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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 49/06
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 23 Abs. 2
WEG § 47
1. Bei der Einberufung einer Wohnungseigentümerversammlung ist der Gegenstand der beabsichtigten Beschlussfassung derart anzugeben, dass die Beteiligten weitestgehend vor Überraschungen geschützt sind und ihnen die Möglichkeit der Vorbereitung und der Überlegung, ob ihre Teilnahme veranlasst ist, gegeben wird (BayObLG WuM 1985, 100). Der Beschlussgegenstand ist umso genauer in der Ladung zu bezeichnen, je größer seine Bedeutung und je geringer der Wissensstand des einzelnen Eigentümers hierzu ist.

2. Bei der geplanten Großsanierung einer mittelgroßen Wohnanlage reicht in der Einberufung der Eigentümerversammlung die Angabe "Beschluss über ergänzende und weiterführende Beschlüsse zur Großsanierung" nicht aus, wenn über konkrete bauliche Einzelmaßnahmen beschlossen werden soll.

3. Zur Kostentragungspflicht des Verwalters bei fehlerhafter Einberufung der Eigentümerversammlung.


Gründe:

I.

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer mittelgroßen Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. In der Wohnanlage wird seit dem Jahr 2001 die Sanierung des Gebäudes in einer finanziellen Größenordnung von ca. 440.000 EUR geplant. Mit Schreiben vom 8.4.2003 berief die Verwalterin eine ordentliche Wohnungseigentümerversammlung am 28.4.2003 ein. In der in dem Einladungsschreiben enthaltenen Tagesordnung ist neben den üblichen jährlichen Tagesordnungspunkten vorgesehen:

"Tagesordnungspunkt (TOP) 9: Beschluss über ergänzende und weiterführende Beschlüsse zur Großsanierung".

An der Eigentümerversammlung vom 28.4.2003 nahmen nicht alle Eigentümer teil. In dem Protokoll der Eigentümerversammlung ist festgehalten:

"Zu TOP 9: Beschluss über ergänzende und weiterführende Beschlüsse zur Großsanierung

Herr Dipl. Ing. B. berichtet den anwesenden Eigentümern über den derzeitigen Planungsstand seiner Untersuchungen und verteilt dazu das entsprechende Informationsmaterial.

Die dabei noch zu klärenden Fragen werden dann wie folgt von der Gemeinschaft entschieden:

Zu 1. Die bestehenden Balkontröge werden abgebrochen und durch neue Betontröge in L-Form sowie einen Handlauf in Edelstahl ersetzt.

Zu 2. Die Balkon- und Terrassenbeläge werden wie folgt ausgeführt - Betonwerkstein, geschliffen, ca. 30 cm x 30 cm.

Zu 3. Fassadengestaltung (...Fassadenneuanstrich....Gestaltungskommission..).

Beschluss:

Zustimmung: 18 Stimmen, Ablehnung: - , Enthaltung: - ,

Der Versammlungsleiter verkündet das Abstimmungsergebnis:

Der Beschluss wurde einstimmig angenommen."

Alleine die zu 1. beschlossene Maßnahme hat dabei einen finanziellen Umfang von ca. 35.000 EUR.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 7.9.2005 den Beschluss der Eigentümerversammlung zu TOP 9.3 für ungültig erklärt und im Übrigen (hinsichtlich TOP 9.1 und 9.2 sowie zwei weiterer Verpflichtungsanträge) die Anträge nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin, soweit ihr nachteilig, sofortige Beschwerde eingelegt. Hinsichtlich der Verpflichtungsanträge wurde die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 30.12.2005 zurückgenommen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 10.3.2006 wegen eines Ladungsmangels auch die Beschlüsse zu TOP 9.1 und 9.2 für ungültig erklärt. Die Gerichtskosten hat es für beide Verfahrenszüge zu 1/10 der Antragstellerin und zu 9/10 den Antragsgegnern auferlegt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist im Wesentlichen nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die angefochtenen Beschlüsse seien aufgrund eines Ladungsmangels für ungültig zu erklären, da der Gegenstand der Beschlussfassung bei der Einberufung der Wohnungseigentümerversammlung nicht ausreichend bezeichnet worden sei, § 23 Abs. 2 WEG. Entscheidend für die Anforderungen an die Genauigkeit der Bezeichnung sei das jeweilige Informationsbedürfnis der einzelnen Wohnungseigentümer. Genaue Einzelheiten des Beschlussgegenstandes bräuchten aber nicht angegeben zu werden. Danach decke die Einladung vom 8.4.2003 weder die Beschlussfassung über den Austausch der Balkontröge noch über die Ausführung der Balkon- und Terrassenbeläge. Die Beschlussfassung entscheide über grundlegende bauliche Gestaltungen. Dies hätten die Wohnungseigentümer aus der Einladung zur Versammlung nicht ersehen können. Aus der Einladung ließen sich die konkret beschlossenen Maßnahmen nicht ansatzweise entnehmen. Eine Heilung des Verfahrensmangels sei nicht erfolgt.

Der Beschluss zu TOP 9.2 widerspreche zudem ordnungsmäßiger Verwaltung, da er sich auch auf bereits instand gesetzte Terrassen beziehe. Dabei müsse die Auslegung des Beschlusses "aus sich selbst heraus" anhand des Wortlautes, gegebenenfalls unter Hinzuziehung der Versammlungsniederschrift, erfolgen. Dem angefochtenen Beschluss könne nicht entnommen werden, dass von dem Austausch des Belages einige Terrassen ausgenommen sein sollten. Die objektive Auslegung führe vielmehr dazu, dass auch die erneute Sanierung der bereits sanierten Terrassen mit beschlossen worden sei. Insoweit entspreche der Beschluss aber offensichtlich nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil kein Sanierungsbedarf bestünde.

Es erscheine angemessen, die Gerichtskosten nach Quoten zwischen der Antragstellerin einerseits und den Antragsgegnern andererseits aufzuteilen. Hingegen bestehe für keinen Rechtszug Anlass, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen.

2. Die Ausführungen des Landgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung in der Hauptsache stand.

a) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass unter TOP 9 drei selbständige Beschlüsse gefasst wurden, die jeweils selbständig angefochten werden können. Es handelt sich nicht um nur einen Beschluss, auch wenn über alle drei Beschlüsse gemeinsam abgestimmt wurde. Die zu TOP 9.1, 9.2 und 9.3 gefassten Beschlüsse stehen nebeneinander, sind voneinander unabhängig und wurden insoweit nur zu einem Abstimmungsvorgang verbunden.

b) Die zu TOP 9.1 und 9.2 gefassten Beschlüsse sind zu Recht aus formalen Gründen für ungültig erklärt worden, da keine den Anforderungen des § 23 Abs. 2 WEG entsprechende ordnungsgemäße Tagesordnung mit der Einberufung zur Versammlung verschickt wurde.

(1) In der Tagesordnung muss der Beschlussgegenstand hinreichend genau bezeichnet werden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die Wohnungseigentümer vor überraschenden Entscheidungen zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich anhand der Tagesordnungspunkte auf die Beratung und Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung vorzubereiten. Zudem soll der einzelne Eigentümer die Möglichkeit erhalten, zu entscheiden, ob seine Teilnahme an der Versammlung veranlasst ist. Aus diesem Informationsbedürfnis des einzelnen Wohnungseigentümers ergibt sich, dass der Beschlussgegenstand umso genauer bezeichnet werden muss, je größer seine Bedeutung und je geringer der Wissensstand des einzelnen Eigentümers ist (OLG Köln NZM 2003, 121; Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 23 Rn. 79; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 23 Rn. 9). Wenn auch nicht alle Einzelheiten des Beschlussgegenstandes in der Tagesordnung angegeben werden können und müssen (BayObLG WuM 1985, 100), so ist doch ein solches Maß an Erkennbarkeit und Voraussehbarkeit erforderlich, dass sich der einzelne Wohnungseigentümer über die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Folgen und Konsequenzen einer vorgesehenen Maßnahme klar werden kann (BayObLG aaO.).

(2) Vorliegend war der TOP "Ergänzende und weiterführende Beschlüsse zur Großsanierung" nicht geeignet, das Informationsinteresse der Eigentümer zufrieden zu stellen. Die vorgesehene Sanierung der mittelgroßen Anlage hat einen Umfang von ca. 440.000 EUR. In der Versammlung vom 28.4.2003 sollte nicht über die Sanierung im Ganzen, sondern nur über zwei (bzw. drei) konkrete Punkte gesprochen und entschieden werden, deren finanzieller Umfang ca. 1/10 bis 1/5 der Gesamtsanierungskosten ausmacht. Weder war es dem einzelnen Eigentümer zumutbar, sich auf alle mit der geplanten Großsanierung zu behandelnden Punkte (einschließlich etwaiger Fragen zur zeitlichen Ausführung, Finanzierung etc.) vorzubereiten, noch ergab sich aus diesem TOP auch nur eine vage Vorhersehbarkeit für die getroffenen Entscheidungen.

Die gefassten Beschlüsse behandeln auch Themen von solchem Gewicht, dass ihre präzise Bezeichnung bei der Einberufung nicht entbehrlich war. Das ergibt sich bereits aus ihrer finanziellen Größenordnung, der allein für die Betontröge und Handläufe bei 35.000 EUR liegt.

(3) Der Mangel der Tagesordnung wurde durch die Beschlussfassung schon deswegen nicht geheilt, weil an der Versammlung nicht alle Eigentümer teilgenommen haben (vgl. zur Heilung Merle in Bärmann/Pick/Merle § 23 Rn. 89).

c) Soweit die Antragsgegner in der Rechtsbeschwerdeinstanz nunmehr geltend machen, aufgrund früherer Informationen an die Eigentümer sei der Beschlussgegenstand in der Einladung hinreichend bestimmt gewesen, ist dies als neuer Sachvortrag unbeachtlich (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 561 ZPO).

Im Übrigen ergäbe sich auch unter Berücksichtigung des neuen Sachvortrags keine andere Beurteilung. Auch aus den nun vorgelegten Protokollen der vorangegangenen Eigentümerversammlungen, die sich mit der Planung und Finanzierung der Gesamtsanierung beschäftigten, ergibt sich der Beschlussgegenstand der nunmehr zu TOP 9.1 und 9.2 gefassten Beschlüsse nicht mit hinreichender Klarheit. Das Wissen darüber, was insgesamt saniert werden soll, reicht dazu nicht aus.

3. Inwieweit der Beschluss zu TOP 9.2 zudem auch in der Sache aufzuheben gewesen wäre, weil er ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht, kann dahinstehen. Im Gegensatz zum Beschwerdegericht neigt der Senat zu einer Auslegung des Beschlusses dahingehend, dass über den Umfang der Baumaßnahme überhaupt nicht entschieden wurde. Der Beschluss enthielte dann nur eine Festlegung der Eigentümer für die weitere Architektenplanung. Einer abschießenden Entscheidung dazu bedarf es nicht.

4. Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen sind abzuändern. Sie entsprechen nicht in jeder Hinsicht billigem Ermessen im Sinn des § 47 WEG. Die Vorinstanzen haben insbesondere außer Acht gelassen, dass gegen die am Verfahren beteiligte Verwalterin materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche der Antragsgegner bestehen, die im Rahmen des § 47 WEG zu berücksichtigen sind (BGH NJW 1990, 2386/2387; BayObLG ZMR 2004, 50; Schmid ZMR 2004, 316/318; Merle in Bärmann/Pick/Merle § 47 Rn. 24). Wenn sie nicht berücksichtigt werden, muss der Richter dies in den Beschlussgründen feststellen; nur wenn eine solche Feststellung getroffen ist, kann der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch in einem weiteren Verfahren geltend gemacht werden (Schmid aaO).

Soweit die Anträge der Antragstellerin Erfolg hatten, wären an sich die Antragsgegner mit den gerichtlichen Kosten zu belasten. Jedoch beruht das Obsiegen der Antragstellerin im Wesentlichen auf Umständen, die die Verwalterin zu vertreten hat, da diese durch ihre fehlerhafte Einberufung der Eigentümerversammlung das Unterliegen der Antragsgegner im Anfechtungsverfahren schuldhaft verursacht hat. Die Verwalterin hat sich damit schadenersatzpflichtig gemacht. Diese Schadenersatzpflicht besteht jedenfalls auch gegenüber den Eigentümern, da der zwischen der Eigentümergemeinschaft und der Verwalterin geschlossene Verwaltervertrag jedenfalls auch ein Vertrag zugunsten Dritter ist, § 328 BGB (vgl. KK-WEG/Abramenko § 26 Rn. 34 b). Hinsichtlich der Verpflichtungsanträge hat die Antragstellerin die Kosten der beiden Rechtszüge zu tragen. Der Senat wertet die darauf entfallende Quote wie das Beschwerdegericht mit 1/10 der gesamten Gerichtskosten.

Es erscheint dem Senat angemessen, die Kosten für den in der ersten Instanz tätigen Sachverständigen den Antragsgegnern aufzuerlegen. Diese Kosten sind nicht in erster Linie durch das Verschulden der Verwalterin herbeigeführt worden. Diese Kosten haben daher die Antragsgegner zu tragen, da sie letztendlich im Verfahren unterlegen sind.

5. Die Kostenentscheidung für das Rechtsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 WEG. Dem Senat erscheint es angemessen, die Kosten dieser Instanz den Antragsgegnern und damit den Rechtsbeschwerdeführern aufzuerlegen. Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt zutreffend gewürdigt. Die Kosten in der Rechtsbeschwerde sind daher nicht durch das Verschulden der Verwaltung verursacht, sondern durch die Entscheidung der übrigen Eigentümer, die sachlich richtige Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zu akzeptieren.

Von einer Erstattung der außergerichtlichen Kosten wurde angesichts der widersprüchlichen Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz abgesehen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Dabei wird für die Rechtsbeschwerde berücksichtigt, dass die Beschlüsse wegen formeller Fehler aufgehoben wurden. Der Geschäftswert wird deshalb auf ca. 1/3 des Werts des Beschlussgegenstandes festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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