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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 02.02.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 158/05
Rechtsgebiete: FGG, PAG


Vorschriften:

FGG § 20
PAG Art. 18
Der Polizeibehörde steht gegen Entscheidungen des Amtsgerichts, die den Antrag nach Art. 18 Abs. 1 PAG zurückweisen, ein Beschwerderecht mit dem Ziel der nachträglichen Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme grundsätzlich nicht zu.
Gründe:

I.

In der Stadt M. ist das Betteln in der Fußgängerzone der Altstadt durch Satzung verboten und stellt eine Ordnungswidrigkeit nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz dar.

Der Betroffene bettelte am 1.8.2005 um 11.45 Uhr auf dem im Altstadt-Fußgänger-Bereich liegenden M.-Platz einen zu einer Zivilstreife gehörenden Polizeibeamten um einen Euro an. Ermittlungen ergaben, dass der Betroffene seit April 2005 bereits neunmal wegen Verstoßes gegen dieselbe Satzung des Platzes verwiesen und zur Anzeige gebracht worden war. Der Betroffene gehört zu einer organisierten Gruppe von Personen, die aus Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, um hier durch Betteln ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Der Betroffene wurde in Unterbindungsgewahrsam nach Art. 17 PAG genommen, der nach Absicht der Polizeibehörde am 1.8.2005 nach Ladenschluss, d.h. um 20.30 Uhr enden sollte.

Durch Beschluss vom 1.8.2005 hat das Amtsgericht den polizeilichen Antrag auf richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Art. 18 Abs. 1 PAG zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Polizeibehörde am 9.8.2005 sofortige Beschwerde eingelegt. Durch Beschluss vom 24.10.2005 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen, soweit die Anordnung der Ingewahrsamnahme des Betroffenen begehrt wird (Hauptantrag) und verworfen, soweit beantragt wird, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 1.8.2005 festzustellen (Hilfsantrag). Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Polizeibehörde.

Der Betroffene befand sich seit 3.8.2005 in Untersuchungshaft. Inzwischen wird eine gegen ihn verhängte siebenmonatige Freiheitsstrafe vollstreckt.

II.

Soweit das Landgericht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen hat, ist das Rechtsmittel unzulässig. Im Übrigen ist die sofortige weitere Beschwerde zulässig, aber nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Ingewahrsamnahme nach Art. 17 PAG lägen nicht vor. Der Betroffene befinde sich derzeit in Untersuchungshaft und habe daher nicht die Möglichkeit, in der Fußgängerzone zu betteln. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts vom 1.8.2005 sei unzulässig. Eine entsprechende Anwendung von Art. 18 Abs. 2 PAG komme nicht in Betracht. Die Behörde könne nicht in Grundrechten verletzt sein.

2. Die Rechtsbeschwerde der Behörde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Im Hinblick auf die Entscheidung der Beschwerdekammer über die Anordnung der Ingewahrsamnahme des Betroffenen ist das Rechtsmittel bereits unzulässig.

Wird eine Person aufgrund von Art. 17 PAG festgehalten, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG). Das weitere Verfahren richtet sich nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FreihEntzG). Dieses sieht vor, dass der Beschluss des nach Art. 18 Abs. 3 PAG i.V.m. §§ 3, 4 FreihEntzG zuständigen Amtsgerichts mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann (§ 7 Abs. 1 FreihEntzG). Gegen die Anordnung einer Freiheitsentziehung sind die in § 6 Abs. 2 FreihEntzG genannten Beteiligten beschwerdeberechtigt (§ 7 Abs. 2 1. Halbsatz FreihEntzG). Gegen eine Entscheidung, durch die der Antrag der Verwaltungsbehörde abgelehnt wurde, steht nur dieser die Beschwerde zu (§ 7 Abs. 2 Halbsatz 2 FreihEntzG).

Wie die Polizeibehörde im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens ausgeführt hat, richtete sich ihr Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde entgegen der Auffassung des Landgerichts, das dieses Begehren als Hauptantrag behandelt hat, nicht auf eine künftige Ingewahrsamnahme des Betroffenen. Diese Auslegung der Beschwerde liegt nahe und ergibt sich insbesondere aus dem Schreiben der Polizeibehörde vom 27.9.2005 an das Beschwerdegericht. Denn zum einen sollte die Freiheitsentziehung des Betroffenen von vornherein noch am 1.8.2005 um 20.30 Uhr beendet sein. Zum anderen befand sich der Betroffene bereits seit 3.8.2005 in Untersuchungshaft.

Das nach §§ 27, 29 FGG grundsätzlich statthafte Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde ist insoweit gleichwohl unzulässig, da keine Beschwerdeberechtigung besteht (§ 29 Abs. 4, § 20 FGG). Zwar ist bei einer erfolglosen Erstbeschwerde der Beschwerdeführer regelmäßig beschwerdeberechtigt, wenn diese verworfen oder zurückgewiesen wurde; denn bereits darin liegt eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne von § 20 Abs. 1 FGG (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 10; Bassenge/Herbst/Roth FGG 10. Aufl. § 27 Rn. 14). Anders ist die Rechtslage aber hier, da lediglich über einen Antrag entschieden wurde, der überhaupt nicht gestellt wurde. Eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch das Rechtsmittelgericht in diesem Punkt hätte für die rechtsmittelführende Behörde keinerlei Konsequenzen. Auch ein Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung ist insoweit nicht ersichtlich.

b) Soweit sich die sofortige weitere Beschwerde auf die nachträgliche Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme richtet, ist sie zulässig, aber unbegründet.

(1) Die beteiligte Behörde ist insoweit schon deshalb beschwerdeberechtigt, weil ihre Erstbeschwerde verworfen worden ist (§ 7 Abs. 2 FreihEntzG, § 29 Abs. 4 FGG). Das Rechtsmittel wurde im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt (§ 29 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 FGG). Einer Zulassung der Rechtsbeschwerde bedurfte es nicht. Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG betrifft vom Sachzusammenhang her zunächst nur Rechtsmittel des Betroffenen. Die die Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde nach Art. 18 Abs. 2 Satz 1 PAG einschränkende Bestimmung des Art. 18 Abs. 2 Satz 4 PAG gilt zwar nicht nur für den Fall, dass der Betroffene bereits von der Polizei entlassen wurde, sondern auch für den Fall, dass die Entlassung erst durch den Richter veranlasst wurde und es zu keiner richterlich angeordneten Fortdauer des Gewahrsams kommt (vgl. BayObLG BayObLGZ 1998, 56 und BayVBl. 1999, 106). Es besteht aber, jedenfalls für den vorliegenden Fall, kein Bedürfnis, das Zulassungserfordernis erweiternd auch auf Rechtsmittel der Behörde auszudehnen, da dieser bereits eine Beschwerdebefugnis nicht zusteht (s. unten (3)).

(2) Art. 18 Abs. 2 Satz 1 PAG regelt seinem Wortlaut nach den Fall, dass die Freiheitsentziehung vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung beendet ist, und gibt dem Betroffenen das Recht, innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsentziehung beim Amtsgericht die Feststellung zu beantragen, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen ist, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht. Mit dieser seit 1.4.1989 geltenden Bestimmung wollte der Gesetzgeber nicht nur die zuvor streitige Frage des Rechtswegs klären, sondern auch dem Recht des Betroffenen auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes Rechnung tragen (Honnacker/Beinhofer PAG 18. Aufl. Art. 18 Rn. 12 ff.). Das Recht auf Freiheit der Person hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten einen besonders hohen Rang (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG; BVerfGE 104, 220/234). Dem entspricht es, dass ein Freiheitsverlust durch Inhaftierung ein Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen indiziert, das ein von Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dann begründet, wenn die Maßnahme erledigt ist (vgl. zur Abschiebungshaft BVerfGE 104, 220 m.w.N.; st. Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 18.1.2006, 34 Wx 179/05).

(3) Für die Behörde, die als Polizeibehörde selbst Teil der staatlichen Verwaltung ist, ist die Rechtslage aber insofern anders, als sich eine Verpflichtung zur Gewährung nachträglichen staatlichen Rechtsschutzes nicht aus grundrechtlich geschützten Positionen ableiten lässt. Für die Frage der Beschwerdebefugnis ist vielmehr ausschließlich die allgemeine Vorschrift des § 20 FGG maßgeblich. Behörden haben demnach ein Beschwerderecht nur, soweit sie, unabhängig von dem Willen der Beteiligten, zur Vertretung öffentlicher Interessen berufen oder selbst an dem Verfahren beteiligt und durch die Entscheidung beeinträchtigt sind (Kahl in Keidel/Kuntze/ Winkler § 20 Rn. 24). Diese Voraussetzungen liegen zwar vor, sofern die für die Gefahrenabwehr zuständige Behörde die künftige Ingewahrsamnahme eines Störers anstrebt. Es besteht aber kein anerkennenswertes Interesse des Staates, eine zu seinem Nachteil ergangene gerichtliche Entscheidung nachträglich durch eine weitere Instanz überprüfen zu lassen (so auch OLG Hamburg NVwZ-RR 1996, 204; Berner PAG 16. Aufl. Art. 18 Rn. 6). Weder aus Art. 19 Abs. 4 GG noch aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip noch aus dem Recht auf rechtliches Gehör lässt sich für die Behörde ein Recht auf eine zweite richterliche Instanz herleiten (vgl. BVerfGE 49, 329/342; BayObLG FamRZ 1993, 720/721). Das Argument der "Waffengleichheit" (vgl. OLG Celle FGPrax 2005, 48) überzeugt schon im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgangslage im Verhältnis von Bürger und Behörde nicht. Soweit das Oberlandesgericht Celle in seiner Entscheidung vom 24.10.2004 (FGPrax 2005, 48) eine Beschwerdeberechtigung der Polizeibehörde bejaht hat, unterscheidet sich die dortige Fallgestaltung von der hier gegebenen insofern, als das Amtsgericht in dem dortigen Fall erstinstanzlich die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Freiheitsentziehung festgestellt hatte. Das Oberlandesgericht Celle hat die Annahme einer Beschwerdebefugnis mit dem Vorliegen eines anerkennenswerten Interesses der Behörde begründet, sich von dem Vorwurf des rechtswidrigen Eingriffs in das Freiheitsrecht zu entlasten. Hier hat das Amtsgericht aber in seiner Ausgangsentscheidung lediglich den polizeilichen "Antrag zurückgewiesen" (zum notwendigen Umfang der amtsrichterlichen Entscheidung Art. 18 PAG vgl. BayObLG BayVBl. 1999, 106), da das Betteln als soziallästiges Verhalten hier keine, wenn auch nur kurzfristige, Freiheitsentziehung rechtfertige. Diese Begründung beinhaltet gegen die Behörde keinen ein besonderes Rehabilitierungsinteresse begründenden Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens, so dass es auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rehabilitationsinteresse der Polizeibehörde überhaupt ein Beschwerdeberechtigung begründen könnte, nicht ankommt. Auch Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche des Betroffenen stehen ersichtlich nicht im Raum.

Das Interesse der Behörde an einer obergerichtlichen Entscheidung ist zwar nachvollziehbar, aber nicht von § 20 Abs. 1 FGG geschützt (vgl. BGHZ 109, 108/110). Die Tatsache, dass das Landgericht eine uneingeschränkte Rechtsmittelbelehrung erteilt hat, ist im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Behörde ist zur Zahlung gerichtlicher Kosten nicht verpflichtet (§ 15 Abs. 2 FreihEntzG); außergerichtliche Auslagen des Betroffenen (vgl. § 16 FreihEntzG, § 13 a FGG) sind nicht entstanden.

Ende der Entscheidung

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