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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.07.2007
Aktenzeichen: 31 Wx 33/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2084
BGB § 2270 Abs. 1
BGB § 2270 Abs. 2
1. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel nicht zu beseitigen sind.

2. Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der in § 2270 BGB bezeichnete Zusammenhang der Wechselbezüglichkeit besteht, ist (sofern dies nicht eindeutig ist) nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) zu entscheiden.

3. Ein späterer Abänderungsvorbehalt zugunsten eines Ehegatten spricht für die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung im Übrigen, wenn der in dem Zusatz beschriebene Vermögensgegenstand nach dem ausdrücklichen Wortlaut nicht der früheren Vereinbarung unterliegen soll; schon das legt die Auslegung nahe, dass hinsichtlich des übrigen Vermögens sehr wohl eine Bindung gewollt war.


Gründe:

I. Die Erblasserin verstarb am 5.1.2005 im Alter von 91 Jahren. Ihr Ehemann war vorverstorben. Die Beteiligten zu 1 bis zu 5 sind leibliche Abkömmlinge der Erblasserin. Die Beteiligten zu 6 und zu 7 sind Enkel der Erblasserin und Abkömmlinge eines bereits vorverstorbenen Sohnes. Der Ehemann der Erblasserin verfasste am 4.2.1971 folgendes von ihr mitunterzeichnetes Schriftstück

"Erklärung

Die Endesunterzeichneten bekunden gemeinsam, dass bei Ableben des einen Elternteils der überlebende Teil das gesamte Erbe übernimmt und eine Aufteilung des Erbgutes auf die erbberechtigten Kinder erst nach dem Ableben beider Elternteile erfolgen soll.

Im Fall einer Wiederverheiratung des überlebenden Elternteils bleibt das Erbe den leiblichen Kindern der Unterzeichnenden vorbehalten.

(Ort), den 4. Februar 1971

H.W.

E.W."

Unter dieses Schriftstück setzte der Ehemann der Erblasserin am 14.3.1976 folgenden von ihr mitunterzeichneten Text:

"Zusatz:

Die auf den Namen E.W. (Erblasserin) eingetragene Eigentumswohnung in St., ..... unterliegt nicht der vorstehenden Vereinbarung, da sie nicht unter den Begriff des gemeinsamen Vermögens fällt.

(Ort), 14.3.1976

H.W.

E.W."

Die Erblasserin errichtete am 8.12.2004 ein notarielles Testament, in welchem sie die Beteiligten zu 1 und zu 2 mit unterschiedlichen Anteilen als Erben einsetzte und im Übrigen die Erben mit verschiedenen Vermächtnissen beschwerte. Mit Schriftsatz vom 15.6.2005 beantragte der Beteiligte zu 3 einen Erbschein mit dem Inhalt, dass die Erblasserin zu je 1/6 von den Beteiligten zu 1 mit 5 und zu je 1/12 von den Beteiligten zu 6 und 7 beerbt worden seien.

Das Nachlassgericht erließ am 25.8.2005 den Beschluss, wonach die Erteilung eines Erbscheins entsprechend dem gestellten Antrag angekündigt wird. Gegen diesen Beschluss legte die Beteiligte zu 2 mit Schriftsatz vom 12.9.2005 Beschwerde ein. Das Landgericht hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 22.3.2007 zurückgewiesen. Gegen den ablehnenden Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde, welche die Beteiligte zu 2 mit Schriftsatz vom 5.4.2007 eingelegt hat.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Erblasserin sei an das gemeinsame Ehegattentestament vom 4.2.1971 gebunden gewesen. Nur im testamentarischen Zusatz vom 14.3.1976 hätten die Erblasserin und ihr Ehemann einen testamentarischen Änderungsvorbehalt vorgesehen und damit stillschweigend zum Ausdruck gebracht, dass in Bezug auf das übrige Vermögen die Wechselbezüglichkeit der Verfügung vom 4.2.1971 gelten solle. Die Wechselbezüglichkeit der bezeichneten Verfügungen hätten die Eheleute auch dadurch unterstrichen, dass auch im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Elternteils das alleinige testamentarische Erbrecht der Kinder des Vorversterbenden bestehen bleiben solle. Die Erblasserin habe von ihrem eingeräumten Änderungsvorbehalt keinen Gebrauch gemacht. Die im notariellen Testament vom 8.12.2004 erfolgte Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und zu 2 als alleinige und ausschließliche Erben sei als solche unteilbar und ist insgesamt wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung des vorangegangenen Testaments nichtig. Es lasse sich auch keine quantitative Teilbarkeit des notariellen Testaments herleiten.

2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beteiligten zu 1 bis 7 aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 4.2.1971 als Erben nach dem Überlebenden berufen sind. Diese Erbeinsetzung hätte durch die Erblasserin durch notarielles Testament vom 8.12.2004 nur dann wirksam widerrufen werden können, wenn sie nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 BGB zu einer Verfügung ihres Ehemannes war; andernfalls war die Erblasserin nach § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Tod des Ehemanns an einem Widerruf dieser in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen letztwilligen Verfügung gehindert.

aa) Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG Hamm FamRZ 2004, 662). Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGHZ 112, 222/233 f.). Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden (BGH NJW-RR 1987, 1410).

bb) Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel nicht zu beseitigen sind (BayObLG FamRZ 1999, 1388/1389).

cc) Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der in § 2270 BGB bezeichnete Zusammenhang der Wechselbezüglichkeit besteht, ist - sofern dies nicht eindeutig ist - nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) zu entscheiden.

Die Auslegung selbst - auch hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit - ist grundsätzlich Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung im Wege der weiteren Beschwerde ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen oder wesentliche Umstände übersehen wurden (vgl. BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270). Die Auslegung des Tatrichters muss nicht zwingend sein; es genügt, wenn sie nur möglich ist (BGH FamRZ 1972, 561/562; BayObLG FamRZ 2005, 1933/1934).

b) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis gerecht.

aa) Das Landgericht hat das gemeinschaftliche Testament vom 4.2.1971 mit Zusatz vom 14.3.1976 zu Recht als auslegungsbedürftig angesehen, da es keine ausdrückliche Aussage zur Wechselbezüglichkeit der darin enthaltenen Verfügungen enthält. Das Landgericht hat den Sachverhalt zwar nicht vollständig gewürdigt, ist aber im Ergebnis zutreffend zur Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Testament vom 4.2.1971 gekommen.

Die Auffassung des Beschwerdegerichts, wonach der am 14.3.1976 verfügte Abänderungsvorbehalt zugunsten der Erblasserin für die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung im Übrigen spricht, ist nicht zu beanstanden. Der in dem Zusatz beschriebene Vermögensgegenstand soll nach dem ausdrücklichen Wortlaut nicht der Vereinbarung vom 4.2.1971 unterliegen. Schon das legt die Auslegung nahe, dass hinsichtlich des übrigen Vermögens sehr wohl eine Bindung gewollt war. Auch die Wortwahl stützt diese Auslegung: Die Eheleute verwenden in dem Zusatz die Bezeichnung "Vereinbarung"; auch bekunden sie in der Erklärung vom 4.2.1971 "gemeinsam", dass beim Ableben eines Elternteils der überlebende Teil das gesamte Erbe übernimmt und erst danach die erbberechtigten Kinder zum Zuge kommen sollen. Es handelt sich ersichtlich um eine gemeinsame Vermögensplanung, bei der jeder Ehegatte zunächst die gemeinsamen Kinder übergeht, indem er für den ersten Todesfall den anderen Ehegatten einsetzt, und sodann das nach dem Tod des Letztversterbenden noch vorhandene Vermögen den Kindern zuwendet. Nach der Interessenlage und in Verbindung mit den dargelegten anderen Indizien lässt das ohne weiteres den Schluss zu, dass jeder Ehegatte die Enterbung der eigenen Kinder für den ersten Todesfall in einer Wechselwirkung dazu sieht, dass nicht nur er selbst, sondern auch der jeweils andere Ehegatte im Gegenzug dafür als Schlusserben des beiderseitigen Vermögens die Kinder einsetzt. Wechselbezüglich sind deshalb nicht nur die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute, sondern auch, worauf es im hier erörterten Zusammenhang ankommt, die für den ersten Todesfall geltende Einsetzung der Ehefrau durch den Ehemann zur für den zweiten Todesfall geltenden Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder durch die Ehefrau, und umgekehrt (vg. J. Mayer in Bengel/Reimann/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, 5. Aufl. § 2270 BGB Rn. 57). Das Gesetz schützt das Vertrauen der Eheleute in den Bestand einer solchen Regelung, indem es zu Lebzeiten beider Ehegatten einen einseitigen Widerruf nur in einer besonderen Form gestattet, die sicherstellt, dass der andere Ehegatte von dem Widerruf erfährt (§ 2271 Abs. 1 Satz 1, § 2296 Abs. 2 BGB), und indem es nach dem Tod des Erstversterbenden den Widerruf grundsätzlich ausschließt (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Eine andere Frage ist es, ob dem überlebenden Ehegatten bei grundsätzlich gegebener Bindung an die Schlusserbeneinsetzung eine Änderungsbefugnis insoweit eingeräumt sein sollte, dass zwar nicht andere Personen als die erbberechtigten Kinder bedacht werden können, innerhalb der Gruppe der Kinder jedoch eine andere Quotelung zulässig sein sollte. Auch dafür fehlt jedoch hinreichender Anhalt sowohl im Testament selbst als auch in den zutage getretenen Umständen außerhalb der Testamentsurkunde.

bb) Die von der weiteren Beschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17.2.1965 (BayObLGZ 1965, 53 ff.) ergibt nichts anderes. Der Sachverhalt der bezeichneten Entscheidung weicht von dem hier zu beurteilenden in entscheidenden Punkten ab. Während damals die betroffenen Eheleute im Einzelnen näher testierten und ergänzend bezüglich des übrigen Nachlasses die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen anordneten, haben die Eheleute hier die Berufung des Überlebenden und die Schlusserbenstellung der erbberechtigten Kinder ohne weitere Ergänzungen und eindeutig bestimmt. Lediglich die Erblasserin war in Bezug auf die in ihrem Eigentum stehende Eigentumswohnung von der gemeinsam getroffenen Vereinbarung zu einer anderweitigen Verfügung berechtigt.

cc) Gegen die Annahme der Wechselbezüglichkeit stellt auch der Umstand, dass der Ehemann der Erblasserin noch zu Lebzeiten beider Ehegatten durch Testament vom 20.5.1982 einseitig verfügt hat, kein durchgreifendes Gegenargument dar. Was ihn dazu bewogen hat, ist nicht im Einzelnen bekannt. Angesichts vieler denkbarer Erklärungen für eine solche Verhaltensweise und im Lichte der oben angeführten gegenteiligen Indizien lässt dieser Umstand hier keinen sicheren Schluss darauf zu, dass beide Ehegatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Testierens davon ausgegangen wären, jeder von ihnen könne alle Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament jederzeit nach Belieben widerrufen. Schließlich spricht auch das Ergebnis der Nachlassverhandlung vom 10.4.1992 nach dem Tod des Ehegatten der Erblasserin jedenfalls nicht gegen die Wechselbezüglichkeit, wenn die Erblasserin dort bekundet hat, dass sie bereits eine Schlusserbeneinsetzung getroffen habe, ohne auf eine etwaige Änderungsmöglichkeit abzuheben.

Bleibt es somit bei dem durch Auslegung gefundenen Ergebnis der oben näher dargestellten Wechselbezüglichkeit, so führt das Testament des Ehemanns der Erblasserin vom 20.5.1982 auch nicht etwa zur Aufhebung der Verfügungen des Testaments vom 4.2.1971, denn eine einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen durch Testament ist gesetzlich nicht vorgesehen (§ 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ein Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen hätte nur nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschriften erfolgen können (§ 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die erforderlichen Formvorschriften hierfür erfüllt das Testament vom 20.5.1982 nicht.

c) Die Folge der Wechselbezüglichkeit der Erklärungen im Testament vom 4.2.1971 ist deren Bindungswirkung und die Unwirksamkeit der letztwilligen notariellen Verfügung vom 8.12.2004. Ihr kann auch keine teilweise Gültigkeit nach § 2085 BGB beigemessen werden, weil sie eine gänzlich andere erbrechtliche Regelung enthält als die Erklärung vom 4.2.1971 und inhaltlich nicht teilbar ist. Die Änderungsbefugnis der Erblasserin vom 14.3.1976 in Bezug auf ihre Eigentumswohnung lässt jedenfalls die Anordnung einer gänzlich anderen Erbfolge als im Testament vom 4.2.1971 vorgesehen nicht zu. Die Erblasserin hat im notariellen Testament vom 8.12.2004 insgesamt neu letztwillig verfügen wollen und nicht allein das ihr noch möglicherweise aus dem Abänderungsvorbehalt vom 14.3.1976 zukommende Verfügungsrecht ausüben wollen.

3. Das Gesetz bestimmt, wer die Gerichtskosten zu tragen hat. Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Festsetzung des Geschäftswerts der weiteren Beschwerde unterbleibt einstweilen, da hinreichend sichere Erkenntnisse über den Wert des Nachlasses noch nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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