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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 20.10.2005
Aktenzeichen: 34 Wx 141/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
Aus der unterbliebenen Beantwortung zweier schriftlicher Aufforderungen der Ausländerbehörde kann nicht ohne weiteres auf eine beharrliche Weigerung, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, und damit auf eine Entziehungsabsicht des betroffenen Ausländers geschlossen werden.
Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines afghanischen Staatsangehörigen.

Der Betroffene reiste am 18.11.2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Sein Antrag wurde mit Bescheid vom 11.9.2003, bestandskräftig seit 13.4.2004, abgelehnt. Er wurde unter Fristsetzung aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Ausreise wurde ihm die Abschiebung angedroht. Ein Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid vom 16.12.2004, bestandskräftig seit 4.1.2005, ebenfalls abgelehnt. Der Betroffene blieb in Deutschland. Wegen der politischen Lage in Afghanistan waren Abschiebungen bis Mitte 2005 nicht durchführbar. Der Betroffene erhielt eine Duldung bis längstens 22.9.2005, auflösend befristet bis zu einer möglichen Abschiebung. Seit 24.6.2005 sind Rückführungen nach Afghanistan möglich.

Der Betroffene wurde mit Bescheid vom 16.2.2005 aufgefordert, bis 17.5.2005 einen Pass oder Passersatz bei der Ausländerbehörde vorzulegen. Im Falle der Untätigkeit wurde ihm angedroht, zwangsweise bei der afghanischen Botschaft vorgeführt zu werden. Mit erneutem Schreiben vom 27.7.2005 wurde er aufgefordert, bis 5.8.2005 einen Antrag auf Passersatz auszufüllen und vorzulegen. Der Betroffene reagierte auf beide Schreiben nicht. Am 30.8.2005 wurde er in der ihm zugewiesenen Unterkunft festgenommen. Am 26.9.2005 stellte der Betroffene einen erneuten Asylfolgeantrag, über den noch nicht entschieden worden ist.

Mit Beschluss vom 30.8.2005 hat das Amtsgericht Abschiebungshaft mit sofortiger Wirksamkeit für die Dauer von drei Monaten gegen den Betroffenen angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Nach Anhörung des Betroffenen hat das Landgericht am 23.9.2005 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und dabei den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG bejaht. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen. Zugleich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hatte insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führte.

Gründe:

1. Zu Recht hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist, da die im Bescheid vom 11.9.2003 gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist. Die dem Betroffenen erteilte Duldung steht der Ausreisepflicht nicht entgegen, § 60 a Abs. 3 AufenthG. Über die Einhaltung der Monatsfrist des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG haben die Haftgerichte nicht zu entscheiden.

2. Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen tragen die Haftanordnung gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nicht. Der Verdacht der Entziehungsabsicht setzt voraus, dass konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen und Verhaltensweisen, des Betroffenen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten bzw. nahe legen, der Betroffene beabsichtige unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden könnte (BGHZ 98, 109/112).

a) Das Landgericht hat dazu festgestellt, der Betroffene habe auf zwei Anschreiben der Ausländerbehörde, mit denen er zu einem Tätigwerden in Bezug auf seine fehlenden Ausweispapiere aufgefordert wurde, nicht reagiert. Zwar ist der Betroffene verwaltungsrechtlich verpflichtet, an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, § 48 Abs. 3 AufenthG. Diese Mitwirkungspflicht kann jedoch nicht durch den Vollzug von Abschiebungshaft erzwungen werden. Die Abschiebungshaft darf allein zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werden, als Beugehaft zur Erzwingung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten ist sie unzulässig (BayObLG OLG-Report 2004, 136/137).

Im vorliegenden Fall lässt sich aus der Passivität des Betroffenen alleine kein begründeter Verdacht herleiten, er wolle sich der Abschiebung entziehen. Die näheren Umstände, warum er auf die Schreiben der Ausländerbehörde nicht reagiert hat, wurden nicht geklärt. Der Betroffene wurde im Rahmen der Anhörung hierzu nicht befragt. Er hat bei der Anhörung nicht zu erkennen gegeben, dass er alles unternehmen werde, um die Abschiebung zu verhindern. Insoweit kann von einer beharrlichen Weigerung, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, welche gegebenenfalls den Schluss zulässt, der Betroffener wolle sich der Abschiebung entziehen (vgl. dazu BayObLG Beschluss vom 26.9.1995 - 3Z BR 258/95, Beschluss vom 4.4.1997 - 3Z BR 109/97, KG NVwZ-Beilage 1995, S. 61), nicht ausgegangen werden.

b) Die Aussage des Betroffenen, er wolle nicht ausreisen, macht seine Abschiebung erforderlich, § 58 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 AufenthG. Sie begründet aber noch nicht ohne weiteres den Verdacht, er werde sich dieser Abschiebung entziehen. Eine Abschiebung ist im Grundsatz ohne Haftanordnung durchzuführen (vgl. BayObLG Beschluss vom 4.4.1997 - 3Z BR 109/97, KG NVwZ-Beilage 1995, S. 61). Hinzu kommt, dass der Betroffene im Anhörungstermin die Rückkehr nach Afghanistan abgelehnt hat, weil er glaubt, sich auf ein Asylrecht berufen und dies durch neue Unterlagen beweisen zu können. Aus diesen Gründen hat der Betroffene auch einen neuen Asylfolgeantrag gestellt. Die Ablehnung der freiwilligen Ausreise unter Berufung auf eine Asylberechtigung und damit auf ein gesetzliches Bleiberecht reicht für einen begründeten Verdacht der Entziehungsabsicht nicht aus.

c) Das Landgericht hat den Verdacht einer Entziehungsabsicht des Betroffenen auch deswegen bejaht, weil der Betroffenen verschiedene Alias-Personalien verwendet und dadurch versucht habe, über seine Identität zu täuschen. Die Verwendung verschiedener Personalien begründet grundsätzlich den Verdacht, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BayObLG OLG-Report 2000, 56).

Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass der Betroffene bei der Anhörung durch das Amtsgericht einen anderen Familiennamen angegeben hat. Seine Einlassung, dabei handele es sich um einen Zweitnamen, der versehentlich im amtsgerichtlichen Protokoll als Familienname aufgenommen worden sei, hielt das Gericht für wenig glaubhaft. Diese Tatsachenwürdigung ist nicht ausreichend, da sie sich nicht mit allen wesentlichen Umständen auseinandersetzt (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl. § 27 Rn 42). Das amtsgerichtliche Protokoll enthält nichts dazu, dass der Betroffene versucht hätte, über seine Identität zu täuschen, und dass er behauptet hätte, nicht der Gesuchte zu sein. Das Amtsgericht hat den Abschiebungshaftantrag offensichtlich ohne Probleme dem Festgenommenen, also dem Betroffenen, zuordnen können. In der Sachverhaltsdarstellung der festnehmenden Polizei ist von einem Alias-Namen oder einer versuchten Identitätstäuschung des Betroffenen nichts erwähnt. Unter diesen Umständen konnte die Einlassung des Betroffenen nicht ohne weiteres als unglaubwürdig behandelt werden. Eine mögliche Identitätstäuschung des Betroffenen bedarf der weiteren Aufklärung.

Eine Identitätstäuschung des Betroffenen kommt eventuell auch durch verschiedene Angaben im Asylverfahren in Betracht, da im Bescheid des Bundesamtes vom 16.12.2004 Alias-Personalien des Betroffenen, insbesondere unterschiedliche Geburtsdaten, genannt sind. Auch dazu fehlen - aus Sicht des Landgerichts folgerichtig - Feststellungen.

3. Ergänzend führt der Senat an:

Der vom Amtsgericht angenommene Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, auf den der Senat als verwertbaren Akteninhalt zurückgreifen könnte, entbehrt jeglicher Tatsachenfeststellung. Die Befürchtung, der Betroffene werde weitere Straftaten begehen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, bildet keinen Grund für die Anordnung von Sicherungshaft (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

Ende der Entscheidung

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