Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: 33 Wx 196/07
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1846
BGB § 1906 Abs. 1
FGG § 13a Abs. 2 Satz 1
FGG § 70h
1. Sorgt das Vormundschaftsgericht nach einstweiliger Anordnung einer zivilrechtlichen Unterbringung nicht unverzüglich für die Bestellung eines Betreuers, ist die Unterbringungsmaßnahme von Anfang an rechtswidrig (vgl. BGHZ 150, 45 = NJW 2002, 1801)

2. Erledigt sich die Unterbringungsmaßnahme während des Beschwerdeverfahrens, können die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden, wenn das Verfahren nicht rechtsfehlerfrei durchgeführt worden ist.

3. Einer sofortigen weiteren Beschwerde mit entsprechendem Antrag steht nicht entgegen, dass das Landgericht in Unkenntnis der zwischenzeitlich eingetretenen Erledigung die Beschwerde zurückgewiesen hat.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat am 16.7.2007 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhaus bis längstens 26.8.2007 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Hiergegen hat der Betroffene am 17.7.2007 sofortige Beschwerde eingelegt. Am 27.7.2007 bestellte das Gericht einen vorläufigen Betreuer unter anderem mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge. Am 3.8.2007 wurde der Betroffene auf eine offene Station des Bezirkskrankenhauses verlegt. Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde des Betroffenen am 6.8.2007 zurück. Am 9.8.2007 hob das Amtsgericht seinen Beschluss vom 16.7.2007 auf und stellte das Unterbringungsverfahren ein.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 14.8.2007, mit der er vor allem rügt, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringung und für die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nicht vorgelegen hätten. Außerdem wendet sich der Betroffene mit der weiteren Beschwerde gegen die Anordnung der vorläufigen Betreuung und deren sofortiger Wirksamkeit. Mit Schriftsatz vom 21.8.2007 beschränkte der Betroffene sein Rechtsmittel hinsichtlich der Unterbringung auf die Kosten. Die vorläufige Betreuung wurde am 26.11.2007 aufgehoben und das Betreuungsverfahren eingestellt.

II.

Die Beschwerde gegen die Anordnung der vorläufigen Betreuung ist unzulässig, da sie sich nicht gegen eine Entscheidung des Beschwerdegerichts richtet, § 27 Abs. 1 Satz 1 FGG.

Die weitere Beschwerde ist statthaft gegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts, die dieses im Instanzenzug auf die gegen eine Verfügung des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde erlassen hat (Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 2).

Hieran fehlt es. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 27.7.2007 wurde keine Beschwerde zum Landgericht eingelegt. Das Landgericht hat daher, entgegen dem Beschwerdevortrag, in seiner Entscheidung vom 6.8.2007 über die Frage der vorläufigen Betreuerbestellung auch nicht konkludent mitentschieden. Auf die Tatsache, dass das Amtsgericht die vorläufige Betreuung mit Beschluss vom 26.11.2007 wieder aufgehoben hat, kommt es daher nicht mehr an.

Eine isolierte Anfechtung der sofortigen Wirksamkeit ist nicht zulässig (Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 69a Rn. 11).

III.

1. Die auf die Kosten beschränkte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig.

Die Erledigung der Hauptsache ist nach Einlegung des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde eingetreten, der Beschwerdeführer hat sein Rechtsmittel zulässig auf die Kosten beschränkt (vgl. BGHZ 86, 393/395 m.w.N.; BayObLGZ 1988, 317/318 f.).

Die Hauptsacheerledigung trat durch die Verlegung des Betroffenen auf die offene Station am 3.8.2007 ein, da diese nicht lediglich zur Probe verfügt wurde und deshalb hierdurch die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung vom 16.7.2007 wirkungslos wurde (OLG Hamm FGPrax 1999, 222; unv. Senatsbeschluss vom 13.9.2006 - 33 Wx 112/06).

Tritt die Erledigung der Hauptsache nach Einlegung der Beschwerde ein, kann der Beschwerdeantrag zulässigerweise auf die Kosten beschränkt werden (Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 13a Rn. 47). Wenn das Landgericht in Unkenntnis der Erledigung noch eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat, ist diese Beschränkung auch noch im Rahmen der weiteren Beschwerde möglich. Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die Kosten des gesamten Verfahrens zu befinden (vgl. BGH aaO; BayObLGZ 1988, 317/318). Da Gerichtsgebühren in Unterbringungssachen gemäß §§ 70 bis 70n FGG nicht erhoben werden (§ 128b Satz 1 KostO), erfasst die Entscheidung lediglich die Auslagen des Betroffenen.

2. Die beschränkte sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

a) Wird ein Unterbringungsverfahren ohne Entscheidung über eine Maßnahme beendet, so kann das Gericht gemäß § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG nach pflichtgemäßem Ermessen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegen. Ein solcher Fall liegt auch bei Erledigung der Hauptsache vor (Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 13a FGG Rn. 51c). Das gilt auch im Fall einer Hauptsacheerledigung in einem zivilrechtlichen Unterbringungsverfahren (BayObLG FamRZ 2003, 783). Daran ändert sich nichts dadurch, dass das Landgericht nach Eintritt des erledigenden Ereignisses noch in der Sache entschieden hat, da sein Beschluss aufgrund des erledigenden Ereignisses tatsächlich keine Wirkungen mehr entfaltet (Senatsbeschluss vom 13.9.2006 a.a.O).

b) Der Erstattungsanspruch ist begründet, weil das Verfahren des Amtsgerichts nicht rechtsfehlerfrei durchgeführt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13.9.2006 a.a.O).

Zwar lagen die Voraussetzungen für die zivilrechtliche Unterbringung des Betroffenen vor. Da das Amtsgericht jedoch nicht gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung die zur unverzüglichen Bestellung eines (vorläufigen) Betreuers erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, war die Anordnung der Unterbringung von vornherein unzulässig (BGHZ 145, 45 = NJW 2002, 1801/1803).

Nach § 1846 BGB kann das Vormundschaftsgericht "die im Interesse des Betroffenen erforderlichen Maßregeln" treffen. Als Maßregel im Sinne des § 1846 BGB kann auch eine vorläufige Unterbringung in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen des § 70 h FGG i.V.m. den §§ 69 f und 70 g FGG für eine Anordnung der vorläufigen Unterbringung vorliegen (BGH a.a.O.; OLG Schleswig NJW 1992, 2974; BayObLGZ 1999, 269/273). Unter diesen Voraussetzungen kann auch eine zivilrechtliche Unterbringung angeordnet werden, ohne dass gleichzeitig ein Betreuer bestellt wird. Allerdings ist bei der Anwendung des § 1846 BGB zu beachten, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift im Betreuungsrecht handelt. Deshalb kann von der eigenständigen Anordnungsbefugnis des § 1846 BGB nur in dringenden Fällen, in denen ein Aufschub einen Nachteil für den Betreuten zur Folge haben würde, Gebrauch gemacht werden (BayObLGZ 1986, 174/176). Das Vormundschaftsgericht wird nämlich in einer Funktion tätig, die das Gesetz in der Regel dem Betreuer vorbehält.

Gleichzeitig mit der Anordnung muss das Vormundschaftsgericht aber dafür Sorge tragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird, der innerhalb weniger Tage die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in eigener Verantwortung treffen kann, so wie es § 1906 BGB vorschreibt (BGH a.a.O.; BayObLG FamRZ 2003, 783). Soweit das nicht möglich ist, hat der Vormundschaftsrichter für die Beendigung der Maßnahme zu sorgen (BGH a.a.O). Selbst wenn die Unterbringung außerhalb der regulären Dienstzeit angeordnet wird, ist die Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers regelmäßig am nächsten Arbeitstag nachzuholen.

Trifft das Vormundschaftsgericht nicht gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung die zur unverzüglichen Bestellung eines Betreuers erforderlichen Maßnahmen, ist die Anordnung der Unterbringung von vornherein unzulässig (BGH a.a.O; BayObLG a.a.O). Die Unterbringung wird dagegen ex nunc unzulässig, wenn das Verfahren zur Bestellung eines Betreuers zwar ordnungsgemäß eingeleitet, dann aber nicht mit der notwendigen Beschleunigung betrieben wird (BGH a.a.O).

c) Diesen Anforderungen genügt die Vorgehensweise des Amtsgerichts nicht.

Das Gericht hat bei Erlass des Unterbringungsbeschlusses am 16.7.2007 ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Betreuung und der Unterbringung in Auftrag gegeben. Selbst die Einleitung eines Verfahrens reicht aber nicht in allen Fällen aus. Es muss durch weitere Maßnahmen sichergestellt werden, dass dem Betroffenen binnen weniger Tage ein Betreuer zur Seite steht. Aus der Akte ist hierzu lediglich ersichtlich, dass das Gericht die Verfahrenspflegerin gebeten hat, sich mit einer vom Betroffenen bei der Anhörung benannten Person in Verbindung zu setzen, um deren Bereitschaft zur Übernahme der Betreuung zu klären, dies jedoch auch erst vier Tage nach der Einlieferung des Betroffenen im Bezirkskrankenhaus und zwei Tage nach der Anordnung der einstweiligen Unterbringung. Das allein genügt den Anforderungen an eine beschleunigte Betreuerbestellung nicht. Die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin ging darüber hinaus erst am 24.7.2007, also acht Tage nach dem Erlass des Unterbringungsbeschlusses, ein. Dennoch sind weitere Maßnahmen des Gerichts zur Bestellung eines zumindest vorläufigen Betreuers vor Erlass des Beschlusses am 27.7.2007 nicht ersichtlich. Insbesondere hat sich das Gericht nicht selbst mit der vom Betroffenen benannten Person in Verbindung gesetzt, obwohl er schon am 16.7.2007 drei Telefonnummern benannt hatte. Auch eine gerichtliche Anfrage bei der zuständigen Betreuungsbehörde mit der Bitte um Benennung eines Betreuers ist nicht erkennbar. Dies war angesichts der Schwere des mit der Unterbringung verbundenen Eingriffs in das Grundrecht des Betroffenen auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und den sich aus § 70 h Abs. 3 FGG ergebenden Verfahrensgarantien auch für vorläufige Unterbringungsmaßnahmen nach § 1846 BGB nicht ausreichend. Die Anordnung der vorläufigen Unterbringung war daher von Anfang an unzulässig.

Zur Klarstellung merkt der Senat an, dass diese Entscheidung sich nur auf die Auslagen des Betroffenen bezüglich seiner Rechtsverteidigung im Unterbringungsverfahren bezieht. Ob er Gerichtskosten im Betreuungsverfahren zu tragen hat, bleibt hiervon unberührt.

IV.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 und Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück