Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 15.11.2005
Aktenzeichen: 31 Wx 56/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2356 Abs. 2 Satz 2
Stellt ein im Ausland lebender ausländischer Staatsangehöriger Antrag auf Erteilung eines Erbscheins und legt eine von einem ausländischen Notar aufgenommene "eidesstattliche Versicherung" vor, wird regelmäßig die formgerechte eidesstattliche Versicherung zu erlassen sein, wenn die Abgabe vor einer dafür zuständigen Stelle für den Antragsteller mit erheblichen Erschwernissen verbunden ist, die in keinem angemessenen Verhältnis zu den voraussichtlich zu gewinnenden Erkenntnissen stehen.
Tatbestand:

Der staatenlose Erblasser ist am 10.7.1990 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er war nach seinen Angaben am 5.3.1905 in K. bzw. M. in der Ukraine geboren und hieß mit Vornamen A. Er hielt sich seit 1943 in Deutschland auf, wo er bis zum Kriegsende als Arbeiter für die Wehrmacht eingesetzt war. In Deutschland hatte der Erblasser keine Angehörigen. Die in der Ukraine lebende Beteiligte ist eine Nichte des am 30.1.1905 in M. geborenen An. Sch., der nach ihrer Ansicht mit dem Erblasser personengleich ist.

Der Nachlass besteht aus Bankguthaben in Höhe von rund 68.000 EUR. Nach dem Tod des Erblassers hat das Nachlassgericht im Juli 1990 Nachlasspflegschaft angeordnet mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Ermittlung der Erben. Der Nachlasspfleger beauftragte als Erbenermittler die Kanzlei der jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten. Am 11.12.1991 wurde die öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte im Bundesanzeiger veröffentlicht, worauf sich mehrere weitere Erbenermittler einschalteten. Verwandte des Erblassers konnten jedoch nicht ermittelt werden. Mit Beschluss vom 13.2.1992 stellte das Nachlassgericht das Erbrecht des Fiskus fest, die Nachlasspflegschaft wurde aufgehoben.

Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 17.8.2004 beantragte die Beteiligte die Erteilung eines Erbscheins, der sie neben weiteren Verwandten als Miterbin zu 1/18 ausweist. Der Erbscheinsantrag und die zugleich abgegebene "eidesstattliche Versicherung" wurden von einer ukrainischen Notarin aufgenommen und beglaubigt. Mit dem Antrag legte die Beteiligte Urkunden zum Nachweis der Tatsache vor, dass sie eine Nichte des am 30.1.1905 in M. geborenen An. Sch. ist. Sie behauptet, dieser sei personengleich mit dem Erblasser. Das ergebe sich daraus, dass für das Jahr 1905 weder in M. noch in K. die Geburt eines A. Sch. beurkundet sei. Die alteingesessenen Dorfbewohner von M. könnten sich auch nicht an einen A. Sch. erinnern, sondern nur an einen An. Sch., der allerdings bereits vor dem Zweiten Weltkrieg das Dorf verlassen habe. Vermutlich habe der Erblasser gegenüber den deutschen Behörden seine biographischen Daten abgeändert, um eine spätere Verfolgung wegen seiner Zusammenarbeit mit den Deutschen zu erschweren.

Auf die Beanstandung durch das Nachlassgericht hat die Beteiligte darauf hingewiesen, dass sie eine formgerechte eidesstattliche Versicherung nicht abgeben könne, da die Deutsche Botschaft in K. Beurkundungen für ukrainische Staatsangehörige nicht vornehme. Die Botschaft hat diese Angaben bestätigt und erklärt, sie beurkunde nur Willenserklärungen deutscher Staatsangehöriger.

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen mit der Begründung, zum einen sei die eidesstattliche Versicherung nicht in der vorgeschriebenen Form abgegeben worden, zum anderen sei das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Onkel der Antragstellerin und der Erblasser ein und dieselbe Person seien. Die Beschwerde der Beteiligten blieb erfolglos. Das Landgericht hat zur Begründung auf den amtsgerichtlichen Beschluss Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, eine formgerechte eidesstattlichen Versicherung sei schon deshalb erforderlich, da Bedenken bezüglich der Angaben zum Personenstand des Erblassers bestünden. Die weitere Beschwerde erwies sich als zulässig, jedoch im Ergebnis nicht begründet.

Gründe:

1. Durchgreifenden Bedenken begegnet allerdings die Annahme, der Erbscheinsantrag sei schon deshalb abzuweisen, weil die Antragstellerin die eidesstattliche Versicherung nicht in der vorgeschriebenen Form abgegeben habe.

a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die von der Beteiligten abgegebene eidesstattliche Versicherung nicht der Form des § 2356 Abs. 2 Satz 1 BGB entspricht. Dabei kann offen bleiben, ob die ukrainische Notarin nur eine Beglaubigung vorgenommen hat, worauf der Beglaubigungsvermerk am Ende der Urkunde hindeutet, oder nicht doch eine Beurkundung, wie der Anfang der Urkunde es ausdrückt ("Die Erschienene ... ersuchte mich, eine eidesstattliche Versicherung aufzunehmen und den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zu beurkunden"). Jedenfalls wurde die Erklärung nicht vor einer der Stellen abgegeben, die zur Entgegennahme berufen sind; zu diesen gehören im Ausland nur deutsche Konsularbeamte, nicht aber ausländische Notare (vgl. MünchKommBGB/Mayer 4. Aufl. § 2356 Rn. 42).

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist indes die Annahme der Vorinstanzen, der Antragstellerin habe die formgerechte eidesstattliche Versicherung nicht erlassen werden dürfen (§ 2356 Abs. 2 Satz 2 BGB). Hierbei handelt es sich, wie das Landgericht richtig erkannt hat, um eine Ermessensentscheidung. Das Landgericht hat bei der Ausübung des Ermessens jedoch wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Es hat eine formgerechte eidesstattliche Versicherung deshalb für erforderlich gehalten, weil "Bedenken hinsichtlich der Angaben bezüglich des Personenstandes des Erblassers" bestünden. Gemeint sind damit ersichtlich die Abweichungen zwischen den mit Urkunden belegten Angaben im Erbscheinsantrag, An. Sch. sei ledig gewesen und habe einen nichtehelichen Sohn gehabt, und den vom Internationalen Suchdienst berichteten Angaben von Dorfbewohnern, er sei verheiratet gewesen. Es erscheint bereits fraglich, ob diese nur auf persönlicher Erinnerung beruhenden Auskünfte über den Familienstand einer bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, also vor mehr als 60 Jahren, aus dem Ort verzogenen Person überhaupt solche Bedenken begründen können. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, was die erst 1947 geborene Antragstellerin aus eigener Kenntnis zu dieser Frage beitragen könnte, so dass durch eine formgerecht abgegebene eidesstattliche Versicherung aller Voraussicht nach keine sichereren Erkenntnisse gewonnen werden können. Das gilt auch für die weiteren Unsicherheiten bezüglich der persönlichen Daten (siehe unten 2.).

Völlig außer Acht gelassen hat das Landgericht, dass es der in der Ukraine lebenden Antragstellerin - wenn überhaupt - nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich wäre, eine formgerechte eidesstattliche Versicherung abzugeben. Nachdem die Deutsche Botschaft in K. für sie als ukrainische Staatsangehörige keine Beurkundung vornehmen kann, müsste sie eine Reise nach Deutschland unternehmen, um vor einem deutschen Gericht oder Notar die eidesstattliche Versicherung zu leisten. Zudem liegt eine "eidesstattliche Versicherung" der Antragstellerin vor, die durch eine ukrainische Notarin aufgenommen und beglaubigt wurde.

Angesichts der Gesamtumstände läge es hier nahe, der Antragstellerin die Abgabe der formgerechten eidesstattlichen Versicherung zu erlassen (vgl. auch MünchKommBGB/Mayer § 2356 Rn. 57). Einer abschließenden Entscheidung darüber bedarf es jedoch nicht, weil der Erbscheinsantrag aus den nachstehenden Gründen zu Recht zurückgewiesen wurde.

2. Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Auffassung des Amtsgerichts zu eigen gemacht, dass eine Verwandtschaft der Antragstellerin mit dem Erblasser nicht nachgewiesen sei.

a) Wer die Erteilung eines Erbscheins als gesetzlicher Erbe beantragt, hat das Verhältnis anzugeben, auf dem sein Erbrecht beruht (§ 2354 Abs. 1 Nr. 2 BGB) und die Richtigkeit seiner Angaben durch öffentliche Urkunden nachzuweisen (§ 2356 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Antragstellerin hat durch Urkunden ihre Verwandtschaft mit An. Sch. nachgewiesen, nicht aber eine Verwandtschaft mit dem Erblasser A. Sch. Das Gesetz sieht zwar eine Befreiung von der Vorlage solcher Urkunden vor, wenn sie sich nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten beschaffen lassen; in einem solchen Fall genügt die Angabe anderer Beweismittel (§ 2356 Abs. 1 Satz 2 BGB). In Betracht kommt dann insbesondere der Nachweis durch Zeugen, Abschriften, Familienstammbücher oder eidesstattliche Versicherungen (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 64. Aufl. § 2356 Rn. 10). An die Beweisführung sind jedoch regelmäßig strenge Anforderungen zu stellen. Die anderen Beweismittel müssen ähnlich klare und hinreichend verlässliche Folgerungen hinsichtlich der Abstammungsverhältnisse ermöglichen wie öffentliche Urkunden (KG FamRZ 1995; MünchKommBGB/Mayer § 2356 Rn. 42).

Diesen Anforderungen genügen die von der Antragstellerin angeführten Anhaltspunkte für eine Personenidentität zwischen An. Sch. und dem Erblasser jedoch nicht.

Auch wenn sich im Geburtsregister von M. für das Jahr 1905 nur die für den 30.1.1905 beurkundete Geburt des An. Sch. findet, nicht jedoch die Geburt eines A. Sch. am 5.3.1905, lässt das keine verlässliche Schlussfolgerung dahin zu, dass es sich bei beiden um dieselbe Person handeln muss. Dasselbe gilt für die Auskunft von Dorfbewohnern, sie könnten sich an einen A. Sch. nicht erinnern. Es mag sein, dass sich für die vom Erblasser in Deutschland gebrauchten Personalien kein urkundlicher Nachweis findet. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass er mit der Person identisch sein muss, deren persönliche Daten seinen Angaben möglichst nahe kommen.

b) Die Vorinstanzen waren auch nicht gehalten, weitere Ermittlungen anzustellen. Der Grundsatz der Amtsermittlung verpflichtet das Tatsachengericht, alle zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Das bedeutet aber nicht, dass allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nachgegangen werden müsste. Eine Aufklärungspflicht besteht insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt bei sorgfältiger Überlegung zu weiteren Ermittlungen Anlass geben (Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 12 Rn. 118).

Diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen genügt. Es ist nach derzeitigem Sachstand nicht erkennbar, welche weiteren Ermittlungen das Nachlassgericht anstellen könnte, um der Beteiligten den Nachweis zu ermöglichen, sie sei eine erbberechtigte Nichte des Erblassers. Die Befragung eines Historikers, wie von der Beschwerde vorgeschlagen, zu den allgemeinen zeitgeschichtlichen Umständen, die möglicherweise eine Änderung biographischer Daten nahe legen konnten, ist nicht geeignet, im konkreten Fall einen Beweis für die Personenidentität zu erbringen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass eine weitere öffentliche Aufforderung zur Anmeldung von Erbrechten weitere Erkenntnisse erbringen könnten, nachdem sich bereits mehrere Erbenermittler unter Heranziehung internationaler Suchdienste mit der Sache befasst haben.

Ende der Entscheidung

Zurück