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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 14/05
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
FGG § 67 Satz 3 Abs. 2
1. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für einen geschäftsunfähigen Betroffenen im Beschwerdeverfahren ist regelmäßig geboten, wenn die bestehende Betreuung auf einzeln aufgezählte Angelegenheiten erweitert werden soll, die dem Umfang einer Betreuung für alle Angelegenheiten entsprechen.

2. Bestellt das Amtsgericht nach Eingang einer vom Betroffenen selbst eingelegten Beschwerde gegen eine Betreuungsmaßnahme für diesen einen Verfahrenspfleger "bis zum Zeitpunkt der Aufhebung dieses Beschlusses", liegt hierin keine wirksame Bestellung des Pflegers auch für die Beschwerdeinstanz.

3. In diesem Fall kann eine von dem Verfahrenspfleger gegenüber dem Amtsgericht abgegebene Stellungnahme in ihrer Bedeutung allenfalls einer Beschwerdebegründung gleichgesetzt werden und ersetzt nicht die unterbliebene Beteiligung eines Pflegers am Beschwerdeverfahren.


Gründe:

I.

Der Betroffene leidet an einer langjährigen schweren Alkoholabhängigkeit und dadurch verursachter Enzephalopathie mit Wesensänderung. Für ihn ist seit 27.7.2001 ein Betreuer für einen umfassenden Aufgabenkreis bestellt. Das Amtsgericht erweiterte die Betreuung am 13.1.2003 um einen Einwilligungsvorbehalt im Bereich Vermögenssorge für Willenserklärungen, die einen Wert von 200 EUR übersteigen. Am 14.2.2003 entließ das Amtsgericht den Betreuer und bestellte eine Rechtsanwältin zur Betreuerin; der Aufgabenkreis umfasste nun Aufenthaltsbestimmung; Gesundheitsfürsorge; Vermögenssorge; Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim-, Pflegevertrages; Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten. Der Einwilligungsvorbehalt blieb aufrecht erhalten. Mit Beschluss vom 11.10.2004 erweiterte das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr, ordnete einen unbeschränkten Einwilligungsvorbehalt im Bereich Vermögenssorge an und verlängerte die Betreuung; die Überprüfung der Betreuung wurde für spätestens 10.10.2009 vorgesehen. Hiergegen wandte sich der Betroffene mit seiner am 19.10.2004 eingegangenen Beschwerde und sofortigen Beschwerde. Am 20.10.2004 bestellte das Amtsgericht für den Betroffenen einen Verfahrenspfleger, der am 9.11.2004 nach einem Gespräch mit dem Betroffenen eine Stellungnahme abgab. Das Amtsgericht half der Beschwerde des Betroffenen nicht ab.

Das Landgericht hat, ohne weitere Verfahrenshandlungen vorzunehmen, am 16.12.2004 die Beschwerde und sofortige Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren und weiteren Beschwerde.

II.

1. Die Rechtsmittel sind zulässig und führen in der Sache zur Aufhebung der landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Soweit sich der Betroffene gegen die Anordnung eines unbeschränkten Einwilligungsvorbehaltes wendet, liegt eine sofortige weitere Beschwerde vor, §§ 29 Abs. 2, 27 Abs. 1, 69g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 FGG. Die Einlegungsfrist von zwei Wochen ist gewahrt. Soweit er sich gegen die Betreuung richtet, handelt es sich um eine weitere Beschwerde, §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 FGG, die an keine Frist gebunden ist.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Bei dem Betroffenen lägen nach wie vor die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Der Gutachter komme zum Ergebnis, dass der Betroffene unter einer alkoholbedingten Enzephalopathie leide und geschäftsunfähig sei. Er könne deshalb seine Angelegenheiten in den angeordneten Aufgabenkreisen nicht mehr selbst wahrnehmen. Den widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen schließe sich die Kammer an. Zutreffend habe das Amtsgericht im Hinblick auf die sachverständigen Feststellungen auch den Aufgabenkreis des Betreuers bestimmt. Die Anordnung einer Postkontrolle sei angemessen, da der Betroffene auf eine Vielzahl von Werbelockangeboten eingehe. Zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für das Vermögen sei aus dem genannten Umstand auch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes erforderlich, weil der Betroffene ansonsten eine Vielzahl von Verträgen abschließen und seine finanzielle Leistungsfähigkeit überschreiten würde. Die erneute mündliche Anhörung des Betroffenen sei nicht erforderlich gewesen, da von einer erneuten mündlichen Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären und der Betroffene sich im Beschwerdeverfahren schriftlich geäußert habe; zudem sei für ihn ein Verfahrenspfleger bestellt.

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand. Die Sache war an das Landgericht zurückzuverweisen, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt worden ist. Das Landgericht hat dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt, obwohl dies geboten war. Die gegenüber dem Amtsgericht abgegebene Stellungnahme eines noch von diesem bestellten Verfahrenspflegers war jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen nicht ausreichend.

a) Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 FGG bestellt das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger, soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Die Bestellung ist in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist; dies gilt auch, wenn der Gegenstand des Verfahrens die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 BGB bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 FGG). Von der Bestellung kann in diesen Fällen nur abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht, wobei die Nichtbestellung durch das Gericht zu begründen ist (§ 67 Abs. 1 Satz 3 und 4 FGG), oder der Betroffene von einem Rechtsanwalt oder von einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird (§ 67 Abs. 1 Satz 6 FGG). Doch auch wenn ein Regelfall nach § 67 Abs. 1 Satz 2 FGG oder ein zwingender Grund nach § 67 Abs. 1 Satz 5 FGG nicht vorliegt, ist in Fällen schwerer Krankheit oder Behinderung sowie gravierender Bedeutung des Verfahrensgegenstandes für den Betroffenen ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn der Betroffene seine Interessen nicht mehr in ausreichendem Umfang selbst vertreten kann (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 1044/1045). Die Bestellung erfolgt für jeden Rechtszug gesondert (§ 67 Abs. 2 FGG); für die Beschwerdeinstanz sind die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug entsprechend heranzuziehen, § 69g Abs. 5 Satz 1 FGG. Der Verfahrenspfleger wird dem Betroffenen zur Seite gestellt, damit dessen objektive Interessen auch dann geltend gemacht werden können, wenn er selbst sie nicht mehr in ausreichendem Maße wahrnehmen kann; der Betroffene soll nicht lediglich Objekt des Betreuungsverfahrens sein (vgl. BGH FamRZ 2003, 1275/1276; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 67 Rn. 10). Zudem wird sein Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs effektiv sichergestellt (vgl. hierzu BayObLG Beschluss vom 14.12.2001 - Az. 3Z BR 358/01- zitiert nach juris; Keidel/Kayser § 67 Rn. 9).

b) Entgegen der Feststellung im Beschluss des Landgerichts, für den Betroffenen sei ein Verfahrenspfleger bestellt, ist der Betroffene im Beschwerdeverfahren ohne Verfahrenspfleger gewesen. Das Landgericht ist offensichtlich davon ausgegangen, dass die Bestellung des Verfahrenspflegers durch das Amtsgericht auch noch für die Beschwerdeinstanz gilt. Nach § 67 Abs. 2 FGG endet die Pflegschaft aber mit Abschluss der Instanz, hier demnach mit Erlass des Nichtabhilfebeschlusses. Dem steht die Entscheidung des Amtsgerichts, der Verfahrenspfleger werde "bis zum Zeitpunkt der Aufhebung dieses Beschlusses" bestellt, nicht entgegen. Die Befugnisse des Verfahrenspflegers sind gesetzlich festgelegt. Das Gericht kann sie nicht erweitern. Insbesondere kann das Amtsgericht einen Verfahrenspfleger nur für "seinen" Rechtszug bestellen, nicht aber für das Beschwerdeverfahren. Das Amtsgericht kann daher nicht entgegen der gesetzlichen Lage das Andauern einer Verfahrenspflegschaft über seine Instanz hinaus bestimmen. Vielmehr endet auch in diesem Fall die Verfahrenspflegschaft entweder mit Abschluss der Instanz oder mit der Aufhebung der Verfahrenspflegschaft vor Beendigung der Instanz (vgl. hierzu BayObLG FamRZ 2000, 302; OLG Naumburg Beschluss vom 14.7.2003 - Az. 8 Wx 9/03 - zitiert nach juris).

c) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Beschwerdeinstanz war geboten, weil die Betreuung auf alle Aufgabenkreise erweitert werden sollte (BayObLG FamRZ 1994, 327; 1997, 388). Insofern ist unerheblich, dass der Begriff "alle Angelegenheiten" nicht ausdrücklich im Beschluss zur Betreuerbestellung genannt worden ist. Es genügt, dass die Angelegenheiten einzeln aufgezählt sind, solange sie dem Wirkungskreis "alle Angelegenheiten" entsprechen. Denn auch bei einer Einzelaufzählung aller Aufgabenkreise ist der Umfang der Betreuung und damit der Eingriff in die persönliche Handlungsfreiheit für den Betroffenen gleich schwerwiegend wie bei der pauschalen Benennung der Aufgabenkreis mit "alle Angelegenheiten". Ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers bestand auch. Der Betroffene hatte zwar in seiner ausführlichen Beschwerdeschrift verschiedene ihn störende Tatsachen angesprochen, doch ergab sich aus dem Schreiben kein klares Bild über die von ihm verfolgten Beschwerdeziele, die im Übrigen teilweise im Widerspruch zu den Äußerungen des Betroffenen bei seiner persönlichen Anhörung durch den Amtsrichter standen. Noch deutlicher wird die unklare Haltung des Betroffenen in dem Bericht des vom Amtsgericht bestellten Verfahrenspflegers über sein Gespräch mit dem Betroffenen, in welchem wiederum andere Punkte angesprochen worden sind. Daraus musste die Kammer den Schluss ziehen, dass der Betroffene mit der Wahrnehmung seiner Rechte überfordert war, zumal der Sachverständige ihm volle Geschäftsunfähigkeit auf allen Gebieten attestiert hatte. Zum Schutz des Betroffenen, für den es immerhin um die Verlängerung einer allumfassenden Betreuung mit einem unbeschränkten Einwilligungsvorbehalt im Bereich Vermögenssorge für weitere fünf Jahre ging, war daher die Bestellung eines Verfahrenspflegers unumgänglich.

c) Der Mangel der fehlenden Bestellung eines Verfahrenspflegers ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt hat (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 1044/1045), so dass jetzt eine Verfahrenspflegerbestellung nach § 67 Abs. 1 Satz 6 FGG nicht mehr erforderlich sein kann. Das Rechtsbeschwerdegericht ist keine Tatsacheninstanz. Den Tatsachenvortrag, den ein Verfahrenspfleger hätte im Beschwerdeverfahren vortragen können, kann grundsätzlich im Rahmen der weiteren Beschwerde keine Berücksichtigung mehr finden. Im Übrigen hat sich der Verfahrensbevollmächtigte zur Begründung der Rechtsmittel - aus welchen Gründen auch immer - nicht geäußert, so dass es fraglich ist, ob er den Betroffenen noch in ausreichendem Maße vertritt und nicht trotz seiner Mandatierung die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das fortzusetzende Beschwerdeverfahren nach wie vor geboten ist.

Da das Landgericht den - seiner Meinung nach - noch bestellten Verfahrenspfleger nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt und ihm auch keine Möglichkeit zur Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss oder Gelegenheit zum Vortrag weiterer Tatsachen eingeräumt hat, konnte die Heilung des Mangels auch nicht durch eine etwaige faktische Beteiligung des Verfahrenspflegers eintreten.

Als eine solche faktische Beteiligung kann auch nicht angesehen werden, dass der vom Amtsgericht bestellte Verfahrenspfleger mit Schreiben vom 5.11.2004 an das erstinstanzliche Gericht über eine persönliche Unterredung mit dem Betroffenen berichtet hat. Auch wenn dieses Schreiben dahingehend verstanden werden könnte, dass der Verfahrenspfleger im Sinne einer Mittlerrolle die zuvor in Anhörung und Beschwerde unklar bzw. widersprüchlich vorgebrachten Anliegen des Betroffenen verdeutlichen wollte, kann dies doch in seiner Funktion allenfalls einer Begründung der vom Betroffenen selbst eingelegten Beschwerde, auf die sich der Verfahrenspfleger ausdrücklich bezieht, gleichgestellt werden.

Legt aber ein erstinstanzlich tätig gewordener Verfahrenspfleger noch Beschwerde für den Betroffenen ein oder begründet eine solche, enthebt dies das Beschwerdegericht nicht der Notwendigkeit, auch für seine Instanz bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Das gilt erst recht, wenn es beabsichtigt, ohne weitere Verfahrenshandlungen, insbesondere ohne eine persönliche Anhörung des Betroffenen, die Beschwerde zurückzuweisen.

4. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat wegen der bisher nicht zureichenden Sachaufklärung nicht möglich. Die Sache war daher zu erneuter Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht wird zunächst zu prüfen haben, ob der Verfahrensbevollmächtigte den Betroffenen noch vertritt oder ob ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Weiter ist zu prüfen, ob der Betroffene persönlich anzuhören ist, nachdem die Anhörung durch den Amtsrichter nicht verfahrensfehlerfrei war, da diese ohne Beteiligung eines Verfahrenspflegers bzw. ohne vorherige Terminsmitteilung an diesen stattgefunden hat.

Der Senat ist jedoch im Grundsatz der Auffassung, dass die Betreuung in den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge einschließlich Einwilligungsvorbehalt sowie bezüglich der Angelegenheiten des Heim-/Pflegevertrages und der Vertretung gegenüber Behörden u. a. für den Betroffenen notwendig ist. Dies ergibt sich aus dem zeitnah erstellten Sachverständigengutachten. Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer aber nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist; das bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLGZ 1994, 209/212). Insofern bestehen beim jetzigen Verfahrensstand Zweifel, ob Handlungsbedarf besteht für die Kontrolle des Fernmeldeverkehrs und die Wohnungsangelegenheiten, nachdem der Betroffene seit Jahren in Heimen lebt. Zudem hatte die Betreuerin erstinstanzlich - in zweiter Instanz ist sie bisher am Verfahren nicht beteiligt worden - vorgeschlagen, die Postkontrolle zunächst auf ein Jahr zu befristen, so dass insoweit möglicherweise die Festlegung eines kürzeren Überprüfungszeitraums in Betracht kommt.

5. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 KostO. Hiernach ist der Geschäftswert regelmäßig auf 3.000 EUR festzusetzen.

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