Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 5 St RR 266/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 244 Abs. 3
StPO § 244 Abs. 5
1. Anträge auf Rekonstruktionen eines Geschehensablaufs, eines Zustands oder eines kausalen Zusammenhangs sind grundsätzlich auf eine nutzlose und deshalb sich erübrigende Beweistätigkeit gerichtet, jedenfalls dann, wenn sich die situative Konstellation zur Tatzeit nicht herstellen lässt.

2. Ein Antrag auf Untersuchung der Glaubhaftigkeit einer Schilderung zielt in der Regel auf die spezielle, konkrete Glaubwürdigkeit des Zeugen in Bezug auf seine Aussage.


Tatbestand:

Der wegen Vergewaltigung verurteilte Angeklagte hatte in der Revision gerügt, das Gericht habe unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht die Einnahme eines Augenscheins wie die Erholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens unterlassen. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Gründe:

1. Bei einem Antrag auf Augenscheinseinnahme ist allein die Sachaufklärungspflicht der maßgebliche Gesichtspunkt. Drängt sie nicht zur Augenscheinseinnahme durch das Gericht, so kann die Benutzung anderer Beweismittel genügen, insbesondere die Besichtigung von Lichtbildern (Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 244 Rn. 78). Ein Antrag auf Augenscheinseinnahme kann deshalb grundsätzlich rechtsfehlerfrei abgelehnt werden, wenn das Gericht die erforderlichen Feststellungen auf andere Weise zuverlässig zu treffen vermag.

Die Revision zeigt keine Tatsachen auf, welche zusätzlichen Erkenntnisse das Gericht über die von ihm in Augenschein genommenen Lichtbilder des Tatfahrzeugs in Verbindung mit der mitgeteilten gerichtskundigen Tatsache, dass ihm Fahrzeuge des gegenständlichen Typs bekannt sind bei Zugrundelegung der Schilderung der Geschädigten hinaus hätte gewinnen können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die von der Verteidigung gewünschte, als Beweisermittlung aufzufassende Rekonstruktion der Bewegungsabläufe am Tatort im vorliegenden Fall schon nicht zuverlässig dargestellt werden kann. Anträge auf Rekonstruktionen eines Geschehensablaufs, eines Zustands oder eines kausalen Zusammenhangs sind grundsätzlich auf eine nutzlose und deshalb sich erübrigende Beweistätigkeit gerichtet, jedenfalls wenn sich die situative Konstellation zur Tatzeit nicht herstellen lässt (KK/Herdegen StPO 5. Aufl. § 244 Rn. 17). So ist es auch hier. Die geschilderten Bewegungsabläufe sind so komplex, dass sie sowohl was die Handlungen des Angeklagten als auch die der Geschädigten betrifft, nicht zuverlässig wiederholbar sind und deshalb auch eine Augenscheinseinnahme mit einer "Tatrekonstruierung" nicht geeignet ist, als solche Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu sein und die Aussage der Geschädigten zu widerlegen (BGH NStZ 1988, 88).

Die von der Verteidigung zitierten Entscheidungen (BGHSt 8, 177, 181; StV 1994, 411) betreffen andere Sachverhalte. Die Augenscheinseinnahme wurde gerade nicht mit der Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin abgelehnt. Diese Aussage wurde nur insoweit herangezogen, als es um die Frage der Art und Weise des Tatgeschehens, das rekonstruiert werden sollte, geht. Insoweit ist die Aussage aber bei der Prüfung der Sachaufklärungspflicht heranzuziehen, da nur so beurteilt werden kann, was durch die Augenscheinseinnahme widerlegt werden soll und ob dafür eine Augenscheinseinnahme erforderlich ist.

2. Es trifft zwar zu, dass die Verteidigung einen Antrag auf Erholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Widerlegung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten gestellt hatte, während die Strafkammer die Ablehnung des Antrags mit eigener Sachkunde für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin begründet hatte. Im Ergebnis ist dies jedoch unschädlich. Zwar ist, wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zu den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) ausgeführt hat, zwischen der allgemeinen Glaubwürdigkeit einer Person und der Glaubhaftigkeit eines bestimmten geschilderten Geschehens zu unterscheiden (BGH NStZ 2000, 100; KK/Herdegen § 244 Rn. 31), jedoch zielt ein Antrag auf Untersuchung der Glaubhaftigkeit einer Schilderung in der Regel - wie auch hier - auf die spezielle, konkrete Glaubwürdigkeit des Zeugen in Bezug auf seine Aussage. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird deshalb in diesem Zusammenhang sowohl in der Literatur wie auch vom Bundesgerichtshof in der Regel von "Glaubwürdigkeitsgutachten" gesprochen (vgl. Meyer-Goßner § 244 Rn. 74; KK/Herdegen aaO, BGH NStZ RR 2004, 87; BGHR StPO § 244 Abs. 2 Glaubwürdigkeitsgutachten 1).

Im Übrigen kann sowohl die Erholung eines Glaubhaftigkeits-, als auch eines Glaubwürdigkeitsgutachtens, wenn nicht Besonderheiten vorliegen, mit "eigener Sachkunde" abgelehnt werden. Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die Verteidigung keine Tatsachen nennt, die die Erholung eines Sachverständigengutachtens geböten. Mit tatsächlichen oder vermeintlichen "Widersprüchen" außerhalb des Kerngeschehens (Schlüssel, Rücklehne) hat sich die Strafkammer auseinandergesetzt. Sowohl diese wie auch die Alkoholisierung der zwar noch jungen, aber volljährigen Geschädigten sind allein nicht geeignet die eigene Sachkunde des Gerichts in Frage zu stellen, zumal die Aussage der Geschädigten durch das rechtsmedizinische Gutachten über die DNA-Spuren auf dem Penis des Angeklagten sowie die Tatsache des unmittelbar anschließenden Anrufs der Geschädigten bei ihrem Freund gestützt wird (vgl. Meyer-Goßner § 244 aaO; NStZ-RR 1999, 48; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Sachkunde 4). Demgegenüber sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, warum die Geschädigte den Angeklagten zu Unrecht belasten sollte.

Die von der Verteidigung in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (StV 1987, 475; 1991, 405, wobei bei letzterer Fundstelle offen bleibt, welche der beiden dort veröffentlichten Entscheidungen gemeint ist), sagen nichts anderes aus. Die Entscheidung aus dem Jahr 1987 befasst sich mit der besonderen Sachkunde eines medizinischen Sachverständigen bei Drogen, die geeignet sind, Halluzinationen oder ähnliche Störungen des Bewusstseins hervorzurufen. Die Entscheidung aus dem Jahr 1991, befasst sich nicht mit der Sachkunde des Gerichts, sondern mit der rechtsfehlerfreien Ablehnung des Antrags auf Erholung eines Gutachtens zur Aussagetüchtigkeit und Glaubwürdigkeit, weil sich die Zeugin einer Untersuchung verweigerte. Diese Entscheidung weist zudem die Besonderheit eines langjährigen Alkohol- und Drogenmissbrauchs mit zusätzlichen Besonderheiten in der Person der Zeugin (u.a. durch einen Psychiater attestierte neurotische Auffälligkeiten).

3. Soweit die Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten auch mit der Aussagekonstanz (im Kernbereich) begründet wurde, liegt entgegen der Auffassung der Verteidigung kein unzulässiger Zirkelschluss vor. Ein Zirkelschluss ist gegeben, wenn aus einer Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit geschlossen wird (BGH StV 2005, 487/488). Ein Zirkelschluss ist dann nicht gegeben, wenn aus dem Ablauf der Vernehmung oder dem Verhalten der Beweisperson bei ihrer Befragung oder aus der inhaltlichen Struktur der Aussage auf deren Glaubhaftigkeit geschlossen werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn die Konstanz der Aussage letztlich auf Grund der Angaben des Zeugen selbst eingeführt wird (BGH NStZ 1992, 553/554; StV 1996, 412).

Wie die Urteilsgründe ausweisen, ist hier die Aussagekonstanz sogar durch die Vernehmung anderer Zeugen festgestellt worden. Dass diese letztlich die Aussage der Geschädigten wiedergeben, und sich deshalb naturgemäß auf diese beziehen, begründet keinen Zirkelschluss.

Ende der Entscheidung

Zurück