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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 22.05.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 79/06
Rechtsgebiete: GG, FGG


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
FGG § 22 Abs. 1
FGG § 70m
1. Hat sich in einem Unterbringungsverfahren die Hauptsache erledigt, erfordert die Wahrung des rechtlichen Gehörs, dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Änderung seines Rechtsschutzziels zu geben.

2. Weist das Landgericht den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen auf das erledigende Ereignis hin und kündigt dieser ohne zeitliche Festlegung eine Erklärung über die Rücknahme der sofortigen Beschwerde bzw. die Umstellung des Antrags an, darf das Rechtsmittel nicht ohne weitere Rückfrage bereits vor Ablauf von zwei Wochen als unzulässig verworfen werden.


Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 31.1.2006 ordnete das Vormundschaftsgericht durch einstweilige Anordnung nach § 1846 BGB die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 14.3.2006 an und bestellte eine Pflegerin für das Unterbringungsverfahren. Am selben Tag wurde ein vorläufiger Betreuer mit der Aufgabe der Gesundheitsfürsorge einschließlich der insoweit notwendigen Aufenthaltsbestimmung bestellt.

Zur Begründung wurde auf ein ärztliches Gutachten des Gesundheitsamtes beim Landratsamt und auf eine die Betreuung und Unterbringung anregende Stellungnahme der Universitätsklinik E. Bezug genommen. Danach bestehe bei dem Betroffenen eine psychische Störung, welche die Untersuchung des Gesundheitszustandes und eine fachärztliche Behandlung erfordere. Beides könne ohne Unterbringung nicht sichergestellt werden. Der Betroffene könne wegen der psychischen Erkrankung die Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht erkennen bzw. nicht einsichtsgemäß handeln.

Der Betroffene wurde mit Unterstützung der Betreuungsbehörde am Nachmittag des 1.2.2006 geschlossen untergebracht. Dies wurde dem zuständigen Richter am nächsten Tag telefonisch mitgeteilt. Die richterliche Anhörung des Betroffenen wurde am 3.2.2006 nachgeholt.

Am 9.2.2006 legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss des Amtsgerichts vom 31.1.2006 aufzuheben.

Am 24.2.2006 hob das Amtsgericht die Anordnung der Unterbringung mit sofortiger Wirkung auf. Der Gesundheitszustand des Betroffenen habe sich so weit verändert, dass er entlassen werden könne. Zwar bestünden noch eine gereizte Manie und Stimmungsschwankungen. Jedoch liege eine akute "Eigen- oder Fremdgefährdung" nicht mehr vor. Der Betroffene sei zudem nicht behandlungsbereit.

Laut richterlicher Verfügung mit einem Ausführungsvermerk der Geschäftsstelle wurde der Beschluss dem Betroffenen, dem vorläufigen Betreuer, der Verfahrenspflegerin und der Betreuungsbehörde mit Briefpost übermittelt. An die Klinik und das Landgericht wurde der Beschluss per Fax gesandt. Eine Übersendung an die Verfahrensbevollmächtigten unterblieb.

Am selben Tag verständigte die Berichterstatterin des Landgerichts die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen telefonisch von dem Aufhebungsbeschluss. Nach einem in den Akten enthaltenen Vermerk wurde von dort aus eine Erklärung angekündigt, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen oder der Antrag wegen eines Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit entsprechend umgestellt werde.

Mit Schriftsatz vom 7.3.2006, beim Landgericht eingegangen am 9.3.2006, teilten die Verfahrensbevollmächtigten mit, dass ihnen der Aufhebungsbeschluss des Vormundschaftsgerichts vom 24.2.2006 noch immer nicht vorliege. Es werde um Übersendung gebeten, damit über die weitere Antragstellung entschieden werden könne.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Landgericht bereits mit Beschluss vom 7.3.2006 die sofortige Beschwerde wegen Erledigung der Hauptsache und unterbliebener Änderung des Rechtsschutzbegehrens als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der er unter Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung die Feststellung beantragt, "dass die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 31.1.2006 angeordnete vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 14.3.2006 rechtswidrig war".

Unter Vorlage der Ablichtung eines Briefumschlages der Klinik mit seiner Anschrift und Poststempel vom 13.3.2006 macht er geltend, dass er den ihm nachgesandten Aufhebungsbeschluss erst nach diesem Zeitpunkt erhalten und unverzüglich seine Verfahrensbevollmächtigten verständigt habe. Er ist der Auffassung, dass eine sinnvolle Entscheidung über die Umstellung des Antrags der sofortigen Beschwerde nicht ohne Kenntnis der Gründe des Aufhebungsbeschlusses hätte getroffen werden können.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und auch begründet

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

Die sofortige weitere Beschwerde sei als unzulässig zu verwerfen, da sich die Hauptsache durch den Aufhebungsbeschluss vom 24.2.2006 und die Entlassung des Betroffenen erledigt habe. Der Beschwerdeführer hätte allerdings sein Rechtsmittel auf die Kosten beschränken bzw. die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung beantragen können. Ein entsprechender Antrag sei nicht eingegangen, obwohl dem Betroffenen hierzu Gelegenheit gegeben worden sei.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) im Ergebnis nicht stand.

a) Infolge der Entlassung des Betroffenen war der die vorläufige Unterbringung des Betroffenen anordnende und später förmlich aufgehobene amtsgerichtliche Beschluss gegenstandslos geworden. Die zulässig eingelegte Erstbeschwerde konnte nicht mehr mit dem Ziel der Beendigung der Unterbringung weiterverfolgt werden (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 1594 und Beschluss vom 5.2.2002 - 3Z BR 15/02, zitiert nach Juris).

Der Betroffene konnte die Erstbeschwerde jedoch mit dem Ziel aufrechterhalten, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 31.1.2006 und/oder der daraufhin vollzogenen Unterbringung feststellen zu lassen. Wendet sich ein Betroffener mit der Beschwerde gegen die Anordnung bzw. Genehmigung seiner Unterbringung nach § 1906 BGB, kann er, wenn sich die Hauptsache während des Beschwerdeverfahrens erledigt, die Feststellung der Rechtswidrigkeit sowohl der ursprünglichen Anordnung wie auch der Durchführung der Unterbringung bis zur Erledigung anstreben (vgl. BayObLGZ 2002, 304 ff = FGPrax 2002, 281; BayObLG BtPrax 2003, 184; OLG-Report München 2005, 885 = FamRZ 2006, 64 [Ls.]; Kammergericht FamRZ 2002, 338; OLG Hamm BtPrax 2001, 212). Voraussetzung ist ein konkret hierauf gerichtetes Rechtsschutzbegehren des Betroffenen (BayObLGZ 2002, 304; a. A. OLG Karlsruhe FGPrax 2003, 145).

Ebenso hätte der Betroffene die Erstbeschwerde darauf beschränken können, nicht mit Kosten belastet zu werden (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 1594; OLG Hamm FGPrax 1997, 237; OLG Karlsruhe BtPrax 1998, 34).

b) Ändert sich die Verfahrenslage während des anhängigen Beschwerdeverfahrens, gebietet es der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör, ihm die Ausübung seiner Verfahrensrechte zu ermöglichen. Das Landgericht darf deshalb nicht die sofortige Beschwerde eines Betroffenen verwerfen, ohne diesem ausreichend Gelegenheit zu geben, zu der veränderten Verfahrenslage Stellung zu nehmen und eine aus seiner Sicht veranlasste Erklärung abzugeben, d.h. gegebenenfalls den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsmaßnahme bzw. auf Auferlegung seiner notwendigen Auslagen auf die Staatskasse zu stellen (BayObLG Beschluss vom 5.2.2002 aaO). Einen nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen hat das Beschwerdegericht auf die Möglichkeit einer Antragsumstellung hinzuweisen (Senatsbeschluss OLG-Report München 2006, 26 = FamRZ 2006, 62 [Ls.]). Ist der Betroffene anwaltlich vertreten und hat das Landgericht keine Anhaltspunkte dafür, dass dessen Verfahrensbevollmächtigte von der Entlassung bereits Kenntnis erlangt hatten, und kommt ferner die Erforderlichkeit einer eingehenden persönlichen Besprechung der Verfahrensbevollmächtigten mit dem Betroffenen in Betracht, ist ein Zuwarten von lediglich sieben Tagen vor einem Verwerfungsbeschluss zu kurz (BayObLG aaO).

c) Unter Würdigung der hier vorliegenden Umstände hat das Landgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen nicht ausreichend gewahrt.

aa) Allerdings hat die Berichterstatterin der Kammer von sich aus Kontakt mit den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen aufgenommen und diese noch am Tag, an dem der Aufhebungsbeschluss erging und durch Entlassung des Betroffenen die Hauptsache des Unterbringungsverfahrens erledigt war, auf die veränderte Verfahrenslage hingewiesen. Von dort aus wurde eine Erklärung über die etwaige Rücknahme des Rechtsmittels oder die Umstellung des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit angekündigt. Das Landgericht hat sodann sieben Werktage gewartet, ohne dass eine entsprechende Erklärung einging, und erst anschließend das Rechtsmittel als unzulässig verworfen.

bb) Diese Frist war im vorliegenden Fall zu kurz.

Durch die Entlassung des Betroffenen war die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung über die anhängige Beschwerde entfallen. Das Beschwerdegericht mag zwar ein Interesse an baldmöglicher Klarheit darüber haben, ob es in eine weitere Sachprüfung des in der Hauptsache erledigten Verfahrens eintreten muss. Dies rechtfertigt es aber nicht, bei einer Ungewissheit darüber, ob noch eine - die Zulässigkeit der Beschwerde wieder herstellende - Erklärung des Betroffenen bzw. seines Verfahrensbevollmächtigten abgegeben wird, bereits vor Ablauf von zwei Wochen nach dem letzten richterlichen Hinweis das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Es entspricht einer verbreiteten Praxis, bei der förmlichen Setzung von Äußerungsfristen gegenüber Verfahrensbeteiligten diesen Zeitraum jedenfalls nicht ohne begründeten Anlass zu unterschreiten. Ein anwaltlicher Prozessbevollmächtigter muss deshalb nicht damit rechnen, dass bei Ausstehen einer ersichtlich von ihm erwarteten Erklärung das Gericht bereits nach Ablauf von weniger als zwei Wochen ohne weitere Rückfrage bei ihm nachteilige Folgen hieraus ableiten werde.

Zwar ist nicht zu verkennen, dass es bei telefonischer Erörterung des Verfahrensstandes höchst sinnvoll sein mag, wenn der zuständige Richter oder der Rechtsanwalt ausdrücklich einen Termin benennt, bis zu dem eine prozessual erforderliche Erklärung spätestens erwartet wird bzw. aus Beteiligtensicht voraussichtlich abgegeben werden kann. Unterbleibt eine solche Absprache jedoch, kann das nicht einseitig zulasten des Beteiligten gehen mit der Folge, dass das Gericht auch vor Ablauf üblicher Fristen ohne weiteres ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfen könnte.

Dass ein derartiges Vorgehen in diesem Fall unangebracht war, wird durch zwei weitere Umstände bestätigt: Zwischen der telefonischen Unterredung vom 24.2.2006 und der Entscheidung der Kammer lag die Faschingswoche, die sich nicht zuletzt durch die damit verbundenen Schulferien auf die Arbeit von Rechtsanwälten - auch in Bezug auf die Erreichbarkeit ihrer Mandanten - hinderlich auswirken kann. Zum anderen hatten durch ein Versehen des Vormundschaftsgerichts, mag dieses auch für das Landgericht unerkennbar geblieben sein, die Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen den Aufhebungsbeschluss vom 24.2.2006 nicht zur Kenntnis erhalten. Selbst wenn bezweifelt werden mag, ob die Kenntnis vom Inhalt dieses Beschlusses unabdingbare Voraussetzung für die Entscheidung über die etwaige Änderung des Beschwerdeantrags war, lag doch ein objektiver und nicht von ihnen zu vertretender Grund dafür vor, weshalb die Verfahrensbevollmächtigten nicht alsbald auf die gerichtliche Aufforderung zur Erklärung über den weiteren Fortgang des Beschwerdeverfahrens reagierten.

Dass deren schriftliche Bitte um Zuleitung des Aufhebungsbeschlusses noch innerhalb von 14 Tagen nach dem Telefongespräch mit der Berichterstatterin bei Gericht einging, bestätigt im übrigen die Annahme, dass es im Regelfall sachgerecht ist, eine entsprechende Mindestfrist vor einem Verwerfungsbeschluss zu wahren.

d) Das Landgericht durfte deshalb zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die sofortige Beschwerde noch nicht mit der angeführten Begründung verwerfen. Vielmehr hätte es dem Betroffenen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nochmals Gelegenheit geben müssen, seinen Antrag in der Weise umzustellen, wie es tatsächlich auch in der sofortigen weiteren Beschwerde geschehen ist.

Deshalb war der Beschluss des Landgerichts aufzuheben. Da der Betroffene zwischenzeitlich einen zulässigen Feststellungsantrag gestellt hat, kommt eine Verwerfung seiner sofortigen Beschwerde als unzulässig nicht in Betracht. Vielmehr hätte das Beschwerdegericht nach Zurückverweisung über den Feststellungsantrag betreffend die Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes in der Sache zu entscheiden. Der Senat trifft diese Entscheidung unter Verzicht auf eine Zurückverweisung hier selbst (vgl. Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 56 m.w.N.). Der Senat ist insoweit befugt, die festgestellten Tatsachen sowie vom Beschwerdegericht nicht festgestellte, aber feststehende Tatsachen selbst zu würdigen (vgl. BayObLG Beschluss vom 19. Mai 2003 - 3Z BR 79/03, zit. nach Juris; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 10. Aufl. § 27 FGG Rn. 43 m.w.N.). Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich.

3. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 31.1.2006 und die mit ihm angeordnete geschlossene Unterbringung des Betroffenen waren rechtswidrig.

a) Nach § 70 h Abs. 1 i.V.m. § 69 f Abs. 1 FGG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme getroffen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung gegeben sind und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre, ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen vorliegt, ein Pfleger für das Verfahren bestellt worden und der Betroffene persönlich angehört worden ist.

Danach kommt eine vorläufige Unterbringung in Betracht, wenn konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 2000, 220/222; 1997, 142/145 m.w.N; Bienwald/Sonnenfeld Betreuungsrecht 4. Aufl. § 69f FGG Rn. 16) darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB vorliegen.

Der Betreuer darf nach dieser Vorschrift den Betroffenen freiheitsentziehend nur dann unterbringen, wenn ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht und das Vormundschaftsgericht die Unterbringung genehmigt (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses erteilt die Genehmigung, solange sie zum Wohle des Betroffenen u. a. deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist und ohne die Unterbringung des Betroffenen nicht durchgeführt werden kann, und der Betroffene aufgrund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Auch eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung, denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 = NJW 1967, 1795; BayObLGZ 1993, 18/19; BayOblG NJWE-FER 2001, 150; Senatsbeschluss BtPrax 2005, 113).

Anstelle des Betreuers kann grundsätzlich auch das Vormundschaftsgericht handeln, wenn die Voraussetzungen des § 1846 BGB vorliegen, d.h. ein Betreuer noch nicht bestellt ist und auch nicht vor der eilbedürftigen Entscheidung bestellt werden kann (BGHZ 150, 45 = FamRZ 2002, 744; BayObLGZ 2003, 97 = BtPrax 2003, 176).

Schließlich ist angesichts der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu beachten. Die auf § 1906 Abs. 1 BGB gestützte Unterbringung muss unumgänglich sein, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Betroffenen abzuwenden. Die Nachteile, die ohne Unterbringung und Behandlung entstehen würden, müssen die Schwere der Freiheitsentziehung überwiegen (OLG-Report Schleswig 2005, 236 = FGPrax 2005, 136). In diese Abwägung ist auch der Gedanke einzubeziehen, dass dem Betroffenen in gewissen Grenzen ein "Recht auf Krankheit" zusteht (BVerfG NJW 1998, 1774; BayObLG NJW-RR 2004, 8/9).

b) Weder dem Beschluss des Amtsgerichts vom 31.1.2006 noch der Stellungnahme des Universitätsklinikums E. vom 17.1.2006 oder dem Schreiben des Gesundheitsamtes vom 31.1.2006 lassen sich hinreichend konkrete Tatsachen entnehmen, die nach diesen Grundsätzen die Anordnung der Unterbringung rechtfertigen konnten.

Zwar tragen die Feststellungen insbesondere der als Medizinaloberrätin im Gesundheitsamt tätigen Sachverständigen Dr. F. die Annahme einer psychotischen Störung und damit einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung im Sinne von § 1906 Abs. 1. BGB. Die zur Begründung der Notwendigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung angeführte Behauptung, es bestehe die Gefahr, dass sich der Betroffene "selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt", entbehrt jedoch einer hinreichenden Begründung, auch im Lichte der vorausgegangenen Beobachtungen und Befunderhebungen. Anhaltspunkte für eine Suizidgefahr lassen sich den Akten nicht entnehmen. Auch fehlt eine Feststellung dazu, welcher gesundheitliche Schaden dem Betroffenen ohne geschlossene Unterbringung drohen könnte. In beiden ärztlichen Stellungnahmen wird vielmehr der Umstand angesprochen, dass der Betroffene in seinem Zustand weiterhin psychologische Beratungen durchführe; im Antrag der Universitätsklinik E. wird die Notwendigkeit der Unterbringung sogar mit "nicht gegebener Berufsfähigkeit, zum Schutz seiner Patienten" begründet. Unterbringungsmaßnahmen nach § 1906 Abs. 1 BGB können aber nach der Konzeption des Gesetzes und nach allgemeiner Auffassung nicht dem Schutz der Interessen Dritter dienen (BT-Drucks. 1174528 S. 81; Erman/Roth BGB § 1906 Rn. 11; Knittel BtG § 1906 Rn. 6).

c) Jedenfalls aber durfte nach dem im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung bekannten Sachstand das Gericht nicht ohne die vorherige persönliche Anhörung des Betroffenen (§ 70 h Abs. 1 Satz 2 und § 69 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FGG) entscheiden. Das Vorliegen dringender Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Unterbringung gegeben sind, genügt für sich allein hierfür nicht: Mit dem Aufschub der Maßnahme muss Gefahr verbunden sein. Es müssen demnach konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahren für den Betroffenen im Sinne von § 1906 Abs. 1 BGB bestehen und sich mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen würden, wenn bis zur endgültigen Entscheidung gewartet wird (vgl. BayObLGZ 1999, 267/269; BayObLGZ 2002, 304; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70 h Rn. 4). Die Abwendung der Gefahr darf keinen Aufschub dulden (Keidel/Kayser § 70 h Rn. 5). Eine auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützte einstweilige Anordnung zur Unterbringung zwecks Heilbehandlung ist nur zulässig, wenn bei Aufschub die erhebliche Gefahr der Chronifizierung einer gewichtigen Krankheit drohen würde (BayObLGZ 1999, 269 = FamRZ 2000, 566; OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 1172 = BtPrax 2000, 224 [Ls.]).

d) Die Voraussetzung einer Gefahr in Verzug, bei der gemäß § 69 f Abs. 1 Satz 4 FGG von der persönlichen Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Entscheidung hätte abgesehen werden dürfen, ist hier nicht dargetan. Die Formulierung im Beschluss des Vormundschaftsgerichts, die Anhörung des Betroffenen sei "wegen Eilbedürftigkeit vor Erlass der Entscheidung nicht möglich", kann die erforderliche Begründung durch konkrete Tatsachen (vgl. BayObLGZ 2000, 220/223; Senatsbeschluss OLG-Report München 2006, 113) nicht ersetzen.

Auch den Akten lassen sich keine Gründe entnehmen, weshalb wegen "Gefahr im Verzug" eine Anhörung nicht möglich gewesen wäre. Immerhin ist der Betroffene offensichtlich am 31.1.2006 - dem Tag der gerichtlichen Entscheidung - einer Vorladung des Gesundheitsamtes zur persönlichen Untersuchung gefolgt.

e) Die Verfahrensweise des Amtsgerichts verletzt Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn der persönliche Eindruck des entscheidenden Richters als Kernstück des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 12 FGG gehört zu den wichtigsten Verfahrensgrundsätzen des Unterbringungsrechts (Jansen/Sonnenfeld FGG § 70 c Rn. 1). Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und für eine hinreichende Tatsachengrundlage der richterlichen Entscheidung. Es ist unverzichtbare Grundlage eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfG NJW 1998, 1774 = BtPrax 1998, 144). Vorrangiger Zweck der persönlichen Anhörung ist es, dem Richter einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen und der Art seiner Erkrankung zu verschaffen, damit er in den Stand gesetzt wird, ein klares und umfassendes Bild von der Persönlichkeit des Unterzubringenden zu gewinnen und seiner Pflicht zu genügen, den ärztlichen Gutachten richterliche Kontrolle entgegenzusetzen (BVerfGE 58, 208 = FamRZ 1982, 141). Der Richter darf sich bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde oder dem Betreuer vorgetragenen Gründe für die Unterbringung beschränken, sondern muss eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen. Denn die Einschaltung des Richters bei Freiheitsentziehungen darf nicht bloße Formsache sein; sie hat vielmehr den Zweck, den Verfahrenssicherungen besondere Wirksamkeit zu verleihen (BVerfGE 66, 191 = NJW 1984, 1806). Für die hierbei notwendige richterliche Kontrolle ärztlicher Gutachten ist die persönliche Anhörung des Betroffenen, namentlich bei eilbedürftigen Entscheidungen, ein geeignetes Mittel (vgl. BVerfG, NJW 1991, 1283 [1284]).

Auch bei der einstweiligen Anordnung gehört somit die vorherige persönliche Anhörung des Betroffenen, soweit nicht Gefahr im Verzug eine Ausnahme rechtfertigt, zu den durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zum Verfassungsgebot erhobenen Grundsätzen (vgl. BayObLGZ 1999, 249/250; 2000, 220/223; BVerfG InfAuslR 1996, 198/201). Der Verstoß gegen diese GG-Norm wird durch die unverzügliche Nachholung der Anhörung des Betroffenen (§ 70 h Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 und § 69 f Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2) nicht geheilt. Er drückt der angeordneten Unterbringung den Makel der rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, die rückwirkend nicht zu heilen ist (BVerfGE 58, 208/223; NJW 1990, 2309/2310; BayObLGZ 2000, 220/224).

Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen Überlegungen ist auch noch folgendes zu bedenken: Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass der Betroffene vor dem Vollzug des Unterbringungsbeschlusses am 1.2.2006 überhaupt Kenntnis von der konkret bevorstehenden Möglichkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung hatte. Ob diese Frage bei seiner am Tag zuvor freiwillig absolvierten Untersuchung im Gesundheitsamt von der Gutachterin angesprochen wurde, bleibt offen. Eine richterliche Anhörung hätte ihm jedenfalls die drohende Gefahr einer Unterbringungsmaßnahme vor Augen führen und möglicherweise auch seine Bereitschaft zu ambulanten Behandlungen mit entsprechender Medikation beeinflussen können. Deshalb besteht auch ein Zusammenhang zwischen der unterbliebenen vorherigen Anhörung und der Frage der Verhältnismäßigkeit der Unterbringungsanordnung im vorliegenden Fall.

f) Das Amtsgericht hat dem Betroffenen zwar mit Beschluss vom 31.1.2006 gemäß § 70 h Abs.1 Satz 2 i.V.m. § 69 f. Abs. 1 Nr. 3 FGG eine Verfahrenspflegerin bestellt und ihr diesen Beschluss mit Fax vom gleichen Tag mitgeteilt. Es ist den Akten jedoch nicht zu entnehmen, dass die Verfahrenspflegerin Gelegenheit hatte, an der Anhörung des Betroffenen am 3.2.2006 teilzunehmen. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in Unterbringungssachen soll die Wahrung der Belange des Betroffenen gewährleisten (vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 171). Der Betroffene soll angesichts des schwer wiegenden Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden (Jansen/Sonnenfeld § 70 b Rn. 2). Zu diesem Zweck ist der Verfahrenspfleger im selben Umfang wie der Betroffene vom Gericht an Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Er hat insbesondere ein Recht auf Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen (vgl. BayObLGZ 2001, 219/222; BayObLG FamRZ 2002, 629). Das Gericht hat aber die Verfahrenspflegerin zum Anhörungstermin nicht geladen. Auch hierin liegt ein Verfahrensverstoß, der jedenfalls im Zusammenhang mit den übrigen Mängeln, vor allem der ohne rechtfertigenden Grund unterbliebenen vorherigen Anhörung des Betroffenen, die Bewertung trägt, dass die Anordnung der Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht vom 31.1.2006 rechtswidrig war.

4. Es erscheint angemessen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen entsprechend § 13 Abs. 2 Satz 1 FGG der Staatskasse aufzuerlegen.

5. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen Beschwerde und der sofortigen weiteren Beschwerde war jeweils nach § 30 Abs. 2, § 131 Abs. 3 KostO festzusetzen.



Ende der Entscheidung

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