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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 12.07.2006
Aktenzeichen: 31 Wx 47/06
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 104 Abs. 2
AktG § 104 Abs. 5
AktG § 106
1. Das Amt eines gerichtlich bestellten Mitglieds des Aufsichtsrats endet automatisch, wenn die Hauptversammlung ein neues Mitglied wählt und dieses die Wahl angenommen hat. Damit endet die Verfahrenshoheit der Gerichte. Eine Entscheidung, ob die gerichtliche Bestellung zu Recht erfolgt war, kann nicht mehr ergehen.

2. Die Frist für die sofortige Beschwerde von nicht antragstellenden Aktionären im gerichtlichen Verfahren auf Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrats beginnt spätestens mit der Veröffentlichung der Änderung nach § 106 AktG im elektronischen Bundesanzeiger zu laufen.


Gründe:

I.

Auf Antrag des Vorstands der beteiligten Gesellschaft vom 22.11.2005 hat das Registergericht mit Beschluss vom 29.11.2005 die in dem Antrag bezeichneten acht Personen als Aufsichtsratsmitglieder bestellt. Mit Schreiben vom 23.9.2005 hatte die weitere Beteiligte eine "Schutzschrift" beim Registergericht eingereicht, in der sie in einem Verfahren auf Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern einen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend macht, und eine andere Person als Aufsichtsratsmitglied vorschlägt. Die beteiligte Gesellschaft veröffentlichte die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder am 13.12.2005 im elektronischen Bundesanzeiger. Mit Beschluss vom 20.12.2005 hat das Landgericht die in dem Schreiben vom 23.9.2005 ebenfalls enthaltene sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen.

Am 9.2.2006 legte die weitere Beteiligte gegen den Beschluss des Registergerichts vom 29.11.2005 sofortige Beschwerde ein und begründete diese im Wesentlichen damit, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Mit Beschluss vom 6.4.2006 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde vom 9.2.2006 als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde vom 18.4.2006.

Am 23.5.2006 wählte die Hauptversammlung der beteiligten Gesellschaft die acht Personen, die im Weg der gerichtlichen Bestellung vom 29.11.2005 zu Mitgliedern des Aufsichtsrats bestellt worden waren, zu Aufsichtsratsmitgliedern.

II.

Das Verfahren zur Ergänzung des Aufsichtsrats durch gerichtliche Bestellung (§ 104 AktG) hat sich am 23.5.2006 mit der Wahl der acht Personen zu Mitgliedern des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung der beteiligten Gesellschaft erledigt. Der Senat hat daher entsprechend dem Hilfsantrag vom 30.6.2006 nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

1. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Hauptsache erledigt, wenn nach Einleitung des Verfahrens der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, welches eine Veränderung der Sach- und Rechtslage herbeiführt, weggefallen ist, so dass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, weil eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann (vgl. BGH NJW 1982, 2505/2506; BayObLGZ 1990, 130/131, Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 10. Aufl. Einl. FGG Rn. 120; Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 85). Das ist insbesondere der Fall, wenn die gerichtliche Entscheidung auf Grund veränderter Umstände keine Wirkung mehr entfalten könnte. Ein bereits eingelegtes Rechtsmittel wird dann im Grundsatz unzulässig, eine Sachentscheidung darf nicht ergehen. Denn mit der Erledigung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel (BayObLGZ 1971, 182/184). Beschränkt ein Rechtsmittelführer sein vor Erledigung der Hauptsache wirksam eingelegtes Rechtsmittel jedoch auf die Kosten, so bleibt es insoweit zulässig. In diesem Fall hat das Gericht über die in allen Rechtszügen angefallenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu entscheiden (BayObLGZ 1992, 54/57).

So liegt der Fall hier. Die Wahl der acht Personen in der Hauptversammlung vom 23.5.2006 zu Mitgliedern des Aufsichtsrats hat die Hauptsache des gerichtlichen Bestellungsverfahrens nach § 104 AktG materiellrechtlich erledigt, da die Aufsichtsratsmitglieder nunmehr aus einem anderen Berufungsgrund Mitglieder des Aufsichtsgremiums der beteiligten Gesellschaft geworden sind. Mit dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 29.11.2005 waren jedenfalls die darin bezeichneten Personen Mitglieder des Aufsichtsrats der beteiligten Gesellschaft kraft gerichtlicher Bestellung geworden. Die einzelnen Personen sind wirksam mit Zustellung des Beschlusses an sie Mitglieder des Aufsichtsrats geworden, weil sie zuvor ihre Zustimmung zur gerichtlichen Bestellung erteilt hatten (vgl. MünchKomm AktG /Semler 2. Aufl. § 104 Rn. 106).

Das Amt der gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieder endet, sobald der Mangel behoben ist (§ 104 Abs. 5 AktG). Das Amt erlischt automatisch und bedarf keines weiteren gerichtlichen Aktes etwa in Gestalt der Abberufung (vgl. BayObLG ZIP 2004,2190/2191; OLG Frankfurt AG 1987, 159; Hüffer AktG 7. Aufl. § 104 Rn. 12; MünchKomm AktG/Semler § 104 Rn. 116). Eine Behebung des Mangels liegt vor, wenn ein neu gewähltes Mitglied die Bestellung in den Aufsichtsrat angenommen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 13.5.2005, Az. 31 Wx 14/05, S. 5; Hüffer § 104 Rn. 13; MünchKomm AktG/Semler § 104 Rn. 117).

Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Mit der Wahl der acht Personen zu Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung vom 23.5.2006 sind die materiellrechtlichen Wirkungen des Beschlusses des Amtsgerichts vom 29.11.2005 für die Zukunft automatisch entfallen. Daher könnte eine gerichtliche Entscheidung im weiteren Beschwerdeverfahren über die sachliche Berechtigung der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern durch das Registergericht für die Zukunft keine inhaltliche Wirkung mehr entfalten (vgl. Senatsbeschluss vom 13.5.2005, Az. 31 Wx 14/05, S. 5.). Die sofortige weitere Beschwerde übersieht, dass mit der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung die Verfahrenshoheit der Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit beendet ist (Senatsbeschluss aaO). Die weitere Beteiligte kann für eine gerichtliche Entscheidung nach diesem Zeitpunkt kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Anspruch nehmen (vgl. BayObLGZ 1993, 82/84; Keidel/Kahl § 19 Rn. 86).

2. Die weitere Beteiligte hat für den Fall, dass der Senat von der Erledigung der Hauptsache ausgeht, eine Entscheidung über die Kosten beantragt. Zwar bedarf es in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit regelmäßig keiner Entscheidung über die Gerichtskosten, da sich unmittelbar aus der Kostenordnung ergibt, ob solche Kosten angefallen sind und wer sie zu tragen hat. Dieser Grundsatz gilt aber nur dann, wenn die Kostenfolge eindeutig aus der Art des Geschäfts oder aus dem Ergebnis der Entscheidung zu erkennen ist. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die Hauptsache erledigt hat. Dann hat eine Entscheidung über die Gerichtskosten aller Rechtszüge zu ergehen, selbst wenn und soweit diese nur klarstellende Bedeutung hat (BayObLGZ 1992, 54/57 f.). Es ist deshalb über jeden Rechtszug gesondert über angefallene Gerichtskosten zu entscheiden.

a) Die Kosten der ersten Instanz hat in jedem Fall die beteiligte Gesellschaft zu tragen, da ihr Vorstand die Tätigkeit des Registergerichts veranlasst hat (§ 2 Nr. 1 KostO).

b) Das Verfahren der weiteren Beschwerde ist bei Erledigung der Hauptsache während dieses Verfahrens gebührenfrei (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO), weil ein Gebührentatbestand gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 KostO nicht gegeben ist (BayObLGZ 1992, 54/58). Einer besonderen Kostenentscheidung bedarf es daher insoweit nicht.

c) Ob die weitere Beteiligte die im Verfahren der sofortigen Beschwerde vor dem Landgericht angefallenen Kosten endgültig zu tragen hat, hängt davon ab, ob die die Gebühren auslösende Entscheidung der Vorinstanz hätte aufrechterhalten oder aufgehoben werden müssen (BayObLGZ 1992, 54/58).

Im vorliegenden Fall ergibt eine überschlägige Prüfung der Beschwerdeentscheidung, dass diese auf der Grundlage des bisher ermittelten Sachverhalts ohne weiteres vertretbar erscheint und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die sofortige weitere Beschwerde ohne Erfolg geblieben wäre. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten verfristet war. In dem Verfahren der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG ist bereits umstritten, ob der einzelne Aktionär überhaupt beschwerdeberechtigt ist, wenn der Antrag vom Vorstand der Gesellschaft gestellt wird (bejahend: OLG Dresden AG 1998, 427; OLG Schleswig AG 2004, 453/454; MünchKomm AktG/Semler § 104 Rn. 105/113; verneinend: z.B. Hüffer § 104 Rn. 5).

Diese Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls war die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten verfristet. Ihr wurde der Beschluss des Registergerichts vom 29.11.2005 nicht zugestellt. Es wäre auch praktisch gänzlich undurchführbar, einen derartigen Beschluss allen Aktionären eines DAX-Unternehmens einzeln zuzustellen. Von einem Beschluss des Registergerichts bei gerichtlicher Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern erhalten aber nicht nur die antragstellende Gesellschaft und die bestellten Mitglieder Kenntnis, sondern wegen der Veröffentlichungspflicht in § 106 AktG die Öffentlichkeit insgesamt. Deshalb ist es nicht unbillig, den Fristlauf der sofortigen Beschwerde nicht beteiligter Aktionäre nach § 104 Abs. 2 Satz 4 AktG spätestens an die Veröffentlichung der Änderung des Aufsichtsrats im elektronischen Bundesanzeiger (vgl. § 25 Satz 1 AktG) zu knüpfen (LG Berlin AG 1980, 139/140; Hüffer § 104 Rn. 5; MünchKomm AktG/Semler § 104 Rn. 115). Denn mit der Anordnung der sofortigen Beschwerde in § 104 Abs. 2 Satz 4 AktG, die in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eher die Ausnahme darstellt, dokumentiert der Gesetzgeber, dass eine Unsicherheit über die Wirksamkeit der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern zeitnah im Rechtsmittelzug erledigt werden soll. Infolgedessen muss gewährleistet sein, dass für Rechtsmittel von Aktionären, die nicht selbst Antragsteller des Verfahrens sind, die Frist für eine möglicherweise zulässige sofortige Beschwerde zeitnah zu der Entscheidung des Gerichts zu laufen beginnt (LG Berlin aaO). Der allein geeignete Zeitpunkt hierfür ist die Veröffentlichung der Änderung des Aufsichtsrats im elektronischen Bundesanzeiger. Sonach hätte hier das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde keinen Erfolg gehabt, weil es das Landgericht zu Recht als unzulässig verworfen hat.

Hinzu kommt, dass die gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds nach § 104 Abs. 2 Satz 1 AktG grundsätzlich ohne Bindung an den Antrag der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt (BayObLG NJW-RR 1998, 330; OLG Schleswig AG 2004, 453/454; MünchKomm AktG/Semler § 104 Rn. 75). Ermessensentscheidungen sind im Rechtsmittelzug nur begrenzt nachprüfbar. Zu überprüfen ist lediglich, ob das bestellende Gericht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen einen Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände unerörtert gelassen oder Umstände berücksichtigt hat, die nach der ermächtigenden Norm nicht maßgebend sind (Keidel/Meyer-Holz FGG § 27 Rn. 23). Die weitere Beteiligte kann somit nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend machen, dass die von ihr vorgeschlagene Person besser geeignet wäre, zum Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft bestellt zu werden als die vom Vorstand vorgeschlagenen Personen.

Des Weiteren ist der Senat nach den zur Erledigung der Hauptsache dargestellten Grundsätzen nicht gehalten, sich mit allen Einzelheiten der Argumentation der Beteiligten eingehend auseinander zu setzen (vgl. BayObLG Beschluss vom 1.8.2003, 3Z BR 107/03).

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