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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 133/05
Rechtsgebiete: GG, WEG


Vorschriften:

GG Art. 13
WEG § 14 Nr. 4
Die Verpflichtung eines Wohnungseigentümers, das Betreten seiner Wohnung zu gestatten, besteht auch dann, wenn festgestellt werden soll, ob Maßnahmen der Instandsetzung oder Instandhaltung in Betracht kommen. Voraussetzung ist aber, dass ausreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit solcher Maßnahmen vorliegen (wie BayObLGZ 1996, 146). Der Tatrichter hat in seiner Entscheidung das Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte für die Notwendigkeit solcher Maßnahmen einzelfallbezogen festzustellen.
Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die aus einem Zweifamilienhaus besteht. Die Wohnung Nr. 1 im Untergeschoß, verbunden mit einem Miteigentumsanteil von 8/10, gehört den beiden Antragstellerinnen, die Wohnung Nr. 2 im Obergeschoß, verbunden mit einem Miteigentumsanteil von 2/10, gehört dem Antragsgegner. Der Dachboden des Hauses ist nur über eine Einschubtreppe zu erreichen, die sich im Flur der Wohnung im Obergeschoß befindet. Die Zuordnung von Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum ist in der Teilungserklärung folgendermaßen vorgenommen worden:

1.1. Wohnungseigentum bestehend aus dem 8/10-Miteigentumsanteil ... verbunden mit dem Sondereigentum an der im Erdgeschoß des Anwesens ... gelegenen Wohnung, im Aufteilungsplan mit Nr. 1 bezeichnet, sowie an dem im Aufteilungsplan ebenfalls mit Nr. 1 bezeichneten Raum im Kellergeschoß.

1.2. Wohnungseigentum bestehend aus dem 2/10-Miteigentumsanteil ... verbunden mit dem Sondereigentum an der im Obergeschoß des Anwesens ... gelegenen Wohnung, im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichnet, sowie dem ebenfalls im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Hobbyraum mit Dusche und Sauna im Kellergeschoß.

Die im Aufteilungsplan mit Nr. 3 bezeichneten Räumlichkeiten im Kellergeschoß sowie das Treppenhaus im Keller, Erd- und Obergeschoß stehen im gemeinschaftlichen Eigentum.

Dem Raum oberhalb des Obergeschoßes (Spitzboden) ist im Aufteilungsplan keine eigene Nummer zugeteilt.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerinnen den Dachboden betreten dürfen. Die Antragstellerinnen haben beim Amtsgericht die Verpflichtung des Antragsgegners beantragt, ihnen das regelmäßige Betreten in Abständen von jeweils sechs Monaten des über der Wohnung des Antragsgegners liegenden Dachbodens zur Überprüfung des Daches zu dulden und zu diesem Zweck Zutritt zu der Wohnung des Antragsgegners und der in der Zimmerdecke des Flurs seiner Wohnung befindlichen Einschubtreppe zum Dachboden und deren Benutzung zu gestatten, ferner sich bei dem Betreten des Dachbodens über die Wohnung von einem Fachmann begleiten zu lassen.

Das Amtsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 18.4.2005 entsprochen. Dagegen hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hat das Landgericht am 2.8.2005 zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Amtsgericht habe den Antragsgegner zutreffend verpflichtet. Der Dachboden sei Gemeinschaftseigentum. Er gehöre insbesondere nicht zum Sondereigentum des Antragsgegners. In der Teilungserklärung sei vom Dachboden nicht die Rede. Der Dachboden gehöre auch nicht als "Zubehörraum" zu den Räumen, die im Sondereigentum des Antragsgegners stünden. Daran ändere nichts, dass er nur über dessen Sondereigentum betreten werden könne. Bei einem nicht ausgebauten Dachgeschoß, bei dem ein Mitgebrauch aller Wohnungseigentümer von der tatsächlichen Seite nicht in Betracht komme, spiele der Zugang keine maßgebliche Rolle.

Der Antragsgegner sei verpflichtet, das Betreten seines Sondereigentums zu dulden, soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlich sei. Ein Betretungsrecht sei auch unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht zu beanstanden. Das Dach sei etwa 40 Jahre alt und habe bereits Schäden aufgewiesen. Es beständen daher konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer regelmäßigen Kontrolle dieses Daches. Zudem müsse nur der Wohnungsflur, und zwar nach vorheriger Ankündigung und Absprache, betreten werden. Dieser Eingriff sei im Interesse des gemeinschaftlichen Eigentums hinzunehmen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung durch den Senat (§ 43 Abs. 1 WEG, § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO) nicht in allen Punkten stand.

a) Das Landgericht geht davon aus, dass der Dachboden im Gemeinschaftseigentum steht und an diesem demgemäß kein Sondereigentum begründet wurde. Dem folgt der Senat.

Gegenstand des Sondereigentums sind grundsätzlich die bei Begründung von Wohnungseigentum im Teilungsvertrag oder in der Teilungserklärung gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 WEG bestimmten Räume (§ 5 Abs. 1, § 8 Abs. 2 WEG). Zur näheren Bezeichnung des Sondereigentums wird im Wohnungsgrundbuch auf die Eintragungsbewilligung Bezug genommen (§ 7 Abs. 3 WEG; vgl. § 874 BGB). Diese ist als Anlage dem Aufteilungsplan beigefügt. In dem Aufteilungsplan sind alle zu demselben Wohnungseigentum gehörenden Einzelräume mit der jeweils gleichen Nummer zu kennzeichnen (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 WEG).

Demnach ist der Dachboden nicht Teil eines Sondereigentums, insbesondere nicht des Sondereigentums Nr. 2 an den Räumen im Obergeschoß. In der Teilungserklärung sind nur die mit Nr. 1 oder Nr. 2 bezeichneten Räume sondereigentumsrechtlich zugeordnet. Auch nach dem jeweiligen Beschrieb gehört der Dachboden nicht dazu. Daran ändert nichts, dass in der Aufzählung des Gemeinschaftseigentums nur die mit Nr. 3 bezeichneten Räumlichkeiten im Kellergeschoß sowie das Treppenhaus im Keller-, Erd- und Obergeschoß namentlich erwähnt sind, nicht aber der Raum im Dachgeschoß. Auch der bei den Grundakten befindliche Aufteilungsplan enthält diesen nicht. Aus § 1 Abs. 5 WEG folgt, dass Sondereigentum die Ausnahme und gemeinschaftliches Eigentum die Regel bildet. Wird kein Sondereigentum an einem Raum begründet, steht dieser im Gemeinschaftseigentum. Unter einem Raum versteht das Gesetz den umbauten, das heißt von Fußboden, Decke und Wänden umschlossenen lichten Raum (KK-WEG/Förth § 5 Rn. 13). Der Spitzboden im Dachgeschoß ist ein solcher selbständiger Raum, der nicht einem bestimmten Sondereigentum zugeordnet ist.

Der Umstand, dass der Dachboden nur durch die darunter liegende und dem Sondereigentum des Antragsgegners zugewiesene Wohnung zugänglich ist, macht ihn nicht notwendigerweise zu Sondereigentum dieser Wohnung. Vielmehr ist umgekehrt ein Raum, der der einzige Zugang zu einem im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Raum ist, selbst Gemeinschaftseigentum (BayObLGZ 1986, 26; 1991, 165/169; BayObLG WuM 2001, 292/293). Eine Ausnahme wird dann angenommen, wenn es sich um im gemeinschaftlichen Eigentum stehende Räume handelt, die von ihrer Beschaffenheit her nicht zum ständigen Mitgebrauch aller Wohnungseigentümer bestimmt sind. In einem solchen Fall spielt nämlich der Zugang keine maßgebende Rolle. Der Zugang braucht daher nicht zwangsläufig im gemeinschaftlichen Eigentum zu stehen (BayObLGZ 1991, 165/169 f.; BayObLG NJW-RR 1995, 908/909; WuM 2001, 292/293; Demharter GBO 25. Aufl. Anh. zu § 3 Rn. 21).

b) Das Landgericht ist ferner verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Dachboden nicht ausgebaut ist. Seine Funktion erlaubt nach Lage und Zuschnitt (vgl. BayObLG NJW-RR 1995, 908/909) keinen sinnvollen Mitgebrauch, etwa als Trockenspeicher oder Hobbyraum. Ein Mitgebrauch aller Wohnungseigentümer gemäß § 13 Abs. 2 WEG hat demnach hier keine größere praktische Bedeutung, so dass auch der Zugang keine maßgebliche Rolle spielt.

c) Muss der Speicher im Wesentlichen aber nur zur Durchführung von Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten betreten werden, verpflichtet § 14 Nr. 4 WEG denjenigen Wohnungseigentümer, durch dessen Wohnung der im gemeinschaftlichen Eigentum stehende Raum erreicht werden kann, das Betreten und die Benutzung seines Sondereigentums zu gestatten. Die Verpflichtung besteht schon dann, wenn das Betreten der Wohnung erforderlich ist, um Feststellungen darüber zu treffen, ob Maßnahmen der Instandsetzung notwendig sind (BayObLGZ 1996, 146/148). Dann müssen aber konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass solche Maßnahmen in Betracht kommen. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 13 GG sind an die Voraussetzungen, unter denen eine Verpflichtung im Sinn von § 14 Nr. 4 WEG bejaht werden kann, strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Erforderlichkeit des Betretens und Benutzens von Sondereigentum und in besonderem Maße dann, wenn es nur um die Feststellung geht, ob Maßnahmen zur Instandhaltung oder Instandsetzung in Betracht kommen (BayObLGZ 1996, 146/148). Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG ist ein Betreten der fremdem Wohnung nur erforderlich, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen werden müssen (BayObLG aaO). Ein Betretungsrecht ohne sachlichen Grund ist auch dann nicht anzuerkennen, wenn es zeitlich auf zwei Termine pro Jahr beschränkt ist (OLG Zweibrücken NZM 2001, 289).

d) Die Entscheidung des Landgerichts beschränkt sich in diesem Punkt auf die Feststellung, das Dach sei etwa 40 Jahre alt und habe bereits Schäden aufgewiesen. Diese sehr allgemein gehaltenen Feststellungen genügen einer einzelfallbezogenen Abwägung der in Rede stehenden Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1 GG einerseits und Art. 14 Abs. 1 GG andererseits nicht. Ob das Dach eine regelmäßige Kontrolle als Maßnahme einer ordnungsmäßigen Verwaltung erfordert, wird das Landgericht nur aufgrund weiteren Ermittlungen (§ 12 FGG), ggf. nach sachverständiger Beratung, entscheiden können. Notwendig sind dazu auch Feststellungen zur Bauweise, zum verwendeten Material und zum derzeitigen Erhaltungszustand. Zu klären wird ferner sein, ob eine ordnungsgemäße Kontrolle die Besichtigung des Dachs von innen erfordert. Weil es an einer ausreichenden Ermittlung des insoweit notwendigen Tatsachenstoffes fehlt (§ 12 FGG; siehe Mayer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 44), ist der angegriffene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

e) Sollte das Landgericht nach entsprechenden Erhebungen erneut zu dem Ergebnis kommen, den Antragstellerinnen stehe ein regelmäßiges Betretungsrecht des Dachgeschoßes zu, wird jedenfalls der amtsgerichtliche Ausspruch zu Ziffer 2. (Betretungsrecht von Begleitpersonen) einschränkend unter Bezugnahme auf den Zweck der Begehung näher zu bestimmen sein. Der Senat weist noch auf die offensichtliche Verwechselung in der Beteiligtenbezeichnung hin.

3. Die Entscheidung gemäß § 47 WEG über die Kosten, auch die des Rechtsbeschwerdeverfahrens, bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG und entspricht den unbeanstandet gebliebenen Festsetzungen durch die Vorinstanzen.

Ende der Entscheidung

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