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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 4 St RR 215/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 315b Abs. 3
Die zur Erfüllung des Tatbestandes des § 315b Abs. 3 StGB erforderliche Absicht setzt voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, einen Unglücksfall herbeizuführen. Sein Wille muss darauf gerichtet sein, nicht nur eine Gefährdung, sondern einen Schaden herbeizuführen. Erforderlich ist deshalb ein zielorientierter unbedingter direkter Vorsatz.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalles nach § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB zur Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und der Verwaltungsbehörde untersagt, dem Angeklagten vor Ablauf eines Jahres eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht am mit der Maßgabe verworfen, dass die Verwaltungsbehörde dem Angeklagten vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 4.2.2004 gegen 10.30 Uhr mit seinem Pkw auf der B-Straße in L. Der spätere Geschädigte fuhr zur gleichen Zeit auf der rechten Einfädelspur zur B-Straße; er wollte sich mit seinem Pkw in die B-Straße einfädeln. Der Angeklagte verhinderte das vom Geschädigten beabsichtigte Einfädeln vor sein Fahrzeug dadurch, dass er seine Geschwindigkeit erhöhte. Daraufhin reduzierte der Geschädigte seine Geschwindigkeit und ließ den Pkw des Angeklagten auf der linken Fahrspur passieren; anschließend reihte er sich hinter dem Pkw des Angeklagten ein. Als dieser Vorgang beendet war, bremste der Angeklagte ohne jeden verkehrsbedingten Anlass abrupt sein Fahrzeug bis zum Stillstand oder fast bis zum Stillstand ab. Der Geschädigte konnte einen Auffahrunfall trotz Vollbremsung nicht vermeiden, wodurch an seinem Fahrzeug im Frontbereich ein erheblicher Sachschaden (Kostenvoranschlag: 1.843 EUR) entstand. Auch am Fahrzeug des Angeklagten entstand Sachschaden. Der Angeklagte machte über seinen Rechtsanwalt einschließlich eines bereits vorhandenen Altschadens Reparaturkosten in Höhe von 2.892,96 EUR geltend, die von der Versicherung des Geschädigten jedoch bisher nicht erstattet wurden.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe sein Fahrzeug in der Absicht abrupt abgebremst, einen Auffahrunfall herbeizuführen. Das Motiv des Angeklagten habe sich nicht mit letzter Sicherheit klären lassen; entweder habe der Angeklagte einen an seinem Fahrzeug bereits vorhandenen Altschaden vom Unfallgegner ersetzt bekommen wollen oder er habe aus Verärgerung über das Verhalten des Geschädigten gehandelt.

Mit seiner Revision rügte der Angeklagte in materieller Hinsicht, das Urteil enthalte keine konkreten bzw. weitergehenden nachvollziehbaren Ausführungen zum erforderlichen (mindestens bedingten) Schädigungsvorsatz des Angeklagten sowie dazu, dass dieser mit dem Bremsmanöver einen Unfall habe herbeiführen wollen, und in formeller Hinsicht die rechtsfehlerhafte Verwendung von Auszügen aus dem beigezogenen früheren Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen eines ähnlichen Vorfalls, das seinerzeit nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war. Die Revision hatte mit der erhobenen Sachrüge - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

Gründe:

1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist der Schuldspruch wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Insofern tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen das Vorliegen eines (mindestens bedingten) Schädigungsvorsatzes (vgl. hierzu BGHSt 48, 233/237).

Soweit das Handeln des Angeklagten von dem Motiv getragen war, einen an seinem Fahrzeug bereits vorhandenen Altschaden vom Unfallgegner ersetzt zu bekommen, erschließt sich die Annahme eines Schädigungsvorsatzes ohne weiteres von selbst. Soweit ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug aus Verärgerung über einen anderen ihm nachfolgenden Fahrer abrupt abbremst mit der Folge, dass es zu einem Auffahrunfall kommt, liegt zwar grundsätzlich die Annahme näher, der betreffende Kraftfahrzeugführer habe nur grob fahrlässig und nicht mit bedingtem Schädigungsvorsatz gehandelt; denn Letzteres setzt voraus, dass auch die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs billigend in Kauf genommen wird, was eher fern liegt. Vorliegend wusste der Angeklagte jedoch, dass das Heck seines Fahrzeugs ohnehin einen Altschaden aufwies, so dass die Überlegung, eine Beschädigung des eigenen Fahrzeugs nicht in Kauf nehmen zu wollen, in den Hintergrund tritt. Hinzu kommt, dass das von den Zeugen geschilderte abrupte Fahr- bzw. Bremsmanöver des Angeklagten auch aus objektiver Sicht dem Geschädigten keine Möglichkeit ließ, einen Auffahrunfall zu vermeiden. Die Annahme, der Angeklagte habe auch bei Vorliegen dieser zweiten Variante zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB gehandelt, begegnet deshalb vorliegend keinen rechtlichen Bedenken.

2. Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch der vom Landgericht gezogene Schluss, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, einen Auffahrunfall herbeizuführen, und deshalb den Tatbestand eines qualifizierten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 3 StGB i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB verwirklicht.

Eine Absicht nach dieser Bestimmung setzt voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, einen Unglücksfall herbeizuführen, und sein Wille darauf gerichtet ist, nicht nur eine Gefährdung, sondern einen Schaden herbeizuführen (vgl. BGH NJW 1996, 329/330; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 315 Rn. 22 m.w.N.). Erforderlich ist deshalb, dass der Täter einen zielorientierten unbedingten direkten Vorsatz (so genannter dolus directus ersten Grades) hat; von der Absicht zu unterscheiden ist das Motiv, d.h. der Beweggrund für die Tat (vgl. Tröndle/Fischer § 15 Rn. 6 m.w.N).

Dass der Angeklagte sein Fahrzeug, ohne dass hierfür ein verkehrsbedingter Anlass bestand, abrupt bis zum Stillstand oder fast bis zum Stillstand abbremste, "in der Absicht, einen Auffahrunfall herbeizuführen", lässt sich zwar zwanglos begründen, soweit als Motiv des Angeklagten angenommen wird, er habe einen an seinem Fahrzeug bereits vorhandenen Altschaden vom Unfallgegner ersetzt bekommen wollen. Soweit der Angeklagte aber - wie das Landgericht (anders als das Amtsgericht) alternativ als Motiv des Angeklagten unterstellt - ("nur") aus Verärgerung über das Fahrverhalten des Geschädigten gehandelt hat, reichen jedenfalls die bisherigen Feststellungen und Darlegungen im Urteil nicht aus, um die Annahme zu begründen, dem Angeklagten sei es auch in diesem Fall darauf angekommen, einen Auffahrunfall herbeizuführen. Es fehlt insoweit an einer eingehenderen, auf tragfähige Überlegungen gestützten Auseinandersetzung mit der subjektiven Tatseite.

Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil - und zwar wegen des einheitlichen Tatgeschehens insgesamt (vgl. KK/Kukein StPO 5. Aufl. § 353 Rn. 12) - mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Der Senat sieht davon ab, die an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechtzuerhalten, weil nicht völlig auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter zu Feststellungen kommt, die im Widerspruch zu den bisherigen stehen.

Ende der Entscheidung

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