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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 21.08.2006
Aktenzeichen: 4 St RR 148/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 100a
StPO § 102
1. Erkenntnisse zu Nichtkatalogtaten aus einer ordnungsgemäß angeordneten Telekommunikationsüberwachung können Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen sein und als Begründung für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses dienen.

2. Begründungsmängel des Durchsuchungsbeschlusses führen jedenfalls dann nicht zu einem Verbot der Verwertung der gefundenen Beweise, wenn der Tatrichter feststellen kann, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung vorlagen.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen das Urteil legten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung ein, wobei die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und die Verhängung einer Vollzugsstrafe erstrebte. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts auf, verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte, und verwarf die Berufung des Angeklagten. Hiergegen wandte sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügte. Dem statthaften (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässigen (§ 341 Abs.1, §§ 344, 345 StPO) Rechtsmittel der Revision des Angeklagten blieb ein Erfolg versagt (§ 349 Abs.2 StPO).

Gründe:

Eine Überprüfung des angefochtenen Urteils ergab keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

1. Die erhobene Verfahrensrüge ist zulässig (§ 344 Abs.2 Satz 2 StPO), aber unbegründet.

a) Nach dieser Vorschrift muss die Revision die den Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen angeben. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden. Dabei genügt es nicht, auf Fundstellen in den Akten Bezug zu nehmen, vielmehr müssen solche Stellen, wenn sie für die Beurteilung der Rüge von Bedeutung sein können, in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Rechtfertigungsschrift wiedergegeben werden (BGH NStZ-RR 2006, 48/49; Meyer-Goßner StPO 49.Aufl. § 344 Rn.21 ff.).

Die Revision genügt diesen Anforderungen. Sie wendet sich gegen die Verwertung von Beweismitteln, die aufgrund einer Durchsuchung erlangt wurden, die auf einen Durchsuchungsbeschluss gestützt war, dessen Verdachtsgrundlage durch einen Zufallsfund bei einer gegen einen Dritten rechtmäßig angeordneten Telefonüberwachung nach § 100a StPO gewonnen worden war.

b) Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Durch eine gegen den anderweitig Verfolgten F rechtmäßig angeordnete Telefonüberwachung nach § 100 a StPO wurde den Ermittlungsbehörden bekannt, dass der Angeklagte von diesem am 10.6.2003 fünf Gramm Kokain erhalten habe. Die Staatsanwaltschaft leitete deshalb gegen den Angeklagten am 10.11.2003 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln ein. Am 21.11.2003 beantragte die Staatsanwaltschaft, die das Verfahren am gleichen Tag übernommen hatte, den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses für die Wohnung des Angeklagten, der auf das Auffinden von Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien und Gegenständen, die den Umgang mit Betäubungsmittel belegen, gerichtet war. Diesen Beschluss erließ das Amtsgericht am 4.12.2003 und begründete ihn wie folgt:

"Aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte am 10.06.2003 von F 5 Gramm Kokain in seiner Wohnung in der...-Str. in G kaufte und übernahm.

strafbar als vorsätzlicher, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln gemäß §§ 29 Abs.1 Nr.1, 1 Abs.1, 3 Abs.1 BtmG.

Die oben genannten Gegenstände können als Beweismittel von Bedeutung sein.

Die Beschlagnahme steht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und ist für die Ermittlungen notwendig.

Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden der Gegenstände führen wird."

Am 24.2.2004 wurde die Wohnung des Angeklagten aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses vom 4.12.2003 durchsucht; dabei wurden u. a. aufgefunden: eine Plombe mit Kokain, ein kleiner Brocken Haschisch, eine kleine Plombe mit Kokain, ein schwarzes Plättchen und ein kleiner Brocken Haschisch.

Der Angeklagte äußerte sich bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am gleichen Tag zur Sache nicht.

Mit Verfügung vom 9.9.2004 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten nach § 170 Abs.2 StPO insoweit ein, als ihm vorsätzlicher unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln am 10.6.2003 zur Last lag, da die vorliegenden Telefonüberwachungsprotokolle nach § 100b Abs.5 StPO nicht verwertbar seien und andere Beweise nicht vorlägen.

Unter dem 20.9.2004 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln Anklage zum Amtsgericht, in der sie ihm folgenden Sachverhalt zur Last legte:

"Am 24.2.2004 gegen 8.00 Uhr bewahrte der Angeschuldigte in seiner Wohnung in der ...-Str. in G 0,8 Gramm Haschisch und ca. 1,6 Gramm Kokaingemisch wissentlich und willentlich auf. Wie der Angeschuldigte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis."

In der ersten Hauptverhandlung äußerte sich der Angeklagte zur Sache nicht; sein Verteidiger übergab Kopien von Gerichtsentscheidungen und Kommentarstellen, die sich mit der Verwertbarkeit von bei einer Durchsuchung aufgefundenen Beweismitteln befassen, wenn die Durchsuchung auf Zufallsfunde bei einer gegen einen Dritten gerichteten Telefonüberwachung gestützt wird. In der zweiten Hauptverhandlung machte der Angeklagte ebenfalls keine Angaben zur Sache. Sein Verteidiger widersprach der Verwertung der Aussage des Angeklagten, die die Zeugin S wiedergegeben hatte, sowie der Verwertung der Ergebnisse der Hausdurchsuchung.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten in dieser Verhandlung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Zur Frage der Verwertbarkeit der durch die Durchsuchung gewonnenen Beweismittel führt das Amtsgericht aus:

"Nach Auffassung des Gerichts war der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts ... vom 4.12.2003 zu Recht ergangen. Die beantragte Durchsuchung, die ausschließlich auf das Ergebnis der im Verfahren gegen F angeordneten Telefonüberwachung gestützt wurde, war anzuordnen. Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen bestand gegen den Angeklagten der Verdacht eines Verstoßes gegen § 29 Abs.1 Nr.1 BtmG und damit einer Straftat gemäß § 112a StPO. Der Grundsatz wirksamer Strafrechtspflege erfordert es, dass auch bei Zufallsfunden im Rahmen einer zulässig angeordneten Telefonüberwachung wirksame Ermittlungen gegen Dritte eingeleitet werden können. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Grundrechtsschutz des Dritten wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, das die Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses auf Fälle beschränkt bleibt, in denen Dritten schwerwiegende Straftaten gemäß § 112a StPO zur Last liegen. Dies rechtfertigt die Einschränkung des Grundrechtsschutzes des Dritten (vgl. LG Landshut, NStZ 1999, S.636)."

In der Berufungsverhandlung äußerte sich der Angeklagte zur Sache nicht; sein Verteidiger widersprach der Verwertung der Ergebnisse der Hausdurchsuchung beim Angeklagten am 24.2.2004 und der Angaben, die der Angeklagte gegenüber der Zeugin S am 24.2.2004 anlässlich der Hausdurchsuchung gemacht haben soll.

Das Landgericht verwarf die Berufung des Angeklagten. Hinsichtlich des Ermittlungshergangs traf es aufgrund der Aussage der Polizeibeamtin S folgende Feststellungen:

"Etwa Mitte des Jahres 2003 sei gegen den anderweitig verfolgten F nach einem aufgrund § 100a Nr.4 StPO ergangenen Beschluss wegen des Verdachts des illegalen Handelns mit Kokain eine Telefonüberwachung erfolgt. Aus dieser Telefonüberwachung habe sich nach mehreren Telefonaten zwischen F und dem Angeklagten der Verdacht ergeben, dass F dem Angeklagten in dessen Wohnung am 10.6.2003 5 Gramm Kokain übergeben hat. Dieser Verdacht sei durch die Vernehmung des F am 1.7.2003 bestätigt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei auch die Telefonüberwachung eingestellt worden. Aufgrund dieser Erkenntnis sei, allerdings erst im Dezember 2003, ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts für die Wohnung des Angeklagten mit Nebenräumen und Fahrzeugen erwirkt worden. Am 24.2.2004 sei mit Hilfe eines Schlüsseldienstes die Wohnung des Angeklagten in G, ...Straße, geöffnet worden. Der Angeklagte sei in der Wohnung allein und schlafend angetroffen und geweckt worden. Ihm sei der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vorgelegt worden. Er sei auch hinsichtlich seiner Rechte als Beschuldigter belehrt worden, durch welchen Beamten und zu welchem Zeitpunkt könne sie allerdings nicht mehr sagen. Der Angeklagte habe erklärt, dass im Kühlschrank ,etwas' sei. Daraufhin sei die gesamte Wohnung durchsucht worden. Hierbei sei im Kühlschrank eine Plombe mit Kokain und ein schwarzes Päckchen sowie in einer Kupferschale im Küchenregal neben dem Küchenfenster ein kleiner Brocken Haschisch und eine kleine Plombe mit Kokain sowie in einer Vitrine in einem Messingbecher ein kleiner Brocken Haschisch aufgefunden worden. Sämtliche Aufbewahrungsorte seien leicht aufzufinden gewesen und zwar sicher auch ohne den Hinweis des Angeklagten auf den Kühlschrank."

Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung bei dem Angeklagten führt das Landgericht Folgendes aus:

"Die Kammer hielt auch die beim Angeklagten erfolgte Durchsuchung für rechtmäßig:

Die Verbindung zwischen dem Angeklagten und dem anderweitig Verfolgten F war zwar eine Zufallserkenntnis aus der Telefonüberwachung bei F wegen des Verdachts einer Katalogtat nach § 100a StPO. Der sich hieraus gegen den Angeklagten ergebende Verdacht bezog sich auf eine Nicht-Katalogtat, nämlich den Erwerb und den Besitz geringer Mengen, so dass insoweit ein grundsätzliches Verwertungsverbot bestand. Die so erlangten Kenntnisse durften zu Beweiszwecken nicht verwertet werden. Sie konnten jedoch rechtmäßig Anlass zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel sein (BGH Beschluss vom 18.3.1998, Az: StR 693/97). Insoweit war zwar der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 4.12.2003 nicht rechtmäßig ergangen, weil sich dieser ausdrücklich auf die aus der TÜ gewonnene Erkenntnis, dass der Angeklagte am 10.6.2003 von F 5 Gramm Kokain erworben und übernommen haben soll, bezog. Die Kammer war jedoch der Auffassung, dass die bei der Telefonüberwachung des F gewonnenen Erkenntnisse durchaus Anlass geben durften, bei dem mehrfach einschlägig vorbelasteten Angeklagten Durchsuchungsmaßnahmen durchzuführen. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass und aus welchem Grund zwischen dem Gewinnen der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung bei F und der Durchsuchung beim Angeklagten ein Zeitraum von über einem halben Jahr vergangen war und dass ohne die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung die Durchsuchung beim Angeklagten nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hätte."

c) Die Verfahrensrüge ist nicht begründet. Die Verwertung der bei der Durchsuchung am 24.2.2005 gewonnenen Beweismittel verstößt nicht gegen die §§ 102, 105, 100a, 100b Abs.5 StPO.

Die Verfahrensrüge betrifft die Frage, ob und gegebenenfalls wie Zufallsfunde aufgrund einer rechtmäßig gegen einen Dritten angeordneten Telefonüberwachung nach § 100a StPO in einem anderen Ermittlungs-/Strafverfahren verwendet werden können. Hierbei ist von Folgendem auszugehen:

aa) Betreffen die Zufallsfunde erkennbar keine (andere) Katalogtat im Sinne des § 100a StPO oder stehen sie nicht in einem Bezug zu der in der Anordnung aufgeführten Katalogtat, so können sie zu Beweiszwecken nicht verwendet werden (std. Rspr. BGHSt 27, 355 f.; NStZ 1998, 426 f.). Zu Beweiszwecken werden Informationen verwendet, wenn sie zur Beurteilung der Schuld- oder Straffrage und nicht nur als Spur oder Ermittlungsansatz herangezogen werden (Löwe-Rosenberg/Schäfer StPO 25.Aufl. § 100a Rn.88). Die so als Zufallsfund gewonnenen Erkenntnisse können jedoch Anlass zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel sein (st.Rspr. BGHSt 27, 355/358; NStZ 1996, 200 f.; 1998, 426 f.; Schäfer aaO Rn.93; Meyer-Goßner aaO § 100a Rn.20). Die weiteren Ermittlungen können auch Zwangsmaßnahmen, beispielsweise Durchsuchungsbeschlüsse, sein (BGH NStZ 1996, 200 f.; Schäfer aaO Rn.93). Die im Wege dieser weiteren Ermittlungen gewonnenen Beweismittel unterliegen, wenn sie im Übrigen rechtmäßig erlangt sind, keiner Verwertungsbeschränkung. Eine Fernwirkung kommt hier - wie auch sonst - nicht in Betracht (BGH NStZ 1996, 200 f; 2006, 402/404).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Verwertbarkeit der Zufallserkenntnisse als Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen ausgegangen. Von jenen abzuweichen, sieht der Senat auch im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 (NJW 2004, 999 ff.) keinen Anlass.

Das Bundesverfassungsgericht hat hier für die akustische Wohnraumüberwachung nach den §§ 100c, 100d StPO ausgeführt, der Gesetzgeber habe die Verwendung von aus derartigen Überwachungen erlangten Informationen in anderen Strafverfahren nach § 100d Abs.5 Satz 2 StPO nur zur Aufklärung einer in § 100c Abs.1 Ziff.3 StPO aufgezählten Straftat zugelassen. Die durch eine akustische Wohnraumüberwachung erhobenen Daten dürften in anderen Strafverfahren nur verwendet werden, wenn die Straftat aus diesem Katalog abstrakt und im konkreten Fall besonders schwer sei. Diese Beschränkung gelte nicht nur für die Verwendung zu Beweiszwecken im engeren Sinn, sondern sei darüber hinaus auch bei der Verwendung von Spurenansätzen für die Aufklärung von Straftaten zu beachten (BVerfG aaO 1019 linke Spalte).

Durch das Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 vom 24.6.2005 (BGBl. I 1841) hat der Gesetzgeber dem Rechnung getragen. Die Verwendung von personenbezogenen Informationen, die aufgrund einer akustischen Wohnraumüberwachung erlangt wurden, wurde neu geregelt. War ursprünglich eine Verwendung in anderen Strafverfahren unter bestimmten Voraussetzungen "zu Beweiszwecken" möglich (§ 100d Abs.5 Satz 2 StPO a. F.), so wurde die Verwendung nunmehr dadurch eingeschränkt, dass eine detaillierte Regelung für die Verwendung personenbezogener Informationen aus einer akustischen Wohnraumüberwachung "zu anderen Zwecken" in § 100d Abs.6 StPO n. F. getroffen wurde.

Diese für die akustische Wohnraumüberwachung aufgestellten Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall der weiteren Verwendung von Zufallserkenntnissen aus einer Telefonüberwachung nach §§ 100a, 100b StPO nicht zu übertragen, da sich der grundrechtlich geschützte Lebensbereich - einerseits der Wohnraum, andererseits der Fernmeldeverkehr - wesentlich unterschiedlich darstellt. Während die Art.13 Abs.1, 1 Abs.1 GG für Wohnräume einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung garantieren, in welchem dem Einzelnen das Recht gesichert wird "in Ruhe gelassen zu werden" (BVerfGE 75, 318/328), in dem der Einzelne für sich sein und sich nach selbst gesetzten Maßstäben entfalten kann, besteht ein solcher Schutzbereich im Rahmen des Fernmeldeverkehrs, der nach Art.10 GG geschützt ist, nicht. Hieraus wird ersichtlich, dass die Wertigkeit des grundrechtlich geschützten Bereiches unterschiedlich ist. Es ist deshalb nicht erforderlich, für die Verwendung von Zufallsfunden aus rechtmäßig angeordneten Telefonüberwachungen ähnlich restriktive Maßstäbe aufzustellen wie bei der akustischen Wohnraumüberwachung.

Auch das Bundesverfassungsgericht (NJW 2005, 2766) geht davon aus, dass Zufallserkenntnisse aus einer rechtmäßig durchgeführten Maßnahme nach § 100a StPO Grundlage weiterer Ermittlungen in einem anderen Verfahren wegen einer Nicht-Katalogtat sein dürfen; dies sei weder willkürlich noch werde dadurch Verfassungsrecht verletzt. Es entspräche einer in Rechtsprechung und Literatur weit verbreiteten Auffassung, dass rechtmäßig gewonnene Zufallserkenntnisse, die Nicht-Katalogtaten beträfen, zwar nicht zu Beweiszwecken verwertet werden könnten; sie könnten aber Anlass zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel sein. Diese Rechtsprechung berücksichtige einerseits den Schutz des Grundrechts aus Art.10 GG, indem weitergehende Ermittlungen nur in den Fällen für zulässig gehalten werden, in denen die Maßnahme nach § 100a StPO rechtmäßig gewesen sei; andererseits werde dem Interesse an einer wirksamen Strafrechtspflege Rechnung getragen.

cc) Letztlich steht der Verwendung der bei der Durchsuchung am 24.2.2004 aufgefundenen Beweismittel auch nicht entgegen, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 4.12.2003 nicht den Anforderungen der §§ 105 Abs.1, 34 StPO entspricht, da er nicht ausreichend begründet wurde.

Die nach diesen Vorschriften erforderliche Begründung dient einerseits als Beleg für die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahme, andererseits deren Kontrollierbarkeit. Sie erfordert deshalb neben einer möglichst genauen Bezeichnung des Tatvorwurfs und der Angabe des Durchsuchungszwecks auch eine Konkretisierung des zu durchsuchenden Objektes sowie der sicherzustellenden Gegenstände und darüber hinaus eine gewisse Konkretisierung der Verdachtsgründe, die den Tatvorwurf begründen, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (Meyer-Goßner aaO § 105 Rn.5; Löwe-Rosenberg/Schäfer aaO § 105 Rn.41 jeweils m.w.N.).

Eine floskelhafte Angabe, "aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht", wie im vorliegenden Fall, genügt dem nicht, da sie nicht überprüfbar ist. Aus dieser Begründung ist nämlich nicht ersichtlich, aufgrund welcher Anhaltspunkte das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass gegen den Beschuldigten ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs.2 StPO vorlag.

Fehlt eine derartige Begründung, so führt dies für sich nicht zur Unverwertbarkeit der aus der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel (BGHSt 47, 363/367 zu § 100b StPO; Meyer-Goßner aaO § 100a Rn.24). In einem solchen Fall, aber auch, wenn konkrete Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vorgebracht werden, hat der Tatrichter den Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Entscheidung eigenständig zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit der Anordnung zu untersuchen. Dies erfordert eine Sichtung des Aktenbestandes, wie er sich dem Ermittlungsrichter bei der Entscheidung darbot. Wurde die Maßnahme in einem anderen Verfahren angeordnet, sind daher die einschlägigen Akten soweit erforderlich beizuziehen und zur Gewährung rechtlichen Gehörs den Prozessbeteiligten zu Kenntnis zu bringen. Sieht der Tatrichter hiervon ab, liegt hierin ein eigenständiger Rechtsfehler, der im Einzelfall zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils in der Revision führen kann. Die Frage, ob diese Überprüfung stets von Amts wegen zu erfolgen hat (BGH aaO) oder nur auf rechtzeitigen ausdrücklichen Widerspruch des Angeklagten hin (BGH NStZ 2006, 402 f), kann im vorliegenden Fall offen bleiben, da der Verteidiger des Angeklagten der Verwertung der bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel rechtzeitig widersprochen hat.

Dieser Überprüfungs- und Rekonstruktionspflicht ist das Landgericht im vorliegenden Fall durch die Einvernahme der Zeugin S zum Ermittlungshergang nachgekommen. Ihre Angaben stehen in Übereinstimmung mit dem von der Zeugin am 5.11.2003 gefertigten Aktenvermerk, der dem Amtsgericht am 4.12.2003 als Grundlage für die Entscheidung über den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses zur Verfügung stand. Die Zeugin hat im Wesentlichen angegeben, dass Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses der Zufallsfund aus der Telefonüberwachung gegenüber dem anderweitig Verfolgten F gewesen sei. Soweit sie ferner vor dem Landgericht angegeben hat, dass dieser Verdacht auch durch eine Vernehmung des F am 1.7.2003 bestätigt worden sei, befindet sich eine solche Vernehmung nicht bei den Akten; sie konnte deshalb nicht Grundlage für die Entscheidung des Amtsgerichts über den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses sein. Dieses zusätzliche Verdachtsmoment war für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses jedoch nicht mehr erforderlich.

dd) Der Verwertbarkeit der bei der Durchsuchung am 24.2.2004 gewonnenen Beweismittel steht ferner nicht der Umstand entgegen, dass den Strafverfolgungsbehörden bereits am 10.6.2003 aufgrund der Telefonüberwachung gegen F bekannt war, dass der Angeklagte an diesem Tag von jenen 5 Gramm Kokain erhalten hat, ein entsprechender Durchsuchungsbeschluss für den Angeklagten jedoch erst am 21.11.2003 von der Staatsanwaltschaft beantragt und dieser von dem Amtsgericht erst am 4.12.2003 erlassen worden ist, wobei die Durchsuchung erst am 24.2.2004 stattfand.

Ausweislich des Durchsuchungsbeschlusses vom 4.12.2003 war Gegenstand der Durchsuchung das Auffinden von Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien und Gegenständen, die den Umgang mit Betäubungsmitteln belegen. In der Begründung des Beschlusses ist hierzu ausgeführt, es sei zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden der Gegenstände führen werde.

Auch diese Begründung genügt nicht den Anforderungen der §§ 105 Abs.1, 34 StPO. Das Amtsgericht hat bei der Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Hierzu gehört die Erforderlichkeit der angeordneten Maßnahme (Löwe-Rosenberg aaO § 105 Rn.36). Hierzu hätte es näherer Ausführungen bedurft, warum das Amtsgericht im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nahezu sechs Monate nach Übergabe der fünf Gramm Kokain an den Angeklagten davon ausging, dass bei diesem das Auffinden von weiteren Betäubungsmitteln zu vermuten sei.

Auch dieser Begründungsmangel führt nicht zu einem Verwertungsverbot der aufgefundenen Beweismittel, da das Landgericht diesbezüglich eine eigenständige Rekonstruktion vorgenommen hat. Auf S.11 des landgerichtlichen Urteils ergibt sich nämlich, dass es davon ausgegangen ist, dass aufgrund der Zufallsfunde Anlass bestand "bei dem mehrfach einschlägig vorbelasteten Angeklagten" Durchsuchungsmaßnahmen durchzuführen. Aus dem sich in den Akten befindlichen polizeilichen Vermerk vom 5.11.2003 ist ersichtlich, dass der Angeklagte bereits mehrfach kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten ist und zwar zweimal wegen eines allgemeinen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit Cannabis und einmal wegen illegalem Handeln mit Cannabis sowie eines weiteren allgemeinen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit Kokain. Dieser Vermerk lag dem Amtsgericht bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses vom 4.12.2003 vor. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, auf dieser Grundlage davon auszugehen, dass bei dem Angeklagten Betäubungsmittel aufgefunden werden.

2. Eine Überprüfung des landgerichtlichen Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat ebenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der Revision war somit der Erfolg zu versagen. Der Senat entscheidet einstimmig nach § 349 Abs. 2 StPO.



Ende der Entscheidung

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