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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 14.04.2005
Aktenzeichen: 31 Wx 1/05
Rechtsgebiete: PStG, BGB


Vorschriften:

PStG § 61 Abs. 1
PStG § 61 Abs. 2
BGB § 1758
Ein über 16 Jahre altes angenommenes Kind hat ein rechtliches Interesse im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 3 PStG auf Einsicht in die Personenstandsbücher und Erteilung von Personenstandsurkunden bezüglich seiner leiblichen Vorfahren.
Tatbestand:

Der Beteiligte zu 1 wurde mit Wirkung vom 17.8.1978 adoptiert. Durch Einsicht in seinen Geburtseintrag hat er festgestellt, wer seine leiblichen Eltern sind. Nachdem das zuständige Standesamt ihm die Erteilung einer Geburtsurkunde seines leiblichen Vaters mit der Begründung verweigert hatte, das Verwandtschaftsverhältnis zu den leiblichen Eltern sei erloschen, hat er beim Amtsgericht beantragt, die Akten/Geburtsurkunden seiner Familienlinie bis ca. 1870 freizugeben. Das Standesamt hat daraufhin die Erteilung einer Geburtsurkunde des leiblichen Vaters als zulässig angesehen, Einsicht in weitere Personenstandseinträge von dessen Vorfahren jedoch abgelehnt.

Mit Beschluss vom 22.9.2004 hat das Amtsgericht den Standesbeamten angewiesen, dem Beteiligten zu 1 Einsicht in die vorhandenen Personenstandsbücher seiner leiblichen Vorfahren zu gewähren und Geburtsurkunden zu erteilen. Die sofortige Beschwerde der Standesamtsaufsicht hat das Landgericht mit Beschluss vom 30.12.2004 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Standesamtsaufsicht mit der sofortigen weiteren Beschwerde, um eine obergerichtliche Klärung herbeizuführen. Das Rechtsmittel führt zur Bestätigung der Entscheidung des Landgerichts.

Gründe:

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§ 45 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 48 Abs. 1 PStG, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2, Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG).

2. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Beteiligte zu 1 habe ein rechtliches Interesse im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 3 PStG an der Einsicht in die Personenstandsbücher seiner leiblichen Vorfahren und an der Erteilung von Urkunden. Das grundrechtlich gewährleistete Persönlichkeitsrecht umfasse auch die Kenntnis von der eigenen Abstammung.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 48 Abs. 1 PStG, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Beteiligte zu 1 nach § 61 Abs. 1 Satz 3 PStG berechtigt ist, die Personenstandsbücher seiner leiblichen Verwandten einzusehen und Urkunden aus den sie betreffenden Einträgen zu erhalten.

a) Der Beteiligte zu 1 hat allerdings - anders als das Amtsgericht angenommen hat - kein Recht auf Benutzung der Personenstandsbücher seiner leiblichen Vorfahren nach § 61 Abs. 1 Satz 1 PStG. Diese Vorschrift räumt den Personen ein Benutzungsrecht ein, auf die sich der Eintrag bezieht, ferner - neben den Ehegatten - den Vorfahren und Abkömmlingen, also den Verwandten in gerader aufsteigender oder absteigender Linie. Zu den Abkömmlingen einer Person zählen jedoch nicht Personen, die zwar biologisch von ihr abstammen, im rechtlichen Sinne jedoch nicht mit ihr verwandt sind. Durch die Adoption eines Kindes erlöschen seine verwandtschaftlichen Beziehungen zur Herkunftsfamilie, § 1755 BGB. Soweit gesetzliche Vorschriften an die biologische Verwandtschaft anknüpfen, ist dies ausdrücklich geregelt, so etwa durch § 1307 Satz 2 BGB, der das für Verwandte in gerader Linie sowie voll- und halbbürtige Geschwister geltende Eheverbot auch auf den Fall ausdehnt, dass die rechtliche Verwandtschaft durch Adoption erloschen ist (weitere Beispiele vgl. Art. 7 Adoptionsgesetz vom 2.7.1976, BGBl. I S. 1766; Staudinger/Frank BGB Bearbeitungsstand 2001 § 1755 Rn. 9). Eine derartige Regelung enthält § 61 Abs. 1 PStG jedoch nicht; unter Vorfahren und Abkömmlingen im Sinne dieser Vorschrift sind deshalb nur die Verwandten im Rechtssinne zu verstehen (so auch Hepting/Gaaz PStG Bearbeitungsstand 2003 § 61 Rn. 40a).

b) Das grundrechtlich geschützte Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung begründet jedoch ein rechtliches Interesse an der Benutzung der Personenstandsbücher betreffend die leiblichen Vorfahren, § 61 Abs. 1 Satz 3 PStG.

Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 3 PStG ist dann gegeben, wenn die Kenntnis der Personenstandsdaten eines anderen zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sind. Es setzt ein bereits bestehendes Recht voraus, das ohne die erstrebte Handlung in seinem Rechtsbestand gefährdet ist (Hepting/Gaaz § 61 Rn. 42).

Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, da diese für die Entfaltung der Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung sein kann. Verständnis und Entfaltung der Individualität sind mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung. Sie legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen fest und prägt so seine Persönlichkeit mit. Unabhängig davon nimmt sie auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein (BVerfG NJW 1989, 891 f.). Der Bezug zu den Vorfahren kann im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für sein Selbstverständnis und seine Stellung in der Gemeinschaft einnehmen. Die Kenntnis der Herkunft kann wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geben. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern (BVerfG NJW 1994, 2475).

Die Benutzung der Personenstandsbücher der leiblichen Vorfahren dient der Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Herkunft. Etwaige Interessen der leiblichen Vorfahren, ihre Identität geheim zu halten, haben demgegenüber grundsätzlich zurückzutreten.

c) § 61 Abs. 2 Satz 1 PStG steht der Einsicht und Erteilung von Personenstandsurkunden bezüglich der leiblichen Vorfahren des Beteiligten zu 1 nicht entgegen. Diese Vorschrift schränkt das Recht zur Einsicht in den Geburtseintrag eines adoptierten Kindes ein. Der Geburtseintrag weist auch die leiblichen Eltern aus. Durch die Beschränkung des Einsichtsrechts soll sichergestellt werden, dass nur die dort genannten Berechtigten Kenntnis von der Adoption des Kindes und den leiblichen Eltern erlangen können. Die Regelung dient - ebenso wie die entsprechende Beschränkung bezüglich des Familienbuchs der Annehmenden (§ 61 Abs. 2 Satz 2 PStG) - der Umsetzung des zum Schutz des Adoptionsgeheimnisses in § 1758 BGB angeordneten Offenbarungs- und Ausforschungsverbots.

Sie greift hier schon deshalb nicht ein, weil sie nur die ausdrücklich aufgeführten Personenstandsbücher betrifft, aus denen die Annahme des Kindes ersichtlich ist oder gefolgert werden kann (vgl. Bundestags-Drucks. 7/3061 S. 82 f.). Das trifft auf die Geburtseinträge der leiblichen Vorfahren des Beteiligten zu 1, auf die sich das verfahrensgegenständliche Auskunftsbegehren bezieht, nicht zu. Im Übrigen gehört der 28-jährige Beteiligte zu 1 als über 16 Jahre alter Angenommener zu dem berechtigten Personenkreis, dessen Auskunftsrecht durch § 61 Abs. 2 Satz 1 und 2 PStG gerade nicht eingeschränkt wird.

d) Das Ergebnis steht auch mit sonstigen Grundgedanken und Regelungen des Adoptionsrechts in Einklang. Der Schutz des Adoptionsgeheimnisses (§ 1758 Abs. 1 BGB) dient dazu, die Einbindung des Kindes in das neue familiäre Bezugssystem zu erleichtern (Palandt/Diederichsen BGB 64. Aufl. § 1758 Rn. 1). Es bleibt den annehmenden Eltern überlassen, wann sie das Kind über seine Herkunft unterrichten. Das Adoptionsgeheimnis bezweckt jedoch nicht, dem Angenommenen auf Dauer die Kenntnis über seine biologische Abstammung vorzuenthalten; es schützt die leiblichen Eltern nicht vor späteren Nachforschungen des Kindes, das seine Abstammung erfahren möchte (vgl. Hepting/Gaaz § 61 Rn 66; MünchKommBGB/Maurer 4. Aufl. § 1758 Rn. 9; Staudinger/Frank § 1758 Rn. 4).

Das gilt auch bei der so genannten Inkognito-Adoption, die im deutschen Recht einseitig ausgestaltet ist: § 1747 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt zu, dass die leiblichen Eltern nicht erfahren, wer die Annehmenden sind, während umgekehrt diesen die Identität der leiblichen Eltern mitgeteilt wird (vgl. Staudinger/Frank § 1747 Rn. 35). Im Übrigen bleibt dem adoptierten Kind die Identität der leiblichen Eltern spätestens dann nicht mehr verborgen, wenn es heiraten will; denn bei der Eheschließung muss eine Abstammungsurkunde vorgelegt werden, die - im Unterschied zur Geburtsurkunde - die leiblichen Eltern ausweist (§ 5 Abs. 1, § 62 PStG).

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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