von der Beklagten als Nahrungsergänzungsmittel vertriebenen Produkts.

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verband, der für sich die Klagebefugnis gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG in Anspruch nimmt.

Die Beklagte stellt her und vertreibt das Produkt Basis 7 Gräsler. 10 ml des Produkts enthalten einen Extrakt aus 3000 mg multifloralen Gebirgsblütenpollen, 1000 mg Weizenkeim-Extrakt, 700 mg Hagebutten-Konzentrat, 200 mg Gelee Royale, 100 mg Holunderbeer-Konzentrat und 15 ml Hefe-Autolysat. Diese Bestandteile sind in Honigwein gelöst, wodurch das Produkt einen Alkoholgehalt von 17,5 Vol-% hat.

Honigwein ist ein weinähnliches Getränk, das durch Vergären einer Honig-Wasser-Lösung mit Hilfe von Reinzuchthefen unter kontrollierten Bedingungen hergestellt wird. Er erreicht bei Anwendung geeigneter Herstellungsverfahren einen Alkoholgehalt von ca. 18 %. Da Alkohol in hohen Konzentrationen Mikroorganismen abtötet, wirkt er als Zusatz zu Lebensmitteln konservierend. Eine ausführliche Beschreibung eines Rezeptes und der Herstellung von Honigwein finden sich im Schriftsatz der Beklagten vom 19.9.1999 (Bl. 67 d.A.).

Die Beklagte vertreibt Basis 7 Gräsler als "Vitalstoff-Komplex zur täglichen Nahrungsergänzung" in Packungen zu 15 oder 30 Trinkfläschchen mit je 10 ml Inhalt. Der Vertrieb erfolgt über Apotheken. Den Produktpackungen ist eine Verbraucherinformation beigegeben (Ablichtung der Verbraucherinformation Stand November 1996: Anl. B 8); Original der nach der Behauptung der Beklagten seit September 1999 verwendeten Verbraucherinformation: Anl. zu Bl. 76). Das Aussehen der Produktpackung kann anhand der Abbildung auf Seite 19 der zuletzt erwähnten Verbraucherinformation zumindest grob beurteilt werden. Eine Packung mit 15 Trinkfläschchen wird zu einem Endverbraucherpreis von 79,75 DM angeboten. - Basis 7 Gräsler ist nicht nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes als Arzneimittel zugelassen.

Der Kläger hat geltend gemacht, Basis 7 Gräsler sei insbesondere nach dem Inhalt der Produktinformation und auch nach seinem Preis ein Arzneimittel, obwohl davon ausgegangen werden müsse, dass das Produkt wirkungslos sei. Es handele sich um ein Stärkungs- und Kräftigungsmittel, mithin um ein Tonikum und somit um ein Arzneimittel. Der Vertieb des Produkts verstoße daher gegen § 21 Abs. 1 AMG, § 1 UWG. Zumindest müsse das Produkt als Spirituose eingestuft werden. Wenn es ein Lebensmittel sei, sei sein Vertrieb unzulässig, da Honigwein ein unzulässiger Zusatzstoff sei.

Der Kläger hat beantragt,

der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "Basis 7 Gräsler", welches einen Alkoholgehalt von 17,5 % Vol. aufweist und dabei als "Vitalstoff-Komplex" in den Verkehr gebracht wird, ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben,

hilfsweise,

der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das von ihr unter der Bezeichnung "Basis 7 Gräsler" vertriebene Produkt als Nahrungsergänzungsmittel (Lebensmittel) zu vertreiben und/oder zu bewerben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat entgegnet, das Produkt sei ein Lebensmittel eigener Art mit erhöhtem Gehalt an Vitaminen. Es handele sich weder um ein Arzneimittel noch um ein alkoholisches Getränk; der Honigwein, dessen Herstellung zulässig sei, bilde wegen seiner konservierenden Wirkung eine optimale Grundlage für ein Nahrungsergänzungsmittel; er sei zur Stabilisierung/Haltbarmachung des Produkts produktionstechnisch notwendig. Basis 7 Gräsler sei nach Inhalt, Aufmachung, Text der Produktinformation und Werbung ein Nahrungsergänzungsmittel.

Nachdem der Senat in seinem ein nahezu identisches Produkt der Beklagten betreffenden Urteil vom 9.7.1998 - 29 U 1787/98 - (LRE 35, 327 = MAGD 1998, 953) die Auffassung vertreten hatte, der Vertrieb des Produkts als Lebensmittel sei unzulässig, da Honigwein ein nicht zugelassener Zusatzstoff im Sinne von § 2 Abs. 1 LMBG sei und nachdem dieses Urteil durch Nichtannahme der Revision durch den Bundesgerichtshof rechtskräftig geworden war, hat die Beklagte behauptet, Honigwein sei in dem Produkt eine gewöhnliche Zutat, der keine technologische Wirkung zukomme; Honigwein sei ein weinähnliches Getränk und damit ein Genussmittel, er trage zum Geschmack des Produkts bei. Honigwein sei daher kein Zusatzstoff im Sinne von § 2 Abs. 1 LMBG. Diese Bestimmung sei im Übrigen im Lichte der Richtlinie 89/107/EWG auszulegen; diese Auslegung führe erst recht zu der Erkenntnis, dass Honigwein nicht als Zusatzstoff eingestuft werden könne.

Der Kläger ist dem entgegengetreten.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Basis 7 Gräsler sein kein Arzneimittel, da das Produkt keine arzneiliche Wirkung habe und eine solche ihm auch nicht vom Verkehr beigemessen werde. Auch lebensmittelrechtlich sei das Produkt nicht zu beanstanden; Honigwein sei kein Zulassungspflichtiger Zusatzstoff im Sinne von § 2 Abs. 1 LMBG, da Honigwein in der Regel als Genussmittel konsumiert werde. Er sei auch keine Spirituose.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers. Er macht erneut geltend, bei dem Produkt handele es sich um ein Arzneimittel, nämlich ein Tonikum. Folge man dem nicht, so sei es eine Spirituose. Jedenfalls aber sei Honigwein in dem Produkt ein nicht zugelassener Zusatzstoff mit dem Zweck der Konservierung des Produkts. Honigwein sei kein Stoff natürlicher Herkunft. Gemäß § 2 Abs. 1 LMBG komme es im Übrigen entscheidend auf die Zweckbestimmung - hier Konservierung - im fertigen Produkt an. Lebensmittel, in denen Honigwein nach der Verkehrsauffassung überwiegend wegen seines Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet werde, gebe es nicht. Als Genussmittel sei Honigwein im Übrigen ohne Bedeutung. Die Richtlinie 89/107/EWG sei nicht maßgeblich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das von ihr unter der Bezeichnung "Basis 7 Gräsler" vertriebene Produkt als Nahrungsergänzungsmittel (Lebensmittel) zu vertreiben und/oder zu bewerben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

der Beklagten eine Aufbrauchsfrist bis zum 1.7.2002 einzuräumen und ihr Vollstreckungsschutz gemäß § 712 ZPO zu gewähren.

Bei dem Produkt handele es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Lebensmittel. Honigwein sei in dem Produkt auch kein lebensmittelrechtlich unzulässiger Zusatzstoff: Es handele sich um eine unwesentliche Zutat zur geschmacklichen Abrundung, die nicht aus technologischen Gründen - insbesondere nicht zur Konservierung des Produktes - eingesetzt werde. Bei zutreffender Auslegung von § 2 LMBG im Licht der Richtlinie 89/107/EWG sei Honigwein kein Zusatzstoff, da er Lebensmittel sei. Auch unabhängig von dieser Auslegung sei Honigwein kein Zusatzstoff im Sinne von § 2 Abs. 1 LMBG, da er als Lebensmittel gebräuchlich sei und auch nicht Lebensmitteln zur Konservierung beigesetzt werde. Honigwein sei ein Stoff natürlicher Herkunft und auch aus diesem Grunde kein Zusatzstoff. - Zuletzt hat die Beklagte nicht mehr bestritten, dass Honigwein in dem Produkt auch konservierende Wirkung habe; die geschmackliche Bedeutung überwiege jedoch.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze und die von ihnen vorgelegten Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers erweist sich als begründet. Der Vertrieb des Produkts "Basis Siebengräsler" als Nahrungsergänzungsmittel ist gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 LMBG, § 1 UWG unzulässig.

1) Zum Streitgegenstand ist zunächst auf folgendes hinzuweisen: Der Kläger begründet seinen Antrag, der Beklagten den Vertrieb des streitigen Produkts als Nahrungsergänzungsmittel zu untersagen, einerseits mit der Erwägung, das Produkt sei entweder ein mangels Zulassung nicht verkehrsfähiges Arzneimittel oder eine nur unter entsprechender Bezeichnung, nicht aber als Nahrungsergänzungsmittel verkehrsfähige Spirituose und andererseits mit der Begründung, das Produkt enthalte einen gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 LMBG nicht zugelassenen Zusatzstoff und sei deswegen nicht verkehrsfähig. Der Senat hat in dem erwähnten Urteil vom 9.7.1998, ohne dies im Detail zu begründen, in der arzneimittelrechtlichen und der lebensmittelrechtlichen Begründung alternative Begründungen des begehrten Betriebsverbots und in der spitiuosenrechtlichen Begründung - im Hinblick auf die weniger weitreichende Wirkung eines auf sie zu stützenden Verbotes - einen hilfsweise geltend gemachten weiteren Unterlassungsanspruch, also einen weiteren Streitgegenstand, gesehen. Daran ist für den vorliegenden Rechtsstreit festzuhalten. Jedenfalls praktisch führen sowohl die arzneimittelrechtliche wie die lebensrechtliche Begründung zu einem Verbot gleicher Reichweite. Auch der Sachvortrag des Klägers bietet keinen Anlass, davon auszugehen, der Kläger mache zwei selbständige und voneinander unabhängige Unterlassungsansprüche kumulativ geltend (vgl. hierzu Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., § 46, Rdnr. 5; vgl. auch BGH WRP 2001, 804 "Telefonkarte").

2) Die Berufung des Klägers hat Erfolg; der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist begründet. Dabei kann dahinstehen, ob das Produkt der Beklagten nach seiner objektiven Zweckbestimmung und seiner gesamten Aufmachung vom Verkehr als Arzneimittel angesehen wird mit der Folge, dass sein Vertrieb gemäß § 21 Abs. 1 AMG wegen Fehlens der Zulassung als Arzneimittel unzulässig wäre. Der Senat neigt dazu, diese Frage zu verneinen. Wird zugunsten der Beklagten unterstellt, dass das Produkt nach den genannten Kriterien kein Arzneimittel, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel und damit ein Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 LMBG ist, so ergibt sich die Unzulässigkeit des Vertriebs des Produkts und der Werbung für das Produkt aus § 1 UWG, § 11 Abs. 1 Nr. 1 a, Nr. 2 LMBG. Nach dieser Vorschrift ist es verboten, bei dem gewerbsmäßigen Herstellen von Lebensmitteln, die dazu bestimmt sind, in den Verkehr gebracht zu werden, nicht zugelassene Zusatzstoffe zu verwenden und Lebensmittel gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen, die entgegen diesem Verbot hergestellt sind. Zusatzstoffe im Sinne dieser Vorschrift sind gemäß § 2 Abs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, Lebensmitteln zur Beeinflussung ihrer Beschaffenheit oder zur Erzielung bestimmter Eigenschaften oder Wirkungen zugesetzt zu werden; ausgenommen hiervon sind Stoffe, die natürlicher Herkunft oder den natürlichen chemisch gleich sind und nach allgemeiner Verkehrsauffassung überwiegend wegen ihres Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet werden. Honigwein ist im Produkt der Beklagten ein - unstreitig nicht zugelassener - Zusatzstoff im Sinne dieser Bestimmung. Der Senat sieht auch nach nochmaliger Überprüfung keine Veranlassung, von seiner Beurteilung dieser Frage in dem erwähnten Urteil vom 9.7.1998 abzuweichen.

§ 2 Abs. 1 LMBG enthält in seinem ersten Absatz eine sehr weite Umschreibung der Stoffe, die als Zusatzstoffe in Betracht kommen. Unter diese Bestimmung fallen Stoffe aller Art, also insbesondere auch Lebensmittel. Entscheidend ist allein, ob sie im konkreten Fall zu den in der Bestimmung genannten Zwecken einem anderen Lebensmittel zugesetzt werden ("normale" Lebensmittel, die, wie Mehl oder Eigelb, zu technologischen oder sonstigen Zwecken verwendet werden, fallen daher unter § 2 Abs. 1 1. Halbsatz LMBG; die Beispiele entstammen der amtlichen Begründung zu § 2 des Regierungsentwurfes zum LMBG, abgedruckt bei Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Bd. II, C 100, Rdnr. 3, insbesondere Rdnr. 3 b). Zusatzstoffe sind in der Regel selbst Lebensmittel, da sie grundsätzlich dazu bestimmt sind, zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden (Zipfel/Rathke, a.a.O., Rdnr. 13).

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Stoff dazu bestimmt ist, einem Lebensmittel zur Beeinflussung seiner Beschaffenheit oder zur Erzielung bestimmter Eigenschaften oder Wirkungen zugesetzt zu werden, kommt es nicht auf die subjektive Vorstellung des Verwenders, sondern darauf an, ob der Stoff nach den äußeren Umständen dazu bestimmt ist, Lebensmitteln zugesetzt zu werden; maßgeblich ist also die allgemeine Verkehrsauffassung, die sich aus dem üblichen Geschehensablauf erfahrungsgemäß ergibt (Zipfel/Rathke a.a.O., Rdnr. 17). Die Beklagte selbst verwendet Honigwein in ihrem Produkt - wie noch zu erörtern sein wird, primär - zur Konservierung. Dieser Verwendungszweck entspricht, wie ebenfalls noch zu erörtern sein wird, der allgemeinen Verkehrsauffassung hinsichtlich der Verwendung von Honigwein als Zusatz zu Lebensmitteln. Darauf, dass Honigwein als solcher ein Genussmittel ist, kommt es dabei nicht an. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 1. Halbsatz LMBG sind daher erfüllt.

§ 2 Abs. 1 2. Halbsatz LMBG enthält in der Form einer Ausschlussbestimmung die eigentliche Abgrenzung der unter Verbot mit Erlaubnisvorbehalt stehenden Zusatzstoffe von den Nicht-Zusatzstoffen. Erste Voraussetzung ist, dass es sich um einen Stoff natürlicher Herkunft oder einen einem natürlichen Stoff chemisch gleichen Stoff handelt. Natürliche Stoffe sind alle Stoffe und Stoffgemische, die als solche in der belebten oder unbelebten Natur vorkommen. Der Begriff umfasst jedoch daneben auch Stoffe, die aus natürlichen Stoffen durch physikalische Verfahren gewonnen werden, sofern dabei keine Veränderung im Molekülaufbau und in der -konfiguration bewirkt wird. Von natürlicher Herkunft wird man weiter auch dann sprechen können, wenn Stoffe durch in sich der Natur abspielende Verfahren gewonnen werden, sofern nicht durch künstliche (steuernde) Eingriffe von menschlicher Hand der natürliche Ablauf des Verfahrens verändert wird; diese Einschränkung muss auch für die Verfahren der Gärung gemacht werden (zum Meinungsstand: Zipfel/Rathke a.a.O., Rdnr. 30, 31 m.w.N.; Kuhner/Pölert/Schröter, Lebensmittelzusatzstoffe, 2. Aufl., § 2 LMBG, Rdnr. 24/25 mit Kritik an der erwähnten Auffassung von Zipfel/Rathke in Fn. 18). Die zuletzt erwähnte Kritik erscheint nicht gerechtfertigt. Zwar umfasst der Begriff der Stoffe natürlicher Herkunft neben in der Natur vorkommenden Stoffen auch Stoffe, bei denen nur die Herkunft natürlich ist. Darunter können jedoch Stoffe aus Verfahren nicht mehr verstanden werden, die so in der Natur nicht vorkommen, weil sie durch vielfältige Beeinflussung gezielt gesteuert werden. Die ausführliche Beschreibung eines Herstellungsverfahrens für Honigwein im Schriftsatz der Beklagten vom 19.9.1999 (Blatt 67 d.A.) bestätigt dies. Insbesondere die Erzielung eines hohen Alkoholgehaltes erfordert eine gezielte Steuerung des sich über Wochen hinziehenden Gärungsprozesses. Honigwein ist daher kein Stoff natürlicher Herkunft im Sinne von § 2 Abs. 1 2. Halbsatz LMBG. Er ist auch nicht natürlichen Stoffen chemisch gleich im Sinne dieser Bestimmung.

Auch die zweite Voraussetzung der genannten Bestimmung ist im Übrigen nicht erfüllt. Danach sind Stoffe (natürlicher Herkunft oder ihnen chemisch gleiche Stoffe) ausgenommen, die nach allgemeiner Verkehrsauffassung überwiegend wegen ihres Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet werden. Für die Entscheidung dieser Frage kommt es nicht darauf an, ob Honigwein ein Genussmittel ist und als solches verkauft und getrunken wird; entscheidend ist vielmehr, ob Honigwein, wenn er anderen Lebensmitteln zugesetzt wird, nach allgemeiner Verkehrsauffassung überwiegend zu den genannten Zwecken verwendet wird. Die Worte "verwendet werden" beziehen sich somit nicht auf die allgemeine Verwendung des betreffenden Stoffes, sondern auf die Worte "zugesetzt zu werden" in § 2 Abs. 1 1. Halbsatz LMBG. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Stoff wegen seines Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet wird, kommt es allerdings nicht auf die Verwendung im konkreten Falle, sondern auf die allgemeine Verkehrsauffassung und somit auf eine abstrakte Betrachtungsweise an (amtliche Begründung zum Regierungsentwurf, Zipfel/Rathke, a.a.O., Rdnr. 3 b). Lässt sich feststellen, dass Honigwein wenigstens in einem Falle nach der Auffassung der beteiligten Verkehrskreise (Hersteller, Vertreiber und Konsumenten von honigweinhaltigen Lebensmitteln) überwiegend zu einem der erwähnten und nicht zu technologischen Zwecken (Konservierung) verwendet wird, so kommt es darauf, ob Honigwein in anderen Fällen - und insbesondere im zu entscheidenen Fall - zu einem technologischen Zweck verwendet wird, nicht an. In diesem Sinne gilt der Satz "einmal (normale) Zutat - immer (normale) Zutat" (die häufig verwendete Formulierung "einmal Lebensmittel - immer Lebensmittel" trifft nicht den Kern, da die meisten Zusatzstoffe selbst Lebensmittel sind).

Eine Verkehrsauffassung dahin, dass Honigwein wenigstens in einem Fall, also in einem im Verkehr vorkommenden Produkt, zu den genannten Zwecken verwendet, also dem Produkt zugesetzt wird, lässt sich nicht feststellen; die Beklagte hat dem Vortrag des Klägers, dass dies so ist, nicht substantiiert widersprochen. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass, soweit überhaupt eine Verkehrsauffassung besteht, diese dahin geht, dass Honigwein zumindest überwiegend wegen seiner konservierenden Wirkung in Lebensmitteln verwendet wird. Dabei wird die Verkehrsauffassung durch die Verwendung in konkreten Produkten entscheidend beeinflusst. Die Beklagte hatte in ihrer früheren Produktinformation (Anlage B 8, Seite 9) selbst darauf hingewiesen, dass Honigwein dem Produkt einen angenehmen Geschmack verleihe und dass der Alkohol für längere Haltbarkeit sorge. Sowohl im Vorprozess wie auch im vorliegenden Rechtsstreit hat die Beklagte unter Berufung auf von ihr vorgelegte Gutachten (Anlage B 1, Seite 3; Anlage B 2, Seite 4) auf die konservierende Wirkung von Alkohol hingewiesen und geltend gemacht, Honigwein sei eine optimale und stabile Grundlage für ein flüssiges Nahrungsergänzungsmittel und für das Produkt der Beklagten aus produktionstechnischen Gründen erforderlich (Schriftsatz vom 6.5.1998, Seite 4/5, Seite 14, Abs. 3 und 4). Jedenfalls zuletzt war die konservierende Wirkung von Alkohol im streitigen Produkt auch nicht mehr streitig. Das Gutachten L (Anlage B 2) erwähnt ausdrücklich "die bereits im Handel üblichen und überall angebotenen Trinkflächen, die als Nahrungsergänzungsmittel in den Markt kommen und die zum großen Teil auch aus Konservierungsgründen Honigwein als Basis tragen". Die Beklagte hat ein konkretes Produkt, dem Honigwein zu anderen Zwecken als zur Konservierung beigesetzt wäre, nicht benennen können. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass nach der Auffassung der beteiligten Verkehrskreis, insbesondere der Hersteller honigweinhaltiger Lebensmittel, aber auch der Verbraucher solcher Lebensmittel, Honigwein solchen Lebensmittel ausschließlich oder zumindest überwiegend nicht wegen seines Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel, sondern als Konservierungsmittel zugesetzt wird. Ein angenehmer Geschmack lässt sich auch durch andere Stoffe - etwa Obstsäfte - erzielen (evtl. sogar mit der Möglichkeit des Angebotes unterschiedlicher Geschmacksrichtungen).

Die gewonnene Auslegung von § 2 Abs. 1 LMBG erscheint sachgerecht. Sie nimmt alle Lebensmittel, die zumindest im Einzelfall nach der allgemeinen Verkehrsauffassung überwiegend wegen ihres Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet werden, von den Zusatzstoffverboten des § 11 LMBG aus und lässt nur solche Lebensmittel unter die erwähnten Verbote fallen, die nach der Verkehrsauffassung ausschließlich oder überwiegend zu technologischen Zwecken eingesetzt werden. Das entspricht der Absicht des Gesetzgebers und erscheint sachgerecht. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die erörterte Auslegung im konkreten, hier zu entscheidenden Fall zu einem unangemessenen Ergebnis führen würde. Es erscheint nicht unangemessen, wenn ein Produkt, dass zu mehr als 80 % aus Honigwein besteht und einen Alkoholgehalt von 17,5 Vol.-% hat, vom Vertrieb als Nahrungsergänzungsmittel ausgeschlossen wird.

Der gegenteiligen Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe in seinem Urteil vom 8.12.1999 (ZLR 2000, 67) vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Das Urteil weist bei seiner Erörterung der Frage, ob Honigwein ein Stoff natürlicher Herkunft ist, lediglich darauf hin, dass Gärung "ein in der Natur vorkommender Vorgang" ist und folgert daraus, Honigwein sei ein Stoff natürlicher Herkunft; auf die Abgrenzungsfrage, ob der gezielte Einsatz von Gärung und die steuernde Beeinflussung der Gärung zur Erzielung eines Produkts, dass so in der Natur nicht vorkommt, eine andere Beurteilung erforderlich macht, geht es nicht ein. Es verkennt weiter auch, dass es für die Beurteilung der Frage, zu welchem Zweck ein Stoff im Sinne von § 2 Abs. 1 2. Halbsatz LMBG "verwendet" wird, nicht darauf ankommt, dass Honigwein als solcher ein Lebens- bzw. Genussmittel ist sondern darauf, zu welchem Zweck er nach der Verkehrsauffassung anderen Lebensmitteln zugesetzt wird, und stellt deswegen darauf ab, dass Honigwein als solcher unstreitig ein Genussmittel ist.

Dem gewonnenen Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, § 2 Abs. 1 LMBG müsse im Lichte der Zusatzstoff-Definiton in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mittgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen (89/107 EWG), ausgelegt werden. Denn diese Richtlinie findet nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nur auf Lebensmittelzusatzstoffe der in Anhang 1 aufgeführten Kategorien Anwendung. Honigwein und sonstige Genussmittel gehören nicht zu den in Anhang 1 der Richtlinie aufgeführten Kategorien von Lebensmittelzusatzstoffen. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie definiert deren Anwendungsbereich (vgl. Glandorf/Kuhnert/Lück, Handbuch Lebensmittelzusatzstoffe, Abschnitt K III-2, Nr. 2.1.2), der somit nicht eröffnet ist.

Der Verstoß gegen die erörterten lebensmittelrechtlichen Vorschriften stellt zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG dar. Dies bedarf keiner weiteren Erörterung, da die Beklagte dies nicht verkennt. Die Berufung des Klägers musste daher Erfolg haben.

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, der Beklagten eine Aufbrauchsfrist einzuräumen. Eine solche kann nur unter besonderen Umständen und bei einem Verstoß gegen die lebensmittelrechliche Vorschriften wegen ihrer besonderen Bedeutung für das Gemeinwohl praktisch nicht in Betracht kommen. Zudem ist die Rechtsauffassung des Senats der Beklagten bereits seit dem erwähnten Urteil vom 9.7.1998 bekannt; die damit übereinstimmende Auffassung des Bundesgerichtshofes kennt die Beklagte seit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Mai 1999. Die Beklagte hat daher ausreichend Gelegenheit gehabt, sich auf die Rechtslage einzustellen. Sie hat dies auch unstreitig durch Einführung eines Ersatzproduktes getan. Aus diesen Gründen bestand auch keine Veranlassung, der Beklagten Vollstreckungsschutz gemäß § 712 Abs. 1 ZPO zu gewähren, zumal die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht substantiiert dargetan sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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