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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 29.03.2007
Aktenzeichen: 31 Wx 6/07
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1960 Abs. 1
FGG § 12
1. Ob der Erbe unbekannt ist (§ 1960 Abs. 1 BGB) und ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist vom Standpunkt des Beschwerdegerichts unter Zugrundelegung des Kenntnisstandes im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme zu beurteilen.

2. Unbekannt ist ein Erbe auch dann, wenn nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist; ein Erbe ist auch dann als unbekannt anzusehen, wenn mehrere Erben in Betracht kommen, und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, weil etwa Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit des Testaments besteht.

3. Den Umfang der erforderlichen Ermittlungen bestimmt das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 12 FGG).

4. Es ist sachgerecht und regelmäßig geboten, zuerst die Ermittlungen durchzuführen, die erforderlich und möglich sind, um Klarheit über die Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit zu gewinnen.


Gründe:

I. Die verwitwete, kinderlose Erblasserin ist am 15.11.2005 im Alter von 81 Jahren verstorben. Sie war österreichische Staatsangehörige und lebte in München. Der Beteiligte zu 5 ist ihr Neffe, er kommt als gesetzlicher Erbe in Betracht. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind die (Stief) Kinder eines langjährigen, am 28.9.2003 verstorbenen Freundes der Erblasserin. Von der Beteiligten zu 1 wurde die Erblasserin, die im November 2000 einen Schlaganfall erlitten hatte, ab Mitte 2001 abwechselnd mit einer weiteren Pflegerin zu Hause betreut.

Die Erblasserin hat am 12.1.2001 dem Vater der Beteiligten zu 3 und 4 sowie ihrem Rechtsanwalt, dem Beteiligten zu 2, eine umfassende Altersvorsorgevollmacht mit Wirkung über den Tod hinaus erteilt. Diese Vollmacht wurde hinsichtlich des Beteiligten zu 2 von der Erblasserin mit Schreiben vom 8.8.2002 widerrufen, wobei streitig ist, ob dies wirksam erfolgt ist. Am 4.11.2003 hat die Erblasserin ihrer Bekannten E. H. eine Altersvorsorgevollmacht erteilt.

Es liegen mehrere letztwillige Verfügungen vor. Mit privatschriftlichem Testament vom 19.10.2003 hat die Erblasserin die Beteiligten zu 3 und 4 als Universalerben eingesetzt. Mit Testament vom 29.10.2003 hat sie ebenfalls die Beteiligten zu 3 und 4 zu Erben eingesetzt, zusätzlich aber für die beiden Pflegerinnen und Frau H. Vermächtnisse in Höhe von je 50.000 EUR angeordnet. Mit notariellem Testament vom 26.3.2004 hat sie die Beteiligte zu 1 zur Alleinerbin eingesetzt und sie mit Vermächtnissen in Höhe von je 50.000 EUR zugunsten der anderen Pflegerin und Frau H. beschwert. Außerdem hat sie Testamentsvollstreckung angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Mit Testament vom 9.7.2004 hat die Erblasserin die Vermächtnisse auf je 25.000 EUR herabgesetzt.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem renovierungsbedürftigen, teilweise vermieteten Mehrfamilienhaus in München sowie Bankguthaben in Höhe von rund 50.000 EUR. Im Hinblick auf die vom Beteiligten zu 5 vorgelegte Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 16.10.2003, die aufgrund ihrer Untersuchung am 7.10.2003 bei der Erblasserin eine mittelgradige Demenz festgestellt und Geschäftsfähigkeit für nicht gegeben erachtet hat, hat das Nachlassgericht weitere Ermittlungen zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin durchgeführt, insbesondere Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, des Urkundsnotars und weiterer Kontaktpersonen eingeholt. Mit Beschluss vom 21.8.2006 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet und einen Nachlasspfleger bestellt. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluss vom 20.12.2006 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2.

II. Die weitere Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Das Nachlassgericht habe zu Recht Nachlasspflegschaft angeordnet, da der Erbe unbekannt sei und ein Sicherungsbedürfnis bestehe. Es sei zweifelhaft, ob die Erblasserin bei Errichtung des Testaments vom 26.3.2004 testierfähig gewesen sei. Die Neurologin Dr. R. habe bei der Erblasserin im Oktober 2003 ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit deutlicher kognitiver Verlangsamung festgestellt und die Erblasserin für geschäftsunfähig gehalten. Zwar lägen anderslautende Aussagen von Zeugen, insbesondere vom beurkundenden Notar und vom Hausarzt der Erblasserin vor. Zur Beurteilung der Testierfähigkeit sei jedoch noch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten erforderlich. Ohne weitere Ermittlungen könne deshalb nicht festgestellt werden, wer Erbe sei. Es bestehe ein Sicherungsbedürfnis im Hinblick auf das teilweise vermietete Anwesen in München. Die Einsetzung des Beteiligten zu 2 als Testamentsvollstrecker mache die Nachlasspflegschaft nicht entbehrlich, weil die Wirksamkeit dieser Verfügung ebenfalls von der Frage der Testierfähigkeit abhänge. Auch die Wirksamkeit der von der Erblasserin erteilten Vollmachten sei nicht geklärt. Hinsichtlich der Vollmacht vom 4.11.2003 sei zweifelhaft, ob die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt geschäftsfähig gewesen sei. Hinsichtlich der Vollmacht vom 12.1.2001 sei streitig, ob diese wirksam widerrufen worden sei.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 FGG, § 546 ZPO).

a) Das Nachlassgericht kann für den unbekannten Erben einen Nachlasspfleger bestellen, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht (§ 1960 Abs. 1, Abs. 2 BGB). Ob der Erbe "unbekannt" ist und ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist vom Standpunkt des Beschwerdegerichts aus unter Zugrundelegung des Kenntnisstandes im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme zu beurteilen (BayObLG FamRZ 1996, 308; BayObLG Rpfleger 1990, 257). Unbekannt ist ein Erbe auch dann, wenn nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist (Palandt/Edenhofer BGB 66. Aufl. § 1960 Rn. 6). Ein Erbe ist auch dann als unbekannt anzusehen, wenn mehrere Erben in Betracht kommen, und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, etwa, weil Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit des Testaments besteht (BayObLG FamRZ 1996, 308; Staudinger/Marotzke BGB Bearbeitungsstand 2000, § 1960 Rn. 8).

b) Nach diesen Maßstäben haben die Tatsacheninstanzen zu Recht eine Nachlasspflegschaft angeordnet.

aa) Das Landgericht hat dargelegt, warum es sich nicht schon im Zeitpunkt der Beschlussfassung davon überzeugen konnte, wer Erbe geworden ist. Es hat hervorgehoben, dass aufgrund der bereits durchgeführten Ermittlungen eine abschließende Bewertung nicht möglich, sondern im Hinblick auf die von der Einschätzung der übrigen Befragten abweichende fachärztliche Stellungnahme vom Oktober 2003 ein psychiatrisches Sachverständigengutachten erforderlich sei. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Landgericht war nicht gehalten, sich die von den Beschwerdeführern vorgetragene Würdigung des bisherigen Ermittlungsergebnisses zu Eigen zu machen. Die Beanstandungen der Rechtsbeschwerde bestehen im Wesentlichen erneut darin, die eigene Würdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Landgerichts zu setzen. Den Umfang der erforderlichen Ermittlungen bestimmt das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 12 FGG). Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Entgegen der Auffassung des Rechtsbeschwerdeführers ist es sachgerecht und regelmäßig geboten, zuerst die Ermittlungen durchzuführen, die erforderlich und möglich sind, um Klarheit über die Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit zu gewinnen (st. Rspr., vgl. BayObLG FamRZ 1999, 819).

bb) Die Vorinstanzen haben zutreffend ein Fürsorgebedürfnis bejaht. Zum Nachlass gehört ein teilweise vermietetes Anwesen, das der Verwaltung bedarf. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass trotz der von der Erblasserin über den Tod hinaus erteilten Vollmachten ohne weitere Ermittlungen keine zweifelsfrei zur Wahrnehmung dieser Aufgaben befugte Person festgestellt werden kann. Die Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin ab Oktober 2003 berühren auch die Wirksamkeit der Vollmacht vom November 2003. Hinsichtlich der Anfang 2001 erteilten Vollmacht liegt ein Widerruf vor, dessen Wirksamkeit umstritten ist.

3. Soweit der Rechtsbeschwerdeführer weiter beantragt, das Nachlassgericht zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses anzuweisen, ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens ausschließlich die Anordnung der Nachlasspflegschaft ist. Über den Antrag auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses ist bisher weder eine Entscheidung des Nachlassgerichts noch des Beschwerdegerichts ergangen, die vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden könnte.

4. Den Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens schätzt der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 83.400 EUR (§ 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO). Maßgeblich ist das Interesse des Beschwerdeführers am Erfolg seines Rechtsmittels. Dabei können die für das Verfahren erster Instanz geltenden Vorschriften als Anhaltspunkt herangezogen werden. Für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft ist nach § 106 Abs. 1 Satz 3 KostO der Wert des von der Pflegschaft betroffenen Vermögens maßgeblich, wobei (im Gegensatz zu § 107 Abs. 2 KostO) die Verbindlichkeiten nicht abzuziehen sind, § 18 Abs. 3 KostO (vgl. Hartmann Kostengesetze 35. Aufl. § 106 Rn. 10). Dieser Wert entspricht aber nicht dem Interesse, das der Beteiligte zu 2 am Erfolg seines Rechtsmittels hat. Ziel der weiteren Beschwerde ist es, den Wegfall der gerichtlich angeordneten Sicherungsmaßnahme zu erreichen. Das Interesse des Beschwerdeführers am Wegfall der Sicherungsmaßnahme kann nicht mit dem gesamten Nachlasswert gleichgesetzt werden. Der Senat hält einen Geschäftswert von 83.400 EUR, der in etwa einem Zehntel des Nachlasswerts entspricht, für angemessen. Dabei legt der Senat ebenso wie das Landgericht zugunsten des Beschwerdeführers die vom Nachlasspfleger vorgenommene Ermittlung des Grundstückswerts zugrunde, der neben dem Bodenwert in Höhe von 884.000 EUR (520 m² x 1.700 EUR) den Gebäudewert mit lediglich 40.000 EUR veranschlagt und dann noch einen Sicherheitsabschlag vom gesamten Grundstückswert in Höhe von 138.600 EUR vorgenommen hat. Der für das Gebäude angesetzte geringe Wert trägt dem schlechten Bauzustand bereits ausreichend Rechnung.

Eine Herabsetzung des vom Landgericht für das Beschwerdeverfahren festgesetzten Geschäftswerts ist aus den oben genannten Erwägungen nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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