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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 150/05
Rechtsgebiete: AGBGB, WEG


Vorschriften:

AGBGB Art. 47
WEG § 14 Nr. 1
WEG § 15 Abs. 3
1. Zum erforderlichen Baumabstand von der Grenze einer Sondernutzungsfläche und zur entsprechenden Anwendung von Art. 47 AGBGB.

2. Wird der Grenzabstand von Pflanzen gemäß Art. 47 AGBGB nicht eingehalten, ist damit, sofern die Teilungserklärung keine abweichende Regelung enthält, zugleich eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des anderen Wohnungseigentümers indiziert.


Tatbestand:

Der Antragsteller und die Antragsgegner, ein Ehepaar, sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Diese besteht im Wesentlichen aus zwei freistehenden Wohnhäusern. Der Antragsteller ist Eigentümer der im Aufteilungsplan mit Nrn. 1 und 2 bezeichneten Wohnungen des einen Hauses, den Antragsgegnern gehört die mit Nr. 3 bezeichnete Wohnung im anderen Haus. Den Wohneinheiten Nr. 1 und Nr. 3 sind gemäß der Teilungserklärung vom 1.8.1995 an im Aufteilungsplan jeweils farbig gekennzeichneten und nummerierten Gartenflächen und Terrassen Sondernutzungsrechte folgenden Inhalts eingeräumt:

Jeder Sondernutzungsberechtigte hat das ausschließliche Nutzungsrecht an der zugewiesenen Gartenfläche samt Terrasse, während die übrigen Miteigentümer von der Nutzung ausgeschlossen sind. Dem Sondernutzungsberechtigten obliegt auch die Unterhaltungspflicht.

Jeder Sondernutzungsberechtigte ist berechtigt, die ihm zugewiesene Fläche nach eigenem Ermessen zu gestalten. Die Errichtung von Garten- oder Gerätehäusern ist zulässig.

Der Antragsteller hat in dem ihm zugewiesenen Sondernutzungsbereich (Garten) an der Grenze zur Sondernutzungsfläche der Antragsgegner insgesamt acht Tannen gepflanzt, von denen zwei kleinere weniger als 0,5 m Abstand und vier weitere 3,5 m hohe Bäume weniger als 2 m Abstand zur Grenze der Sondernutzungsflächen einhalten.

Der Antragsteller hat zunächst beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegner zur Entfernung einer Terrassenüberdachung, zur Versetzung eines Gartenhäuschens, zur Befestigung einer Erdaufschüttung und zum Kostenausgleich für einen Schwimmbadbau zu verpflichten. In Form des Gegenantrags haben die Antragsgegner Zugang zum gemeinschaftlichen Partykeller sowie Beseitigung von Pflanzen begehrt, die in einem geringeren Abstand als 0,5 m zur Grenze der Sondernutzungsrechte stehen, ferner den Rückschnitt von Pflanzen auf eine Höhe von nicht mehr als 2 m verlangt, die in einem Abstand von nicht mehr als 2 m zur Grenze des Sondernutzungsrechts stehen.

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren erheblich ist nur noch der letztgenannte Gegenantrag, den das Amtsgericht am 12.4.2005 abgewiesen hat. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat das Landgericht mit Beschluss vom 14.9.2005 den Antragsteller verpflichtet, von sechs im Einzelnen bestimmten Tannen zwei Bäume, die in einem geringeren Abstand als 0,5 m zur Grenze der Sondernutzungsrechte stehen, zu beseitigen, und vier Bäume, die in einem Abstand von nicht mehr als 2 m zur Grenze des Sondernutzungsrechts stehen, auf eine Höhe von nicht mehr als 2 m zurück zu schneiden. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers. Das zulässige Rechtsmittel blieb erfolglos.

Gründe:

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Zwar sehe die Teilungserklärung vor, dass jeder Sondernutzungsberechtigte die ihm zugewiesene Fläche nach eigenem Ermessen gestalten dürfe. Hierbei habe er jedoch auf die Belange der übrigen Wohnungseigentümer Rücksicht zu nehmen. Im Nachbarrecht werde das Gebot der Rücksichtnahme bei Anpflanzungen hinsichtlich Abstandsflächen und Höhenentwicklung durch Art. 47 ff. AGBGB konkretisiert. Diese Regelung sei auch bei Ausübung eines Sondernutzungsrechts zu beachten, soweit nicht die Teilungserklärung dies anders regle. Die Antragsgegner könnten demgemäß die Einhaltung der nachbarrechtlichen Vorschriften beanspruchen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Gemäß § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Hiernach sowie aus § 1004 Abs. 1 BGB besitzen die Antragsgegner den geltend gemachten Anspruch.

(1) Die gesetzliche Regelung des Art. 47 AGBGB gilt für das Verhältnis von Grundstücksnachbarn; sie findet jedenfalls unmittelbar nicht Anwendung auf das Verhältnis von Wohnungseigentümern, denen durch die Teilungserklärung Gartensondernutzungsflächen zugewiesen sind.

(2) Maßgeblich ist deshalb zunächst die Gemeinschaftsordnung, die die Wirkung einer Vereinbarung hat (§ 8 Abs. 2, § 5 Abs. 4, § 10 Abs. 2 WEG; siehe auch BayObLG NJW-RR 1987, 846). Diese ist wie jede Grundbucheintragung vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig auszulegen. Dabei ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt (st. Rspr.; z.B. BGHZ 121, 239).

Die Auslegung der Teilungserklärung ergibt, dass der jeweilige Inhaber des Sondernutzungsrechts in der Gestaltung der ihm zu ausschließlichem Gebrauch zugewiesenen Gemeinschaftsfläche weitestgehend freigestellt sein soll. Das zeigt sich insbesondere darin, dass er auch ohne Mitwirkung der übrigen Wohnungseigentümer ein Garten- oder Gerätehaus errichten darf, was im Allgemeinen ohne eine entsprechende Regelung nicht zulässig sein dürfte (BayObLG ZWE 2000, 355/356; vgl. Pick in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 14 Rn. 36; KK-WEG-Abramenko § 13 Rn. 37). Darüber hinaus ist der Berechtigte in der Gestaltung seiner Fläche weitestgehend freigestellt, sofern sie nur ihren Charakter als Garten behält. Im Übrigen belegt die Gemeinschaftsordnung, dass die Wohnungseigentümer weitestgehend so gestellt werden sollten, als wäre das Grundstück real geteilt. Andererseits bleiben die Wohnungseigentümer in der Ausübung ihrer Rechte gemäß § 14 Nr. 1 WEG untereinander beschränkt. Denn abgesehen von den vorstehend genannten erweiterten Befugnissen für die Flächengestaltung und die Errichtung von Nebengebäuden ist § 14 Nr. 1 WEG nicht abbedungen (dazu Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 14 Rn. 1). Dass von der Einhaltung erforderlicher Grenzabstände, wie sie unter Grundstücksnachbarn erforderlich sind, hätte befreit werden sollen, bestimmt die Teilungserklärung nicht.

(3) Aus § 14 Nr. 1 WEG folgt, dass jeder Wohnungseigentümer vom gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch machen darf, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Die landesrechtlichen Regelungen zum erforderlichen Baumabstand von der Grenze des Nachbargrundstücks gemäß Art. 47 AGBGB können dabei sinngemäß herangezogen werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts müssen zur Beurteilung der Frage eines Nachteils für die Nachbarn mindestens auch die Schranken gelten, die für Grundstücksnachbarn maßgeblich sind (BayObLG NJW-RR 1987, 846; BayObLGZ 1982, 69/76 f.; im Ergebnis ebenso OLG Hamm NJW-RR 2003, 230/232; Stadler Das Nachbarrecht in Bayern 7. Aufl. 10 D II 2; Meisner/Ring/Götz Nachbarrecht in Bayern 7. Aufl. § 18 Rn. 5). Der Senat schließt sich dieser Auffassung für den Regelfall an. Dabei ist nicht zu verkennen, dass Art. 47 AGBGB nicht dem Eintritt einer konkreten Beeinträchtigung im Einzelnen auch tatsächlich verlangt (Bayer/Lindner/Grziwotz Bayerisches Nachbarrecht 2. Aufl. Kap. 8 B; Meisner/Ring/Götz § 18 Rn. 6). Für den Regelfall geht jedoch der Gesetzgeber davon aus, dass nahe der Grenze wachsende Pflanzen und Bäume Sonne und Licht entziehen, was eine Beeinträchtigung der benachbarten Fläche mit sich bringt (Bayer/Lindner/Grziwotz Kap. 8 B). Schon dieser Umstand bildet einen nicht ganz unerheblichen Nachteil im Sinn von § 14 Nr. 1 WEG, ohne dass der Richter im Wohnungseigentumsverfahren von Amts wegen (§ 12 FGG) noch gehalten wäre, diesen "vertypten" Umstand noch gesondert feststellen zu müssen. Ob in Sonderfällen, etwa bei besonderen Zuschnitten der Anlage (siehe OLG Düsseldorf OLGZ 1985, 426/430), von dieser Regel abzuweichen ist und im Wohnungseigentumsverfahren weitere Ermittlungen zum tatsächlichen Vorliegen eines Nachteils anzustellen sind, kann dahinstehen. Denn der Sachverhalt gibt dazu keinen Anlass. Der Antragsteller hat mit der Rechtsbeschwerde nur beanstandet, dass das Landgericht zwar die Voraussetzungen des Art. 47 AGBGB, nicht aber einen tatsächlichen Nachteil festgestellt habe. Er hat aber keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die es trotz Nichteinhaltens der Abstände durch sechs Fichtenbäume nahezu entlang der gesamten gemeinschaftlichen Grenze nahe legen könnten, die Antragsgegner seien dadurch für ihre Sondernutzungsfläche nicht zumindest im Licht- und Sonneneinfall benachteiligt.

b) Der Senat hält es nach § 47 Satz 1 WEG für angemessen, dem unterlegenen Antragsteller die gerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Von der Anordnung einer Kostenerstattung gemäß § 47 Satz 2 WEG macht der Senat keinen Gebrauch, weil unterschiedliche Instanzentscheidungen vorliegen und von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels nicht gesprochen werden kann.

Ende der Entscheidung

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