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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 07.01.2008
Aktenzeichen: 7 U 3773/07 (1)
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 256 Abs. 5
AktG § 249 Abs. 1
1. Festgestellte Jahresabschlüsse einer Aktiengesellschaft sind nicht schon wegen fehlender Aktivierung von Rückzahlungsforderungen aufgrund von Zahlungen an Dritte, für die es keine Rechtsgrundlage gab (Schmiergeld- und Bestechungszahlungen), nichtig, da nach dem bilanziellen Vorsichts- und Realisationsprinzip Ansprüche erst dann bilanziell zu aktivieren sind, wenn sie hinreichend sicher und konkretisiert sind.

2. Die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse ergibt sich auch nicht daraus, dass gegebenenfalls Zahlungen auf Konten, die der Aktiengesellschaft selbst zuzurechnen sind, geleistet wurden, wenn die Nichtigkeitskläger nicht konkrete Anhaltspunkte dafür vorzutragen vermögen, wie hoch die Beträge sind, die eine zu geringe Aktivierung von Vermögenswerten wegen solcher Zahlungen in den jeweiligen Geschäftsjahren zur Folge haben. Dies ist jedoch erforderlich, da durch eine lediglich geringfügige Unter- oder auch Überbewertung die Darstellung der Vermögens- und Ertragslage nicht wesentlich beeinträchtigt und der Schutzzweck der Norm des § 256 Abs. 5 AktG nicht verletzt wird.


Aktenzeichen: 7 U 3773/07

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung der Nichtigkeit

Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 07.01.2008 folgenden Beschluss:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 12.04.2007, Az: 5 HK O 23424/06, wird einstimmig zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.500.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Berufung des Klägers war durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern.

Auf den Hinweis des Senats vom 29.10.2007 wird Bezug genommen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 17.12.2007 hierzu Stellung genommen. Die hierin vorgetragenen Einwände und der neue Sachvortrag geben jedoch zu keiner von den Hinweisen des Senats abweichenden rechtlichen Bewertung Anlass und führen nicht zum Erfolg der Berufung.

Der Kläger, der sein Vorbringen wesentlich auf Veröffentlichungen der Beklagten selbst sowie Presseartikel stützt, wendet sich gegen die durch das Erstgericht und den Senat vorgenommene Bewertung der streitgegenständlichen Jahresabschlüsse als nicht nichtig. Er lässt erstmals vortragen, es habe sich nunmehr nach den eigenen Ermittlungen der Beklagten und Presseveröffentlichungen herausgestellt, dass sich die "Schwarzgeld- und Bestechungszahlungen" auf 1,306 Mrd. Euro summierten und Strafzahlungen, Steuernachzahlungen und Untersuchungskosten in Höhe von ca. 1,4 Mrd. Euro hinzukämen. Im Hinblick auf diese neue Sachlage könnten der Hinweisbeschluss und das landgerichtliche Urteil, die beide von einer Gesamtsumme von 420 Mio. Euro ausgegangen seien, keinen Bestand haben. Angesichts der Höhe der "Schwarzzahlungen" sei es zudem lebensfremd anzunehmen, Organmitglieder der Beklagten hätten von den Zahlungen nichts gewusst. Der Kläger behauptet nunmehr vorsätzliches Handeln der Organe der Beklagten.

Der Senat hält auch unter Berücksichtigung des neuen Sachvortrags des Klägers an seiner Auffassung fest, dass die Nichtigkeitsklagen mit dem nach Hinweis des Senats geänderten Berufungsantrag nicht begründet sind.

Zunächst ist voranzustellen, dass die - vom Kläger unter Hinweis auf Medienberichterstattung vorgetragenen - bei der Beklagten anfallenden Strafzahlungen (Geldbußen und Geldstrafen) sowie Kosten der Untersuchung für das streitgegenständliche Verfahren auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse 2002 bis 2005 ebenso wenig relevant sind wie mögliche Sanktionsforderungen der amerikanischen ..., weil sie sich jeweils nur auf spätere Jahresabschlüsse auswirken können.

Eine Unterbewertung von Aktivposten im Sinne des § 256 Abs. 5 Nr. 2, Satz 3 AktG mit daraus resultierender Nichtigkeit des jeweiligen Jahresabschlusses aufgrund unterbliebener Buchung von gegebenenfalls bestehenden Rückforderungsansprüchen wegen Zahlungen an Dritte, für die es keine Rechtsgrundlage gab, weil zugrundeliegende Verträge wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig waren, liegt nicht vor. Wie im Hinweis des Senats unter Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil ausgeführt, sind nach dem bilanziellen Vorsichts- und Realisationsprinzip Ansprüche auf Rückzahlung erst dann bilanziell zu aktivieren, wenn sie für den Kaufmann hinreichend sicher und konkretisiert sind. Von einer hinreichenden Konkretisierung kann vorliegend nach wie vor nur im Zusammenhang mit der Zahlung in Höhe von 7,8 Mio. Euro ("Griechenland") ausgegangen werden. Weitere Zahlungen sind nicht hinreichend konkret behauptet, insbesondere ist nicht dargetan, in welchen Fällen, in welcher Höhe und in welchem Geschäftsjahr Zahlungen an Dritte ohne Rechtsgrund mit identifizierbarem Zahlungsempfänger geflossen sind. Dies gilt auch hinsichtlich der nunmehr vom Kläger vorgetragenen "Zahlungen ohne Rechtsgrund" in Höhe von 1,306 Mrd. Euro und insofern als der Kläger vortragen lässt, die Rückforderungsansprüche würden sich von Jahr zu Jahr erhöhen.

Eine Nichtigkeit der streitgegenständlichen Jahresabschlüsse ergibt sich auch nicht daraus, dass gegebenenfalls Zahlungen auf Konten, die der Beklagten selbst zuzurechnen sind, geleistet und diese nicht aktiviert wurden. Auch in seinem neuen Vorbringen lässt der Kläger offen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe und in welchem Geschäftsjahr die nunmehr bekannt gewordenen "Schwarzgeld- und Bestechungszahlungen" in Höhe von insgesamt 1,306 Mrd. Euro auf Konten des ... Konzerns geflossen sein sollen. Konkrete Anhaltspunkte hierfür vermag der Kläger ebensowenig vorzutragen wie deren Auswirkungen auf einzelne Bilanzposten in den jeweiligen Jahresabschlüssen. Die Beklagte selbst hat Zahlungen auf Konten, die dem ... Konzern zuzurechnen seien, substantiiert bestritten und - vom Kläger unwidersprochen - dargelegt, dass nach bisherigem Ermittlungsstand letztendlich keine Zahlungen auf Konten, deren Inhaberin die Beklagte sei, geflossen seien bzw. die Mittelabflüsse tatsächlich stattgefunden hätten (Schriftsatz vom 15.03.2007, Bl. 23 der Akten). Der Kläger ist dem nicht entgegengetreten, sondern geht, wie sich aus dem Schriftsatz seines Prozessvertreters vom 17.12.2007 (vgl. Bl. 85 der Akten) entnehmen lässt, selbst davon aus, dass es sich bei den 1,306 Mrd. Euro um "Zahlungen ohne Rechtsgrund" handelt, um die "die Beklagte entreichert und beschädigt" ist, und die Beklagte die "Zahlungen an die dubiosen Empfänger zurückzuholen habe". In dieser Höhe bestünden deshalb Rückforderungsansprüche, die zu aktivieren seien. Es fehlt daher an hinreichendem Sachvortrag und konkreten Anhaltspunkten dafür, wie hoch gegebenenfalls die Beträge sind, die eine zu geringe Aktivierung von Vermögensgegenständen wegen Zahlungseingängen auf Konten der Beklagten selbst in den jeweiligen Geschäftsjahren zur Folge haben. Dies ist jedoch erforderlich, da der Verstoß nur dann die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach sich zieht, wenn dadurch die Darstellung der Vermögens- und Ertragslage wesentlich beeinträchtigt wird. Eine geringfügige Unter- oder auch Überbewertung tangiert nämlich den Schutzzweck der Norm nicht (vgl. BGHZ 83, 341, 347; OLG Hamm AG 1992, 233, 234; OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796, 797; LG Frankfurt am Main DB 2001, 1483; Küting/Weber , Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, Bd. IV Rdnr. 21 zu § 256 AktG; Hüffer in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Auflage, Rdnr. 56 zu § 256; Schedlbauer DB 1992, 2097, 2099). Vor diesem Hintergrund sind auch die hypothetischen Ausführungen im landgerichtlichen Urteil zu sehen, das angesichts der fehlenden näheren Darlegungen des Klägers unterstellte, dass die gesamten, zum Entscheidungszeitpunkt bekannten Zahlungen in Höhe von 420 Mio. Euro auf Konten, die der Beklagten zuzurechnen seien, erfolgten, daraus sich jährliche Durchschnittszahlungen von 60 Mio. Euro ergäben und diese nicht abgeflossen seien. Es kam auf dieser Basis zu dem Ergebnis, dass es in Relation zu denkbaren Vergleichsparametern (Jahresüberschuss, Bilanzsumme, bilanziellem Eigenkapital) an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung fehlte.

Angesichts der Tatsache, dass der Kläger auch im Hinblick auf seinen neuen Sachvortrag über Schmiergeldzahlungen in Höhe von 1,306 Mrd. Euro nicht konkret darzulegen vermag, ob und ggf. in welcher Höhe Zahlungen auf der Beklagten selbst zuzurechnende Konten erfolgten und dort verblieben, sondern er vielmehr selbst davon ausging, dass die Beträge bereits an Dritte geflossen sind, kommt es auf diese hypothetischen Überlegungen des Landgerichts nicht mehr entscheidend an.

Soweit der Kläger nunmehr erstmals ein vorsätzliches Handeln der Organe der Beklagten behauptet und dies damit begründet, dass es aufgrund der Höhe der Zahlungen und angesichts von Pressemitteilungen über "Vertuschung bei ... " im Jahr 2006 (Anlage BE 3) nicht sein könne, dass die Organmitglieder nichts von "Schwarzzahlungen" gewusst hätten, stellt dies keinen hinreichend konkreten Sachvortrag, sondern lediglich eine Vermutung dar. Dem Beweisantrag auf Vernehmung sämtlicher damaliger Vorstandsmitglieder ist deshalb nicht zu entsprechen. Für das Vorsatzerfordernis gem. § 256 Abs. 5 Nr. 2 AktG ist auf die an Aufstellung oder Feststellung des Jahresabschlusses maßgeblich beteiligten Organmitglieder abzuheben. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Nichtigkeitskläger (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 7. Auflage, § 256 Rdnr. 27).

Hinsichtlich der steuerlichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Jahresabschlüsse wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen, dem ist der Kläger weder in seiner Berufungsbegründung noch in der Stellungnahme zum Hinweis des Senats mit konkretem Sachvortrag bzw. substantiierten Einwänden entgegengetreten.

Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Da sich die Nebenintervenienten am Rechtsmittel nicht beteiligten, sind sie nicht Rechtsmittelpartei und daher auch nicht kostenrechtlich als solche zu behandeln. Der Streitwert bemisst sich nach §§ 256 Abs. 7, 249 Abs. 1, S. 1, 247 Abs. 1 AktG. Der Senat hält - wie auch das Erstgericht - für jeden Feststellungsantrag einen Streitwert von 500.000,00 Euro für angemessen. Da die Feststellung der Nichtigkeit von insgesamt drei Jahresabschlüssen begehrt wurde, sind die Beträge aufgrund von § 5 ZPO zusammenzuzählen.

Ende der Entscheidung

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