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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 30.01.2006
Aktenzeichen: 4 St RR 11/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 244 Abs. 2
In Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor die Meinung vorherrschend, dass sich derzeit für die Fahruntauglichkeit aufgrund von Betäubungsmitteln keine "absoluten " Wirkstoffgrenzen feststellen lassen. Kommt der Tatrichter deshalb sachverständig beraten zu dem Ergebnis, dass die von Polizeibeamten festgestellten Auffälligkeiten die Annahme von Fahruntauglichkeit begründen, ist er im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nicht gehalten, einen Sachverständigen zu hören, der die veröffentlichte Meinung vertritt, der alleinige Konsum von Cannabis führe jedenfalls dann zu keiner Risikoerhöhung für den Verkehr, wenn die aufgenommene Menge THC eine Konzentration von 2 ng/ml im Blut nicht übersteigt.
Tatbestand:

Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen und sein Führerschein eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Mit der Revision rügt der Verteidiger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beanstandet er, dass ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt wurde. Mit der Sachrüge wird geltend gemacht, die Tatsachenfeststellungen des Urteils seien lückenhaft. Es fehle an Darlegungen, aufgrund welcher Umstände der Angeklagte seine Fahruntüchtigkeit habe voraussehen können. Die Urteilsbegründung lasse auch nicht erkennen, dass das Gericht über eigene gesicherte Kenntnisse für die Beurteilung der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten verfügte. Die Sprungrevision des Angeklagten erwies sich als zulässig (§§ 312, 335, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), aber unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1. Zur Verfahrensrüge:

a) Die Rüge, der Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, hat keinen Erfolg.

Mit Hilfe des beantragten Sachverständigengutachtens sollte nachgewiesen werden, dass die Auffälligkeiten im Fahrverhalten des Angeklagten in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem im Blut festgestellten THC-Gehalt standen. Insoweit kann die Verurteilung jedoch nicht auf der Ablehnung der Beweiserhebung beruhen. Nach der Urteilsbegründung (S. 9) waren die festgestellten Fahrfehler nicht zweifelsfrei dem Drogenkonsum zuzuordnen. Das Amtsgericht hat daher das Fahrverhalten des Angeklagten für die Beurteilung der Fahruntüchtigkeit nicht herangezogen.

Möglicherweise sollte mit der Beweiserhebung, was im Beweisantrag nicht klar zum Ausdruck kommt, auch nachgewiesen werden, dass die Auffälligkeiten bei den durch die Polizeibeamten durchgeführten Tests nicht auf den Drogenkonsum zurückzuführen sind. Auch insoweit ist jedoch die Ablehnung des Beweisantrags durch das Amtsgericht nicht zu beanstanden. Das Gericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der vom Gericht bestimmte Gutachter, der stellvertretende Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München, für die Beurteilung der medizinischen Frage, welche Bedeutung die Testauffälligkeiten für die Fahrtüchtigkeit haben, über ausreichende Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Es ist nicht erkennbar, inwiefern dem vom Verteidiger benannten Sachverständigen als Leiter eines verkehrspsychologischen Lehrstuhls für die Bewertung einer medizinischen Fragestellung überlegene Forschungsmittel zur Verfügung stehen sollten (§ 244 Abs. 4 StPO). Da das Fahrverhalten des Angeklagten bei der Bewertung der Testauffälligkeiten keine Rolle spielte, war die Frage, ob und inwieweit der vom Gericht herangezogene Gutachter über besondere Kenntnisse zu Fahrauffälligkeiten beim Drogenkonsum verfügt, für die Erstattung des Gutachtens ohne Bedeutung.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Revision auch eine in zulässiger Weise erhobene Aufklärungsrüge des Inhalts zu entnehmen ist, dass das Amtsgericht sich im Hinblick auf die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.6.2002 (Az. 1 BvR 2062/96) wiedergegebene Auffassung des Prof. Dr. K zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Eine solche Rüge hat jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Im Sachverhalt der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird referiert, Prof. Dr. Krüger habe in einer im verfassungsgerichtlichen Verfahren eingeholten gutachterlichen Äußerung die Auffassung vertreten, der alleinige Konsum von Cannabis führe jedenfalls dann zu keiner Risikoerhöhung für den Verkehr, wenn die aufgenommene Menge THC eine Konzentration von 2 ng/ml im Blut nicht übersteige. Allein aufgrund dieses Umstands musste sich das Amtsgericht nicht gedrängt sehen, ein Gutachten dieses Sachverständigen für das vorliegende Verfahren einzuholen, zumal die Frage eines Grenzwerts in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht thematisiert wird und das Bundesverfassungsgericht diese Ansicht in der eigentlichen Entscheidungsbegründung nicht aufgreift. In Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor die Meinung vorherrschend, dass sich derzeit für die Fahruntüchtigkeit infolge Betäubungsmittelkonsums keine "absoluten" Wirkstoffgrenzen festlegen lassen (Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 316 Rn. 39 m.w.N.). Berechtigte Zweifel an der Sachkunde des gerichtlich bestellten Gutachters für die Beurteilung der medizinischen Frage, welche Bedeutung der THC-Konsum im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit des Angeklagten hat, bestanden, wie bereits ausgeführt, nicht.

2. Der Sachrüge bleibt ebenfalls ein Erfolg versagt.

a) Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Annahme einer Fahruntüchtigkeit im Sinn des § 316 StGB.

Das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von THC kann zum einen eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG oder zum anderen eine Straftat nach § 316 StGB darstellen.

Die Ahndung als Ordnungswidrigkeit setzt entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung keine Fahruntüchtigkeit voraus. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2005, 349) reicht allerdings nicht mehr jeder Nachweis von THC im Blut eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach § 24 a Abs. 2 StVG aus. Festgestellt werden muss vielmehr eine Konzentration, die es möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war; dies setzt eine THC-Konzentration von deutlich oberhalb des Nullwerts voraus. Im Anschluss an diese Entscheidung wurde in der fachgerichtlichen Rechtsprechung teilweise davon ausgegangen, dass eine Wirkung im Sinn des § 24 a Abs. 2 StVG nur dann angenommen werden kann, wenn bei THC ein Wert von mindestens 1 ng/ml erreicht ist (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2005, 385).

Die Strafbarkeit nach § 316 StGB setzt demgegenüber voraus, dass sich der Täter zum Tatzeitpunkt in einem Zustand befindet, in welchem er nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Dieser als Fahruntüchtigkeit bezeichnete Zustand muss beim Konsum von Betäubungsmitteln anhand konkreter Umstände durch eine umfassende Würdigung der Beweisanzeichen im Einzelfall nachgewiesen werden. Die so genannte absolute Fahruntüchtigkeit als Beweisregel, die keinen besonderen Nachweis verlangt, spielt ausschließlich im Zusammenhang mit der Wirkung von Alkohol (ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %) eine Rolle. Für die Fahruntüchtigkeit infolge Betäubungsmittelkonsums kann, wie bereits ausgeführt, derzeit nicht von gesicherten Wirkstoffgrenzen ausgegangen werden (Tröndle/Fischer § 316 Rn. 12 f., 39).

Die (relative) Fahruntüchtigkeit hat das Amtsgericht hier rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Annahme von Fahruntüchtigkeit setzt nicht zwingend das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus. Im angegriffenen Urteil wird vielmehr eine Reihe von Auffälligkeiten dargelegt, die der als Zeuge vernommene Polizeibeamte bei den zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit durchgeführten Tests festgestellt hat. Hinsichtlich des Zitterns wird ausdrücklich angemerkt, dass dieses nicht kältebedingt war, sondern nur bei der Durchführung der Tests auftrat. Im Untersuchungsbericht des Arztes, der ca. 40 Minuten nach den Tests des Polizeibeamten Blut abgenommen hat, wird ebenfalls von einem, wenn auch leichten Drogeneinfluss ausgegangen. Zwar rechtfertigen die vom Amtsgericht aufgeführten Auffälligkeiten je für sich betrachtet die Annahme einer Fahruntüchtigkeit nicht. Entscheidend ist jedoch die Gesamtschau der Umstände. Das Amtsgericht hat sich für die Beurteilung der Beweisanzeichen auch nicht auf eigene Kenntnisse verlassen, sondern ist sachverständig beraten durch den stellvertretenden Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München zu seiner Bewertung gelangt. Nach der Urteilsbegründung (S. 8) hat der Sachverständige ausgeführt, dass die vom Polizeibeamten geschilderten Ausfallerscheinungen gut mit dem festgestellten THC-Gehalt in Einklang zu bringen sind und dass aus medizinischer Sicht von einer Fahruntüchtigkeit auszugehen sei.

Soweit der Verteidiger diese Bewertung in Frage stellt, da sie den im Protokoll enthaltenen Angaben des Sachverständigen widerspreche, ist Folgendes anzumerken:

Die Beweiskraft des Protokolls erstreckt sich nicht auf den Inhalt der nach § 273 Abs. 2 Satz 1 StPO protokollierten Aussagen; insoweit sind grundsätzlich die Urteilsgründe maßgebend (Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 274 Rn. 10). Eine Wiederholung oder Ergänzung der Beweisnahme durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Was im Urteil über das Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellt ist, bindet das Revisionsgericht (Meyer-Goßner § 337 Rn. 13).

Dass das Amtsgericht ohne Rechtsfehler von einer ausreichenden Sachkunde des Sachverständigen ausgegangen ist, wurde bereits dargelegt.

Ende der Entscheidung

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