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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 16.01.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 161/05
Rechtsgebiete: AufenthG, FGG


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2
FGG § 23
FGG § 27
Nach Erledigung der Hauptsache im Rechtsbeschwerdeverfahren durch die Rücknahme des Haftantrags kann der Betroffene sein Rechtsmittel mit dem Ziel weiterverfolgen, nunmehr die Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen Haftanordnungsbeschlusses feststellen zu lassen. Der Umstand, dass das Landgericht seine Beschwerdeentscheidung auf der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Tatsachengrundlage getroffen hat, steht dem regelmäßig nicht entgegen.
Tatbestand:

Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines tansanischen Staatsangehörigen. Dieser reiste erstmals im September 2000 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Der Betroffene wurde zur Ausreise aufgefordert. Ein Asylfolgeverfahren blieb erfolglos. Der Betroffene konnte zunächst nicht abgeschoben werden, weil er seit 8.7.2002 unbekannten Aufenthalts war. Er wurde schließlich in den Niederlanden aufgegriffen und am 7.10.2004 den deutschen Behörden gemäß dem Dubliner Übereinkommen rücküberstellt.

Mit Beschluss vom 8.10.2004 ordnete das Amtsgericht erstmals zur Sicherung der Abschiebung mit sofortiger Wirksamkeit Haft für die Dauer von längstens drei Monaten an. Rechtsmittel gegen die Haftanordnung blieben erfolglos (siehe BayObLG Beschluss vom 2.11.2004 - 4Z BR 083/04).

In der Folgezeit kam es zu Schwierigkeiten in der Beschaffung von Heimreisedokumenten für den Betroffenen.

Mit Beschluss vom 27.12.2004 ordnete das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit weitere Abschiebungshaft bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch für die Dauer von drei Monaten, im Anschluss an die bestehende Abschiebungshaft an. Weitere Haftanordnungsbeschlüsse des Amtsgerichts ergingen am 7.4.2005, 5.7.2005 und 6.10.2005. Gegen den zuletzt genannten Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluss vom 3.11.2005 zurückgewiesen hat. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

Am 1.12.2005 hat die Ausländerbehörde den Haftantrag zurückgenommen, der Betroffene wurde aus der Haft entlassen. Er beantragte über seine Verfahrensbevollmächtigte nunmehr, festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 6.10.2005 rechtswidrig war, sowie der Ausländerbehörde die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Das zulässige Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Gründe:

1. Die Hauptsache hat sich nach Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde durch die Zurücknahme des Haftantrags und die Entlassung des Betroffenen aus der Abschiebungshaft erledigt. Dies steht einem fortwirkenden Rechtsschutzinteresse jedoch nicht entgegen. Denn die tatsächlich stattgefundene Inhaftierung greift in schwerwiegender Weise in das Grundrecht auf Freiheit der Person ein. Eine vollzogene Haftanordnung beinhaltet auch den Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens und ist geeignet, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (BVerfGE 104, 220; ständige Senatsrechtsprechung, etwa Beschluss vom 30.9.2005 - 34 Wx 078/05). Hier hat der Betroffene sein Rechtsmittel mit dem Rechtsschutzziel aufrechterhalten, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung vom 6.10.2005 festzustellen. Auch wenn die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung vom 3.11.2005 auf der Grundlage des zu diesem Zeitpunkt gegebenen Sachverhalts ergangen ist (vgl. § 23 FGG; BGHZ 75, 375/380) und somit auch nach der Entscheidung des Amtsgerichts eingetretene neue Tatsachen zu berücksichtigen hatte, sieht sich der Senat in der Lage, selbst die Rechtmäßigkeit der Anordnung vom 6.10.2005 beurteilen zu können. Denn das Landgericht hat erkennbar auch die Rechtmäßigkeit der Haft zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung bejaht. Zu Lasten des Betroffenen ist nämlich im Zeitraum bis zur Beschwerdeentscheidung kein neuer Umstand eingetreten, der die Haft, abweichend von der amtsgerichtlichen Entscheidung, hätte rechtfertigen können.

2. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die sofortige Beschwerde sei unbegründet. Der Betroffene sei seit 6.4.2001 vollziehbar ausreisepflichtig. Auch das Asylverfahren sei rechtskräftig abgeschlossen, so dass eine Aufenthaltsgestattung erloschen sei.

Es bestehe der begründete Verdacht, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen. Der Betroffene sei im Inland ohne festen Wohnsitz und verfüge über keinerlei Ausweisdokumente. Er habe nach Mitteilung der Ausländerbehörde bereits früher Alias-Personalien verwendet. Nach Abschluss des Asyl- und des Asylfolgeverfahrens und nach Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel sei der Betroffene untergetaucht und habe sich nicht mehr bei der Ausländerbehörde gemeldet. Außerdem habe er bekräftigt, nicht gewillt zu sein, nach Tansania zurückzukehren; er wolle vielmehr innerhalb der EU erneut untertauchen.

Es stehe auch nicht positiv fest, dass eine Abschiebung des Betroffenen innerhalb der nächsten drei Monate nicht möglich sein werde. Es sei vielmehr aufgrund einer Mitteilung der Zentralen Rückführungsstelle vom 26.10.2005 damit zu rechnen, dass mit der baldigen Ausstellung eines Heimreisescheins durch die tansanische Botschaft zu rechnen sei. Die weitere Abschiebungshaft sei damit zulässig. Nur wenn feststünde, dass der Zweck der Haft, nämlich die Sicherung der Abschiebung, nicht mehr erfüllbar wäre, wäre von einer Unzulässigkeit der weiteren Abschiebungshaft auszugehen.

Unter den konkreten Umständen sei die Verlängerung der Haft auch verhältnismäßig und erforderlich. Dass sich der Betroffene der Abschiebung trotz seines Verhaltens nicht entziehen wolle, sei nicht anzunehmen.

Die Haftdauer sei unter Berücksichtigung der Gesamtumstände angemessen. Die Ausländerbehörde habe die Angelegenheit bisher zügig bearbeitet; dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen sei gerade noch genügt. Aufgetretene Verfahrensverzögerungen seien auf die Verweigerungshaltung des Betroffenen zurückzuführen. Die Erteilung eines Heimreisescheins sei noch in der ersten Novemberhälfte zu erwarten.

3. Auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen in Verbindung mit dem dem Senat zugänglichen Akteninhalt, der die entscheidungserheblichen zusätzlichen Sachverhaltsfeststellungen ermöglicht (vgl. BayObLGZ 1997, 350/352), ist die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 6.10.2005 aus Rechtsgründen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO) nicht zu beanstanden.

a) Der Betroffene war vollziehbar ausreisepflichtig und konnte abgeschoben werden (§ 4 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 AufenthG). Auch aus asylrechtlichen Gründen war dem Betroffenen ein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gestattet (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVerfG).

b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Voraussetzungen eines Haftgrunds nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG bejaht. Der Betroffene ist, nachdem für ihn feststand, in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl erlangen zu können, im europäischen Ausland untergetaucht. Seine Ausreisepflicht hat er dadurch nicht erfüllt (§ 50 Abs. 4 AufenthG). Er war für die Behörden mehr als zwei Jahre unbekannten Aufenthalts. Dies rechtfertigt den Verdacht, sich der Abschiebung entziehen zu wollen (BGHZ 129, 98/100 f.; BayObLGZ 1995, 17/21). Auf die weiteren vom Landgericht indiziell herangezogenen Umstände kommt es nicht mehr an.

c) Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung und erst recht zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Haftanordnung stand nicht bereits fest, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate stattfinden kann. Noch mit Schreiben vom 21.10.2005 war den deutschen Behörden angekündigt worden, dass die tansanische Botschaft ein Passersatzpapier "voraussichtlich nächste Woche" ausstellen werde. Auf der Grundlage der damaligen Erkenntnisse war auch keineswegs abzusehen, dass dazu ein eigenhändig unterschriebener neuer Antrag des Betroffenen eine unerlässliche Voraussetzung bildete (siehe nachfolgend zu d)).

d) Dem in Haftsachen geltenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 46, 194/195; auch OLG Celle InfAuslR 2004, 118) wurde die Sachbearbeitung durch die Ausländerbehörde noch hinreichend gerecht.

(1) Die Ausländerbehörde verfügte zunächst über eine Passkopie, über ein, allerdings bereits aus dem Jahr 2000 stammendes, ausgefülltes Antragsformular zur Beschaffung eines Heimreisescheins und ging bei der Rücküberstellung aus den Niederlanden im Oktober 2004 zunächst davon aus, der Betroffene sei auch im Besitz eines gültigen Reisepasses, weil die Passkopie ein Gültigkeitsdatum bis 16.4.2005 auswies. Dass die Behörde den Reisepass für den Betroffenen nicht beibringen konnte, stand seit 15.10.2004 fest. Ein Verfahren auf Beschaffung von Heimreisedokumenten wurde bereits am 11.10.2004 über die zuständige Zentrale Rückführungsstelle eingeleitet. Damals und jedenfalls bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt am 6.10.2005 konnte die Ausländerbehörde noch davon ausgehen, die zuständigen tansanischen Behörden würden Heimreisepapiere auf der Grundlage der überlassenen Unterlagen ausstellen. Wie sich aus einer Anforderung der Zentralen Rückführungsstelle bereits vom 12.10.2004 ergibt, wurde zwar von den tansanischen Behörden eine vom Antragsteller selbst verfasste Stellungnahme in Kisuaheli, gerichtet an die Botschaft, mit Angaben zur Person, Angaben zu Eltern und zur letzten Heimatadresse verlangt, jedoch bis Herbst 2005 die Ausstellung der Passersatzpapiere nicht deswegen abschließend verweigert, weil der vorhandene Antrag nicht "neu" ausgefüllt und unterschrieben war. Vielmehr rechnete die in derartigen Verfahren sachkundige Zentrale Rückführungsstelle noch am 26.10.2005 mit einer umgehenden Ausstellung des Heimreisescheins auf der Grundlage der bis dahin überlassenen Unterlagen. Auch die Haltung der tansanischen Behörden war insoweit nicht durchgängig einheitlich, weil am 11.10.2005 das Passersatzpapier unter anderem auf der Grundlage eines "wenn möglich neuen" Antragsformulars und kurz darauf auf der Grundlage eines zwar vom Betroffenen unterschriebenen, jedoch von Amts wegen ausgefüllten "neuen" Antrags in Aussicht gestellt wurde.

(2) Vor diesem Hintergrund sind auch die Anstrengungen der Ausländerbehörde, die Mitwirkung des Betroffenen insbesondere in Form der Leistung seiner Unterschrift unter den "neuen" Antrag zu erreichen, nicht zu beanstanden. Die Behörde konnte, nachdem ihre Bemühungen, den Originalpass des Betroffenen aufzufinden, Mitte Oktober 2004 gescheitert waren, sich ohne Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zunächst darauf beschränken, den Betroffenen zur Abfassung des entsprechenden Antrags über den Sozialdienst der Justizvollzugsanstalt aufzufordern und auf diesem Weg, im Ergebnis erfolglos, nochmals im Mai 2005 an ihn herantreten. Die Behörde hatte erst Anlass, ihre Bemühungen um eine freiwillige Mitwirkung des Betroffenen maßgeblich zu intensivieren, als sich abzeichnete, dass es ohne dessen Mitwirkung zu erheblichen Verzögerungen bei der Passersatzbeschaffung kommen werde. Unter den gegebenen Umständen war es deshalb noch vertretbar, damit bis Oktober 2005 zuzuwarten.

(3) Mit der Erklärung des Betroffenen vom 5.10.2005 gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter der Ausländerbehörde, er gebe keinerlei Erklärung gegenüber der tansanischen Botschaft ab, stand zwar nun endgültig fest, dass mit einem aktiven Beitrag des Betroffenen zur Beschleunigung der Abschiebung nicht zu rechnen ist. Jedoch stand noch nicht abschließend fest, dass ohne dessen Mitwirkung die Abschiebung nicht werde zeitnah und erfolgreich durchgeführt werden können. Vielmehr ergab sich erst abschließend Ende November 2005, dass eine Abschiebung mit den vorhandenen Unterlagen aufgrund der Haltung der Heimatbehörden des Betroffenen tatsächlich nicht möglich sein würde.

e) Vor diesem Hintergrund bedarf es keines Eingehens darauf, ob das zuletzt noch von der Ausländerbehörde ins Auge gefasste Verbalnotenverfahren über das Auswärtige Amt eine sinnvolle und geeignete Maßnahme dargestellt hätte, um die Abschiebung des Betroffenen durchzuführen und den weiteren Vollzug von Abschiebungshaft, unter Umständen bis zum gesetzlichen Höchstmaß von 18 Monaten, zu rechtfertigen .

Ende der Entscheidung

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