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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 7 U 3887/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
1. Sind mehrere Abladestellen vereinbart und hilft der Frachtführer dem entladepflichtigen Versender beim Abladen an der ersten Entladestelle, so wird er dabei in zwei Pflichtenkreisen tätig: Als Erfüllungsgehilfe des Versenders unterfällt er der Regelung des Art. 17 Abs. 4 c CMR, als Frachtführer bleibt er hinsichtlich des noch weiter zu transportierenden Gutes zur Beachtung der äußersten Sorgfalt (Art. 17 Abs. 2 CMR) verpflichtet.

2. Schädigt der Frachtführer hierbei das noch weiter zu befördernde Transportgut, so kann bei der nach Art. 17 Abs. 5 CMR vorzunehmenden Abwägung die Missachtung der Kardinalpflicht des Frachtführers zur Obhut für das in seinem Gewahrsam befindliche Gut den Verursachungsbeitrag gelegentlich der Mithilfe bei der Entladung so stark überwiegen, dass es bei der ungeschmälerten Haftung nach Art. 17 Abs. 1 CMR verbleibt.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 3887/03

Verkündet am 28.01.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Goller und die Richter am Oberlandesgericht Kotschy und Dr. Barwitz auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2004 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 17.06.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die durch die Nebenintervention im Berufungsverfahren entstandenen Kosten.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin und die Nebenintervenienten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt als Transportversicherer aus übergegangenem Recht von der Beklagten den Ersatz eines Transportschadens.

Aufgrund eines Angebots der Beklagten vom 04.12.2000 beauftragte die Firma F GmbH (im folgenden: Firma F) die Beklagte mit dem Transport zweier Autobahn-Überkopfwegweiser von Waidhofen/Österreich nach Oberbayern. Im Lieferschein der Firma F vom 29.01.2001 (Anlage B 1) ist als Lieferadresse angegeben: BAB A 99 München, AK München Nord, Treffpunkt: Baustellenbereich Rampe A 995/A 99 km 54,1 FR Stuttgart im AK München-Brunnthal. Im CMR-Frachtbrief vom 31.01.2001 (Anlage A 2) ist als Entladeort "ASt München" eingetragen.

Die Überkopfwegweiser wurden von Mitarbeitern der Firma F dergestalt auf den Lkw der Beklagten geladen, dass die beiden kopflastigen und mehr als 4 Tonnen schweren Riegel durch drei Gurte miteinander verbunden wurden und jeder Riegel für sich mit zwei weiteren Gurten vorne und hinten am Lkw festgezurrt wurde. Mit der Abladung hatte die Firma F die Firma V beauftragt.

Zur Abladung des ersten Riegels wurden zunächst die drei Verbindungsgurte gelöst, der in Fahrtrichtung rechts stehende Riegel an den Kran angeschlagen und anschließend die beiden Zurrgurte des abzuladenden Riegels geöffnet. Im weiteren Verlauf löste der Mitarbeiter der V O B den vorderen und der Fahrer der Beklagten, C B, den hinteren Zurrgurt des in Fahrtrichtung linken Riegels. In welcher Reihenfolge dies geschah und ob die Mitarbeiter der V den Fahrer B hierzu angewiesen hatten, ist zwischen den Parteien streitig.

Unmittelbar nachdem beide Zurrgurte gelöst waren, kippte der linke Riegel, der noch eine kurze Strecke weiter zu einer anderen Montagestelle gefahren werden sollte, nach links vom Lkw zu Boden und wurde dabei erheblich beschädigt. Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht Schadensersatz u.a. für die Reparatur der Schilderbrücke sowie der darin befindlichen optischen Geräte in Höhe von insgesamt ÖS 400.032,61 (das sind 31.455,32 EUR).

Das Landgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im übrigen zur Zahlung von 28.649,80 EUR verurteilt. Die Beklagte hafte als Frachtführer nach Art. 17 Abs. 1 CMR, da der Schaden nach Übernahme und vor Ablieferung des Guts entstanden sei. Es liege ein Fall der sukzessiven Ablieferung vor. Die Beklagte sei auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 4 c, 18 Abs. 2 CMR von der Haftung befreit, da nach der durchgeführten Beweisaufnahme ein Fehler der Mitarbeiter der mit der Abladung beauftragten Firma V nicht nachgewiesen sei.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung. Wenn der Fahrer B aus Gefälligkeit bereit gewesen sei, zu einer zweiten Abladestelle zu fahren, so habe er dies als Erfüllungsgehilfe der Firma V getan, so dass der Schaden nicht im Gewahrsam der Beklagten entstanden sei. Darüber hinaus scheitere ein Anspruch gegen die Beklagte aufgrund fehlerhafter Ladungssicherung nach Artikel 17 Abs. 4 c CMR. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.01.2004 hat die Beklagte darüber hinaus die Rechtsansicht vertreten, ihre Haftung scheitere hier jedenfalls daran, dass der beim Abladen gefälligkeitshalber der Firma V behilfliche Fahrer B, als Erfüllungsgehilfe des Empfängers anzusehen sei. Dies führe zumindest zu einem Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB.

Im übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 28.01.2004 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das landgerichtliche Urteil weist Rechtsfehler nicht auf.

1. Die Beklagte rügt, dass das Landgericht den Sachverhalt unvollständig ermittelt und darüber hinaus rechtsfehlerhaft gewürdigt habe. Diese Rügen stellen indes das angefochtene Urteil, auf dessen Gründe Bezug genommen werden kann, nicht in Frage.

a) Das Argument der Beklagten, es mangele an einer Schadensentstehung im Gewahrsam der Beklagten, da zum Zeitpunkt des Schadenseintritts das transportierte Gut bereits im Sinne des Art. 17 Abs. 1 CMR abgeliefert gewesen sei, ist nicht stichhaltig. Die Sichtweise, dass der Fahrer B lediglich aus Gefälligkeit bereit gewesen sei, zu einer zweiten Abladestelle zu fahren, lässt außer acht, dass die beiden Überkopfwegweiser an zwei verschiedenen Orten entladen und sodann montiert werden sollten und mithin ein Fall der sog. sukzessiven Ablieferung (dazu Koller, Transportrecht, 5. Auflage, Rn. 9 zu Art. 17 CMR; Thume, Kommentar zur CMR, Rn. 48 zu Art. 17 CMR) gegeben war.

Bereits in ihrem Schriftsatz vom 19. Dezember 2002 hat die Beklagte auf Seite 1 ihre rechtliche Bewertung mitgeteilt, dass Entladeort lediglich "das Autobahnkreuz" gewesen sei, gleichzeitig aber eingeräumt, dass der zweiter Überkopfwegweiser "einige Meter weiter transportiert werden sollte". Dies steht der nunmehr geäußerten Ansicht, der Fahrer B sei lediglich aus Gefälligkeit bereit gewesen, den zweiten Überkopfwegweiser noch ein Stück, weiter zu transportieren, entgegen. Darüber hinaus kann bereits der grundsätzlichen Einschätzung der Beklagten nicht gefolgt werden, dass beim Transport von tonnenschweren und mehr als 15 m langen Bauteilen als Entladeort lediglich "das Autobahnkreuz", das sich über eine erhebliche Fläche erstreckt, anzusehen sei. Vielmehr ergibt sich beim Transport solcher Güter bereits aus der Natur der Sache, dass der jeweilige Montageort anzufahren ist und damit mehrere Entladeorte vorliegen. Da der zweite Überkopfwegweiser mithin noch zu einer zweiten Abladestelle zu transportieren war, befand er sich im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses weiterhin im Gewahrsam der Beklagten als Frachtführer.

b) Soweit die Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Vorliegen eitles Abladefehlers angreift, sind Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO) nicht ersichtlich. Die landgerichtliche Beweiswürdigung erschöpft den einschlägigen Sachverhalt, ist nachvollziehbar und widerspruchsfrei und verstößt dabei weder gegen die Denkgesetze noch Erfahrungssätze.

Insofern die Berufung argumentiert, dass keiner der vernommenen Zeugen den Zeugen B beim Lösen der letzten Befestigung beobachtet habe, ist festzuhalten, dass es während des gesamten bisherigen Rechtsstreits unstreitig geblieben ist, dass von den beiden Sicherungsgurten des noch auf dem Lkw stehenden zweiten Überkopfwegweisers einer vom Fahrer B und der andere vom Mitarbeiter der Firma V, O B, gelöst wurde. Bereits in der Schadensanzeige vom 01.02.2001 (Anlage B 2) hat der Fahrer B eingeräumt, den hinteren Sicherungsgurt des zweiten Riegels gelöst zu haben. Streitig ist lediglich geblieben, in welcher Reihenfolge diese Sicherungsgurte gelöst würden. Nachdem das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise zum Ergebnis gekommen ist, dass der vorletzte (vordere) Sicherungsgurt vom Zeugen O B gelöst wurde, durfte es angesichts dieser Umstände ohne weiteres davon ausgehen, dass der letzte Sicherungsgurt vom Fahrer B entriegelt wurde. Soweit die Beklagte nunmehr mutmaßt, auch dieser Gurt sei von einem Mitarbeiter der Firma V gelöst worden, steht dem bereits entgegen, dass der Zeuge B bei seiner Einvernahme vor dem Landgericht am 24.02.2003 (Bl. 105 d.A.) selbst eingeräumt hat, den hinteren Gurt des verbleibenden Trägers gelöst zu haben.

c) Der Einwand der Beklagten, ein Anspruch der Klägerin sei auch wegen fehlerhafter Ladungssicherung nach Artikel 17 Abs. 4 c CMR ausgeschlossen, da die Riegel nicht unabhängig voneinander abgeladen hätten werden können, ist ebenfalls nicht erfolgreich. Bereits aus dem Havariebericht des Havariekommissariats T GmbH, Wien, vom 26.02.2001 (vorgelegt als Anlage A3) geht hervor, dass von einer ordnungsgemäßen Ladungssicherung auszugehen ist, da die Riegel sowohl in Fahrtrichtung gegen Verrutschen formschlüssig gesichert als auch seitlich gegen Kippen und Verrutschen durch ein Zusammenbinden zur Erhöhung der Stabilität und ein kreuzweises Niederzurren auf der Ladefläche gesichert waren (Havariebericht Seite 12 f.).

Der Umstand, dass die Riegel aufgrund ihrer schlanken, hohen Bauweise und dem angebrachten Wartungssteg kippempfindlich sind und daher bei der Entladung besondere Sorgfalt beachtet werden muss, berührt den Gesichtspunkt der Ladungssicherheit nicht.

2. Auch der Umstand, dass der Fahrer B aus, Gefälligkeit der von der abladepflichtigen Versenderin beauftragten Firma V beim Entladen geholfen hat, führt nicht dazu, dass der Anspruch der Klägerin gemindert würde oder gar entfiele.

Liegen wie hier mehrere Abladestellen vor und hilft der Fahrer als Erfüllungsgehilfe des Versenders oder Empfängers beim Entladen, so endet damit nicht seine Pflichtenstellung hinsichtlich des übrigen Transportgutes, das noch zu weiteren Abladestellen weiter zu befördern ist. Vielmehr besteht seine Pflicht zur Obhut gegenüber dem erst später abzuladenden Transportgut in unverminderter Weise fort. Insoweit bleibt der Frachtführer zur Beachtung der äußersten Sorgfalt (Art. 17 Abs. 2 CMR) verpflichtet.

Mithin wurde der Fahrer der Beklagten bei der hier vorliegenden sukzessiven Ablieferung in zwei verschiedenen Pflichtenkreisen tätig:

Bedient sich der entladungspflichtige Absender der Gehilfen des Frachtführers als eigener Erfüllungsgehilfen, so kann sich der Frachtführer hinsichtlich eines Entladefehlers seiner eigenen Leute auf Art. 17 Abs. 4 c CMR berufen (Thume a.a.O. Rn. 155 zu Art. 17 CMR; einschränkend Koller a.a.O. Rn. 42 zu Art. 17 CMR, der darauf abstellt, ob die Leute des Frachtführers unter Oberaufsicht und Verantwortung des Absenders tätig wurden).

Gleichzeitig ist der Pflichtenkreis des Frachtführers im Hinblick auf die Obhut für das transportierte Gut betroffen, wenn beim Entladevorgang noch weiter zu beförderndes Transportgut beschädigt wird.

Der Umstand, dass das Tätigwerden des Frachtführers sowohl dessen eigenen Pflichtenkreis berührt als auch der Sphäre des Entladepflichtigen zuzurechnen ist, führt dazu, dass eine Abwägung im Sinne des Art. 17 Abs. 5 CMR stattzufinden hat, bei der diejenigen Grundsätze herangezogen werden können, welche gemäß § 254 BGB nach dem deutschen Recht für gleichartige Abwägungen gelten (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1253 f). Bei der hiernach vorzunehmenden Abwägung überwiegt die Missachtung der Kardinalpflicht des Frachtführers, hinsichtlich des in seine Obhut gegebenen Gutes die äußerste, dem Frachtführer mögliche und zumutbare Sorgfalt anzuwenden (vgl. BGH Transportrecht 1999, 59, 61) den Verursachungsbeitrag gelegentlich der Mithilfe bei der Entladung bei weitem mit der Folge, dass es bei der ungeschmälerten Haftung nach Art. 17 Abs. 1 CMR verbleibt. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier nach einer Teil-Entladung das noch weiter zu transportierende Gut besonders kippempfindlich ist. In einer solchen Situation ist es zuvörderst Pflicht des Frachtführers und seiner Leute, darauf zu achten, dass nicht durch das Lösen von Verstrebungen während der Entladung des einen Teils die Ladungssicherung des noch weiter zu transportierenden Teils beeinträchtigt wird. Mithin hätte der Zeuge B vor dem Lösen von Gurten in jedem Einzelfall eine ausdrückliche Weisung der Mitarbeiter der entladenden Firma V einholen müssen. Eine solche Weisung hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung als nicht erwiesen angesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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