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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 17.11.2009
Aktenzeichen: 31 Wx 103/09
Rechtsgebiete: EGBGB, MSA


Vorschriften:

EGBGB Art. 7
EGBGB Art. 24
MSA Art. 2
MSA Art. 12
Eine im Inland nach dem Minderjährigenschutzabkommen angeordnete Vormundschaft über einen Asylbewerber aus Sierra Leone endet mit Vollendung des 18. Lebensjahres.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 31 Wx 103/09

Der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Rojahn, der Richterin am Oberlandesgericht Förth und des Richters am Oberlandesgericht Gierl

am 17. November 2009

in der Vormundschaftssache

wegen Beendigung der Vormundschaft,

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 7. April 2009 wird zurückgewiesen.

II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I. Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung des Amtsgerichts vom 24.11.2008, dass die am 18.6.2007 angeordnete Vormundschaft über die am 1.3.1990 geborene sierra-leonische Staatsangehörige A. K., die in Deutschland um Asyl nachgesucht hat, wegen Eintritts der Volljährigkeit (Vollendung des 18. Lebensjahres) beendet sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht mit Beschluss vom 7.4.2009 zurück. Mit der weiteren Beschwerde wird die Aufhebung dieser Beschlüsse begehrt.

II. Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat angenommen, dass die Regelungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) im vorliegenden Fall anwendbar sind, dem autonomen deutschen Kollisionsrecht vorgehen und das vom MSA berufene Recht des Aufenthaltsstaates (Art. 2 MSA), hier das deutsche Recht, die Voraussetzungen sowohl für die Anordnung als auch für die Beendigung der Schutzmaßnahme bestimme (Art. 2 Abs. 2 MSA). Nach deutschem Recht sei die Betroffene volljährig und die Vormundschaft deshalb beendet.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Die Anwendung des MSA setzt voraus, dass der Betroffene sowohl nach seinem Heimatrecht als auch nach dem Recht des Aufenthaltsstaates minderjährig ist (Art. 12 MSA). Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres am 1.3.2008 wurde A. K. nach deutschem Recht volljährig und das MSA deshalb unanwendbar. Ob die unter der Geltung des MSA angeordnete Schutzmaßnahme der Vormundschaft beendet ist, richtet sich vielmehr - vorbehaltlich eines vorrangigen Staatsvertrages wie etwa der Genfer Flüchtlingskonvention - nach dem vom autonomen deutschen Kollisionsrecht berufenen Sachrecht (vgl. im Einzelnen OLG München Rpfleger 2009, 566). Das ist nach Art. 7, Art. 24 EGBGB das Recht des Staates Sierra Leone als Heimatrecht der Betroffenen (eine durch sierra-leonisches Recht angeordnete Rückverweisung auf deutsches Recht ist nicht feststellbar).

3. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Dabei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Fall die Genfer Flüchtlingskonvention anwendbar ist, deren Kollisionsnorm (Art. 12) auf das Recht des Landes des Wohnsitzes verweist, was hier das deutsche Recht wäre. Denn auch nach sierraleonischem Recht wird seit der Gesetzesreform von 2007 eine über 18 Jahre alte Person als volljährig behandelt und nicht allein ihres Alters wegen unter Vormundschaft gestellt. Das ergibt sich aus der Zusammenschau folgender sierra-leonischer Gesetze:

Der Child Rights Act von 2007, Sec. 2, definiert "Kind" als eine unter 18 Jahre alte Person. Durch dieses Gesetz, das die UN-Konvention über die Rechte des Kindes sowie die Afrikanische Charta über die Rechte und Wohlfahrt des Kindes in das innerstaatliche Recht umgesetzt hat, wurde auch die Altersgrenze in verschiedenen anderen Gesetzen entsprechend angeglichen und auf 18 Jahre herabgesetzt (vgl. Sec. 141: Protection of Women and Girls Act, Children and Young Persons Act, Muslim Marriage Act, Interpretation Act etc.). Im Refugees Protection Act von 2007 - einem Gesetz, das dem Schutz von Flüchtlingen dient - wird "minor", also Minderjähriger, als eine Person unter 18 Jahren definiert (Sec. 1). Das Heiratsalter ohne Zustimmung der Eltern ist auf 18 Jahre festgesetzt (vgl. The Registration of Customary Marriage and Divorce Act, 2007). Das Wahlrecht ist in der Verfassung an die Altersgrenze von 18 Jahren geknüpft, im Adoptionsrecht gibt es eine Altersgrenze von 17 Jahren (Adoption Act von 1989). In der Gesamtschau kann das nur heißen, dass die sierra-leonische Rechtsordnung eine über 18 Jahre alte Person nicht in einem solchen Maße als schutzbedürftig ansieht, dass sie allein aus Gründen des Alters eines Vormunds bedarf oder eine vor der Vollendung des 18. Lebensjahres angeordnete Vormundschaft fortdauern müsste. Im hier erörterten Zusammenhang, in dem es um die Schutzbedürftigkeit von unbegleiteten jungen Erwachsenen im Rahmen der Flüchtlingsproblematik geht, kommt dabei - neben den allgemeinen Schutznormen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene - dem oben schon genannten sierra-leonischen Flüchtlingsrecht besondere Bedeutung zu. Da das innerstaatliche Recht von Sierra Leone nur Flüchtlinge, die unter 18 Jahre alt sind, als minderjährig behandelt, kann bei Maßgeblichkeit des sierra-leonischen innerstaatlichen Rechts auf den hier gegebenen Sachverhalt eines sierra-leonischen Flüchtlings in Deutschland kein anderer Maßstab gelten.

Der Senat hält dieses Ergebnis für so eindeutig, dass es der Erholung einer Rechtsauskunft offizieller Stellen von Sierra Leone oder eines Gutachtens einer wissenschaftlichen Institution für ausländisches Privatrecht, wie beantragt, nicht bedarf. Der hier gewonnenen Erkenntnis steht insbesondere auch nicht der Citizenship Act von 1973 entgegen, wonach für Zwecke des Staatsangehörigkeitsrechts eine Volljährigkeit erst mit 21 Jahren zugrunde gelegt wird (eine Vorschrift, die durch die Gesetzesreform von 2007 nicht geändert wurde). Ein Auseinanderfallen zwischen allgemeinzivilrechtlicher Volljährigkeit mit 18 Jahren und einer höheren Altersgrenze im Staatsangehörigkeitsrecht ist wegen der unterschiedlichen gesetzgeberischen Zielsetzung nicht ungewöhnlich. Aus Vorschriften des Child Rights Act wie Sec. 96, 97, 106 und 108, auf welche die weitere Beschwerde verweist, ergibt sich ebenfalls nichts Gegenteiliges.

Die Feststellung des Amtsgerichts, dass die Vormundschaft über A. K. beendet ist, erweist sich somit unabhängig davon, ob die Genfer Flüchtlingskonvention (und deshalb deutsches Sachrecht) oder über die autonomen deutschen Kollisionsnormen sierra-leonisches Sachrecht anwendbar ist, als zutreffend. Das Landgericht hat die Beschwerde im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weshalb die weitere Beschwerde ohne Erfolg bleibt.

4. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 a. F. KostO). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2 a. F. KostO, § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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