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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: 32 Wx 23/06
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO, RVG, StVollzG


Vorschriften:

ZPO § 1065
BRAGO § 1
BRAGO § 6 Abs. 1 Satz 2
BRAGO § 61
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 1
RVG § 13
RVG § 2 Abs. 2
StVollzG § 116
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gericht: olg-muenchen Datum: 07.03.2006 32 Wx 23/06 32 Wx 26/06

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind Testamentsvollstrecker, die Beteiligte zu 6 die Ehegattin und die Beteiligten zu 3 bis 5 die Abkömmlinge des Erblassers. Mit Beschluss vom 1.4.2005 ordnete das Landgericht Augsburg unter Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung die Erteilung eines Erbscheins des Inhalts an, dass die Beteiligte zu 6 alleinige Vorerbin und die Beteiligten zu 3 - 5 Nacherben wurden und Testamentsvollstreckung angeordnet wurde. Auf einige Nachlassgegenstände sollte sich die Nacherbfolge nicht beziehen. Die dagegen eingelegten weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 4 und 5 blieben erfolglos. Ferner wurden die den übrigen Beteiligten entstanden Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde auferlegt. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wurde auf 666.000 EUR festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 02.8.2005 beantragte die Beteiligte zu 6 die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde gegen die Beteiligten zu 4 und 5 als Gesamtschuldner auf 6.697,38 EUR festzusetzen. Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragten mit Schriftsatz vom 12.8.2005 die Kosten gegen die Beteiligten zu 4 und 5 auf 7.948,78 EUR festzusetzen. Die Beteiligten gingen von einer Verfahrensgebühr von 1,6 aus. Am 20.9.2005 setzte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Augsburg - Nachlassgericht - die Kosten abweichend von den Anträgen nur mit einer Gebühr nach VV-RVG Nr. 3500 an. Es wurde hierzu ausgeführt, dass nunmehr im Beschwerdeverfahren und zwar auch im Verfahren der weiteren Beschwerde ausschließlich VV 3500 Anwendung finde. Die Erhöhungsgebühr nach VV 1008 betrage für jeden weiteren Auftraggeber nur das 0,3-fache der Ausgangsgebühr. Die zu erstattenden Kosten der Beteiligten zu 1 und 2 wurden demzufolge auf 2.734,58 EUR, und die der Beteiligten zu 6 auf 2.108,88 EUR festgesetzt.

Die sofortigen Beschwerden der Beteiligten zu 1, 2, einerseits und der Beteiligten zu 6 andererseits wies das Landgericht Augsburg mit Beschluss vom 23.1.2006 zurück. Es hatte hierbei das Verfahren über die beiden sofortigen Beschwerden konkludent verbunden. Dagegen richten sich die vom Landgericht zugelassenen Beschwerden der Beteiligten zu 1, 2, und 6.

II.

Die sofortigen weiteren Beschwerden sind als Rechtsbeschwerden zulässig. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 ist teilweise begründet, die zulässige sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 6 aber unbegründet.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

a) Im Verfahren der weiteren Beschwerde betrage die Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3500 0,5. Nach der Vorbemerkung 3.5 entstehe diese Gebühr allerdings nicht in den in Vorbemerkung 3.1 Abs. 2 und Vorbemerkung 3.2.1. genannten Beschwerdeverfahren. Vorbemerkung 3.1. Abs. 2 betreffe das Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 1065 ZPO. Ein solches Rechtsbeschwerdeverfahren liege nicht vor. In der Auflistung der Vorbemerkung 3.2.1 sei das Beschwerdeverfahren und das Verfahren der weiteren Beschwerde in Nachlasssachen nicht aufgenommen. Der Auffassung, dass darin eine Regelungslücke enthalten sei, die durch analoge Anwendung entsprechend der Behandlung der anderen Beschwerden geschlossen werden müsse, könne nicht gefolgt werden. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebe es noch andere Entscheidungen in der Hauptsache, welche den Rechtszug beenden, die im Katalog der Vorbemerkung 3.2.1 nicht erwähnt seien. Die Diskrepanz zwischen den Gebühren für die erste Instanz und für die Beschwerdeverfahren (vgl. VV 3101 Nr. 3 Abs. 2), könne durch das Bestreben des Gesetzgebers, die erste Instanz zu stärken, erklärt werden.

b) Auch die zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 festgesetzte Erhöhungsgebühr nach VV-RVG Nr. 1008 entspreche der Rechtslage. Der Sache nach treffe Nr. 1008 die gleiche Regelung wie § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO bezüglich der Wertgebühren, nämlich eine Erhöhung für jeden weiteren Auftraggeber um 3/10. Die Ausgangsgebühr für die Gebührenerhöhung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO sei aber nicht stets die volle 10/10 Gebühr des § 1 BRAGO, sondern nur die Verfahrensgebühr im jeweilig konkreten Verfahren. So habe z.B. die Gebührenerhöhung für einen weiteren Auftraggeber im Zwangsvollstreckungsverfahren 3/10 von 3/10 (BGH NJW 81, 1103) betragen. Zwar betrage nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes diese Gebühr 0,3, gemeint sei aber nicht die Grundgebühr nach § 13 RVG, sondern die Verfahrensgebühr des konkreten Verfahrens.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand (§ 13a Abs. 3 FGG, § 104 Abs. 3 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 2, 576 Abs. 1, 3, § 546 ZPO).

a) Zu Recht ist das Landgericht der Auffassung, dass die zu erstattende Verfahrensgebühr im Verfahren der weiteren Beschwerde nur das 0,5-fache und nicht das 1,6-fache der Gebühr nach § 13 RVG beträgt. VV Nr. 3200 zu § 2 Abs. 2 RVG ist neben den Berufungsverfahren nach der Vorbemerkung 3.2.1. des 1. Abschnitts Unterabschnitt 2 nur auf die dort aufgezählten Verfahren anzuwenden (so auch Gerold/ Schmidt/v. Eicken RVG 16. Aufl. VV Nr. 3500 Rn. 4; Riedel/Süßbauer/Keller RVG 9. Aufl. Nr. 3500 Rn. 4; Göttlich/Mümmler RVG 1. Aufl.: E Erbschein Anm. 1). Diese Vorbemerkung lautet:

"(1) Dieser Unterabschnitt ist auch anzuwenden

1. in Verfahren vor dem Finanzgericht,

2. in Verfahren über Beschwerden oder Rechtsbeschwerden gegen die den Rechtszug beendenden Entscheidungen

a) in Familiensachen,

b) in Lebenspartnerschaftssachen,

c) in Verfahren nach § 43 des Wohnungseigentumsgesetzes,

d) in Verfahren nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen und

e) im Beschlussverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen,

3. in Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren gegen den Rechtszug beendende Entscheidungen über Anträge auf Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel oder auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zu ausländischen Titeln sowie Anträge auf Aufhebung oder Abänderung der Vollstreckbarerklärung oder der Vollstreckungsklausel,

4. in Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem GWB,

5. in Beschwerdeverfahren nach dem WpÜG,

6. in Verfahren vor dem Bundesgerichtshof über die Beschwerde oder Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Bundespatentgerichts,

7. in Verfahren über die Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG.

(2) ..."

Da der Gesetzgeber alle anderen, nicht ausdrücklichen geregelten Beschwerdeverfahren nach VV 3500 behandeln will, ist diese Aufzählung auch abschließend (Hartmann Kostengesetze 35. Aufl. RVG-VV Nr. 3200 Rn. 3). Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er in die Vorbemerkung das Wort "insbesondere" einfügen müssen.

Eine analoge Anwendung scheitert am Fehlen einer Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auch die Gebühren für die Vertretung in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit regeln wollen (VV zu § 2 Abs. 2 RVG Überschrift zu Teil 3); er hat in der Vorbemerkung 3.2.1. Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit enumerativ aufgezählt. Es spricht nichts für die Annahme, dass der Gesetzgeber das Erbscheinverfahren hierbei zu erwähnen vergessen hat, da dieses Verfahren ausdrücklich im FGG enthalten ist. Es ist kaum vorstellbar, dass die Existenz dieses Gesetzes übersehen wurde, aber andere weniger bedeutende Gesetze ausdrücklich erwähnt wurden.

Ferner ist das Erbscheinerteilungsverfahren nicht mit den in der Vorbemerkung 3.2.1. genannten Verfahren vergleichbar. Diese betreffen nämlich entweder echte Streitverfahren (z. B. 3.2.1. (1) Nr. 2 c, 2 e, 3), Verfahren die mit echten Streitverfahren in engem Zusammenhang stehen (z. B. wegen des möglichen Verbundes mit einem Streitverfahren 3.2.1. (1) Nr. 2 a, 2 b) oder Verwaltungsstreitverfahren (z. B. 3.2.1. (1) Nr. 1, 2 d, 4, 5, 6, 7). Anders als bei diesen Verfahren ist die Beteiligung von mehreren Personen mit einander widersprechenden Interessen im Erbscheinverfahren nicht notwendig. Häufig wird ein übereinstimmender Erbscheinantrag von allen Beteiligten gestellt. Auch in diesen Verfahren sind Beschwerdeeinlegungen denkbar, z. B. wenn das Gericht der ersten Instanz ein Testament anders auslegt als alle Beteiligten. Das Hauptziel des Erbscheinerteilungsverfahrens ist nicht die Streitentscheidung über das Erbrecht, sondern die Erteilung eines Zeugnisses über das Erbrecht und die Größe des Erbteils (§ 2353 BGB), das öffentlichen Glauben genießt (§§ 2365, 2366 BGB). Die Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheins entfaltet keine Rechtskraftwirkung (Palandt/Edenhofer BGB 65. Aufl. Überblick vor § 2353 Rn. 6, 7). Ein Streit wird deshalb auch nicht endgültig entschieden.

Etwas anderes kann auch entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1 und 2 nicht daraus entnommen werden, dass nach der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 15/1971 S. 218) die neue Regelung dem bisherigen § 61 BRAGO entsprechen sollte. Zwar hat die Rechtsprechung bisher im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Anwendung des § 61 BRAGO verneint und § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO für anwendbar gehalten, doch folgt daraus nicht notwendig, dass das VV zu § 2 Abs. 2 RVG Nr. 3200 anwendbar ist, da diese Gebührenvorschrift zu einer deutlichen Erhöhung der Vergütung gegenüber der Vergütung nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO führen würde.

b) Nicht gefolgt werden kann den Ausführungen des Landgerichts zur Erhöhungsgebühr bei mehreren Auftraggebern nach VV Nr. 1008 zu § 2 Abs. 2 RVG. Bei Wertgebühren, schreibt diese Vergütungsbestimmung eine Erhöhung um eine 0,3-fache Gebühr nach § 13 RVG für den zweiten und jeden weiteren Auftraggeber bis zu der 2-fachen Gebühr vor, und nicht das 0,3-fache der Ausgangsgebühr (Riedel/Süßbauer/ Fraunholz RVG aaO § 7 Rn. 35; Göttlich/Mümmler aaO: M Mehrere Auftraggeber Anm. 5). Dies ergibt sich bereits aus der nachfolgenden Bestimmung für Festgebühren und Betragsrahmengebühren, die eine 30 % Erhöhung vorschreibt. Hätte der Gesetzgeber bei Wertgebühren die Erhöhung um das 0,3-fache der Ausgangsgebühr gewollt, wäre die Unterscheidung zwischen Wertgebühren einerseits und Fest- und Betragsrahmengebühren überflüssig gewesen (ebenso LG Köln ZMR 2006, 78, LG Wuppertal ZMR 2005, 742).

3. Damit ergibt sich für die Beteiligten zu 1 und 2 folgende Berechnung:

 Gebührentatbestand Höhe nach VV volle Gebühr nach RVGGebühr
Verfahrensgebühr VV Nr. 35000,53.596,00 EUR1.798,00 EUR
Erhöhungsgebühr VV Nr. 10080,33.596,00 EUR1.078,80 EUR
Auslagenpauschale VV Nr. 7002  20,00 EUR
    2.896,80 EUR
Umsatzsteuer16%  463,49 EUR
Endbetrag  3.360,29 EUR

Auf diesen Betrag ist daher der Kostenfestsetzungsbeschluss zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 abzuändern. Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 6 ist insgesamt zurückzuweisen.

4. Der Kostenausspruch vom 6. Juli 2005 war auch ohne ausdrücklichen Ausspruch hierüber so zu verstehen, dass anteilmäßige und nicht gesamtschuldnerische Kostenhaftung eintritt (Keidel/Zimmermann FGG 15. Aufl. § 13a Rn. 13 m.w.N.). Zur Klarstellung nahm der Senat dies jeweils in den Tenor auf.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Abs. 3 FGG, § 104 Abs. 3 Satz 1, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1; § 100 Abs.1 ZPO, die Festsetzung des Geschäftswerts auf 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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