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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 14.07.2006
Aktenzeichen: 4 St RR 129/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 263
StGB § 266a
StPO § 410 Abs. 2
1. Wird der Einspruch gegen einen Strafbefehl wirksam auf das Strafmaß beschränkt, so darf sich der Tatrichter grundsätzlich über die Sperrwirkung des rechtskräftigen Schuldspruchs auch dann nicht hinwegsetzen, wenn die rechtliche Würdigung im Strafbefehl unzutreffend ist.

2. Führt ein Arbeitgeber für bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge ab, so liegt in der Regel ein Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB vor. Ein Betrug kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber eine konkrete Einzugstelle getäuscht hat.


Tatbestand:

Das Amtsgericht hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt und 21 selbständigen Fällen des Betrugs erlassen. Dieser Strafbefehl legte dem Angeklagten zur Last, als Betreiber einer Gaststätte zwischen August 2002 und April 2004 eine kroatische Staatsangehörige, die nicht über eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung verfügte, als Arbeitnehmerin beschäftigt und die Sozialversicherungsbeiträge nicht an "die zuständigen Sozialversicherungsbehörden" abgeführt zu haben. Auf den Einspruch des Angeklagten, der in der Hauptverhandlung auf das Strafmaß beschränkt wurde, hat das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde - was wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft des Schuldspruchs ins Leere ging - hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt worden ist. Mit seiner Revision hat der Angeklagte die allgemeine Sachrüge erhoben. Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision erwies sich als zulässig, § 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO, jedoch unbegründet.

Gründe:

Das angefochtene Urteil lässt keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen:

1. Aufgrund einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht unabhängig von entsprechenden Rügen und ohne Rücksicht auf eine Beschwer des Revisionsführers von Amts wegen zu prüfen, ob das Tatgericht den ihm durch den konkreten Verfahrensstand gesteckten Rahmen für seine Entscheidung eingehalten hat, insbesondere, ob Beschränkungen von Rechtsbehelfen wirksam sind und deshalb ein Teil des Verfahrensgegenstands nicht mehr der Entscheidung des Tatrichters unterliegt. Im Falle der Beschränkung eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl gelten hierbei dieselben Grundsätze wie bei einer Berufungsbeschränkung (BayObLGSt 2003, 18/19). Wenn daher im Verfahren infolge zulässiger Beschränkung des Einspruchs Teilrechtskraft eingetreten ist, muss diese sowohl von den Tatgerichten wie vom Revisionsgericht als Verfahrenshindernis beachtet werden. Wird der Einspruch wirksam auf das Strafmaß beschränkt, so darf sich der Tatrichter grundsätzlich über die Sperrwirkung des rechtskräftigen Schuldspruchs nicht hinwegsetzen. Es hat diesen seiner Entscheidung zugrunde zu legen und ist an die den Schuldspruch tragenden und näher kennzeichnenden Tatsachenfeststellungen des Strafbefehls gebunden, sofern diese für eine isolierte Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs eine hinreichende Grundlage ergeben (BayObLG aaO.). Die bloße Fehlerhaftigkeit des Schuldspruchs des angefochtenen Strafbefehls bei der Anwendung gültiger Strafnormen macht eine Beschränkung des Einspruchs auf das Strafmaß nicht unwirksam (so für den Fall einer Berufungsbeschränkung BayObLGSt 1988, 62 = NStZ 1988, 570 - gekürzte Wiedergabe).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze sind das Amtsgericht und das Landgericht im Ergebnis zutreffend von einer Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung ausgegangen. Der Strafbefehl leidet allerdings an erheblichen Mängeln, zu deren Korrektur jedoch das Landgericht - wie in der Folge auch der erkennende Senat - wegen der insoweit eingetretenen horizontalen Rechtskraft nicht mehr berufen war (Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. Einl. Rn. 185 a ff.):

Die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls tragen nicht den Schuldspruch wegen Betrugs. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte der Angeklagte vielmehr wegen Beitragsvorenthaltung nach § 266 a Abs. 1 StGB schuldig gesprochen werden müssen.

Gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1, § 28 h Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Krankenkasse als Einzugsstelle zu zahlen. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfasst gemäß § 28 d Satz 1 SGB IV die Krankenkassen- und Rentenversicherungsbeiträge sowie den Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung) und den Beitrag zur Pflegeversicherung (Satz 2 der Bestimmung). Der Zahlungspflicht des Arbeitgebers entspricht eine Meldepflicht für bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer, § 198 SGB V. Gemäß §§ 173, 175 SGB V kann ein Arbeitnehmer seine Krankenkasse (Einzugsstelle) grundsätzlich frei wählen. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer bei derjenigen Krankenkasse anzumelden, bei der eine Versicherung besteht oder aber bei der Krankenkasse, die vom Arbeitnehmer zulässig gewählt worden ist. Besteht keine Vorversicherung und hat der Arbeitnehmer auch keine Wahl getroffen, darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einer Krankenkasse seiner Wahl anmelden, § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V.

Eine Täuschungshandlung (und damit ein Betrug) kommt demnach nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber gegenüber einer Einzugsstelle, bei der er als Arbeitgeber bekannt ist, unrichtige Angaben über meldepflichtige Tatsachen macht und die Meldepflichten gegenüber der getäuschten Einzugsstelle bestehen (BGH wistra1992, 141; BGH NJW 2003, 1821/1823). Hierzu enthält der Strafbefehl keinerlei Feststellungen. Die Feststellungen des Amtsgerichts hätten jedoch einen Schuldspruch nach § 266 a Abs. 1 StGB getragen, weil diese Vorschrift eine Täuschungshandlung nicht voraussetzt.

Die Vorschrift des § 266 a Abs. 1 StGB betrifft jedoch nur Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung. Für vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1.8.2004 den Tatbestand des § 266 a Abs. 2 StGB geschaffen. Da das amtsgerichtliche Urteil nicht zwischen Sozialversicherungsbeiträgen des Angeklagten als Arbeitgeber und derjenigen seiner Arbeitnehmerin unterscheidet, ist davon auszugehen, dass die dem Urteil zugrunde liegenden vorenthaltenen Beträge sowohl die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers als auch die des Arbeitnehmers erfassen. Dies legt auch die Höhe der im Urteil genannten Beträge mit Rücksicht auf den der Arbeitnehmerin gewährten Stundenlohn von 5 EUR nahe. Da der gesamte Tatzeitraum vor Inkrafttreten des § 266 a Abs. 2 StGB liegt, wäre nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Amtsgerichts eine Strafbarkeit des Angeklagten bezüglich der Vorenthaltung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, also in Höhe der Hälfte der im Urteil genannten Beträge, nicht begründet.

2. Im Übrigen begegnet das angefochtene Urteil keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafzumessung des Landgerichts ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Allein seine Aufgabe ist es, auf der Grundlage der bindenden Feststellungen zur Tat und des in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnenen Eindrucks die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen.

Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, also unvertretbar hoch oder niedrig ist (BGHSt 34, 345/349; 29, 319/320; BayObLGSt 1993, 195). Eine exakte Richtigkeitskontrolle ist demnach ausgeschlossen, in Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatrichters zu respektieren (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 46 Rn. 109 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die landgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Gericht hat die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände im Wesentlichen in den Urteilsgründen dargelegt. Eine erschöpfende Aufzählung aller Zumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass er selbst bei einem Schuldspruch nach § 266 a Abs. 1 StGB, jeweils in Tatmehrheit mit Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt und auch unter Zugrundelegung der - wie bereits ausgeführt - gebotenen Beschränkung auf die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers, die verhängte Strafe jedenfalls für angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hält. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Landgericht die für die Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ausgesprochenen Einsatzstrafe von 90 Tagessätzen hinsichtlich aller 21 Betrugsfälle, für die es jeweils eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen festgesetzt hat, nur um insgesamt 40 Tagessätze auf eine Gesamtstrafe von 130 Tagessätzen erhöht hat. Diese Erhöhung um 40 Tagessätze ist in Anbetracht des entstandenen Schadens und des langen Tatzeitraums eine sehr milde Strafe.

Im Übrigen ergibt die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Ende der Entscheidung

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