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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 29.09.2006
Aktenzeichen: 4St RR 177/06
Rechtsgebiete: StGB, AWG, AWV


Vorschriften:

StGB § 2 Abs. 3
StGB § 2 Abs. 4
StGB § 2 Abs. 4 Satz 1
AWG § 34 Abs. 4
AWV § 69 e Abs. 2 Buchst. c (in der Fassung der 40. ÄnderungsVO vom 11.12.1997)
Macht der Tatrichter beim versuchten Embargoverstoß nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) von der in § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgesehenen Milderungsmöglichkeit Gebrauch, so ist mildestes Gesetz i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB die seit 8.04.2006 geltende Vorschrift des § 34 Abs. 4 AWG.
Tatbestand:

1. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen versuchten Embargoverstoßes in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt. Dem Urteil liegt zugrunde, dass der in Deutschland wohnhafte Angeklagte vom 14.12.2001 bis zum 25.7.2002 in vier Fällen Geldbeträge von seinem Bankkonto auf das Bankkonto eines ebenfalls im Inland wohnhaften Dritten überwiesen hatte. Dieser sollte die Geldbeträge im Auftrag des Angeklagten an dessen Angehörige im Irak weiterleiten. Die Geldbeträge sollten der Unterstützung der Familie des Angeklagten dienen. Der Angeklagte verfügte nicht über die für diese Überweisungen erforderliche Genehmigung der Deutschen Bundesbank.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten nicht aufgrund des zur Tatzeit geltenden § 34 Abs. 4 AWG verurteilt, sondern die seit 8.4.2006 geltenden Bestimmungen des § 34 Abs. 4 Nr. 1a, Abs. 5 AWG angewendet, weil es sich hierbei um das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB handle.

2. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das bezeichnete Urteil Sprungrevision ein und rügte die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei die zur Tatzeit geltende Fassung des Außenwirtschaftsgesetzes das mildeste Gesetz. Das Amtsgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sowohl nach der zur Tatzeit gültigen als auch nach der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung des Außenwirtschaftsgesetzes derselbe Strafrahmen vorgesehen sei. Denn das Amtsgericht habe zu Unrecht die durch § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB ermöglichte Strafmilderung in den Vergleich einbezogen. Diese Strafmilderung sei nur fakultativ und somit eine Frage der Strafzumessung. Maßgeblich für die Bestimmung des mildesten Gesetzes sei vielmehr der für die vollendete Tat vorgesehene Strafrahmen. Die vom Amtsgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Bewertung der Taten nach neuem Recht als Vergehen anstatt als Verbrechen nach altem Recht begründe für sich alleine nicht die Annahme eines milderen Gesetzes. Die Revision hatte in der Sache keinen Erfolg.

Gründe:

1. Nach § 69e Abs. 2c AWV a.F. bedurften der Genehmigung sonstige Zahlungen, also solche, die nicht mit den in § 69e Abs. 1 AWV a.F. genannten verbotenen Handelsgeschäften im Zusammenhang standen, und die Übertragung sonstiger Vermögenswerte durch Gebietsansässige an Gebietsfremde im Irak. Zuwiderhandlungen hiergegen waren unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 AWG a.F. strafbewehrt. Die Vorschrift des § 69e Abs. 2c AWV a.F. wurde durch die 60. Änderungsverordnung zur AWV vom 21.8.2003 aufgehoben. § 69e AWV n.F. hat nunmehr einen anderen Regelungsinhalt mit der Folge, dass entsprechende Handlungen, die nach der alten Fassung strafbewehrt waren, nun straflos sind. Dies berührt jedoch nicht die Strafbarkeit von tatbestandsmäßigen Handlungen zur Zeit der Geltung von § 69e Abs. 2c AWV a.F., vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StGB. Denn bei der genannten Vorschrift handelt es sich um eine Ausfüllungsvorschrift für die Blankettnorm des § 34 Abs. 4 AWG a.F. Diese Ausfüllungsvorschrift ist zwar nicht ausdrücklich befristet gewesen, nach ihrer Zielsetzung und ihrem Inhalt jedoch erkennbar für die Dauer des von den Vereinten Nationen gegen Irak verhängten Embargos geschaffen worden, was sich bereits aus der amtlichen Überschrift ergibt ("Beschränkungen nach § 7 Abs. 1 AWG aufgrund der Resolution 661 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen [Kap. VII der Charta vom 6.8.1990]"). Es handelt sich daher um ein Zeitgesetz im weiteren Sinne nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StGB (vgl. entsprechend für das Serbien-Embargo BGH StV 99, 26).

2. Durch das 12. Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung vom 28.3.2006 (BGBl I S. 574) wurde die Vorschrift des § 34 Abs. 4 AWG mit Wirkung ab 8.4.2006 umgestaltet.

§ 34 Abs. 4 AWG a.F. lautet wie folgt:

Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer einer Vorschrift dieses Gesetzes oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder einer im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger veröffentlichten Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften zur Beschränkung des Außenwirtschaftsverkehrs, die der Durchführung einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen dienen, zuwiderhandelt. In minderschweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

§ 34 Abs. 4 AWG n.F. lautet wie folgt:

Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1. einer Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 5 oder § 7 Abs. 1 oder 3 Satz 1 zuwiderhandelt, die der Durchführung

a) einer vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen oder

b) einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist und die Tat nicht in Abs. 6 Nr. 3 mit Strafe bedroht ist oder

2. einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient.

Die Gesetzesänderung hatte den Zweck, bestehende Strafbarkeitslücken zu schließen und die Strafbewehrung von Embargoverstößen differenzierter zu gestalten (BT-Drucks 16/33 S. 10). Diesem Zweck entsprechend hat der Gesetzgeber den Straftatbestand differenzierter ausgestaltet und abgestufte Sanktionsmöglichkeiten geschaffen. Im Kern jedoch ist der Straftatbestand von der Gesetzesänderung nicht berührt worden. Demgemäß wäre eine der Tat des Angeklagten vergleichbare Tat bei Vorliegen einer entsprechenden Ausfüllungsnorm auch derzeit nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 a AWG n.F. strafbar. Der Gesetzgeber hat nicht die bisherige Strafvorschrift gestrichen und stattdessen einen völlig neuen Unrechtstyp geschaffen. In beiden Fällen bleibt der Verstoß gegen Embargovorschriften Kern des unter Strafe gestellten Verhaltens. Die neu geschaffenen Qualifikationstatbestände des Art. 34 Abs. 6 Nr. 4 AWG n.F. vermögen hieran nichts zu ändern, da sie lediglich zusätzliche abstrakt-konkrete Gefährdungsmodalitäten (vgl. BGH NJW 1999, 2129) voraussetzen, die auch nach alter Rechtslage zu einer Bestrafung nach § 34 Abs. 4 AWG geführt hätten. Zur Beantwortung der Frage, welches Strafgesetz vorliegend anzuwenden ist, muss daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz durch Vergleich festgestellt werden.

3. Das mildeste Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist nicht dasjenige, welches bei einem abstrakten Vergleich der Tatbestände den milderen Strafrahmen zur Verfügung stellt. Entscheidend ist vielmehr, welches Gesetz für den konkreten Einzelfall nach dessen besonderen Umständen die mildeste Beurteilung zulässt (BGH NStZ 1983, 80; NStZ 1983, 416; Schönke/Schröder/Eser StGB 27. Aufl. § 2 Rn. 30; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 2 Rn. 3; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 2 Rn. 10; Leipziger Kommentar/Gribbohm StGB 11. Aufl. § 2 Rn. 20). Hierbei ist die Gesamtheit der dem Täter drohenden Strafnachteile zu berücksichtigen. Da maßgeblich der konkrete Einzelfall ist, kommt es darauf an, mit welcher Strafe der Täter bei Anwendung der alten Gesetzeslage und im Vergleich bei Anwendung der neuen Gesetzeslage zu rechnen hat. Für die Revisionsgerichte ist hierbei die Einordnung der Tat durch den Tatrichter und die ausgesprochene Strafe zu beachten, soweit diese revisionsrechtlich vertretbar ist (vgl. BGH NStZ 1983, 80/81). Bei leichteren Taten kommt es dementsprechend auf den Vergleich der jeweils zur Verfügung gestellten Mindeststrafen an (Tröndle/Fischer aaO Rn. 10b).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass das Amtsgericht zu Recht § 34 AWG n.F. als mildestes Gesetz angesehen hat. Die Höhe der vom Angeklagten zur Weiterleitung in den Irak überwiesenen Geldbeträge und ihr Verwendungszweck legen die Bejahung eines minderschweren Falles im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 2 AWG a.F. nahe. Auch vom Gesetz jeweils vorgesehene Milderungsmöglichkeiten, deren Gebrauch im konkreten Fall einer rechtlichen Überprüfung standhält, sind in die Feststellung des mildesten Gesetzes einzubeziehen (so für § 31 Nr. 1 BtMG Tröndle/Fischer aaO § 2 Rn. 10b). Das gilt insbesondere auch für die im Falle eines Versuchs vorgesehene Milderungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB (Schroeder, Anm. zu LG Hannover, NJW 1976, 979, 980; Schönke/ Schröder/Eser aaO). Demgemäß hat das Amtsgericht zu Recht beim Vergleich der Strafrahmen nach alter und neuer Rechtslage die Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB berücksichtigt, weil es - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise - im konkreten Fall von einer Milderung Gebrauch gemacht hat. Das Amtsgericht ist daher in zutreffender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass sich nach altem und neuem Recht im konkreten Fall derselbe Strafrahmen ergibt.

4. Es kann dahinstehen, ob - bei gleichem Strafrahmen - die Einordnung der Tat als Verbrechen oder als Vergehen für sich genommen für die Feststellung des mildesten Gesetzes entscheidend ist oder nicht. Denn vorliegend unterscheiden sich die dem Angeklagten insgesamt drohenden Strafnachteile insoweit, als nach alter Rechtslage für die Tat gemäß § 78 Abs. 3 Ziff. 2 StGB i.V.m. § 34 AWG a.F., § 38 Abs. 2 StGB eine Verjährungsfrist von 20 Jahren gilt, hingegen für die Tat nach neuem Recht eine solche von 5 Jahren, § 78 Abs. 3 Ziff. 4 StGB. Die Verkürzung der Verjährungsfrist ist vorliegend zu beachten und entscheidend (Tröndle/Fischer aaO § 2 Rn. 7; LK/Gribbohm aaO Rn. 8; Lackner/Kühl aaO § 2 Rn. 6a; NK/Hassemer/Kargl StGB 2. Aufl. § 2 Rn. 24).

5. Zur Klarstellung war die Liste der angewendeten Vorschriften wie geschehen zu ergänzen, weil § 69e AWV n.F. die vom Angeklagten begangene Straftat nicht mehr erfasst.



Ende der Entscheidung

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